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THEMA:   Buchmesse 2003: ganz unter dem Thema Russland

 4 Antwort(en).

tiramisusi begann die Diskussion am 07.10.03 (14:57) mit folgendem Beitrag:

Das Gastgeberland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt/Main ist Russland. Eine gute Gelegenheit, nicht nur an die bekannten, "alten" Autoren zu erinnern sondern auch um über die neue russische Literatur und ihre Autoren zu reden.
Ich möchte deshalb einen der "ersten neuen Autoren" vorstellen: Dschingis Aitmatow:

Eine kurze Biografie von der Website seines deutschen Verlages: Aitmatow wurde als ältestes von vier Kindern am 12. Dezember 1928 in dem kleinen Dorf Scheker in Kirgisien geboren. Sein Vater fiel 1937 den stalinistischen Säuberungen zum Opfer; dieses Thema griff er später in seinen Büchern auf. Dank seiner Großmutter wuchs er zweisprachig (Russisch und Kirgisisch) auf, die ihn auch mit der klassischen Literatur vertraut machte. 1946 schloß er nach der 8. Klasse die Schule ab und immatrikulierte sich am Zootecnikum von Dshambul. Nach Abschluß des Zootechnikum am kirgisischen Landwirtschaftsinstitut übersetzte er mehrere Bücher (wie "Sohn eines Regiments" und "Weiße Birke") vom Russischen ins Kirgisische, und arbeitete weiterhin als Zootechniker. 1956 nahm er an mehreren Praktika im Marxim-Gorki-Instituts in höherer Literatur in Moskau teil. 1958 schloß er das Studium mit der Geschichte "Dschamilja" als seiner Diplomarbeit ab, die ihn weltbekannt machte. Später arbeitete er als Chefredakteur der kirgisischen Literaturzeitung und als Korrespondent der "Prawda" in Kirgisien. Aitmatow erhielt eine Vielzahl von Preisen, unter anderem 1963 den Lenin-Preis für "Die Erzählung der Berge und Steppen". Er hatte eine Fülle von Partei- und Staatsämtern inne; seit 1966 ist er Abgeordneter des Obersten Sowjets und arbeitete auch als Kulturfunktionär. Er war Vorstandsmitglied des sowjetischen Schriftstellerverbandes und Vorsitzender des kirgisischen Filmverbandes. Ab 1985 saß er im ZK der KP Kirgisiens.
Aitmatow zählt mit seinen Werken, vor allem mit dem "Richtplatz", zu den einflußreichsten Autoren der Perestroika. Umweltzerstörung , Entmenschlichung durch Alkohol und Drogen sowie orthodoxen Materialismus als Gefahr für Glasnost sind unter anderem für ihn wichtige Themen, die viele seiner Bücher beeinflußt haben.

"Der Richtplatz" war das erste Buch, das ich vor etwa 10 Jahren von ihm las. Keine leichte Kost, aber sehr fesselnd und ein Buch, das man um jeden Preis zu ende lesen will.
Ich werde noch eine Leseprobe posten.

Hier einige Termine von Lesungen, die der Autor hält:
12.10.03 Tschingis Aitmatow zu Gast im Weimarer Salon
06.11.03 Tschingis Aitmatow in Coburg
07.11.03 Tschingis Aitmatow in Augsburg
09.11.03 Tschingis Aitmatow in Marburg

Mehr Infos über ihn und seine Bücher auf nachfolgendem Link:

Internet-Tipp: https://www.unionsverlag.com/info/person.asp?pers_id=111


Medea. antwortete am 07.10.03 (16:21):

Vor ca. drei Jahren "Dschamilja" gelesen - erinnere mich, wie sehr diese Geschichte mich beeindruckte ....
Damals nahm ich mir vor, auch seine anderen Bücher zu lesen - leider verblieb das dann. :-((
Danke an Angelika für das Wiederanstoßen.


tiramisusi antwortete am 07.10.03 (16:46):

oja, ein wunderschöner Liebesroman ...
eine Leseprobe aus dem Richtplatz muss ich erst abtippen - doch dazu muss ich das Buch finden :-) Bei 3000 Büchern, die noch unsortiert und zT seit einem Jahr im Umzugskarton sind, etwas schwierig - aber sobald meine Angina weg ist, werd ich es suchen.

