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THEMA:   Der Revoluzzer (von Erich Mühsam)

 9 Antwort(en).

katahrina begann die Diskussion am 27.02.03 (12:22) mit folgendem Beitrag:

Der Revoluzzer (Erich Mühsam)


War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Strassen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Strassenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: "Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Lasst die Lampen stehn, ich bitt! -
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit."

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.

Infos zu Erich Mühsam unter
https://www.muehsam.de/


Marianne antwortete am 27.02.03 (17:57):

Womit Revoluzzers Sein
entlarvt wurde als Revoluzzerschein!

Besser ist`s - ich seh es ein
ich schreibe Fanale
als ich lasse mich ein
mit der Wirklichkeit - o weh!
Denn die tut erwiesenermaßen weh.


( aus Mariannes Politpostille)


Antonius antwortete am 27.02.03 (21:09):

Dass ein solcher Mann wie Mühsam - ein philosophischer Anarchist, ein Pazifist ohne Allüren - von den Nazis niedergemacht wurde - ist eine solche Kulturschande, dass ich in neuen Vorkriegszeiten aus seinem Tagebuch (8.3.1915) zitieren möchte: (Auf den Militärdienst bezogen) "Ich würde - das hab ich mir sorgfältig überlegt - den Gehorsam höchstens so lange leisten, wie man von mir keinen Mord forderte. Den würde ich verweigern müssen, sei es auch auf Kosten des Lebens."
*
Dazu mein Lieblingsgedicht von E.M.:

Erziehung
(1909)

Der Vater zu dem Sohne spricht:
Zum Herz- und Seelengleichgewicht,
zur inneren Zufriedenheit
und äußeren Behaglichkeit
und zur geregelten Verdauung
bedarf es einer Weltanschauung.
Mein Sohn, du bist nun alt genug.
Das Leben macht den Menschen klug,
die Klugheit macht den Menschen reich,
der Reichtum macht uns Herrschern gleich,
und herrschen juckt uns in den Knöcheln
vom Kindesbein bis zum Verröcheln.
Und sprichst du: Vater, es ist schwer.
Wo nehm ich Geld und Reichtum her?
So merk: Sei deines Nächsten Gast!
Pump von ihm, was du nötig hast.
Sei's selbst sein letzter Kerzenstumpen -
besinn dich nicht, auch den zu pumpen.
Vom Pumpen lebt die ganze Welt.
Glück ist und Ruhm auf Pump gestellt.
Der Reiche pumpt den Armen aus,
vom Armen pumpt auch noch die Laus,
und drängst du dich nicht früh zur Krippe,
das Fell zieht man dir vom Gerippe.
Drum pump, mein Sohn, und pumpe dreist!
Pump anderer Ehr, pump anderer Geist.
Was andere schufen, nenne dein!
Was andere haben, steck dir ein!
Greif zu, greif zu! Gott wird's dir lohnen.
Hoch wirst du ob der Menschheit thronen!


hl antwortete am 27.02.03 (22:08):

Erich Mühsam

Rebellenlied

Sie hatten uns mit Zwang und Lügen
in ihre Stöcke eingeschraubt.
Sie hatten gnädig uns erlaubt,
in ihrem Joch ihr Land zu pflügen.
Sie saßen da in Prunk und Pracht
mit vollgestopftem Magen
und zwangen uns, für ihre Macht
einander totzuschlagen.
Doch wir, noch stolz auf unsere Fesseln,
verbeugten uns vor ihren Sesseln.

Sie kochten ihre Larvenschminke
aus unserm Blut und unserm Schweiß.
Sie traten uns vor Bauch und Steiß,
und wir gehorchten ihrem Winke.
Sie fühlten sich unendlich wohl,
sie schreckte kein Gewitter.
Jedoch ihr Postament war hohl,
ihr Kronenschmuck war Flitter.
Wir haben nur die Faust erhoben,
da ist der ganze Spuk zerstoben.

Es rasseln zwanzig Fürstenkronen.
Die erste Arbeit ist geschafft.
Doch, Kameraden, nicht erschlafft,
soll unser Werk die Mühe lohnen!
Noch füllen wir den Pfeffersack,
auf ihr Geheiß, den Reichen;
noch drückt das Unternehmerpack
den Sporn uns in die Weichen.
Noch darf die Welt uns Sklaven heißen -
noch gibt es Ketten zu zerreißen.

Vier Jahre hat die Welt der Knechte
ihr Blut verspritzt fürs Kapital.
Jetzt steht sie auf, zum erstenmal
für eigne Freiheit, eigne Rechte.
Germane, Römer, Jud und Ruß
in einem Bund zusammen -
der Völker brüderlicher Kuß
löscht alle Kriegesflammen.
Jetzt gilt's die Freiheit aufzustellen. -
Die rote Fahne hoch, Rebellen!


hl antwortete am 27.02.03 (22:11):

Erich Mühsam
- geb. 1878 in Berlin , gest. 1934 (ermordet im KZ Oranienburg) -




Der Mahner

Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?
Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn.
Ein wirres Stimmentosen hör ich weit,
weit hinter mir und kann es nicht verstehn.

Ich ruf euch zu, doch euerm Echo fehlt
der Laut, der rein aus meiner Stimme klingt.
Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt,
horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt.

Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift
mißtönig euer ärgerlicher Spott.
Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift?
Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?


hl antwortete am 27.02.03 (22:13):

Erich Mühsam

Dichter und Kämpfer

Unrühmlich ist es, jung zu sterben.
Mein Tod wär sträflicher Verrat.
Ich bin der Freiheit ein Soldat
und muß ihr neue Kämpfer werben.

