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THEMA: Gedichte, Gedichte 2.Teil
110 Antwort(en).
Friedgard Seiter
begann die Diskussion am 29.09.00 (17:50) mit folgendem Beitrag:
Liebe Gedichtfreunde, da wir inzwischen bei 156 angelangt sind, dachte ich, wir könnten einen neuen Gedichtband anlegen - der alte bleibt ja bestehen. Was meint Ihr dazu? Ich fange ihn an - etwas verfrüht, wie ich gestehe - mit dem "Oktober" von Erich Kästner, den könnt Ihr dann vielleicht an Freunde weiterleiten:
Der Oktober
Fröstelnd geht die Zeit spazieren. Was vorüber schien, beginnt. Chrysanthemen blühn und frieren. Fröstelnd geht die Zeit spazieren. Und du folgst ihr wie ein Kind.
Geh nur weiter. Bleib nicht stehen. Kehr nicht um, als sei's zuviel. Bis ans Ende mußt du gehen. Hadre nicht mit den Alleen. Ist der Weg denn schuld am Ziel?
Geh nicht wie auf fremden Füßen, und als hätt'st du dich verirrt. Willst du nicht die Rosen grüßen? Laß den Herbst nicht dafür büßen, daß es Winter werden wird.
An den Wegen, in den Wiesen leuchten, wie auf grünen Fliesen, Bäume bunt und blumenschön. Sind's Buketts für sanfte Riesen? Geh nur weiter, bleib nicht stehn.
Blätter tanzen sterbensheiter ihre letzten Menuetts. Folge folgsam dem Begleiter. Bleib nicht stehen, geh nur weiter. Denn das Jahr ist dein Gesetz.
Nebel zaubern in der Lichtung eine Welt des Ungefährs. Raum wird Traum. Und Rauch wird Dichtung. Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung. "Stirb und werde!" nannte er's....
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Heidi Lachnitt
antwortete am 29.09.00 (18:40):
Gute Idee, Friedgart! Damit es nicht so leer aussieht:
Im Regen geschrieben
Wer wie die Biene wäre, die die Sonne auch durch den Wolkenhimmel fühlt, die den Weg zur Blüte findet und nie die Richtung verliert, dem lägen die Felder in ewigem Glanz, wie kurz er auch lebte, er würde selten weinen.
Hilde Domin "Nur eine Rose als Stütze"
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Webmaster
antwortete am 29.09.00 (21:08):
Kurze Information in Prosa zu "Gedichte, Gedichte 2.Teil". Ich habe die E-Mailadressen aller "Gedichte"-Interessenten auch hierher übertragen, in der Annahme, dass dies gewünscht ist. Sollte jemand die Gedichte 2. Teil nicht mehr mitlesen wollen, so kann ich die E-Mailadresse auf Wunsch löschen.
MfG Webmaster
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 30.09.00 (12:12):
herzlichsten Dank für das Bewahren (und dem Verbleib) des Raumes für Gedichte.
Im Zeitalter der Statistik läßt sich leicht feststellen, daß von allen Untergliederungen des Forums, die Rubrik "Gedichte, Gedichte" die am häufigsten frequentierte (gefragteste?) ist.
Sobald ich etwas mehr Zeit haben werde, stelle ich - gewissermaßen im Anschluß an die jüngst vorausgegangenen Themen - drei Gedichte von Catarina Carsten aus dem Gedichtband "Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten" ein.
Mit allen guten Wünschen, kNs
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 30.09.00 (15:34):
Nachtwache
Sing dem Schmerz, singe dem Schmerz ein Schlaflied.
Wenn er erwacht, die Augen aufschlägt, ist es zu spät.
von Catarina Carsten
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 30.09.00 (15:40):
Ende September
Noch wärmt die Sonne Katzen den Rücken.
Äpfel und Trauben reifen an den Spalieren.
Die Stimmen der Kinder klingen anders als im März.
von Catarina Carsten
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 30.09.00 (15:42):
Roter Faden
Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten nützt keine Scharfsinn;
Nur Weisheit das Traums, Leichtigkeit und Fledermausklugheit
von Castarina Carsten
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Heidi Lachnitt
antwortete am 30.09.00 (15:56):
Ach, ihr Sinne, was seid ihr doch für verwöhnte Brüder - ständig braucht ihr neuen Reiz
Ach, ihr Stimmungen, was seid ihr doch für launige Gesellen, bald Gewitter, bald Sonnenschein - ein schweres Los, mit euch zurechtzukommen
Ach, ihr Gedanken, was seid ihr für ein unruhiges Springgetier, wirr und ständig auf der Jagd, steckt ihr alles in eure viel zu kleinen Taschen ein
Ach, ihr Begierden, wie leicht geht man euch auf den Leim! Brennend, als wäre euer Wunsch der Mittelpunkt der Welt, wollt ihr im nächsten Augenblick schon an ein neues Ziel
Ach, ihr Träume, Hoffnungen, begleitet ihr mich immer noch, macht ihr bloß das Herz mir schwer oder macht ihr mir Mut auf mehr?
Ach, ihr Tölpel, die meinen Innenraum bewohnen, was versprecht ihr mir den Himmel - und warum schenke ich euch immer noch Gehör?
von Walter Baco aus "Darf ich dich einladen auf ein Gefühl"
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Heidi Lachnitt
antwortete am 30.09.00 (16:10):
und nocheinmal Walter Baco
ein wundersamer Garten wartet auf unsere Gegenwart
Wachsam doch unsagbar fern des dunklen Adlers Kreisen
Im stillen, stolzen Glanz wächst an den Ufern des Waldes das wirkliche Gedicht
Ohne etwas zu halten bin ich in den Himmel gefallen
Was sind schon ein paar Tropfen, wenn man unendlich baden kann...
Die böse Welt wird wohl den Blick erweitern müssen, wenn niemand mehr in ihre Bilder paßt
Darf ich dich einladen auf ein - Gefühl -
Immerhin unsre Liebe findet - in Ferngesprächen - statt
Mit den stumpfen Waffen meiner Worte gegen eine namenlose Übermacht
Schwester meiner Seele Der wundersame Garten wartet
Tausend Blüten küssen deinen Weg
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Sieghard Winter
antwortete am 30.09.00 (16:30):
Danke, Friedgard, für den Kästner-Olktober. Ich hatte schon drauf gewartet. Hier das bekannte Oktoberlied von Storm
Oktoberlied von Theodor Storm
Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag vergolden, ja vergolden!
Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich!
Und wimmert auch einmal das Herz, - Stoß an und laß es klingen! Wir wissens doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen.
Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden.
Wohl ist es Herbst; doch warte nur, doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen.
Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen.
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 30.09.00 (21:18):
Herbsttag
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; Gib ihnen noch zwei südlichere Tage, Dränge sie zur Vollendung hin und jage Die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben Und wird in den Alleen hin und her Unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
von Rainer Maria Rilke zitiert aus "Unvergängliche Deutsche Lyrik", Seite 434 Hans von Hugo Verlag, Hamburg, 1947, Herausgeber: Wilhelm Elsner
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Friedgard Seiter
antwortete am 30.09.00 (21:38):
Danke Koloman, das ist das Gedicht, was ich als nächstes reinsetzen wollte! Und da wir bei Rilke sind, bekommt Ihr heute Abend den Panther, den ich auch sehr liebe - er ist unglaublich einfühlsam:
Der Panther im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist im Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf - . Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 01.10.00 (11:54):
Heute morgen gesehen:
Herbstmorgen
Die bunt gefärbten Bäume kuscheln sich tief in weiche graue Nebelbetten
Die Tränen der Nacht glänzen wie Silberperlen
Stille herrscht und Ruhe - sei fein leise weck sie nicht auf
hl
Ich wünsche allen einen schönen Sonntag!
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Gerlinde
antwortete am 01.10.00 (22:26):
Danke Koloman, es ist eines meiner Lieblingsgedichte!
Der Herbst
Viele Drachen stehen in dem Winde tanzend in der weiten Lüfte Reich. Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern, sonnensprossig und mit Stirnen bleich.
In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut; und in Träumen seiner leichten Weite sinkt der Himmel wolkenüberblaut.
Weit gerückt in unbewegter Ruhe steht der Wald wie eine rote Stadt. Und des Herbstes goldne Flaggen hängen von den höchsten Türmen schwer und matt.
