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THEMA:   Siegfried Lenz' neuer Roman

 3 Antwort(en).

Antonius begann die Diskussion am 04.07.03 (20:36) mit folgendem Beitrag:

Siegfried Lenz hat einen neuen Roman geschrieben: "Fundbüro" (21,90 €).
Ich las dazu ein freundlich interessantes Interview im Spiegel (27/2003); da finde ich recht "konservative", teils "antipsychologische" Gedanken zu dem Problem Gewalt und Gegengewalt. Der Titel des Interviews heißt "Manchmal muss man zuschlagen" Ob Lenz an dem Rand unserer Gesellschaft fischen will, der auf Selbstjustiz setzt, Eigenbewaffnung, individuelle Abwehr; Gewaltbereiten also eine Legitimation verschafft?
Ist der Sinn der Polizei, allgemein als Staatsgewalt, verkommen - auch weil sich viele eine private Abwehr leisten können?
Hat jemand den Roman schon (oder den Vorabdruck in der FAZ) gelesen?

SPIEGEL: Henry greift zur Gegenwehr, als eine Motorradgang in seiner Nachbarschaft erst ihn, denn den Baschkiren und schließlich auch noch einen farbigen Briefträger attackiert. Die tägliche Gewalt: Liegt Ihnen das Thema auf der Seele?
Lenz: Ich habe mit Verbitterung zur Kenntnis nehmen müssen, dass junge Menschen zu solcher Gewaltausübung fähig sind. Viele meiner Kollegen und ich haben lange geglaubt, man müsse dem mit dem Angebot zum Gespräch begegnen. In immer neuen Anläufen wurde versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten. Es ist erfolglos geblieben. Es hört nicht auf. Denken Sie nur an den Wissenschaftler aus Mosambik, der in Deutschland zu Tode gejagt wurde.
SPIEGEL: Henry ist ebenfalls lange der Ansicht, er müsse die Motive der Gewalttäter verstehen, Nachsicht haben - bis er eines Tages seinen Eishockeyschläger nimmt und einem Opfer tatkräftig beisteht. Andere Nachbarn schließen sich ihm an. Ist diese Art von Selbstjustiz wirklich aussichtsreich?
Lenz: Wenn die Rede nicht hilft, bleibt am Ende nur die Aktion, davon bin ich inzwischen überzeugt: die Gegenwehr. Ich frage mich, ob nicht Gegengewalt der letzte Einspruch gegen solche Aktionen sein kann. Henry hat lange zugeschaut, lange für Nachsicht plädiert - und entscheidet sich dann zu einer neuen Form der Erörterung des Problems, durch die Tat, durch Anstiftung zur Gegenwehr.
SPIEGEL: Wird das die Gewalttäter überzeugen? Sie fliehen zwar, aber werden doch zurückkommen.
Lenz: Nicht unbedingt. Die geschlossene Abwehr könnte sie überzeugt haben.
SPIEGEL: Warum ruft Henry nicht einfach die Polizei? Das tut dann später zwar seine Schwester, aber die Polizei trifft erst ein, als die Gewalttäter schon geflohen sind.
Lenz: Eben. Die Antwort ist die fehlende Flexibilität der Polizei: Manchmal ist Hilfe im Augenblick erforderlich. Es gibt Momente, da muss man sich für die eigene Aktion entscheiden und zuschlagen.

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,255199,00.html


schorsch antwortete am 05.07.03 (08:09):

Wer immer nur wegschaut und denkt: "So langs nicht mich selber betrifft....", stellt sich auf die Seite der Gesetzlosen....

Es sind meist genau die, die immer wegschauen, die dann am lautesten schreien: "Hilft mir denn keiner?"!

schorsch


Antonius antwortete am 05.07.03 (10:34):

Schorsch - hast Recht!
Deshalb bin ich auch gespannt, wie Lenz das Problem - als öffentliche Sorge beschrieben hat und (vielleicht) Lösungen zur Diskussion stellt; zumindest für die Phantasie seiner Leser. Und nach dem Interview im SPIEGEL versprech ich mir viel vom Roman. Auch alte Erfahrungen vom Masuren-Lenz spielen durch eine Erzählfigur hinein. Ich bin gespannt, auch von anderen Lesern zu hören.


Ullika antwortete am 07.07.03 (10:28):

Ich habe gerade begonnen, das Buch zu lesen, werde aber leider aus Zeitgründen erst Ende der Woche meine Meinung sagen können. Ich bin auf Seite 140 und - wie immer bei Lenz - fasziniert von der Rhetorik.