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THEMA:   Holocaust-Erzählungen

 17 Antwort(en).

Antonius Reyntjes begann die Diskussion am 05.05.02 (23:19) mit folgendem Beitrag:

Ich suche Holocaust-Erzählungen, auch von regionalen Autoren, die man sonst nicht kennt; die in Regionalzeitungen erschienen sein können. Auch Jugendbücher bieten viele Erfahrungen der Nazizeit oder des italienischen Faschismus - also aus ganz Europa - die nicht vergessen werden sollten.
Ich meine alle "Endlösungs"-Gruppen (Juden, Roma, Sinti, Liliputaner, Behinderte...) - "Liliputaner", z.B. beschrieben in der Geschchte von Wolfdietrich Schnurre "Laterne, Laterne", in der eine Gruppe Liliputaner, die in einem Berliner Zirkus arbeiten, gerettet wird, indem sie ins Ausland ausreisen können. (In: W.Sch.: Als Vater sich den Bart abnahm. Berlin 1995. S. 177ff.)
Aber natürlich auch (möglichst kurze) Geschichten aus Ghettos oder KZs, z.B. Ida Finks Erzählung "Der Verrückte" (aus: I.F.: Eine Spanne Zeit. Unionsverlag).
Ebenso Kurzgeschichten wie Elisabeth Langgässer "Saisonbeginn".

Wer solche Texte sucht - z.B. für den Unterricht in den Schule oder in Gruppen, kann von mir weitere Hinweise und Ausdrucke erhalten.
Ich bin für jeden neuen Hinweis auf Erzählungen zur NS-Vergangenheit in Deutschland dankbar.

(Internet-Tipp: https://www.reyntjes.de)


Nuxel antwortete am 06.05.02 (14:23):

Meine ganz persönliche Meinung zu diesem grauenvollen Thema:

Sprecht und schreibt nicht mehr darüber!

Denkt auch mal an all die Greuel,die tagtäglich von den Betroffenen erlebt werden müssen!

Warum wird darauf nicht mehr hingewiesen oder :EINGEWIRKT?!
Da ist Handlungsbedarf! Und zwar weltweit!

Nuxel


schorsch antwortete am 06.05.02 (17:38):

Durch Schweigen löst man keine Probleme - und man macht keines ungeschehen.

Schorsch


Nuxel antwortete am 06.05.02 (19:44):

Hallo,Schorsch
das weiß ich auch!!
Keine Wunde kann heilen,wenn immer wieder darin gebohrt wird!

Wer z.B.erwähnt heute noch die unendlichen Leiden durch die Sklaverei

und was ist mit dem verflixten Rassismus?

Was mit den immer grausamer werdenden Kriege überall?

Wer erwähnt die Bombennächte des letzten Krieges immer wieder?
Denk z.b. an Dresden-haben da keine Menschen qualvoll sterben müssen?

Es gäbe noch sehr viel mehr anzuführen!

Statt die Greueltaten der Vergangenheit immer wieder aufs Neue zu beschreiben sollten wir uns bemühen,die Gegenwart
für die Zukunft zu verbessern!

Nuxel


Nuxel antwortete am 06.05.02 (19:49):

Hab gerade nochmal den Titel gelesen:

"Holocaust-Erzählungen" ERZÄHLUNGEN

Berichte über diesen entsetzlichen Teil in der deutschen Geschichte kann man doch nicht mit :
Erzählungen
weitergeben

meint Nuxel


info antwortete am 06.05.02 (20:15):

Man kann über ein Thema berichten und man kann davon erzählen. Der Unterschied ist formal und enthält keine Wertung.


webmaster antwortete am 07.05.02 (08:28):

Aud Wunsch der Schreiberin wurden einige Beiträge gelöscht und ein dann in der Luft hängender Beitrag einer anderen Autorin auch.


Karl antwortete am 07.05.02 (08:35):

Nur die Erinnerung an das Grauen kann uns davor bewahren, dass sich (Denk-)Strukturen, die solches ermöglicht haben, nochmals entwickeln.