Georg Heym
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Heidi Lachnitt
antwortete am 03.10.00 (21:59):
Alle mit Oktober beschäftigt? ............
Wenn der Wind sich dreht
Der Wind weht heute geraden Weges von Dir zu mir ich lausche in die Stille und höre Dich
Die kleine weisse Wolke hat Dein Gesicht gesehen und spiegelt es zu mir
Wenn der Wind sich dreht und weht von mir zu Dir halt ein und lausche meinem Lied hl
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Gerlinde
antwortete am 03.10.00 (22:03):
Traum
Es ist immer derselbe Traum: Ein rotblühender Kastanienbaum, Ein Garten, voll von Sommerflor, Einsam ein altes Haus davor.
Dort, wo der stille Garten liegt, Hat meine Mutter mich gewiegt; Vielleicht - es ist so lange her - Steht Garten, Haus und Baum nicht mehr.
Vielleicht geht jetzt ein Wiesenweg Und Pflug und Egge drüber weg, Von Heimat, Garten, Haus und Baum Ist nichts geblieben als mein Traum.
H.Hesse
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Sieghard
antwortete am 04.10.00 (10:30):
Wolfgang Borchert (1921 - 1947)
Ich möchte Leuchtturm sein in Nacht und Wind für Dorsch und Stint für jedes Boot --- und bin doch selbst ein Schiff in Not.
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Edith
antwortete am 04.10.00 (13:46):
Lynkeus der Türmer
Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt. Ich blick' in die Ferne, ich seh' in die Näh den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh. So seh' ich in allen die ewige Zier, und wie mir's gefallen, gefall' ich auch mir. Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn, es sei, wie es wolle, es war doch so schön!
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Ricardo
antwortete am 04.10.00 (17:02):
Liebe Gerlinde, deine Gedichte strahlen in einem hellen Lichte, mir haben sie das Herz erfreut, und deshalb will ich singen heut ein Loblied hier allen Poeten, ob in Dörfern oder Städten, die sich im Forum ein Stelldichein geben, Hoooooooch sollen sie alle leben!
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Heidi Lachnitt
antwortete am 04.10.00 (17:22):
Warum ich so gerne hier bei Euch bin:
Seelenflug
"Ich kann fliegen!" rief die Dreijährige und rannte mit ausgebreiteten Armen über die bunte Blumenwiese stolperte und fiel hin getröstet von der Mutter, noch Tränen auf den Wangen flüsterte sie "und ich kann doch fliegen!"
"Ich kann fliegen" aus den Fesseln des Alltags in eine schönere Welt mit meinen Gedichten mit meinen Traumgeschichten mit den Gedichten die andere geschrieben haben
"Ich kann fliegen" und meine Finger fliegen über die Tastatur suchen, schreiben, lesen finden - eine verwandte Seele die manchmal zu mir fliegt in der Nacht
"Ich kann fliegen" auch wenn ich einst in weissen Tüchern liege dann werd' ich fliegen in die Weiten des blauen Himmels der Sonne entgegen in eine andere Welt hl
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Heidi Lachnitt
antwortete am 04.10.00 (17:40):
- und zweimal Mascha Kaleko:
Worte in den Wind
Du zahlst für jedes kleine Wort auf Erden, für jedes Mal, da du das Schweigen brichst. So tief du liebst, wirst du verwundet werden und mißverstanden, fast sooft du sprichst. --------
"Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es."
aus "In meinen Träumen läutet es Sturm" dtv 1977
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Ursula Schäfer
antwortete am 04.10.00 (21:38):
Haß reimt sich auf Spaß Liebe auf Triebe, doch auch auf Hiebe. Herz, das ist der Schmerz. Brot ist die Antwort auf Not und auf den Tod. Gott, ach so nahe dem Spott oder dem Trott, und Gemeinde reimt sich auf Feinde. Aber Mensch, darauf kann icm mir nie einen Reim machen.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 04.10.00 (21:43):
Schööön!! Ursula!
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Gerlinde
antwortete am 04.10.00 (23:01):
Noch einmal sprechen von der Wärme des Lebens damit noch einige wissen: Es ist nicht warm aber es könnte warm werden.
Bevor ich sterbe noch einmal sprechen von Liebe damit noch einige sagen: Das gab es das muss es geben.
Noch einmal sprechen vom Glück der Hoffnung auf Glück damit noch einige fragen: Was war das wann kommt es wieder?
E.Fried
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Ricardo
antwortete am 04.10.00 (23:19):
Liebe Gerlinde, liebe Poeten dieser Seite!
Ich habe euch doch angesprochen, habt ihr denn mein Gedicht überhaupt nicht gelesen? Ich hätte mich über eine Reaktion schon gefreut. Aber das Leid ist des Poeten Schicksal :-((((((((((((( doch ich habe mir schon selbst gesagt:
TAKE IT EASY.........
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Gerlinde
antwortete am 05.10.00 (09:32):
Lieber Ricardo,
es tut mir leid. Dein Gedicht hat mich sehr gefreut aber es war schon so spät und in alter Gewohnheit wollte ich noch schnell einen Beitrag leisten (war den ganzen Tag unterwegs). Nicht traurig sein!!!! Wir sind doch eine eingeschworene Poesiegemeinschaft? Nochmals vielen Dank und einen schönen Donnerstag!
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Sieghard
antwortete am 05.10.00 (10:02):
POETENLEID die Finger deiner Hand sind Wiener Würstchen aus Elfenbein, deine Gedichte strahlen in einem hellen Lichte deine Lippen sind Hummer auf der Vorspeiseplatte von Elysium dein Bauch ist ein hellbrauner Sperrbezirk ich beiße in die Scampi deiner Zunge o mein Flusspferd ich habe euch doch angesprochen hat mein Gedicht nicht gut gerochen oder gar nicht gelesen ihr macht als wenn nichts gewesen ich hätte mich über eine Reaktion gefreut doch das ist fast Illusion trotz Gemeinschaft eingeschworener Poeten verlorener aber das Leid ist des Poeten Kleid vornehme Zurückhaltung des Dünkels Spaltung take it easy nimms leicht der einen Uhl ist der anderen Nachtigall des einen Freud des andern Leid ein Kommentar nicht für jeden Star interpretieren macht Arbeit Versschmiederei anderer Leut? Alter schützt vor Torheit nicht Wasserkrug macht alt und klug gekränkte Kränkung ist verschenkte Schenkung Poetinnen und Poeten die sich im Forum ein Stelldichein geben hoooooooch sollen sie alle leben
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Edith
antwortete am 05.10.00 (13:31):
Lieber Ricardo, für Dich:
Ein Dichterfreund in diesem Kreise hat schön gesungen, uns zum Lob. So will ich denn in schlichter Weise ihm danken, weil er uns erhob in den Poetenstand. Mein Herz gesteht: der Rührung Träne quillt - ich bin Poet!
;-)))
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Ricardo
antwortete am 05.10.00 (14:28):
Liebe Poeten mein Einwand hat also geholfen, der Elfenbeinturm wurde verlassen und ich habe Antworten bekommen... danke für Zucker und Salz Gott erhalts!
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (14:37):
Hallo, Sieghard! Musste herzlich lachen,beim Lesen Deines Gedichtes! Wusste garnicht, dass Du auch zu den Dichtern gehörst.
Hallo, Ricardo! Bist Du nun glücklich? :-)). Wer sitzt denn hier im Elfenbeinturm??
Dürfen wir nun wieder andere Gedichte hereinbringen?
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Ricardo
antwortete am 05.10.00 (17:01):
Salz statt Zucker für arme Schlucker
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (17:07):
Leicht abgewandelt:
Brot und Salz Gott erhalt's das Salz in der Suppe macht das Essen erst schön!
Getröstet, Ricardo?
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Ricardo
antwortete am 05.10.00 (17:11):
Und nun noch ein Gedicht von Whitman, es stand schonmal da, war aber dann verschwunden.
Aus dem wogenden Meer der Menge Aus dem wogenden Meer der Menge sprang ein Tropfen lieblich zu mir, Flüsternd: "Ich liebe dich, ich vergehe bald, Weither bin ich gereist, einzig um dich zu sehen und dich zu berühren, Denn ich konnte nicht sterben, ehe ich dich nicht einmal sah, Denn ich fürchtete dich hernach zu verlieren."
