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THEMA:   Eine tolle, "neue" Ballade

 9 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 21.01.04 (23:12) mit folgendem Beitrag:

Autor......?
Ex oriente lux

Irgendwo in Osteuropa war es, eines lauen Nachts in einer Schenke. So elegante Gaststätten gibt es nicht in Berlin, London, New York: die Decke tiefschwarz, mit zahllosen grellodernden Sternen; die Wände durchsichtig; tauige Teppiche von Gras; musterhafte Lüftung durch Bergwind - er brachte unbeschreiblich starken Jasmingeruch in Schwaden; und eine Jazzmusik von Wasserbrausen. - Die Schenke hieß „Cafè Luft“ und bestand aus einem Brettertisch, zwei Bänken und vier Stangen.
Wir saßen und redeten ... von Frauen? Nein, seit einer halben Stunde von der Dichtkunst.
„Ihr glücklichen Deutschen, Franzosen, Angelsachsen!“ rief einer von den jungen Männern. „Was wißt ihr vom innern und äußern Elend unserer Literaten! Wenn bei uns ein Roman es auf sechshundert Exemplare bringt, ist es ein vielbeneideter Bucherfolg. Man führt ein Stück dreimal in der Hauptstadt auf, im ganzen siebenmal in der Provinz. Eine Novelette, dann muß sie schon Auf-sehen erregen, bringt dem Autor einen Dollar in eurer Währung. Unsre Gedichte ... ich schweige davon lieber. - Was mich aber, was uns alle am bohrendsten und immer schmerzt, ist der geringe Widerhall - gar kein Widerhall des Auslandes. Verse von Kipling zünden in Tasmanien Herzen an, in Delhi, Rhodesia, Vancouver und Schottland. Der alte Villon ist in Kischinew ebenso bekannt wie in Bordeaux. - Unser Gregor Ris aber? Was hat er Balladen ge-schrieben! Längst verdient er den Nobelpreis. - Roda Roda! Sie verstehen, reden die Sprache. Helfen sie uns! Übersetzen Sie die Perlen unsres Schrifttums! Erst einmal ins Deutsche. Bald werden die andern aufhorchen - Russen, Spanier, Engländer. Endlich - wir wollen warten: in zehn Jahren genießt Gregor Ris mit seinen Balladen Geltung in der Welt, wie er verdient. - Zugegeben, Übersetzung ist nur Notbehelf - selbst kongenial kann sie die Pracht des Urtextes nicht im Gröbsten, geschweige denn im Zart-Beziehungsvollen erreichen - Übersetzung ist: braune Photographie eines farbenfunkelnden Gemäldes. Immerhin, wenigstens von den Umrissen der Komposition gibt sie dem Fremden eine Vorstellung. - Roda! Gregor Ris soll Ihnen eine seiner Balladen zitieren - gleich die berühmteste: „Der grausame Fürst“. Und Sie - nicht wahr? - werden uns, der kleinen, verkannten Nation den Gefallen tun ... werden sich die Mühe nehmen ... werden versuchen - ich sage: versuchen, die herrliche Ballade deutsch nachzuformen - im Rhythmus und Grundton des Originals. - Wollen Sie? - Fang an, Gregor Ris!“
Er sagte die Ballade auf.
„Nun?“ fragten sie gespannt, bangend, besessen. „Sehr schön.“
„... Und werden Sie's zustande bringen? Es deutsch auszudrücken?“
„Ich glaube: ja. Die erste Strophe habe ich schon fertig im Kopf - die übrigen müßt ich zu Hause aufzeichnen.“
„Oh, er hat die erste Strophe schon im Kopf! Lassen Sie hören, Roda - auf der Stelle!“
Ich stützte mich auf den Tisch, blickte ins leere Dunkel und begann:
„Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr,
Weit glänzt‘ es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft‘gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.“
„Wunderbar“, jauchzten sie wie aus einem Mund. „Getroffen.“
*
(Hab ich die Geschichte schon mal eingestellt? Täte mir leid. Irgendwo habe ich die Geschichte schon mal so erfolgeich angeboten, dass ich gar nicht mehr genau weiß, wo und wie das war...??)


pilli antwortete am 22.01.04 (00:45):

erfolgreich? :-)

gratuliere!