Geli antwortete am 07.05.02 (08:57):

@ webmaster

Ja, so finde ich es gut: eine kurze Mitteilung, wenn was gelöscht wurde (könnte man ja vielleicht auch "automatisieren"!?) ! Manchmal hat man ja den Eindruck, daß da was gelöscht wurde, wenn die Beiträge nicht ganz zusammenpassen (allerdings nicht immer nur, weil was gelöscht wurde ;-))) )


schorsch antwortete am 07.05.02 (09:07):

Für Nuxel

Es gibt keine Zukunft ohne die Vergangenheit....
und:
Nur wer die Vergangenheit kennt ist befugt, darüber zu urteilen.
Nach dem Verheilen einer Wunde bleibt eine Narbe. Sie erinnert uns bei Wetterwechsel manchmal schmerzhaft an die Wunde. Manchmal ist das hilfreich - weil man dann den damaligen Fehler, der zu der Wunde geführt hat, (vielleicht) nicht mehr macht.

Schorsch


schorsch antwortete am 07.05.02 (09:10):

Aber eigentlich haben wir damit das eigentliche Thema "Kunst/Literatur" verlassen. Sorry!

Schorsch


Nuxel antwortete am 07.05.02 (11:50):

@Schorsch

unter Kunst/Literatur wurde das diskutierte Thema eingesetzt.
Insofern hast Du recht,wenn wir uns entfernt haben.
Aber,wo bitte sollen wir den Verbindungdpunkt setzen,wenn wir meinen,zum Thema etwas sagen zu müssen?
Natürlich gibt es keine Zukunft ohne Vergangenheit,nicht mal die Gegenwart!
Von Narben und ihren -nicht nur-wetterwechselbedingten
(entsetzliches Wort)Schmerzen weiß ich allzu gut.
Aus gemachten Fehlern lernen: ja!
Um zur Literatur zurückzufinden: ich meine,es ist genügend über Holocaust geschrieben worden.
Eine Wunde heilt nicht schneller und keine Narbe
wird unsichtbar,wenn man immer wieder daran reibt!
Trotz reichlich vorhandener Literatur wird doch in aller Welt weitergemordet.
Diejenigen,die es lesen SOLLTEN,tun es nicht-oder sie handeln trotzdem.
Und wir,die sich schämen, zu dem Volk zu gehören,das diese unsäglichen Greueltaten verübt hat,haben ausreichend Material,darüber zu lesen!Unser eigenes Entsetzen ist unbeschreiblich--das meine ich wörtlich!


Ursula J. antwortete am 07.05.02 (15:29):

Die Opfer und deren Nachkommen hätten das Recht zu sagen:
"Sprecht und schreibt nicht mehr darüber!" Aber nicht wir, die leider das Volk der Täter sind.


Nuxel antwortete am 07.05.02 (16:38):


Leider sind wir das "Volk der "Täter"
Aber nicht wir persönlich haben so schwere Schuld auf uns geladen,ja nicht einmal davon gewußt.
Es dauert uns unendlich,welchen Qualen und Leiden soviele Menschen ausgesetzt waren und auf unvorstellbare Weise um ihr Leben gebracht worden sind!

Wir können-leider-gar nichts rückgängig machen!
Auch nicht,indem immer wieder aufs Neue darüber geschrieben wird.

Es muß doch irgendwann mal ein Ende haben,daß wir uns schuldig fühlen,daß wir immer wieder durch neue Literatur
darauf hingewiesen werden.

Die Generation,die dieser Zeit zugehörig ist,lebt entweder nicht mehr,oder nicht mehr lange.

Jeder Verbrecher bekommt nach Verbüßung seiner Strafe -so sie nicht lebenslänglich ist,die Möglichkeit,sich in der Gesellschaft wieder in irgendeiner Weise zu integrieren.
Das geht nur,wenn man ihm seine Taten nicht immer wieder neu zur Last legt.

Kein Volk auf der ganzen Welt verhält sich so,wie das Deutsche!
Keines weist immer wieder auf seine schwere Schuld z.B.
auf geführte Kriege,Bombenangriffe,andere Greueltaten.

Und das Volk,das durch verabscheuungswürdige
Sadisten und Rassenfanatiker leiden mußte: ist selbst nicht in der Lage,in Frieden zu leben.