Nun haben wir uns getroffen und uns gesehen, nun sind wir geborgen, Kehre in Frieden zurück in das Meer, mein Geliebtes, Auch ich bin Teil dieses Meers, mein Geliebtes, wir sind nicht so sehr voneinander getrennt, Sieh das erhabene Rund, den Allzusammenhang, wie vollkommen! Dich und mich ist die unwiderstehliche See bestimmt zu trennen, Für eine Weile uns auseinander zu tragen, doch nicht für immer; Habe Geduld - eine kleine Spanne - wisse, ich grüße die Luft, das Meer und das Land Jeden Tag bei sinkender Sonne um deinetwillen, Geliebtes.
Aus: Walt Whitman: Grashalme. Deutsch von Hans Reisiger. Diogenes Verlag, Zürich 1985.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (17:33):
Es ist immer noch da, Ricardo - aber in der anderen Rubrik. Zum Dank für Deinen Buchtip ein weiteres von Whitman:
Wie ich hier sitze gedanken- und sehnsuchtsvoll
Wie ich hier sitze gedanken- und sehnsuchtsvoll, Will es mir scheinen, dass es andere Männer in anderen Ländern gibt, gedanken- und sehnsuchtsvoll, Will es mir scheinen, als könnt ich hinüberblicken und sie gewahren in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Oder fern, fern in China, oder in Rußland und Japan, in anderen Mundarten redend, Und will es mir scheinen, wenn ich sie kennte, so würde ich ihnen verbunden sein, wie den Männern meiner eigenen Länder, O ich weiss, wir würden Brüder und Liebende sein, Ich weiß, ich würde glücklich mit ihnen sein.
Aus "Grashalme" (s.o.)
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Wolfgang Maul
antwortete am 05.10.00 (20:39):
Mal sehen, ob es auch mir gelingt, in den 'Elfenbeinturm' einzudringen. Das wird wohl schwierig werden. Hat es hier doch einen starken Hang zu romantischer Gefühligkeit - in Westmittelbairisch: zvui Gfui. Vielleicht schafft es ja dies kleine Gedichtchen von Hans Fischer in der Sprache eines Teils meiner bayerischen Heimat, dem Versinken im Gemüt ein wenig entgegenzuwirken, und mich hier - zünftig versteht sich - einzuführen:
Boarisch! (von Hans Fischer)
De deutsche Sprach, -sagt ma, -is schwer, Boarisch aba no vui mehr. Da hoaßts z. B. nunter, außi, obi oda nei, was werd da wann wohl richtig sei? Nach Schwabing fahrt ma obi, nunter gehts ins Tal, nach Nymphenburg muaßt außi, des stimmt auf jedn Fall. Nach Augsburg fahrt ma ummi, des hoaßt zu alle Schwabn, dann werds a bißl schwarer, -jetzt kimmt da große Grabn, Obi gehts in d'Holledau. nach Reg'nsburg und an Bod'nsee, an d Isar und in Flaucher, des waar soweit ganz schee. Da boarisch Wald, des woaß bei uns a jedes Kind, der is net drobn oda druntn, -der is hint. Wenn also oana boarisch lerna wui, der braucht dazua sche ganz vui Gfui, net bloß fürn Maßkruag in da Hand und - a Herz für d Leut und s ganze Bayernland.
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christl springer
antwortete am 05.10.00 (20:56):
Verzeiht, falls dieses Gedicht schon da war, aber ich habe die Übersicht verloren, doch Rilke kann man öfter lesen:
Herbst
Die Blaetter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (21:12):
Für Wolfgang - Ein Gedicht mit "ohne" Gfui! :-))
Horizontale Muse
Sortier ich meine Träumerein in "leicht beschwingt" und in banale, So reihen sie sich seltsam ein in vertik- und horizontale.
Die waagerechte Dimension - Lang hingestreckt, flachliegend, eben - Ist Sonne, Regen, Ackerland für mein so taugenichtses Leben.
Senkrecht, benimmt sich mein Gehirn, Als wär es am Erweichen. Doch waagrecht, wird die blöde Stirn Zum Füllhorn sondergleichen:
Auf Wiesen und Chaisen, Auf Matten und Betten Kann ich mich vor lauter Ideen Nicht retten.
Doch schwindet die Eingebung radikal, Ergreift mich die Feder, wenn vertikal.
Das Resultat ist deutlich zu sehn: Obigen Firlefanz schrieb ich im Stehn.
Mascha Kaleko"In meinen Träumen läutet es Sturm"
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Sieghard Winter
antwortete am 05.10.00 (22:30):
Ein ritter sô gelêret was, daz er an den buochen las, swas er dar an geschriben vant; der was wolfgang genant. dienstman was er ze Ouwe. er nam im manige schouwe an mislîchen buochen; dar an begunde er suochen, ob er iht des funde, dâ mite er swäere stunde möhte senfter machen, und von sô gewanten sachen, das gotes êren töhte und dâ mite er sich möhte gelieben den liuten...
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (22:35):
Eindeutig im Stehen geschrieben -- Erbitte Übersetzung, Sieghard!
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Sieghard
antwortete am 05.10.00 (22:44):
Übersetzung ja, aber bitte, was heißt im Stehen? stehend am Pult? oder wo? Bis gleich sieghard
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Heidi Lachnitt
antwortete am 05.10.00 (22:47):
siehe letzter Satz des vorherigen Gedichtes! :-))
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Sieghard
antwortete am 05.10.00 (23:01):
Also, Heidi, alles klar (-_-) (-_-) hier nun die Übersetzung:
Ein Ritter besaß solche Schulbildung, dass er in den Büchern lesen konnte, alles was er darin geschrieben fand. Er war Wolfgang genannt und war Lehnsmann zu Aue. Er sah sich eifrig in verschiedenen Büchern um und begann darin zu suchen, ob er etwas derartiges fände, womit er bedrückte Stunden leichter machen könnte und dass von solchen Dingen handelte, dass es zu Gottes Ehre taugte, und womit er sich zugleich den Menschen angenehm machen könnte.
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Trudi
antwortete am 05.10.00 (23:02):
Hier ein Text von Peter Grohmann:
Der Fluss des Lebens. Heute lädt er zum Träumen ein. Verweile an seinen vielfachen Ufern, sieh den Wassern nach, die sich am Horizont verlieren. Morgen macht er Dich vielleicht traurig, lädt zum Nachdenken ein.
Als ich diese Zeilen las, habe ich die Einladung zum Nachdenken angenommen, vielleicht die/der eine oder andere von Euch auch.
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Sieghard
antwortete am 05.10.00 (23:06):
Du merkst, der mhd. Text ist weit schöner, eben poetisch, klangvoller, kunstvoller, und und und ...
und nun gute Nacht
...
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Sieghard
antwortete am 06.10.00 (08:36):
die blumen des zuckers krumen von ric für siegh hierdurch dir dank dafür
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Wolfgang Maul
antwortete am 07.10.00 (21:30):
Heute was für 's Herz. Ein Gedichtchen von Klabund (das ist Alfred Henschke), dessen Gedichte, Songs und Schauspiele in Deutschland in den 20er Jahren sehr bekannt waren. Mir ist danach an solch einem grauen und regnerischen Herbsttag. Vielleicht liest "mein" Mensch diese Zeilen:
Die Menschheit ist ein leeres Wort. Mein Mensch ist viele Meilen fort. Er liebet mich. Ich liebe ihn. Die Wolken ziehn. Die Falter fliehn. Ein Mond steigt unter Rosen auf. Nie hört sein Mund zu kosen auf.
(aus: Das heisse Herz. Balladen Mythen Gedichte von Klabund, Berlin 1922)
(Internet-Tipp: https://userpage.fu-berlin.de/~nylk/Klabund/)
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Heidi Lachnitt
antwortete am 07.10.00 (21:52):
Etwas für's Herz! - tut das gut, Wolfgang. Ich hoffe "Dein" Mensch hat's gelesen.
Mascha Kaleko hat etwas für "meinen" Menschen geschrieben:
Sonett in Dur
Ich frage mich in meinen stillen Stunden Was war das Leben, Liebster, eh du kamst Und mir den Schatten von der Seele nahmst. Was suchte ich, bevor ich dich gefunden?
