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THEMA:   Gebrüder Grimm

 10 Antwort(en).

wanda begann die Diskussion am 07.11.03 (18:09) mit folgendem Beitrag:

In einem "Märchensenimar" wurde gestern mitgeteilt, dass man Grimmsche Märchen immer wortwörtlich erzählen muss, also wenn man nicht liest, sollte man sie auswendig lernen.
Bei allen anderen Märchen wäre das nicht nötig. Am Schluss fragte eine Teilnehmerin und die Dozentin sagte, weil sonst die Bilder nicht stimmen.
Ich wüsste gern, wer diese These aufgestellt hat oder ob einer von euch - Ihr seid so fit im googlen :-)) - vielleicht mehr darüber weiss oder auch schon davon gehört hat.


iustitia antwortete am 07.11.03 (18:49):

Wer bei diesem Grimmschen MÄRCHEN - man muss es aber auch insgesamt lesen - weiß, dass die Gebrüder Grimm den Text dreimal verändert haben - und erst in der dritten Auflage von 1837 diese entschärfte Fassung hier hinterließen, die weniger pathetisch, weniger judenfeindlich in der Charakterisierung ist, als die ersten Fassungen". Aber der "Jude" muss sterben...
*
Ja, professionelle Märchenerzähler(innen) wollen - wie es Kinder auch gerne hören - immer denselben Wortlaut vernehmen bzw. "rüberbringen". Das ist ja auch Teil ihrer Leistung(Auswendig lernen; sich nicht aus dem Rhythmus bringen lassen...)
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Mit Kinden oder Schülern kann man durchaus vereinbaren, andere, aus anderen Perspektiven oder mit anderen Rollenvorgaben Märchenkerne wiederzugeben... Das erhöht auch die sprachliche Virtuosität und Einsichten in die Rollenstereos; das wollen Märchen-Profis nicht; die wollen alte, vorgegebene, nicht ihre eigene Sprache zum Klingen bringen. Meistens ist das ein künstlicher Märchenton...

Also, jetzt zu Grimm selbst...
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(Titel weggelassen; hier steht nur der Schluss....:)

Der Jude erhob ein Zetergeschrei 'um Gotteswillen, erlaubts nicht, erlaubts nicht.' Allein der Richter sprach 'warum soll ich ihm die kurze Freude nicht gönnen: es ist ihm zugestanden, und dabei soll es sein Bewenden haben.' Auch konnte er es ihm nicht abschlagen wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief 'au weih! au weih! bindet mich an, bindet mich fest.' Da nahm der gute Knecht seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich tat, fing alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber und die Gerichtsdiener: und der Strick fiel dem aus der Hand, der den Juden festbinden wollte: beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los und machte sich zum Tanze fertig: bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe und fing an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorn und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbeigekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die Köpfe stießen und anfingen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Atem 'ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.' Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hing sie wieder um den Hals und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Atem schnappte, und sagte 'Spitzbube, jetzt gesteh, wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals und fange wieder an zu spielen.' 'Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen,' schrie er, 'du aber hasts redlich verdient.' Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen und als einen Dieb aufhängen.


schorsch antwortete am 08.11.03 (10:07):

Ich erzählte früher meinen Enkeln selber gestrickte Märchen und Fabeln. Wehe wenn ich bei einer Wiederholung eine andere Redewendung verwendete......


wanda antwortete am 09.11.03 (09:10):

danke @schorsch auch ich habe früher meinen Kinder viel Märchen erzählt und als sie klein waren, natürlich immer den gleichen Wortlaut genommen, da ich sowieso nur kurze Märchen erzählte.
@ justitia, wenn die Brüder Grimm selbst verfügt hätten, dass man die Märchen nur dann erzählen darf, wenn man wirklich jedes einzelne Wort übernimmt, hätte das für mich einen gewissen Sinn. So aber, haben wir vor 4O Jahren die Märchen so erzählt, wie es dem Alter der Kinder entsprach.
Deshalb weigere ich mich einfach dieses "Gesetz" des Keinwortauslassens für mich zu übernehmen. Ausserhalb des Familienkreises heißt das dann, dass ich Grimmsche Märchen nicht mehr erzähle.
Wenn anderere Märchenerzähler ebenso reagieren, wäre es schade um Grimm :-))


dirgni antwortete am 09.11.03 (13:57):

Hallo Wanda,

ich glaube nicht, daß es ein "Gesetz" gibt, Grimms Märchen wortwörtlich zu erzählen. Die Brüder Grimm betrachteten wohl die Märchen als Kulturgut und beim Sammeln dieser Volksmärchen war es ihnen wichtig, daß diese möglichst wortgetreu erzählt wurden, damit sie sie richtig aufschreiben konnten.


tiramisusi antwortete am 09.11.03 (14:14):