Irgendwann haben doch auch "wir Deutsche" das Recht,ohne uns immer wieder selber anklagen zu müssen,vergangenem
Geschehen seinen Platz in der Geschichte einzuräumen.

Ohne weitere Literatur,die so grauenvoll zu lesen ist.


Karl antwortete am 07.05.02 (18:34):

Die Vergangenheit muss verarbeitet werden, nur dann wird sie überwunden. Verdrängen ist ein Fehler und Augen zu, weil unangenehm, hilft nicht weiter.


Gila antwortete am 07.05.02 (19:43):

@ Nuxel

Jeder hat das Recht auf seine Meinung. Du hast deine, ich habe eine andere. Ich fühle mich keineswegs "schuldig" (gehöre zur Nachkriegsgeneration). Wenn ich zur Kriegsgeneration gehören würde, käme es wohl auf meine damalige Einstellung oder mein Handeln an, ob ich mich schuldig fühlen müsste. Das kann wohl nur jeder für sich persönlich mit seinem Gewissen ausmachen.

Ich denke, das Thema "Kollektivschuld der Deutschen" ist bzw. sollte vom Tisch sein. Keiner - weder die Überlebenden des Holocaust noch deren Nachkommen - verlangt von uns, dass wir uns immer wieder selber anklagen, dass wir uns verantwortlich fühlen für die Verbrechen der Nazis.

Es gibt jedoch eine Verantwortung der nachgeborenen Generationen für die Gestaltung der Zukunft in Kenntnis der Vergangenheit. Und Kenntnis kann ich nur erlangen, wenn das Thema nicht ad acta gelegt bzw. verdrängt wird. Die Generation unserer Eltern und Großeltern, die noch persönliche Erfahrungen weitergeben konnte, stirbt langsam aus. Aber die Erinnerung daran muss weiterleben, damit wir und unsere nachfolgenden Generationen Sorge tragen, dass es nie wieder zu solchen Gräueltaten kommt. Insofern halte ich literarische Zeugnisse – seien es Berichte oder Erzählungen etc. – für unverzichtbar.

Wenn wir uns Politiker wie Le Pen, Haider, Schill und Konsorten anschauen, kann es gar nicht genug Literatur geben, und sei es nur, um zu warnen.....

Gila


@ Antonius

Ich habe als Kind von meinem Vater ein Buch geschenkt bekommen, das noch heute in Griffweite in meinem Bücherschrank steht. "Sternkinder" von Clara Asscher-Pinkhof. Vielleicht kennst du es. Angeregt durch deine Anfrage habe ich mal im Internet gesucht und einen Link zur Autorin und dem Buch gefunden.

https://www.goethe.de/os/hon/naz/deass.htm

Die fallen mir noch spontan ein:
Hans Peter Richter "Damals war es Friedrich"
Sulamith Ish-Kishor "Der rote Sabbat" oder Ein Junge aus dem alten Prag"
Das Tagebuch des David Rubinowicz

Hier noch ein interessanter Link zu
Artur Sandauers Erzählungen «Der Tod eines Liberalen»

Gruß
Gila

(Internet-Tipp: https://www.goethe.de/os/hon/naz/deass.htm)


Gila antwortete am 07.05.02 (19:49):

Tschuldigung, das war der Link zu "Sternkinder".

Hier zu Sandauer:

(Internet-Tipp: https://www.nzz.ch/2001/03/13/fe/page-article78UEZ.html)


Antonius Reyntjes antwortete am 07.05.02 (21:11):

Dank an Schorch, Gila und Karl. Ohne dass ich es wollte, habe ich eine Diskussion über Kollektivschuld o.ä. (einen Begriff, den selbst Thomas Mann nicht, wohl aber seine Tochter Erika M., benutzte, ausgelöst. Was ich meinte, ist z.B. von E. Langgässer gscheriben worden; eine Geschichte, die auf Vorkommnisse um ihre Tochter Cordelia (eine Halbjudin) ausgelöst wurde. Das Mädchen musste den Höllenweg nach Ausschwitz mitmachen, überlebte im Block des KZ-Arztes Mengele (!)und kämpfte Jahrzehnte gegen ihre eigene Mutter, bis sie sich versöhnen konnten; nachzulesen bei C. Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer. dtv 11115.
Also hier:
Elisabeth Langgässer: Saisonbeginn (hier gekürzt)