Wie war mein Gestern, such ich zu ergründen, Und sieh, ich weiß es nur noch ungefähr. So ganz umbrandet mich das Jetzt, dies Meer, In das die besten meiner Träume münden.
Vergaß ich doch, wie süß die Vögel sangen, Noch eh du warst, der Jahre buntes Kleid Mir blieb nur dies von Zeiten, die vergangen: Die weißen Winter und die Einsamkeit.
Sie warten meiner, läßt du mich allein. Und niemals wieder wird es Frühling sein.
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Sieghard
antwortete am 07.10.00 (22:28):
Wolfgang: Frage mit Klabund Heidi: Antwort mit Mascha Kaleko
bisweilen suche ich, was [wen] es nicht gibt hier und jetzt zumindest nicht dann tröstet vielleicht
Schillers Gedicht "Der Pilgrim" hier nur die 9. Strophe:
Ach kein Steg will dahin führen, Ach der Himmel über mir Will die Erde nie berühren, Und das Dort ist niemals hier!
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Waltraud
antwortete am 08.10.00 (00:23):
Falls hier jemand unter uns ist, der gerade Geburtstag hat, dem möchte ich diese Zeilen widmen:
Gute Wünsche
Ein jeder Tag im neuen Jahr soll Dir ein kleines Lächeln schenken. An jedem Tag im neuen Jahr soll einer liebend an Dich denken. Denn jeden Tag im neuen Jahr sollst Du den frohen Mut behalten. Für jeden Tag im neuen Jahr will ich Dir gern die Daumen halten. Zu jedem Tag im neuen Jahr sollst Du gesund und froh erwachen. Weil jeden Tag im neuen Jahr die and´ren warten auf Dein Lachen. Mit jedem Tag im neuen Jahr sollst Du ein wenig weiter reifen. Auf jeden Tag im neuen Jahr sollst Du, wenn er nicht taugte, pfeifen. Am letzten Tag im neuen Jahr magst Du noch einmal rückwärts schauen - Ein neuer Tag, ein neues Jahr nimm´s hin und dank´ und hab Vertrauen.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 08.10.00 (12:06):
Ein Gedicht aus vergangenen Zeiten, gleicher Titel, Sieghard:
Suche
Es gibt einen leeren Platz in meinem Herzen den niemand je hat ausgefüllt. Ein blinder Fleck auf meiner Seele schmerzt - ich weiß nicht welche Art von Schmerz das ist. meine Gedanken laufen Marathon - kein Ziel in Sicht. Ich wünsche mir - Nähe doch bei dem Gedanken verletzt zu werden schweige ich
Es gibt einen leeren Platz in meinem Herzen ...
hl/49
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Edith
antwortete am 08.10.00 (13:19):
... und noch ein tröstlicher Schluß eines langen Gedichtes von Schiller, in dem er die abhanden gekommenen Ideale seiner Jugend betrauert:
Von all dem rauschenden Geleite wer harrte liebend bei mir aus? Wer steht mir tröstend noch zur Seite und folgt mir bis zum finstern Haus? Du, die du alle Wunden heilest, der Freundschaft leise, zarte Hand, des Lebens Bürden liebend teiltest, du, die ich frühe sucht' und fand.
Und du, die gern sich mit ihr gattet, wie sie der Seele Sturm beschwört, Beschäftigung, die nie ermattet, die langsam schafft, doch nie zerstört, die zu dem Bau der Ewigkeiten zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht, doch von der großen Schuld der Zeiten Minuten, Tage, Jahre streicht.
Aus: Die Ideale
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Sieghard
antwortete am 08.10.00 (15:45):
Hier eine ganz kleine Goethe-Parodie: Wer kennt das ganze Werkchen?
Sankt Edah war nicht aufgeräumt sie hatte soeben beim Schreiben geträumt so was vom Regiment im Forum per omnia sæcula sæculorum und dann mit Zepter und Kron so eine endgültige Inthronisation denn im Kopf hat das keine Schranken das waren so ihre liebsten Gedanken
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Wolfgang Maul
antwortete am 08.10.00 (23:25):
Ja, Sieghard, gute Idee... warum eigentlich keine Parodie. Damit 's auch mal a weng lustig ist. - Hier ist noch eine. Sie ist von der aus der Schweiz stammenden Schriftstellerin Grethi T.Tunnwig und nimmt Hermann Hesses Gedicht "Liebeslied" auf 's Korn:
Liebeslied
Ich bin der Hirsch und du das Reh, Der Ast bist du und ich der Baum, Die Sonne ich und du der Schnee, Ich bin der Tag und du der Traum. Die Zeit bin ich und du der Raum. Du bist das Nichts und ich das Kaum!
Ich bin der Deckel, du der Topf, Der Hals bin ich und du der Kropf. Ich bin der Zapfen, du der Spund, Die Hündin du und ich der Hund. Du bist das Ach und ich das Weh: Ich bin der Hess und du das E.
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IRIS Berghaus
antwortete am 09.10.00 (17:24):
Etwas "herzliches", was aus Kindertagen haften geblieben ist.Für Wolfgang und "seinen" Menschen: Herz, mein Herz, sei nicht beklommen und ertrage dein Geschick. Neuer Frühling gibt zurück, was der Winter dir genommen. Und wie VIEL ist dir geblieben! Und wie schön ist noch die Welt! Und, mein Herz, was DIR gefällt, ALLES, ALLES darfst DU Lieben.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 09.10.00 (19:08):
Johann Wolfgang v.Goethe (keine Parodie)
Beherzigung
Feiger Gedanken Bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, Ängstliches Klagen Wendet kein Elend, Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten Zum Trotz sich erhalten, Nimmer sich beugen, Kräftig sich zeigen, Rufet die Arme Der Götter herbei
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Heidi Lachnitt
antwortete am 09.10.00 (19:52):
und noch einmal Mascha Kaleko aus 'Das Buch der Gedichte" Conrady, Cornelsen
Katzenjammer-Monolog
Zuweilen möchte man aus sich heraus Und kann die Tür ins Freie doch nicht finden. Dann schnüffelt man vielleicht mal nach den Gründen Und kriecht noch tiefer in sein Schneckenhaus.
Man müßte noch so vieles tun. Und manches lassen. Und kann das eine wie das andre nicht. Man denkt an manche unerfüllte Pflicht, Bis sich die Dinge dann mit uns befassen.
So vieles tut man rasch in Acht und Bann Mit Augen, die geschlossen schon erblinden. Doch auch das Schicksal hat so dann und wann Auf unserm Konto Unterlassungssünden.
Mitunter scheints, man sei nun endlich da. - Am Ziel, von dem man schüchtern nur geträumt hat - Da plötzlich merkt man, daß man was versäumt hat, ein dummes Etwas nur. Beinah... beinah.
Wenn man ein zweites Mal geboren würde, Dann finge man das Leben anders an. - Vielleicht, daß dann so manches anders würde... (Vorausgesetzt, daß man vergessen kann -)
Daß man vergessen kann, was man erfahren. Man horcht sehr oft zu viel in sich herum. Am besten wär es, klug zu sein und stumm. Man ist zuweilen alt mit zwanzig Jahren.
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Sieghard
antwortete am 09.10.00 (22:19):
Hesses "Liebeslied" kenne ich leider nicht. Im umgekehrten Falle könnte ich die Parodie von G.T.Tunnwig besser würdigen. Könntest du, Wolfgang, Hesses "Liebeslied" ins Forum stellen? --------------------------------------------
Es folgt ein kleines Gedicht: Wer kennt es?
Himmel blau Sonne gelb wärmt die Welt
Wolken grau Regen blau tränkt die Welt
Sonne rot Herz voll Glut liebt die Welt
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Heidi Lachnitt
antwortete am 10.10.00 (13:40):
Farbspiele Sieghard? :-)) - Wer kennt dieses Gedicht?
Hochrot Du innig Rot, Bis an den Tod Soll meine Lieb dir gleichen, Soll nimmer bleichen, Bis an den Tod, Du glühend Rot, Soll sie dir gleichen.
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Sieghard
antwortete am 10.10.00 (15:32):
Heidi klar (Karoline v. Gündrode) und danke, mehr als Farbspiele!
