Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Von wem? Text über einen Schulschwänzer

 8 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 20.10.03 (11:22) mit folgendem Beitrag:

Wer schrieb: Der Schulschwänzer
Teil 1)

Der dunkle Drang der Gewohnheit hatte ihn bis an die Straße getrieben, in der die Schule lag, obwohl er schon heute morgen beim Aufstehen gewußt hatte, daß er schwänzen würde. Es zog ihn einfach in die Nähe des halbbaufälligen, zerkratzten Kastens, als sei er ein Vieh aus einer Herde, das sich instinktiv zur Hürde zurückbewegt ... ja, die Hände in den Taschen, den Kragen hochgeschlagen und die Mappe unter den rechten Arm ge-klemmt, ging er mit frierend angezogenen Schultern sogar in die Straße hinein, ließ sich vom Strom der von überallher heraneilenden Schüler ergreifen und - ging dann an der Schule vorbei. Er ging schneller und hastiger, ohne sich umzublicken, vermied die Blicke der Kameraden, überhörte einige Anrufe, und dann atmete er auf, als er endlich eine stille, noch schlafende Straße erreichte, von entlaubten Bäumen umsäumt, die Häuser vornehm etwas zurückgezogen hinter ihren schmalen Vorgärten. Der Nebel bewegte sich wie Dampf, den jemand auseinanderbläst...
Einen Augenblick lang dachte er mit Schmerz an die heiße Suppe, die er nun versäumte ... an das schneeweiße, große Brötchen; aber der Gedanke an den trägen Kreislauf der Stunden, jede eine Klippe für seine Interessenlosigkeit, jede eine Möglichkeit aufzufallen; dieser Gedanke ließ ihn das andere verschmerzen... Morgen war Samstag, da war frei ... dann Sonntag ... drei Tage gewonnen, drei Tage dem ermüdenden Wochengang des Lebens abgerungen! Er ließ sich mitten hinein-treiben in das große ruhige Villenviertel, wo sogar die wenigen zerstörten Häuser noch vornehm wirkten ... wie einige interessante Schmisse in einem blasierten Juristengesicht. ..


iustitia antwortete am 20.10.03 (11:25):

Wer schrieb: Text über einen Schulschwänzer:
(Teil 2 und Ende)

Der Nebel schien wie umgerührt ... er zerstreute sich, ballte sich wieder zusammen, als sei er an einer Stelle vertrieben, um an der anderen wieder herabzusinken; irgendwo, kraftlos und blaß konnte man hinter dieser zähen, kalten Wand eine kränkliche Sonne ahnen...
Pläne und Gedanken, was mit dem gewonnenen Tag anzu-fangen sei, kreuzten sich, verwirrten sich ... kräftige und kühne mit hilflosen und schwachen ... und manchmal zuckte die Reue durch sein Bewußtsein... Reue über seine Torheit; zwiespältig waren die Gefühle, gemischt mit einer schülerhaften, gequälten Kindlichkeit, die zu den tintenklecksigen Fingern paßte; und mit männlichen, fast greisenhaften Zynismen, wie sie zu dem jungen und so uralten Soldatengesicht gehörten...
Wohin sollte er gehen! Er war zu unruhig, um einen weiten, stillen Spaziergang zu machen ... kein Café war jetzt irgendwo schon geöffnet ... und es war so weit bis zum Bahnhof, wo das abenteuerliche Gewimmel der Wartesäle ihn anzog; er hätte mit der Straßenbahn fahren müssen, und es dünkte ihn gefährlich, so quer durch die Stadt, nahe am Dienstgebäude der Mutter vorbeizufahren; das wäre das Schrecklichste, wenn die Mutter es erführe!
Mitten durch das verworrene Getümmel von schwachen Sehnsüchten, wilden Hoffnungen und echten, menschlichen Schmerzen; dieses Durcheinander, das seine Gedanken aus-machte ... mitten hindurch ging wie der Blitzstrahl einer höheren Wirklichkeit der heiße und reuevolle, tief schmerzende Gedanke an die Mutter. Ach, vielleicht war er doch nur ein Schweinehund und Drecksack, wie der Herr Direktor sagen würde, wenn er diese neue Schwänzerei entdeckte ... ein unreifer Lümmel, der nichts als Ohrfeigen verdiente ... unfähig und geistlos; als drücke seine schreckliche Minderwertigkeit ihn völlig nieder, zog er die Schultern noch tiefer ein, ja, duckte sich fast und kreiste planlos und verloren durch den Park... Aber es war, als sei diese milde Zufluchtsstätte, wo man im Sommer wunderbar sitzen und lesen konnte, durch die kahle Kälte des späten Herbstes aller Reize entkleidet; alles war durchsichtig und geheimnislos ... durch die entlaubten Bäume und die leeren Sträucher hindurch sah man überall die Fassaden der umliegenden Häuser ... nackt, als sei der Park zusammengeschrumpft ... kein Friede mehr...
Mein Gott, wie schön wäre es, wenn er jetzt nach Hause ....
*
Angabe zum Text: 1946 verfasst)


DorisW antwortete am 20.10.03 (14:58):

Wenn es wieder so ein mysteriöser Unbekannter ist wie dein Gaston Richolet, sind die Chancen, ihn zu entlarven, äußerst gering...

Aber ob mysteriös oder nicht, unbekannt oder nicht - einer der "Großen" der deutschsprachigen Literatur kann der Autor jedenfalls nicht sein... Dazu ist der Stil - meiner persönlichen, völlig unbescheidenen Meinung nach - nicht gut genug.


schorsch antwortete am 20.10.03 (18:09):

Vielleicht justutia selber? (;--)))))


iustitia antwortete am 21.10.03 (08:09):

Ja, schorsch... - als Weihnachtsmärchen...? "Die gestohlene Jugend" - 1946?

Na, das schrieb der Autor als heimkehrender Soldat, als Kerl, der vor der Kriegszeit so häufig und gezielt die Schule geschwänzt hatte (ein Drittel der Zeit vor dem Abitur), dass der Klassenlehrer ihm, zur Verwunderung der Mutter, doch das Abitur, die reichs-deutsche Reife, zuerkannte; quasi als Belohnung für die "Eigenständigkeit", für den Widerstand des Schülers....


schorsch antwortete am 21.10.03 (09:14):

Na was nu? Selber oder nicht?


Medea. antwortete am 21.10.03 (12:56):

Günter Grass, Siegfried Lenz ??


iustitia antwortete am 22.10.03 (18:25):

Heinrich Böll....!

Ein zu Lebzeiten unveröffentlichter Text von Heinrich Böll, mit dem Sujet des Heimkehrers, der in ruiniertem, heimischem Gelände Liebe sucht.
"Und irgendwo in einer dieser Ruinen, die von unendlichem Frieden umflossen sind, küßten sie sich ungestört... scheu und behutsame wir junge Vögel, die an einer unbekannten Frucht mit unschuldiger Neugierde picken..." (1946 verfasst; gedruckt erschienen 2002. Im Text wird die Schulspeisung erwähnt... Aus: H.B.: Kreuz ohne Liebe. Roman und weitere Texte 1946-1947. Werke. Bd. 2. S. 11-120)
*


DorisW antwortete am 23.10.03 (08:03):

Upps, da habe ich aber danebengelegen.
Naja, jeder fängt mal klein an ;-)