Und kann ich selbst die Schlacht nicht lenken,
seh selbst nicht mehr das bunte Jahr,
so soll doch meine Bundesschar
im Siege meines Rufs gedenken.

Drum will ich Mensch sein, um zu dichten,
will wecken, die voll Sehnsucht sind,
daß ich im Grab den Frieden find
des Schlafes nach erfüllten Pflichten.


Marianne antwortete am 27.02.03 (23:20):

Ein bisschen ( nur ein kleines Bisschen) ironisch.

Soll ich nun auch meine Mühsamausgabe herauskramen und wild anfangen zu zitieren.

Motto: Wer ist die beste und v. a. Ausdauerndste dabei?


@ Antonius:
auch mir gefällt das von Dir zitierte Gedicht Mühsams.

Zeigt es doch fast so unnachahmbar wie es Brecht tat den Widerspruch zwischen Werten und der Möglichkeit, diese zu verwirklichen auf.

Brecht dazu: Erst kommt das Fressen, dann die Moral!


Mir scheint, dass auch Du im Unterricht Deine Schüler angeleitet hast, den Widerspruch zwischen Schein und Sein zu erkennen und die Klugheit, die das Handeln des Einzelnen beweist,wenn dieser " es sich richtet".
Und wenn es Die Klugheit ist, beim Anderen zu pumpen, um das Essen und noch ein wenig mehr in den Bauch zu kriegen.

Es ist halt ein eigen Ding mit der Anwendung des Spruches: Erst kommt das Sein, dann das Bewusstsein.

Aber vielleicht liest Du das von Dir hergestellte Mühsamgedicht ja ganz anders - und ich unterstelle Dir etwas. So habe ich es bisher gelesen.


Antonius antwortete am 28.02.03 (11:51):

Also, hier kein Mühsam-Gedicht mehr. (Wer aber ins Budenbrooks-Haus in Lübeck mal reinschaut, ob es dort im Keller noch die kleine Mühsam-Gedenk-Ausstellung gibt; oder ob sie der Neuausstattung zum Opfer gefallen ist...? Mühsam hat seine Jugend in der Hansestadt verbracht, bis er den Lehrern zu frech wurde...)
@ Marianne:
Von mir aber etwas, womit ich Schüler gerne aufgemuntert habe und diese Gedichte auch mehrfach, nach einigen Jahren Abstand behandelt haben; wenn ich dann auf schon mir bekannte Schüler und -innen traf, ließen sich diese Kahlau-Gedichte immer wieder neu verstehen. Sie sind ja Parabeln, von einem guten, lyrischen und kritischen Kopf erdacht.
*
Heinz Kahlau

Meine Hoffnung
In deinem Alter, Kind,
hat jeder Mensch noch Gründe,
anzunehmen,
er könnte
fliegen wie laufen lernen.

Ich werde mich hüten,
dich aufklären.

Vielleicht
bin doch ich es
der sich irrt.

*

Heinz Kahlau:
Spiele

Komm, wir spielen Gott und suchen uns ein Chaos,
zwingen es
in unsre stramme Ordnung,
stellen und
ein wenig abseits hin
und lächeln.

Dann vertreiben wir uns
Lebenszeiten durch das Widerlegen sicherer Gesetze,
bis man uns beim Wort nimmt,
unsre Wahrheit
zu beweisen.
So erschaffen wir
ein neues Chaos.

(So viel zu meinem Bemühungen, Schüler zu tyranni-, pardon: zu motivieren, dass sie sich erheben - über den Lehrer hinaus... hinauf...


Marianne antwortete am 28.02.03 (12:02):

Ach. lieber Antonius......


das wollten wir wohl beide, dass sich unsere Schüler über uns hinaus erheben. Das war es auch, was mich u.A. zu diesem Berufe trieb.

Die Kalauer- gedichte kannte ich nicht. Schade - sonst
hätte ich sie plagiatorisch auch in meinen Unterricht eingebaut.

mit freundlichen ( ehemals kollegialen) Grüßen

die obige


hl antwortete am 28.02.03 (15:14):

Erich Mühsam

Trutzlied

Nennt uns nur höhnisch Weltbeglücker,
weil wir das Joch der Unterdrücker
nicht länger dulden und die Schmach.
Lacht nur der neuen Ideale,
leert auf die alten die Pokale -
Wir geben nicht nach!

Legt nur die Stirn in ernste Falten,
schreckt auf im Bette ungehalten
und scheuert euch die Augen wach.
Flucht auf die unerwünschte Störung,
reißt 's Fenster auf und schreit: Empörung!
Wir geben nicht nach!

Setzt euch nur auf die Geldkassette,
daß Gott die arme Seele rette
aus Not, Gefahr und Ungemach -
und ruft nach euern guten Geistern,
nach Polizei und Kerkermeistern -
Wir geben nicht nach!

Daß den Verrat der Teufel hole,
langt nur die Repetierpistole
samt den Patronen aus dem Fach,

und schmückt den Hut mit der Kokarde
der geldsacktreuen weißen Garde -
Wir geben nicht nach!

Laßt Volkes Blut in Strömen fließen,
laßt uns erhängen und erschießen,
setzt uns den roten Hahn aufs Dach.
Laßt Mörser und Haubitzen wüten,
um euer Diebesgut zu hüten -
Wir geben nicht nach!

Laßt euer Höllenwerkzeug toben!
Die Sehnsucht selbst hat sich erhoben
des Volks, das seine Ketten brach.
Freiheit und Recht stehn auf der Schanze.
Sieg oder Tod - jetzt geht's ums Ganze! -
Wir geben nicht nach!