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Zum Thema "suchen, finden und doch nicht finden" waren mehrere gültige Texte ins Forum gestellt worden, u.a. von Heidi, Edith, Wolfgang, Trudi, Waltraud. Hier ein weiterer von Augustinus:
Ibi vacabimus et videbimus, videbimus et amabimus, amabimus et laudabimus. Ecce quod erit in fine sine fine.
Übersetzung: Dort werden wir wohnen und schauen, schauen und lieben, lieben und loben. Siehe was im Ende sein wird ohne Ende.
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Sieghard
antwortete am 10.10.00 (15:51):
Heidi, das vorvorige, du kennst es, es ist ja deins!
Wolfgang, hat Warten auf den Hesse noch Sinn? Ich hoffe
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Gerlinde
antwortete am 10.10.00 (20:12):
Ich träume wieder von der Unbekannten, die schon so oft im Traum vor mir gestanden.
Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.
Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen und kann in meinem dunklen Herzen lesen.
Du fragst mich:ist sie blond? Ich weiß es nicht. Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.
Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt -
Wie Eines Name, den du Liebling heißt und den du ferne und verloren weißt.
Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.
H.Hesse
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Wolfgang Maul
antwortete am 11.10.00 (11:23):
Sieghard... Dein Warten hatte Sinn. :-) Hier ist Hesses "Liebeslied" (der hat übrigens mehrere unter dem Titel geschrieben). Aber die Parodie bezieht sich auf die erste Strophe von diesem hier:
Liebeslied (von Hermann Hesse / 1920)
Ich bin der Hirsch und Du das Reh Der Vogel Du und ich der Baum Die Sonne Du und ich der Schnee Du bist der Tag und ich der Traum
[...]
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Iris Berghaus
antwortete am 11.10.00 (14:04):
Für Engel suchende
Du suchst einen Engel? Was stellst Du Dir vor? Ist er blond oder braun? Groß oder klein?
Ist er dick oder dünn? Schwach oder stark? Ist er herb oder Süß? Oder ist er aus Stein?
Zufällig begegnest Du ihm, er gleicht einem Traum. Sekunden verfliegen, Du merkst es kaum.
Er ist voller Freude und dreht richtig auf. Doch Du gehst vorüber, machst nicht mal die Augen auf.
Jetzt ist dieser Engel ein Pflänzchen am Wege. Unscheinbar und klein, wollt für Dich wachsen und Dein Engel der Liebe sein.
Du siehst ihn nicht... und trittst leise drauf. Der Engel ist`s müde und gibt sich ganz auf.
Du gehst weiter und träumst nebenbei..... "Ach könnt ich ihn finden...egal wie er sei!"
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Friedgard Seiter
antwortete am 11.10.00 (20:52):
Eine Woche nur war ich weg - und 68 (in Worten: Achtundsechzig!) Mails warteten auf mich - meistens Gedichte - Gedichte! - Heute erst kam ich dazu, sie alle zu lesen - es ist herrlich, wie dieser Quell sprudelt!
Christian Morgenstern - (Ihr wißt ja inzwischen, daß er zu meinen Lieblingen gehört ----):
Getrennter Liebender Gebet zueinander
Komme auch heute zu mir, bleibe auch heute bei mir.
Begleite jeden meiner Schritte, heilige mir jeden Schritt.
Hilf mir, daß ich nicht in Stricke falle noch strauchle.
Hilf mir stark und schön bleiben, bis ich dich nächsten Morgen wieder bitte.
Durchdringe mich ganz mit deinem Licht, das du bist. Wohne in mir wie das Licht in der Luft.
Auf daß ich ganz dein sei, auf daß du ganz mein seist auch diesen Tag.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 11.10.00 (21:38):
Mascha Kaleko
Liebeslied
Wenn du mich einmal nicht mehr liebst, Laß mich das ehrlich wissen. Dass du mir keine Lüge gibst Noch Trug in deinen Küssen!
Dass mir dein Herz die Treue hält, Musst du mir niemals schwören. Wenn eine andre dir gefällt, Sollst du nicht mir gehören.
Wenn du mich einmal nicht mehr magst, Und geht mein Herz in Scherben - Dass du nicht fragst, noch um mich klagst! Ich kann so leise sterben.
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Sieghard
antwortete am 11.10.00 (21:52):
welch ein Reichtum ach zu dumm Reichtum Siechtum Witwentum welch ein Reichtum dideldum Reichtum Deutschtum Dichtertum welch ein Reichtum rundherum Reichtum Konsum Künstlertum welch ein Reichtum wiederum Reichtum Psycho-Pharmakum welch ein Reichtum noch posthum
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Heidi Lachnitt
antwortete am 12.10.00 (17:32):
vom gestrigen Herbstspaziergang mitgebracht:
die letzten Farben des Herbstes
ich lasse meinen Blick in Wolkengebirgen spazierengehen - den Wind in meinem Haar
sehe dunkle Stämme wie Gitterstäbe in der Mitte des Käfigs stehen - die Spitzen gelb gekrönt
will Farben mit den Augen trinken grüngelb, rotgold und braun und blau - der Becher neigt sich bald
und rotglänzenden Lack im dunkelgrünen Moose finden - zum letzten Mal. hl
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Waltraud Heise
antwortete am 13.10.00 (00:51):
^Herbsterkenntnis
Ich steh am Weiher, der mit stumpfem Glanz vor meinen Blicken ausgebreitet liegt. Der Nebel braut und fern sind Spiel und Tanz und Fröhlichkeit und Singen sind versiegt. Kalt ist`s geworden in und außer mir, der Sommer ist so hie wie dort vorbei. Und frag mich plötzlich, warum steh ich hier? Was warte ich? Es wird so schnell nicht Mai. Und weiter sinn ich, schaue auf das Laub das sterbensmüd vom Baume niederfällt. Was wird mit ihm, so frag ich, es wird Staub, und da erkenne ich den Sinn der Welt. Zwar wird der Baum geschmückt mit neuem Grün, und nichts wird fehlen an der früh`ren Pracht. Es ruhn die Wandrer, die vorüberziehn und seine Zweige rauschen in der Nacht. Und keiner ist, der jemals danach fragt warum er nicht sein altes Laub mehr trägt, und nur der Mensch erlaubt sich, daß er klagt, weil jeder sich einmal zum Sterben legt. Für ewig ist nun mal auf Erden nichts. Ein neuer Mai kommt, doch wir bleiben alt. Bis einst am Tage jenes Weltgerichts wir neu erstehn durch Gottes Allgewalt.
WH
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Gerlinde
antwortete am 13.10.00 (09:06):
Du
Wo keine Freiheit ist bist du die Freiheit wo keine Würde ist bist du die Würde wo keine Wärme ist keine Nähe von Mensch zu Mensch bist du die Nähe und Wärme Herz der herzlosen Welt.
Deine Lippen und deine Zunge sind Fragen und Antwort in deinen Armen und deinem Schoß ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir geht zu auf das Wiederkommen du bist ein Anfang der Zukunft Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel und keine Philosophie keine Vorschrift und kein Besitz an den man sich klammert du bist ein lebender Mensch du bist eine Frau und kannst irren und zweifeln und gut sein Herz der herzlosen Welt
Erich Fried
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Heidi Lachnitt
antwortete am 13.10.00 (12:02):
Ein Trost, Gerlinde - Danke!
Hier ein weiteres Gedicht von Erich Fried:
Frau Welt
Ich bin zur Welt gekommen und bin nun endlich so weit
laut zu fragen wie ich dazukomme zu ihr zu kommen
Sie kommt und sagt leise: Du kommst nicht du bist schon im Gehen
Erich Fried, 'Die bunten Getüme', Fischer-Verlag
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Sieghard
antwortete am 13.10.00 (14:55):
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 13.10.00 (17:35):
Die Poesie der Erde kennt kein Schweigen; Wenn alle Vögel, matt von Sonnenglut, sich flüchten in der kühlen Wipfel Hut, Hört man's auf frisch gemähten Wiesen geigen. Das ist die Grille. Sie führt an den Reigen In Sommers Überfluss; denn niemals ruht Sie aus in dem, was nur aus Lust sie tut, Geniessst selbst noch die Ruhe unter Zweigen.
Die Poesie der Erde, sie schweigt nie. An langen Winterabenden, wenn frierend Die Welt verstummt, erklingt aus dem Kamin Des Heimchens Lied, die warme Melodie, Und wer ihr lauscht, in Träume sich verlierend, Hört Grillenlieder über Wiesen ziehn.
