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THEMA:   Erinnerung an Pablo Neruda

 4 Antwort(en).

tiramisusi begann die Diskussion am 22.09.03 (16:25) mit folgendem Beitrag:

Heute vor 30 Jahren verstarb mit nur 69jahren der chilenische Dichter und Nobelpreisträge Pablo Neruda; nur 11 Tage hat er den Sturz und gewaltsamen Tod Allendes und so vieler seiner Gleichgesinnten überlebt und so starb er sicher nicht nur am Krebs, der bereits im Vormasch seinen Körper eroberte sondern auch am Leid um die vielen Toten.
Neruda ist in Deutschland wenig bekannt, in Chie und im ganzen spanischen Sprachraum kennt fast jeder mindestens ein Gedicht des volksnahen, naturverbundenen Dichters mit dem wilden Herzen. Viele Frauen haben ihn inspiriert, keine aber so wie Mathilda, seine Frau, die er aich zärtlich "Mocosa" nannte ...zu deutsch "Rotznäschen", ganz lieb gemeint ..
Hier eines seiner wie ich finde schönsten Liebesgedichte, die er für sie geschrieben hat:

Die Königin
Ich habe dich zur Königin ernannt.
Größere gibt es, größer als du.
Reinere gibt es, reiner als du.
Schönere gibt es, schöner als du.

Doch du bist die Königin

Wenn du durch die Straßen gehst,
erkennt dich keiner.
Niemand sieht deine Krone aus Kristall, niemand schaut
den Teppich aus rotem Gold,
den jeder Schritt von dir betritt,
den Teppich, der gar nicht da ist.

Und wenn du erscheinst,
rauschen alle Flüsse
in meinem Körper auf, rütteln
die Glocken am Himmel,
und ein Hymnus erfüllt die Welt.

Nur du und ich,
nur du und ich, meine Liebe,
hören ihn tönen


iustitia antwortete am 23.09.03 (12:53):

Aus der Zeit seiner Gesandtentätigkeit in Europa stammt dieses Gedicht Nerudas :

PABLO NERUDA
Die Ruinen am baltischen Meer
1950

Gdansk, kugeldurchbohrt vom Krieg,
irrzerfetzte Rose,
zwischen deinem Meeresruch
und dem hohen fahlen Himmel
ging ich inmitten deiner Ruinen einher,
ein Gespenst unter Gespenstern,
zwischen Trümmern von orangenem Silber.
Eindrangen die Nebel mit mir,
die eisigen Schwaden,
und umherschweifend entwirrte die Straßen ich,
die häuserlosen, menschenlosen.

Ich kenne den Krieg
und dieses Antlitz augen- und lippenleer,
diese gestorbenen Fenster, ich kenne sie,
sah sie in Madrid, in Berlin, in Warschau,
doch dieses gotische Schiff
mit seiner roten Ziegelasche am Meer,
an der Pforte der alten Fahrten -
merkantiles Antlitz am Bug,
grüner Kutter der eisigen Meere -,
mit seinen herzzerreißenden Wunden,
seinen Mauerstümpfen,
seinem vernichteten Stolz,
sie drangen in meine Seele
wie Schneeböen, Staub und Rauch,
wie etwas, das erblinden macht und verzweifeln.
Das Haus der Gilden, mit seinen gestürzten Emblemen,
die Banken, in denen das Gold in Europas Kehle fiel,
klirrend,
die roten steinernen Uferdämme,
wo ein Strom von Getreiden
gleich einer Erdenwoge
des Sommers Duft herübertrug,
alles war Staub, Berge zerstörter Materie,
und der Wind des eisernen Baltischen Meeres
wehte in die Leere.
(Aus: Ostpreußen. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Ernst M. Frank. Heyne-TB 7965. S. 278f.)


wanda antwortete am 23.09.03 (17:50):

für mich sind das ganz "starke" Gedichte, danke Euch beiden.


tiramisusi antwortete am 23.09.03 (18:15):

Ode an das Meer (Pablo Neruda)

