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THEMA:   Ernst Wiechert

 6 Antwort(en).

Antonius Reyntjes begann die Diskussion am 07.09.02 (21:51) mit folgendem Beitrag:

Ich habe im Gedichte-Forum zweimal Texte von Ernst Wiechert angeboten; ich weiß, er ist mehr bekannt als Roman-Autor und z.B. mit seinen Aufzeichnungen aus dem KZ Buchenwald (wo er mit Goethes Lyrik über das deutsche Wesen nachsann...); für heute noch ein Gedicht; aber auch die Frage: Wer kennt und liest noch Ernst Wiechert? (Die Frage nach Werner Bergengruen brachte mich auch drauf...)

AUSKLANG

Ich habe den Tag nicht vergeudet,
er gab mir Verse und Brot,
am westlichen Himmel scheidet
das letzte Abendrot.

Ein Segel zieht in der Ferne
dem letzten Leuchten nach,
unter dem Abendsterne
liegt still mein dunkles Dach.

Ich halte auf meinen Knien
die Bibel aus der Kinderzeit,
ich sehe mein Leben ziehen
still in die Ewigkeit.

Das meiste versäumt und verloren,
was Gott mir anvertraut,
und doch noch einmal geboren
und die Stirn mit Gnade betaut.

Gekämpft und geliebt und gelitten
und die Herzen gekränkt und gefreut,
und den Kreis doch ausgeschritten
und die Saat doch ausgestreut.

Ach, in der Abendhelle
Schimmert der goldene Strand,
schimmert die dunkelnde Schwelle,
die ich am Abend fand.

Der Gürtel des Orion leuchtet
im Westen tief und spät,
und meine Wimper feuchtet
sich still im Dankgebet.

(Aus: Meine Gedichte. München 1952)* Ja, über solch ein Gedicht könnte man/frau sich schon unterhalten - über Lebensideale...)


WANDA antwortete am 08.09.02 (08:23):

Mir ist Ernst Wiechert bekannt aber ich habe lange nichts mehr von ihm gelesen.
Das Gedicht beeindruckt, danke dafür.
Das Thema "Lebensideale" solltest Du vielleicht eingeben,
so weiss man nicht, ob Du darüber reden möchtest oder nicht.

Da ich nicht für alle sprechen kann muss es heissen, ich weiss es nicht.


Hedwig antwortete am 08.09.02 (09:38):

Hallo Antonius R.

Ernst Wiechert ist absolut mein sehr geliebter Schriftsteller.!!!!! - siehe Thema "welchen Promi würdet ihr treffen wollen -

Habe als für mich eins der größten Bücher "Das einfache Leben", auch "Missa sine nomini" und "Die Majorin", aber leider nicht "Die Jerominkinder", das dicke Buch von ihm, das ich gern alöle paar Jahre lese, aber die Bibliothek
nahm es einfach raus, weil es da junge Leute gibt, die entscheiden dürfen, was nich mehr in is.....


dein Gedicht ist mir etwas bekannt.


Tessy antwortete am 08.09.02 (12:56):

@ Hedwig,
"die Jerominkinder, Band 2"
zur Zeit bei ebay für 3€ zu haben.


Hedwig antwortete am 09.09.02 (17:04):

Herzliches Danke, aber ich brauche nicht Band 2.


DorisW antwortete am 10.09.02 (09:32):

... oder bei ZVAB (Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher)! Dort gibt es z. Zt. 15 Einträge, teils alle beide Bände, teils der erste oder zweite alleine.

Internet-Tipp: https://www.zvab.com


Anton Stephan Reyntjes antwortete am 01.12.02 (14:03):

Ernst Wiechert (1887 - 1950)
DEUTSCHE WEIHNACHT

Da ist ein Volk, das vor den Krippen betet,
wie alle Völker auch in dieser Nacht.
Gott hat wie Disteln dieses Volk gejätet
und es zum Brennen auf das Feld gebracht.

Da ist ein Volk, braucht keinen Stall zu bauen
für Kinder, die heut' Nacht geboren sind,
weil alle Sterne durch die Dächer schauen
und alle Mütter friert's im Weihnachtswind.

Dort liegen zitternd sie in ihren Wehen,
kein Engel, der die feuchten Hände hält,
kein Ochs und Esel, die beim Kinde stehen,
kein Hirtenlied aus dem verschneiten Feld.

Und Joseph kauert auf den nassen Stufen
und träumt vom letzten Brot, das er sich brach,
wo ist ein Gott, ihn gläubig anzurufen?
Wo ist ein Richter, der nicht "schuldig" sprach?

Und keine Könige, die sich verneigen,
und weder Weihrauch, Milch noch trocknes Brot,
und in den Ecken steht das dunkle Schweigen,
und auf den Trümmern sitzt der dunkle Tod.

Da ist ein Volk, im Dunklen noch verloren
und ist ein Volk, das ist wie keins allein,
und sind doch Kinder ihm heut nacht geboren,
und alle werden reinen Herzens sein.

(Geschrieben 1944; aus: E.W.: Meine Gedichte. Posthum 1952 erschienen. München Kurt Desch Verlag. S. 36; enthalten in: E.W.: Sämtliche Werke in zehn Bänden. Bd. 10. Spiele. Reden, Gedichte, Miscellanea. München 1957: Verlag Kurt Desch. S. 472)

Internet-Tipp: https://www.reyntjes.de