John Keats (1795-1821)
übersetzt v. Hans-Dieter Gelfert in 'Hundert englische Gedichte' (dtv)
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Heidi Lachnitt
antwortete am 13.10.00 (21:23):
Ich weiß auch nicht warum mir immer am Abend diese traurigen Gedichte einfallen? Aber besser Liebeskummer mit Mascha Kaleko als rabenschwarzes von hl :-))
Solo für Frauenstimme
Wenn du fortgehst, Liebster, wird es regnen, Klopft die Einsamkeit, mich zu besuchen. Und ich werde meinem Schicksal fluchen. Deine Tage aber will ich segnen.
Du drangst wie Sturmwind in mein junges Leben, Und alle Mauern sanken wie Kulissen. Du hast das Dach von meinem Haus gerissen. Doch neuen Schutz hast du mir nicht gegeben.
So starb ich tausendmal. Doch da du kamst, Mocht ich das Glück, dir nah zu sein, nicht stören. Wie aber solltest du mein Schweigen hören, Da du doch nicht einmal mein Wort vernahmst...
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Heidi Lachnitt
antwortete am 13.10.00 (21:54):
Kann ich so nicht stehen lassen - aller guten Dinge sind drei - bevor ich mich mit Friedgarts "Juwelen" zu Bett begebe - eines dass ich noch nicht hier gelesen habe:
Glücksmomente
Mit den Schmetterlingen tanzen, mit dem Wind auf Reisen gehn, mit den Bienen Honig sammeln, mit der Sonne auferstehn, mit den Wassern talwärts rauschen, mit den Kindern Märchen lauschen, mit den Wolken segelfliegen, mit den Blättern sanft sich wiegen, mit der Erde Regen trinken und mit Sternen traumversinken.
Friedgart Seiters, "Jeder Augenblick ist ein Juwel"
Ich wünsche allen eine gute Nacht
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Heidi Lachnitt
antwortete am 14.10.00 (11:18):
heute morgen, 6.00 h:
Oktobermorgen
Menschen, Häuser, Bäume, Berge und meine Gedanken versunken im Nebel grau, feucht und kalt
ein unerklärlicher Schmerz schneidet in meinem Inneren die Träume entzwei Oktober...
hl ------------------ Jetzt um 11.00h strahlt die Sonne wieder vom Himmel und:
Ein neuer Tag
Der Himmel hat sein schwarzes Tuch abgelegt den blauen Morgenmantel angezogen blinzelt und reibt sich die Sterne aus den Augen
die Sonne wärmt den Morgencafé ein neuer Tag beginnt ein neues Lied hl
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Ilse Fahl
antwortete am 14.10.00 (21:23):
Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee, Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Dann auf den letzten Teil der Reise.
Joachim Ringelnatz
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Ilse Fahl
antwortete am 14.10.00 (21:32):
Selbstkritik
Die Selbstkritik hat viel für sich. Gesetzt den Fall, ich tadle mich; so hab' ich erstens den Gewinn, daß ich so hübsch bescheiden bin; zum zweiten denken sich die Leut, der Mensch ist lauter Redlichkeit; auch schnapp' ich drittens diesen Bissen vorweg den anderen Kritiküssen; und viertens hoff' ich außerdem auf Widerspruch, der mir genehm. So kommt es dann zuletzt heraus, daß ich ein ganz famoses Haus.
Wilhelm Busch
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Wolfgang
antwortete am 15.10.00 (11:46):
Hier ein Gedicht von Hermann Hesse: Mon Rêve Familier (Aus dem Französischen des Paul Verlaine):
Ich träume wieder von der Unbekannten, Die schon so oft im Traum vor mir gestanden.
Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar Mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.
Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen Und kann in meinem dunklen Herzen lesen.
Du fragst mich: ist sie blond? Ich weiß es nicht. Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.
Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt Ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt -
Wie Eines Name, den du Liebling heißt Und den du ferne und verloren weißt.
Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben Wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.
(aus: Hermann Hesse, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Erster Band)
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Heidi Lachnitt
antwortete am 15.10.00 (12:23):
schon erstaunlich,Wolfgang! Hier für die "Franzosen" unter uns der französische Text:
Mon Rêve Familier
Je fais souvent ce rêve étrange et pénétrant D'une femme inconnue, et que j'aime, et qui m'aime, Et qui n'est, chaque fois, ni tout à fait la même Ni tout à fait une autre, et m'aime et me comprend. Car elle me comprend, et mon cœur, transparent Pour elle seule, hélas ! cesse d'être un problème Pour elle seule, et les moiteurs de mon front blême, Elle seule les sait rafraîchir, en pleurant.
Est-elle brune, blonde ou rousse ? Je l'ignore. Son nom ? Je me souviens qu'il est doux et sonore Comme ceux des aimés que la Vie exila.
Son regard est pareil au regard des statues, Et, pour sa voix, lointaine, et calme, et grave, elle a L'inflexion des voix chères qui se sont tues.
Einen schönen Sonntag wünsche ich allen
(Internet-Tipp: https://poetes.com/verlaine/revefam.htm)
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Sieghard
antwortete am 15.10.00 (18:56):
Rose Ausländer [1901-1988]
Almosen
Ich gehe von Haus zu Haus Bettelmönch Brotworte sammeln
Goldmünzen mit stolzen Köpfen ich grüße sie bitte um Spende
Sie sehen an mir vorbei und lächeln
In meine Almosenschale fällt Schnee
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Heidi Lachnitt
antwortete am 15.10.00 (19:39):
Eichendorff, 'Der Einsiedler' - dritter Vers:
O Trost der Welt, du stille Nacht! Der Tag hat mich so müd gemacht, Das weite Meer schon dunkelt, Laß ausruhn mich von Lust und Not, Bis daß das ewge Morgenrot Den stillen Wald durchfunkelt
Ich wünsche allen Einsamen eine gute Nacht
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Ilse Fahl
antwortete am 16.10.00 (01:22):
Ich schlaf' nicht gern auf weichen Daunen, Denn statt des Märchenwaldes Raunen Hör' ich die geliebten kleinen, Gerupften Gänschen bitter weinen, Sie kommen an mein Bett und stöhnen, Und klappern frierend mit den Zähnen, Und dieses Klappern klingt so schaurig, Wenn ich erwache bin ich traurig !
Heinz Erhardt
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Ilse Fahl
antwortete am 16.10.00 (09:04):
Reihen - Stühle, weiche -harte Eintritt gegen Eintrittskarte, Damen viel - von Puder blasse, Und Programme an der Kasse, Leute strömen, viele kenn' ich, Garderobe zwanzig Pfennig, Sängerin macht: mi-mi-mi, Impressario tröstet sie. Und dann öffnet sie den Mund Erst oval und dann ganz rund, Und mit Hilfe ihrer Lungen Hat sie hoch und laut gesungen, Sie sang Schumann, linke Brahms, Der Beginn war acht Uhr ahms. Und zum Schluß, da ging man bebend, Aber froh, daß man noch lebend, Heim und legt sich müde nieder! Morgen singt die Dame wieder! Hein Erhardt
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Gerlinde
antwortete am 16.10.00 (09:33):
Neuer Tag
Auferstanden vom Schlaf gesättigt vom Traum sind wir da und fordern den Tag.
Schöneres kann uns nicht blühn als der Baum vor dem Hause des Nachbarn. Begabter können die Sinne nicht sein als Wahrzunehmen was uns gebührt.
E.Borchers
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Ilse Fahl
antwortete am 16.10.00 (11:21):
Und noch ein Gedicht.....
Im Wasser schwimmt ein Gummischwamm, Denn es ist Samstag und ich bade, Zwei Zähne fehlen mir - am Kamm, Es duftet laut nach Haarpomade, Das Wasser tropft im Abflußrohr, Der Stöpsel scheint nicht recht zu schließen, Ich habe Seifenschaum im Ohr Und Hühneraugen an den Füßen, Das Wasser ist schon stark getrübt, Nur mühsam wälzen sich die Fluten, Ich bin seid vorgestern verliebt, Da hilft kein Blasen und kein Tuten!