so, wie die gebrüder grimm die "märchen" seinerzeit im original niederschrieben, dürften sie auch grösstenteils kaum kindgerecht gewesen sein und - so wie beim rotkäppchen - wurde von wem auch immer an dem verlauf der geschichten ganz chön manipuliert. die französische version dieses märchens ist nämlich älter als das, was die grimms draus machten und dürfte kaum in deutschen märchenbüchern stehen. ein auszug:
"Wohin gehst du?"
"Ich trage diesen warmen Brotlaib und eine Flasche Milch zu meiner Omi."
"Welchen Weg wirst du gehen", sagte der Wolf, "den Nähnadelweg oder den Stecknadelweg?"
"Den Nähnadelweg", sagte das kleine Mädchen.
"In Ordnung, dann werde ich den Stecknadelweg gehen."
Das kleine Mädchen vergnügte sich mit Nähnadelsammeln. Unterdessen war der Wolf beim Haus der Großmutter angekommen, hatte sie getötet, etwas von ihrem Fleisch in den Geschirrschrank gelegt und eine Flasche des Blutes in das Regal gestellt. Das kleine Mädchen kam an und klopfte an die Tür.
"Drücke die Tür hinein", sagte der Wolf, "sie ist mit einem Ballen nassen Strohs zugesperrt."
"Guten Tag, Omi. Ich habe dir einen warmen Brotlaib gebracht und eine Flasche Milch."
"Lege es in den Geschirrschrank, mein Kind. Nimm dir etwas vom Fleisch, das drinnen ist und die Flasche Wein aus dem Regal."
Nachdem sie gegessen hatte, sagte eine kleine Katze:
"Pfuiii ... Ein Luder ist sie, die das Fleisch ihrer Omi ißt und ihr Blut trinkt."
"Zieh dich aus, mein Kind", sagte der Wolf, "und lege dich neben mich."
"Wohin soll ich meine Schürze legen?"
"Wirf sie ins Feuer, mein Kind, du wirst sie nicht mehr brauchen."
Und jedesmal, wenn sie fragte, wohin sie alle ihre anderen Sachen, das Mieder, das Kleid und die langen Strümpfe legen sollte, antwortete der Wolf:
"Wirf sie ins Feuer, mein Kind, du wirst sie nicht mehr brauchen."
Als sie sich in das Bett legte, sagte das kleine Mädchen:
"Oh, Omi, wie haarig du bist!"
"Um so besser kann ich mich warmhalten, mein Kind!"
"Oh, Omi, was hast du für große Nägel!"
"Um so besser kann ich mich damit kratzen, mein Kind!"
"Oh, Omi, was hast du für breite Schultern!"
"Um so besser kann ich das Feuerholz tragen, mein Kind."
"Oh, Omi, was hast du für große Nasenlöcher!"
"Um so besser kann ich damit meinen Tabak schnupfen, mein Kind."
"Oh, Omi, was hast du für einen großen Mund!"
"Um so besser kann ich dich damit fressen, mein Kind!"
"Oh, Großmutter, ich muß dringend mal. Laß mich nach draußen gehen."
"Mach es im Bett, mein Kind!"
"O nein, Omi. Ich möchte nach draußen gehen."
"In Ordnung. Aber mach es schnell."
Der Wolf befestigte eine Wollschnur an ihrem Fuß und ließ sie nach draußen gehen. Als das kleine Mädchen draußen war, band sie das Ende des Seils im Hof um einen Pflaumenbaum. Der Wolf wurde ungeduldig und sagte:
"Lockerst du gerade das Seil? Lockerst du gerade das Seil?"
Als er bemerkte, daß niemand ihm antwortete, sprang er aus dem Bett und sah, daß das kleine Mädchen geflohen war. Er folgte ihr, aber er kam gerade in dem Augenblick aus ihrem Haus, als sie hineinging.

[...]


Sofia204 antwortete am 09.11.03 (16:27):

oh, die Franzosen
zeigen wo der Frosch die Locken hat


dirgni antwortete am 09.11.03 (16:55):

Hallo Wanda,

tiramisusis Beitrag hat mich auf eine Seite von uni-kassel geführt. Hier ist der link, falls Du näheres lesen möchtest.

Internet-Tipp: https://www.uni-kassel.de/fb1/Messner/Texte/Maedchen.doc


tiramisusi antwortete am 09.11.03 (17:06):

...da man beim doc-file gleich zum öffen oder herunterladen auffordert, würde ich diesen link nicht nehmen, mir sind über *.doc seiten auch schon makros ins system geraten, die schaden angerichtet gaben - wenn, dann lieber die html-seite anschauen....
die originaltexte der grimmschen märchen gibt es auch im buchhandel und sie sind nicht jugendfrei.

@dirgni: war gut gemeint aber ich wäre mit allen links, die ein volles programm aktivieren, immer sehr vorsichtig - wegen virengefahr, auch bei uni-seiten .-)


iustitia antwortete am 09.11.03 (21:31):

Das Märchen heißt "Der Jude im Dorn".
Wobei es verrückt ist, dass die Vorlage, die durch Deutschland wanderte - bis ins Paderbörnische - zu der Familie von Haxthausen - mit Droste-Hülshoff verwandt - zuerst - 1618 - noch "Historia von einem Bawrenkecht" hieß.
D. h. der Jude war im Original ein frecher Bauernknecht...; also nix mit Jude; sondern ganz einfach ein Knecht, den man beseitigen darf, wenn man einen Richter dazu veranlasst.
In einer Quelle heißt der Knecht "Dulla", überlieferten sogar die Grimms selber. Und das ist verwandt mit "doll", "toll".
Diese antisemitische Geschichte ist die einzige bei den Grimms.
Ich würd mich "freuen", mal ein Nazi-Deutsch-Lesebuch zu finden, wo diese Geschichte ausgeschlachtet sein könnte.


wanda antwortete am 10.11.03 (08:46):

ich danke Euch allen ganz herzlich, nun kann ich bei der nächsten "Fortbildung" anders argumentieren.
Es geht hier um die Aktion Leselust. die es wohl überall gibt. Ich werde an den Adventsfreitagen lesen, nun doch lesen, je nach Situation evtl. auch was erzählen.
Voraussichtlich habe ich l3-jährige, so um den Dreh - und da geht es nicht mehr um Rotkäppchen.