Ein anderes beeindruckendes Buch ist Tschingis Aitmatow und Daisaku Ikeda: Begegnung am Fudschijama
Aus dem Klappentext: In Daisaku Ikeda hat Tschingis Aitmatow den Partner gefunden, vor dem er Bilanz über Leben und Werk ablegen konnte. Er war sonst eher wortkarg und verschlossen gewesen, wenn er über sich und sein Werk Auskunft geben sollte. Jetzt erzählt er persönlich, offen und leidenschaftlich, denn »das Wort stirbt, wenn wir es nicht mit anderen teilen«.Ein weiter Horizont wird gezogen, bisher unbekannte Lebensabschnitte und Themenbereiche werden erschlossen. Was hier an Gedanken, Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten geäußert wird, verbindet sich bei Aitmatow immer auch mit persönlichen Erinnerungen. Beide Gesprächspartner mahnen und denken über Auswege nach.

Leseprobe
Der Dichter
Die Kindheit ist das Maß des menschlichen Gewissens und der Wahrheit. Sie bleibt die reinste Quelle des Lebens, solange der Schmutz des Alltäglichen sie noch nicht trübt.

So verhält es sich mit der echten Poesie, denn der Dichter ist ein Erwachsener, der ewig Kind bleibt. Das liegt meines Erachtens nicht an der naiven Fähigkeit, sich zu wundern. Gerade dies nicht. Ich teile hier die Ansicht des englischen Schriftstellers Gilbert Keith Chesterton, der davon überzeugt war, daß die ernsthaftesten Menschen auf der Welt die Kinder seien. Das Kind ist immer von der Schönheit, die es in einer anderen Welt und in einer anderen Verkörperung gesehen hat, begeistert. Es freut sich unaussprechlich darüber, daß die Schönheit nicht verschwunden ist. Schönheit ist unverweslich und kein Traum, sie ist die höchste Wahrheit. In diesem Sinn hat sie Dostojewski begriffen und gesagt, die Schönheit würde die Welt erretten.

Wir können aber an die Erwachsenen noch so sehr appellieren und ihnen ins Gewissen reden, das Leben mit den Augen der Kinder zu betrachten, erreichen werden wir dabei nichts. Was läßt sich dann tun, damit das Kind im menschlichen Herzen nicht abstirbt? Allein der Gedanke erschreckt, daß irgendein blutiger Diktator einmal auch so ein hilfloses Klümpchen Leben gewesen war und in der Zaubersprache der geheimnisvollen Welt gelallt hatte! Aber später vernichtete er die Dichter. Freilich ohne je daran zu denken, daß sie Dichter oder gar Menschen seien, der Diktator will weitaus edelmütiger sein, tötet er doch Feinde.

Die Menschen sind zu bedauern. Die Poesie ist doch das bewegende Signal aus der unergründlichen Tiefe, die uns eine Nachricht der Zustimmung aus dem »anderen Leben« vermittelt und die Verzweifelten daran erinnert, daß es nicht umsonst ist, wenn auch sie scheinbar unerträgliche Leiden zu ertragen haben. Kiergegaard sagte, daß der Dichter zwar vor unerträglicher Qual schreit, aus seinem Mund aber eine wunderbare Musik ertönt. Nicht das Wort, wohlgemerkt, obwohl Gedichte selbstverständlich mit Hilfe von Wörtern geschaffen werden.
....


simba antwortete am 07.10.03 (19:15):

Danke für den Tipp Angelika - jetzt weiss wie das nächste Buch heisst welches ich mir kaufen werde :-) Vor einem oder zwei jahren hörte ich im Radio einen Ausschnitt von" Der erste Lehrer" - gefiel mir sehr gut - hatte es aber wieder vergessen...

Internet-Tipp: https://www.iserp.lu/formation-i/ggretsch/lectureISERP1/aitmatov.marteling.html


rachel antwortete am 08.10.03 (10:06):

Dshamilja ist wohl die schönste Liebesgeschichte der Welt.
Aitmatow zählte in den Bibliotheken der neuen Bundesländer zur Pflichtliteratur. Und das war gut so. Er ist noch heute einer meiner Lieblingsautoren. Sein Buch "Der Tag zieht den Jahrhundertweg" fasziniert mich immer wieder, ich kann ihn wirklich auch nur empfehlen.

Mfg Rachel