Heinz Erhardt
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Ilse Fahl
antwortete am 16.10.00 (11:49):
Habt Ihr auch soviel Spaß am Erhardt? Hier noch ein - leider in meinem Gedächtnis etwas amputhiertes Gedicht! Aber sooo herrlich!
In Ägyptens großer Wüste, Wenn de reinkommst,dann gleich links Steht versonnen eine Büste, Ganz aus Stein, das ist die Sphinx, Vorn hat sie 'ne Hasenscharte, Schuld daran ist Bonapart', Weil er sie .......(Vergessen!) ..........Getroffen hat!
Auch:Heinz Erhardt
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Heidi Lachnitt
antwortete am 16.10.00 (18:59):
Erinnerung an den Frühling!
William Wordsworth (1807):
Ich ging allein, den Wolken gleich, Die über Tal und Hügel fliegen, Da sah ichjäh vor mir ein Reich Von goldenen Narzissen liegen. Am See auf waldgesäumter Wiese Wogten im Tanz sie in der Brise
Wie nachts am Firmament der Schein Sich flimmernd dehnt zu ferner Flucht, Erstreckten endlos ihre Reih'n Sich am Gestade einer Bucht. Zehntausend warns auf einen Blick, Keck warfen sie den Kopf zurück
Die Wellen tanzten mit, doch sie warn heitrer als der Wellen Glanz. Ein solches Bild von Harmonie Füllt eines Dichters Seele ganz. Ich sah und sah, kaum dass ich dachte, Wie reich mich dieser Anblick machte.
Oft, wenn auf meiner Couch ich ruh, In heitrer oder trüber Zeit, Blitzt mir ihr Bild von innen zu, Beseligt meine Einsamkeit. Dann jauchzt mein Herz, neu hingerissen, Und tanzt vergnügt mit den Narzissen.
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Gerlinde
antwortete am 16.10.00 (23:05):
Klarer Herbsttag
Wieder siehst du voll Wehmut im Teich sich spiegeln den braunen Baum und stehst frauenhaft weich vor den Herbstzeitlosen am Waldessaum.
Kann denn die Blume für deine Schuld? Der Baum für deine Unzulänglichkeit? Warum buhlt mit dem Herbst deine Traurigkeit?
Sieh nur in dich! Da ist der Stachel und sein Grund. Du einziglich bist davon wund.
In schluldlosem Gleichmaß das Leben ringsum hat seinen Tod und neu seines Werdens Kraft. Dich aber zieht dein Menschentum furchtbar zur Rechenschaft.
Josef Weinheber
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Friedgard Seiter
antwortete am 17.10.00 (08:23):
Eine alte Dame, die viel gelitten hatte, sagte einmal zu mir: "Man kann sich auch in seine eigene Trauer verlieben..." Darum:
Matthias Claudius: Täglich zu singen
Ich danke Gott und freue mich Wie's Kind zur Weihnachtsgabe, Daß ich bin, bin! Und daß ich dich, Schön menschlich Antlitz! habe;
Daß ich die Sonne, Berg und Meer, Und Laub und Gras kann sehen, Und abends unterm Sternenheer Und lieben Monde gehen;
Und daß mir dann zumute ist, Als wenn wir Kinder kamen Und sahen, was der heil'ge Christ Bescheret hatte, Amen!
Ich danke Gott mit Saitenspiel, Daß ich kein König worden; Ich wär geschmeichelt worden viel, Und wär vielleicht verdorben.
Auch bet ich ihn von Herzen an, Daß ich auf dieser Erde Nicht bin ein großer reicher Mann, Und auch wohl keiner werde.
Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht, Hat mancherlei Gefahren, Und vielen hat's das Herz verdreht, Die weiland wacker waren.
Und all das Geld und all das Gut Gewährt zwar viele Sachen; Gesundheit, Schlaf und guten Mut Kann's aber doch nicht machen.
Und die sind doch, bei Ja und Nein! Ein rechter Lohn und Segen! Drum will ich mich nicht groß kastein Des vielen Geldes wegen.
Gott gebe mir nur jeden Tag, Soviel ich darf zum Leben. Er gibt's dem Sperling auf dem Dach; Wie sollt er's mir nicht geben!
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Sieghard Winter
antwortete am 17.10.00 (10:07):
Lügen haben kurze Beine ich lüge nicht denn ich bin reine belüge nicht mal den Herrn Schmitt schon gar nicht mich igittigitt
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Wolfgang Maul
antwortete am 17.10.00 (10:52):
Ein Gedicht von Hermann Hesse - vielleicht nicht gerade auf'd Nacht gut zu lesen :-( , aber das richtige, um damit in den Tag zu gehen, wenn sich der Nebel gelöst hat. :-)
Im Nebel (von Hermann Hesse)
Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein. Kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war, Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 17.10.00 (11:36):
Sonntag im November
Wenn morgens um acht kein Laut zu vernehmen ist, frag nicht warum.
Ein weißer Vorhang verbirgt den Hang und den Wald im lichten Schleier.
Vergeblich lausch ich nach Schritten und Geräuschen in dichtem Nebel.
von Koloman Stumpfögger
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 17.10.00 (11:59):
Novembermorgen
Im Spinnennetz vor der Scheibe ein Birkenblatt; Traumfarbensatt.
Der Kinderflaum auf den Dingen im Morgenlicht. Meine Seele in tönenden Ringen; sternspärendicht.
von Catarina Carsten
Quellenachweis: Catarina Carsten, "Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten", Seite 92, Edition Doppelpunkt, Wien, 1999
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Koloman Stumpfögger
antwortete am 17.10.00 (12:15):
Rosenranke
Sie klopft ans Fenster, ans Küchenfenster, jahrüber.
Mit Blättern, Blüten, mit dürren Zweigen, froststarr.
Sie klopft ans Fenster, sie lehrt die Jahreszeiten und mehr.
von Catarina Carsten
Quellnachweis: Catarina Carsten "Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten", Seite 113, Edition Doppelpunkt, Wien, 1999
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Iris Berghaus
antwortete am 17.10.00 (14:43):
Wolfgang, ich bin der Meinung,wenn ganz viel Sonne im Herzen gespeichert ist, lassen sich die grauen Nebeltage viel besser ertragen und aushalten,ja, man erkennt die Menschen, die da sind, und ist nicht mehr allein. .
Für alle Optimisten unter uns nun ein
Lied für die Hoffnung
Mein Kartenhaus ist wieder eingestürzt, weil der Wind von mehr als einer Seite kam. Alle Farben sind jetzt übermalt, mir bleibt ein schwarzes Loch.....und eine Hand.
Will ich sie heben,wird sie schwer wie Blei und sie quält sich, etwas Neues zu bau`n Ich weiß, ich könnte, wenn ich wollte, doch wollen können, kann ich nicht...mir fehlt der Mut, mich mich zu trau``n
Hinter mir zerschmettertes Glas und Porzellan, vor mir zerspringt der Spiegel, indem ich mich sonst sehen kann. Und ich steh bebend mittendrin, immer noch lebend, zwischen den Scherben. Wohin?
Ich mach die Augen zu und lasse mich fallen. Ich hoffe jemand fängt mich auf. Ich dreh`mich im Kreis mit verbundenen Augen, bis mir jemand die Richtung zeigt.
Du bist da und streichst mir übers Haar. Du fängst mich auf, wie warmer, weicher Sand. Du beatmest mich mit allem Was DU bist. Ich fühl die Kraft zurück in meiner Hand.
Wenn ich Dich so spüre, dann kommt die ganze Welt zum Stehen. könnt mit Dir zusammen barfuß durch Scherbenmeere gehen. Denn die Wunden heilen mit der Zeit. Doch Du und Ich erleben zu Zweit. Trotz aller Scherben. ZU ZWEIT.
Ich mach`die Augen zu und lasse mich fallen. Ich weiß, Du fängst mich auf. Ich dreh mich im Kreis, mit verbundenen Augen, bis DU mir die Richtung zeigst.
Du machst die Augen zu und läßt Dich fallen. Und Du weißt, ich fang Dich auf. Du drehst Dich im Kreis, mit verbundenen Augen,bis ich Dir die Richtung zeig.
Mach die Augen zu und laß Dich fallen......