:-)


iustitia antwortete am 25.01.04 (00:30):

Die zweite Strophe dieser Ballade lautet(e) so:

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
(...)


dirgni antwortete am 25.01.04 (00:41):

Nun, iustitia,

"Des Sängers Fluch" zu finden, war nicht schwierig - aber wer diese nette Geschichte erfunden hat, konnte ich nicht herausbekommen.


iustitia antwortete am 25.01.04 (00:59):

Danke, dirgni- ich dachte schon....

Und die nächste:

Ja, Uhland:
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

**
Die Geschichte stammt von Roda Roda!! Einem Komiker aus Ungarn! Morgen mehr!


iustitia antwortete am 25.01.04 (11:23):

Alexander Roda Roda * eigentlich: Alexander Friedrich Rosenfeld

* 13. April 1872 in Drnowitz (Mähren), † 20. August 1945 in New York * Schriftsteller, Kabarettist, Humorist

Bald nach seiner Geburt übersiedelte die Familie nach Zdenci (Slawonien). Sándor Rosenfeld studierte in Wien Jus (ohne Abschluß) und begann eine Offizierslaufbahn. 1894 konvertierte er vom mosaischen zum römisch-katholischen Glauben. 1899 Änderung seines Nachnamens auf Roda.
*
Ich habe keinen Text von Roda Roda im Netz finden können. Ich kopier aber noch was...

Internet-Tipp: https://www.kabarettarchiv.at/Bio/Roda.htm


pilli antwortete am 25.01.04 (11:34):

auch unter "Sandor Friedrich Rosenfeld" getestet?

:-)

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?S1D156E27


pilli antwortete am 25.01.04 (13:21):

auch unter dem pseudonym "Aaba" (Wer ist Wer? von 1912) veröffentlichte die zeitschrift "Jugend" :

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Wat nutzt de Jenialität
Wenn se mits Alter dalli jeht?
1908, S. 972 Aaba

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So oft mich Glut im Neste bannte,
Hab ich mein Plektrum 11 leis geschwungen
Und manches ist im Schweiß gelungen,
Was selbst Apoll das beste nannte.
1908, S. 633
9 Alexander Roda-Roda, eigentlich Sandor Friedrich Rosenfeld (1872-1945), österreichischer Schriftsteller.

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Ein münchnerischer Schüttelreim
Was wüist denn Du, Du blader1) Zwecken2)?
Mir scheint’s, der möcht üns zwaa derblecken.3)
Aaba
1)Blad = dick; 2)Zwecken = Zwerg; 3)derblecken = verhöhnen.
1908, S. 739

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Auch ich war einst Antisemit –
Man macht halt so die Sitte mit.

Die Nachricht dir mit Aechzen send ich:
Ich bin seit gestern sechzehnendig.
1908, S. 991 Aaba

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Zivil is einem General
Schon aus Gewohnheit reen egal.

Der Leutnant hat meist matte Wadeln –
Selbst diese sind von Watte, Madeln!

Der Stolz der ältsten Wappen leicht
Der Lockung brauner Lappen weicht.
1908, S. 906 Aaba

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entnommen dem u.a. link

:-)

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?O32231E27


iustitia antwortete am 25.01.04 (23:12):

Geschichte von Alexander Roda Roda: Alexander Roda Roda: Der Ochs, der Esel, das Kamel