Hier auf der Insel
das Meer,
und wieviel Meer
bricht hervor jeden Augenblick
aus sich selber,
o ja, sagt es, o ja,
o nein, o nein, o nein,
o ja, sagt es, im Blauen,
im Schaum, im Wogenritt,
o nein, sagt es, o nein.
Kann nicht ruhig verharren,
Meer heiße ich, wiederholt es
gegen einen Felsen schlagend,
ohne ihn überzeugen zu können,
dann
mit sieben grünen Zungen,
sieben grünen Haien,
sieben grünen Tigern,
sieben grünen Meeren
umwogt es ihn, küsst ihn,
benetzt ihn
und schlägt,
seinen Namen wiederholend,
sich an die Brust.
O Meer, so nennst du dich,
Gefährte Ozean,
vergeude nicht Wasser und Zeit,
schüttle nicht so viel von dir ab,
hilf uns,
wir sind die winzigen
Fischer,
die Menschen der Küste,
wir leiden Hunger und Kälte,
du bist unser Feind,
triff uns nicht so hart,
brülle nicht dergestalt,
tu auf deinen grünen Schrein
und lass ihn unser
aller Händen
deine silberne Gabe,
den täglichen Fisch.
In jeder Hütte hier
lieben wir ihn,
sei er von Silber auch,
Kristall oder Mond,
für die ärmlichen Küchen
der Erde ward er geboren.
Bewahre ihn,
Geiziger, nicht,
der, ein feuchter Blitz,
unter den Wogen
hinschießt.
Nun, schick dich drein,
zu dich auf
und lass ihn frei
in der Nähe unserer Hände,
hilf uns, Ozean,
grüner, abgrundtiefer Vater,
die Erdenarmut
eines Tags zu enden.
Lass uns
ernten die Pflanzung,
die unendliche, deiner Leben,
deiner Saaten und Trauben,
deiner Stiere, deiner Metalle,
den feuchten Glanz
und die versunkene Frucht.

Vater Ozean, wir wissen lange schon,
wie du heißt, alle
Möwen verbreiten
deinen Namen an den Gestaden:
Nun, betrage dich gut,
schüttle deine Mähne nicht,
bedrohe keinen Menschen,
zerschmettre am Himmel nicht
dein herrliches Gebiss,
höre auf mit den ruhmvollen Geschichten
für einen Augenblick,
gib jedem von uns Männern,
jedem
Weib und jedem Kind
einen großen oder kleinen Fisch
an jedem Tag.

Fisch auszuteilen,
geh hinaus auf alle Straßen
der Welt,
und dann
rufe laut,
rufe laut,
dass die Armen dich hören,
alle, die ihre Arbeit verrichten
und sagen,
den Kopf aus der Grube
streckend:
„Dort naht,
Fisch verteilend,
das uralte Meer.“
Und dann kehren sie nach unten zurück,
lächelnd in der Finsternis,
und in Straßen
und Wäldern
lächeln die Menschen
und die Erde
ein meerhaftes Lächeln.

Aber,
so du es nicht willst,
so du es nicht magst,
warte,
warte auf uns,
wir werden nachdenken,
vornehmlich aber wollen wir
die menschlichen Fragen
lösen,
die wichtigsten zuerst,
die übrigen später,
und dann
werden wir uns mit dir befassen,
werden die Wogen wir mähen
mit Messern aus Feuer,
auf elektrischem Ross
werden wir die Schaumhürden nehmen,

singend,
bis wir den Grund deines Innern
berühren,
werden wir untertauchen,
automares Garn
wird deine Hüfte umhüten,
in deinem abgründigen Garten
werden Gewächse
wir pflanzen
von Stahl und Zement,
werden wir
Hände und Füße dir binden,
auf deiner Haut werden die Menschen,
Blitze schleudern, lustwandeln,
Traubengebilde ernten,
Fischereigeräte errichten,
dich zügeln und auf dir reiten,
deine Seele bezwingend.
Dies aber wird geschehen, wenn
die Menschen
geregelt haben
unser Problem,
das große,
das große Problem.
Alles werden wir ordnen,
nach und nach:
Dich, Meer werden verpflichten wir,
dich, Erde, werden verpflichten wir,
Wunder zu vollbringen,
denn in uns selber,
im Kampf
sind beschlossen Fisch und Brot,
ist das Wunder.


iustitia antwortete am 29.09.03 (23:07):

Zu Neruda:
Ein Glocken-Gedicht, das mir auch als Ergänzung zu dem Schillerschen "Lied von der Glocke" oder Goethes Gedicht von der Glocke, die das Kind herbeiläutet, das sonntags die Kirche schwänzen will...
*
Pablo Neruda
DIESE GEBORSTENE GLOCKE...

Diese geborstene Glocke
will dennoch singen
Das Metall ist nun grün,
Waldfarbe hat die Glocke,
Farbe des Wassers von Weihern im Wald,
Farbe des Tages auf den Blättern.

Die geborstene grüne Bronze,
die Glocke, die auf den Mund
und in Schlummer gefallen,
wurde von Winden umwunden,
und ihre hartgoldene Bronzefarbe
ist zur Froschfarbe geworden:
Die Hände des Wassers waren es,
die Feuchtigkeit der Küste,
sie haben dem Metall das Grün,
der Glocke die Zartheit verliehen.

Diese geborstene Glocke,
hergeschleift ins rauhe Gestrüpp
meiner Gartenwildnis,
eine grüne, verwundete Glocke,
birgt ihre Narben im Gras:
Niemanden ruft sie mehr, niemand versammelt sich
um ihren grünen Pokal,
nur ein Falter findet sich ein, flügelschlagend
auf dem gestürzten Metall, und fliegt davon,
fliehend mit gelben Flügeln.