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Lorbass aus Ostpreussen
antwortete am 17.10.00 (21:34):
Meine Spiritualität
Sind meine Zaertlichkeiten Sind meine Schmerzen Ist meine Liebe
Fur mich Fuer Dich
Lorbass
(Internet-Tipp: https://geocities.com/lorbass_mpls)
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Heidi Lachnitt
antwortete am 17.10.00 (23:28):
Gedichte Gedichte - aneinandergereiht
Schläft ein Lied in allen Dingen - das Leid der Erde, es schweigt nie So sollst Du nun die Worte hören: Statt mit den Sternen im Traum zu versinken schneidet mein Lied Deine Träume entzwei
Ein neues Lied - von unbekanntem Leid nur Worte, aneinander gereiht Ihr hört an mir vorbei und in die Almosenschale - fällt Schweigen
O Trost der Welt, du stille Nacht das Schreiben hat mich müde gemacht Nehmt wahr - was Euch gebührt Das Leid - endlos in seinen Reih'n spiegelt sich in meinem Sein
Wer trägt die Schuld für Unzulänglichkeit Verliebt in Leid und Schmerz? Weil ich ein menschlich Antlitz hab'? Gott gebe uns allen jeden Tag Die Würde des Menschen und Liebe zu ihm
..seltsam im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein Kein Mensch kennt den andern Jeder ist allein
Ich mach' die Augen zu und lass' mich fallen.....
hl
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Heidi Lachnitt
antwortete am 18.10.00 (08:26):
Internet-Tip zu meinem letzten "Gedicht":
.. seniorentreff - Diskussionsforum Politik und Gesellschaft, Thema: Gewalt in der Altenpflege - was ist das?
Ich wünsche allerseits einen guten Morgen und einen schönen Tag!
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Wolfgang Maul
antwortete am 18.10.00 (09:07):
Antwort (von Erich Fried)
Zu den Steinen hat einer gesagt: seid menschlich
Die Steine haben gesagt: wir sind noch nicht hart genug
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Friedgard
antwortete am 18.10.00 (14:13):
Altersheim
In den Wartesälen des Todes laufen die Gefühle Amok tanzen die Erinnerungen groteske Tänze um sich selbst werden Vertraute zu Fremden und Fremde zu innig Vertrauten verspricht das goldene Kalb verführerisch glänzend Befreiung und selten nur lächelt ein Kindlicher oder ein Weiser Erlösung ahnend.
F.S.
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Iris Berghaus
antwortete am 18.10.00 (14:41):
Antwort
Stein
steinreich
steiniger
versteinert
tot
dazu noch etwas von Edith STEIN
Je dunkler es hier um uns wird, desto mehr müssen wir das Herz öffnen für das Licht von oben.
Und Giovanni SEGANTINI sagte dazu
Möchten eure Fenster immer geöffnet sein, damit eure Seele sich immer ganz der Schönheit freuen kann, Möchten eure Türen immer geöffnet und eure Seele immer bereit sein, die guten Worte, und die schönen Harmonien in sich aufzunehmen.
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Sieghard Winter
antwortete am 18.10.00 (17:34):
lügenmomente auf dem wortfeld lügen
mit dem falter gaukeln mit dem winde mauscheln mit den bienen mogeln mit der sonne heucheln mit dem wasser verdrängen mit dem kinde totschweigen mit der wolke ausblenden mit dem blatte tarnen mit dem regen täuschen mit dem sterne lügen
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Friedgard
antwortete am 18.10.00 (18:20):
An Sieghard
bringt es Dir eigentlich eine Befriedigung, meine Gedichte ins Negative zu verhunzen?
Vielleicht ist das mehr nach deinem Gusto:
Bitteres
Ich suchte die Wahrheit und erstickte in der Umarmung der Lüge.
Ich suchte die Liebe und verdurstete in den Salzwüsten der Verachtung.
Ich suchte den Glauben und erfror auf den Gletschern des Verstandes.
Ich suchte die Freundschaft und verhungerte an den Straßenrändern des Erfolgs.
Ich suche die Hoffnung....
Wilhelm Busch sagte:
Sei ein braver Biedermann, Fange tüchtig an zu loben! Und du wirst von uns sodann Gerne mit emporgehoben.
Wie, du ziehst ein schiefes Maul? Willst nicht,daß dich andre adeln? Na, denn sei mir nur nicht faul. Und verlege dich aufs Tadeln.
Gelt, das ist ein Hochgenuß, Schwebst du so mit Wohlgefallen Als ein selger Kritikus Hocherhaben über allen.
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Heidi Lachnitt
antwortete am 18.10.00 (18:36):
Guten Abend, alle zusammen - habe ich gestern aus Versehen zu verbaler Gewalt aufgerufen???
Rekonvaleszenz
Lass uns, herz, ein stück des wegs auf katzenpfoten gehn
Der steine sind genug, die krallen freundlich zu schärfen
Reiner Kunze "auf eigene hoffnung", Fischer
Nach 6 Stunden reden freue ich mich jetzt auf Schweigen. Gute Nacht
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Edith
antwortete am 18.10.00 (19:47):
Liebe Friedgard, Dein Gedicht "Glücksmomente", das Heidi Lachnitt in ihrem Beitrag vom 13.10. hier ins Gedichte-Forum gestellt hat, finde ich sehr schön. Es ist nicht zu übersehen, daß Sieghard Winter dieses Gedicht in seinem Beitrag vom 18.10. "Lügenmomente" persifliert hat - oder wie soll man das nennen? - Schade!
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Ricardo
antwortete am 18.10.00 (21:57):
Liebe Friedgard Du bist nicht die einzige, die von Sieghard sowas erleben muß. Mir hat er auch eine geschmiert. Der Ton macht die Musik
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Sieghard
antwortete am 18.10.00 (23:48):
das meer ist angefüllt mit wasser und drinnen ists besonders tief am rand des meeres stand er ach nein er lag weil er ja schlief
da teilten sich die fluten und eine jungfrau trat herfür sie tat auf einer flöte tuten das war kein schöner zug von ihr
dem mann dem ging das lied zu herzen obwohl sie falsche töne pfoff man sah ihn in das wasser sterzen und er ging unter und ersoff
nicht
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Heidi Lachnitt
antwortete am 19.10.00 (14:09):
Bittersüßer Mandelbaum
Die Zweige müssen die Blüten verlieren, damit die Bäume grünen: das Rosa und das Weiß der süßen und bitteren Mandel mischt sich am Boden.
War das Süße ins Bittre oder das Bittre ins Süße gepfropft? Alle Blüten sind voller Honig, leichte Schmetterlingswiegen, alles Blühen ist süß.
Doch wenn erst das Laub die doppelte Krone vereint, unter dem blauesten Himmel, im sanftesten Wind, wird dann das Bittere bitter.
Hilde Domin "Nur eine Rose als Stütze", Fischer
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Heidi Lachnitt
antwortete am 19.10.00 (14:18):
Zwischengedanken
Weil es menschliche Beziehungen gab mußte es Menschen geben
Nun gibt es zwischenmenschliche Beziehungen Die lassen auf das Dasein von Zwischenmenschen schließen
Es muß aber auch Zwischenunmenschen geben die dafür sorgen daß die zwischenmenschlichen Beziehungen so unmenschlich sind
Erich Fried "Die bunten Getüme"
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Heidi Lachnitt
antwortete am 19.10.00 (14:31):
Wie war das? Aller guten Dinge sind drei:
Hier noch ein wunderschönes von Friedgart:
Glückwunsch
Ich wünsche dir einen Regenbogen, der bleibt, sichtbar dem Wissenden: eine Brücke aus Licht über die Höhen und Tiefen der Zeit leuchtend wie eine Idee, stark wie die Liebe.
Friedgart Seiters, "Jeder Augenblick ist ein Juwel"
und wie recht sie damit hat. Einen schönen Tag wünsche ich!
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Karl
antwortete am 19.10.00 (17:13):
Hallo liebe Dichterinnen und Dichter,
es sind schon wieder über 100 Einträge bei den Gedichten 2. Teil. Ich stelle diesen jetzt ins Archiv und werde in diesem Forum einen 3. Gedichtsband eröffnen (in Prosa, meinen Fähigkeiten entsprechend ;-) und dort die Adressen der archivierten Gedichte bekanntgeben.
Die E-Mail Adressen derjenigen, die sich die Gedichte haben zuschicken lassen, werde ich nach Teil 3 übertragen.
MfG Karl
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