Eines Tages hielt der Kalif Gericht.
Da erschienen drei sonderbare Kläger vor seinem Thron: das Kamel - der Esel - und der Ochse.
Wortführer war natürlich das Kamel; ist ja bei uns auch immer so. Und das Kamel begann: „Er-habener Kalif! Gefäß und Inhalt der Gerechtigkeit! Du Schmuck des Thrones! Stab des Volksvertrauens! Ich, -das arme Kamel - hier mein Bruder, der Ochs und unser Vetter, der Esel - wir erscheinen vor dei-nem goldnen Thron, o Kalif, um Klage gegen die Menschen zu führen, die unsre Geschlechter von alters her verunglimpfen und beleidigen, indem sie unsre ehrlichen Stammesnamen zu Schimpf und Schande füreinander mißbrauchen. Sooft ein Mensch eine Dummheit angestellt hat, sagen ihm die andern Menschen nicht etwa: 'Du Mensch!'- nein, sie sagen ihm: 'Du Kamel!' - Sprich, erhabener Kalif: ist das gerecht gehandelt? Willst du solche Unbill an uns ferner dulden?"
Der Kalif überlegte lang und lang.
"Hm", sagte er, "die Klage, die ihr da vorbringt, will ich nicht von meiner Schwelle weisen - aber . . . dem Verbot, das ihr verlangt, steht ein uralter Sprachgebrauch der Menschen entgegen. - Immer-hin: versucht euer Glück! Geh du, Kamel, nach
Süden - du, Esel, nach Westen - und du, Ochse, nach Norden - wandert sieben Tage und seht zu, daß ihr Menschen findet, die dümmer sind als ihr. Wenn es euch gelungen ist, kommt wieder und mel-det mir das Ergebnis eurer Wanderung. Dann will ich entscheiden, wie's in eurem Fall künftig gehalten werden soll. - Geht hin - ihr seid entlassen!"
Die drei gingen.
Nach sieben Tagen kamen sie wieder - und der Ochs erzählte: „Erhabener Kalif - ich glaube, ich habe meine Pflicht getan. Ich glaube, ich habe Men-schen gefunden, die dümmer sind als die Ochsen. ich war in Arbela. Da stand gefesselt ein Mann auf dem Markt und war angeklagt, einen Beutel Gold gestohlen zu haben. - Allein der Mann beteuerte seine Unschuld; er wäre zu jener Zeit, wo der Dieb-stahl begangen worden sein mußte, bei seiner Mut-ter gewesen. - Nun', sagten die Leute in Arbela, ,dann steht die Sache ja sehr einfach - dann wollen wir die Mutter befragen. Sie ist eine überaus fromme und rechtliche Frau - sie wird gewiß nicht lügen.' - Sprich, erhabener Kalif: waren diese Leute in Ar-bela nun nicht dümmer als die Ochsen, die da mein-ten, eine Mutter würde nicht meineidig werden für ihr Kind?"
"Du hast deinen Prozeß gewonnen", sagte der Kalif. „Laßt hören, was der Esel zu bieten hat!"
(Fortsetz. folgt)


iustitia antwortete am 25.01.04 (23:14):

Fortsetz.: Roda, Roda: Ochs, Esel, Kamel...

I-a, i-a - ich glaube, auch ich habe meine Auf-gabe gelöst. - Ich trabte durch Gaugamela. Da rot-teten sich die Rebellen zusammen und stürmten die Burg ihres Stadtältesten. Sie fingen den Ältesten und hielten Gericht über ihn, weil er lasterhaft gewesen sein sollte, bestechlich und eigennützig. Und sie warfen ihn auf den Scheiterhaufen und verbrannten ihn. Dann aber wählten sie einen andern Stadt-ältesten - und jubelten ihm zu, als er ihnen versprach: er werde, ehrlich in allen Stücken, nur für das Wohl der Allgemeinheit wirken. - Sprich, erhabe-ner Kalif: waren diese Menschen in Gaugamela nicht dümmer als die Esel - die da meinten, ein Machthaber würde für das Wohl der Untertanen wirken und nicht für sein eigenes?"
Nachdenklich strich der Herrscher seinen weißen Bart und befragte das Kamel.
Und das Kamel, es sprach: „Ich weidete auf einer Wiese. Da kam ein junges Mädchen daher mit einem jungen Mann. Er wollte sie küssen - sie wehrte ihn ab. Er wollte sie umarmen - sie versagte sich ihm. Er sei wankelmütig, sagte sie - morgen werde er eine andre lieben. - Da hob er die Rechte zum Eid. ,Nie, Geliebte', rief er. Ich schwöre dir, solang ich lebe, werde ich immer dich - nur dich - lieben.' Als sie es hörte, sank sie an seine Brust. - Sprich, er-habener Kalif - war der Mann nicht dumm, der seine ewige Treue einem Weib verschworen hat? Und war das Mädchen, das ihm die Geschichte mit der ewigen Treue geglaubt hat, nicht dümmer als ein Kamel?"
"Genug", rief der Kalif, „ihr alle drei habt eure Sache gewonnen. Und bei meinem Bart: fürderhin soll es in meinen Landen keinem Muselmann beifallen, einen Menschen ob seiner Dummheit mit dem Namen eines eurer Geschlechter zu belegen. - Geht hin - ihr seid entlassen!"
Die drei gingen.
Vor dem Tor sagte das Kamel: "Brüder, was gilt die Wette? Der alte Esel da drin bildet sich ein, mit seinem Spruch sei uns geholfen."
(A. Roda Roda: Der Mann mit der roten Weste. bb 210. S. 124ff.)