Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Schillers schönstes Rätsel

 3 Antwort(en).

Antonius begann die Diskussion am 11.03.03 (17:11) mit folgendem Beitrag:

Das schönste Rätsel von Friedrich von Schiller:

DAS MÄDCHEN AUS DER FREMDE

In einem Tal bei armen Hirten
Erschien mit jedem jungen Jahr,
Sobald die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen, schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Und schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe,
Und alle Herzen wurden weit,
Doch eine Würde, eine Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
in einer glücklichern Natur.

Und teilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus,
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste,
Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blumen allerschönste dar.

*
Schiller stellte diese Strophen alle seinen Gedichtsammlungen voran.
Wer ist das "fremde Mädchen", insbesondere in seiner Bedeutung für Liebende?


Stephanie antwortete am 14.03.03 (18:47):

Na, klar - viele nutzen die gemeinsame "Sprache", als gemeines Zeter und Mordio, als Ablästern - aber wer will drüber nachdenken und sich dankbar zeigen, z.B. in der Überlegung oder Reflexion, was wir Menschen da geschenkt gekriegt haben...?
Also: die Lösung: Das Mädchen ist eine "Allegorie", ist die Freude der Sprache und der Kunst selber, z.B. im Hochzeitslied.


Frieder antwortete am 16.03.03 (11:02):

Oh weh! Sollte ich mich darauf einlassen?
Es fällt mir nicht leicht, das Rätsel zu lösen. Dies dürfte einem belesenem Schiller-Freund leichter durch den Kopf gehen. Nach etwas hin und her, bin ich bei dem Begriff "Fantasie" hängen geblieben.
Fantasie als Vorstellungskraft ist ein Vermögen des Menschen die in vielerlei Gestalt sich zeigt. Die Dichter, die Maler, die Musiker versetzt sie in liebliche Gefühle.
Doch auch den °Bösen ° liefert sie das Werkzeug zu teuflichen Tun, vom Mobbing bis zu Mord.
Im Gedicht steht:
Sie erscheint "In einem Tal beim Hirten",
--- gemeint ist vermutl. ° sie erscheint beim Aufmerksamen,
beim Lauschenden.
"Mit jedem jungen Jahr"
--- gemeint ist ihr kommen und gehen
"Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur"
--- gemeint mit der anderen Flur ist vermutl. ihre Herkunft
aus dem Reich der menschl. Seele.
"Doch eine Würde, Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.
--- jetzt wird’s schwieriger -
versteht man unter vertraulich = geheim, famililär,
so ist vermutl. damit gemeint, daß Fantasie eben nicht wie
die Empfindung nur dem Empfindenden gehört,
sondern öffentlich erscheint, also nicht geheim, nicht nur
in der Familie weiter gegeben wird.
"Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blumen allerbeste dar"
--- Das liebende Paar als Allegorie für die °Gabe° der Freude,
der Zuneigung, der Rücksicht, der Fürsorge.

Dies war nun ein Gedankenspiel, an dem man/frau
sicherlich manches korrigieren müßte. Darum nehmen Sie sich den Mut, und sagen sie mir, wo ich mich verirrt habe.

Grüße von Frieder


Antonius antwortete am 18.03.03 (18:38):

Eine schöne Interpretation, die anderen, weiteren Ergänzungen auch noch Möglichkeiten lässt. Wir sind ja alle nur Sprach-Wesen und hoffen darauf, mit unseren Sehnsuchts-Metaphern Verständnis zu finden - ob im Leben und/oder in der Poesie.
Prima, Frieder! Da könnte sich manch eine(r), der/die bald im Abitur sitzt und schwitzt, Anregung holen.