Die Arbeiter kamen mit ihrem Schild und einem hölzernen Pfosten, auf den es genagelt werden sollte, zu dem Eingang der Ortschaft, die hoch in den Bergen an der letzten Paß-kehre lag. Es war ein heißer Spätfrühlingstag, die Schnee-grenze hatte sich schon hinauf zu den Gletscherwänden gezogen. Überall standen die Wiesen wieder in Saft und Kraft; die Wucherblume verschwendete sich, der Löwen-zahn strotzte und blähte sein Haupt über den milchigen Stengeln; Trollblumen, welche wie eingefettet mit gelber Sahne waren, platzten vor Glück, und in strahlenden Tümpeln kleinblütiger Enziane spiegelte sich ein Himmel von unwahrscheinlichem Blau. Auch die Häuser und Gasthöfe waren wie neu: ihre Fensterläden frisch angestrichen, die Schindeldächer gut ausgebessert, die Scherenzäune ergänzt. Ein Atemzug noch: dann würden die Fremden, die Som-mergäste, kommen - die Lehrerinnen, die mutigen Sachsen, die Kinderreichen, die Alpinisten, aber vor allem die Auto-besitzer in ihren großen Wagen ... Röhr und Mercedes, Fiat und Opel, blitzend von Chrom und Glas. Das Geld würde anrollen. Alles war darauf vorbereitet. Ein Schild kam zum andern, die Haarnadelkurve zu dem Totenkopf, Kilometer-schilder und Schilder für Fußgänger: Zwei Minuten zum Café Alpenrose. An der Stelle, wo die Männer den Pfosten in die Erde einrammen wollten, stand ein Holzkreuz, über dem Kopf des Christus war auch ein Schild angebracht. Seine Inschrift war bis heute die gleiche, wie sie Pilatus entworfen hatte: J. N. R. J. - die Enttäuschung darüber, daß es im Grund hätte heißen sollen: er behauptet nur, dieser König zu sein, hatte im Lauf der Jahrhunderte an Heftigkeit eingebüßt. Die beiden Männer, welche den Pfo-sten, das Schild und die große Schaufel, um den Pfosten in die Erde zu graben, auf ihren Schultern trugen, setzten alles unter dem Wegekreuz ab; der dritte stellte den Werkzeugkasten, Hammer, Zange und Nägel daneben und spuckte ermunternd aus.
(...)
Dieser Vorschlag, von dem Mann mit den Nägeln und dem Hammer gemacht, fand Beifall. Die beiden anderen luden von neuem den Pfosten auf ihre Schultern und schleppten ihn vor das Kreuz. Nun sollte also das Schild mit der Inschrift zu dem Wegekreuz senkrecht stehen; doch zeigte es sich, daß die uralte Buche, welche gerade hier ihre Äste mit riesiger Spanne nach beiden Seiten wie eine Mantelma-donna ihren Umhang entfaltete, die Inschrift im Sommer verdeckt und ihr Schattenspiel deren Bedeutung verwischt, aber mindestens abgeschwächt hätte.
Es blieb daher nur noch die andere Seite neben dem Herren-kreuz, und da die erste, die in das Pflaster der Tankstelle überging, gewissermaßen den Platz des Schächers zur Lin-ken bezeichnet hätte, wurde jetzt der Platz zur Rechten gewählt und endgültig beibehalten. Zwei Männer hoben die Erde aus, der dritte nagelte rasch das Schild mit wuchtigen Schlägen auf; dann stellten sie den Pfosten gemeinsam in die Grube und rammten ihn rings von allen Seiten mit größeren Feldsteinen an.
(....)
Auch der sterbende Christus, dessen blasses, blutüberron-nenes Haupt im Tod nach der rechten Seite geneigt war, schien sich mit letzter Kraft zu bemühen, die Inschrift aufzunehmen: man merkte, sie ging ihn gleichfalls an, wel-cher bisher von den Leuten als einer der ihren betrachtet und wohl gelitten war. Unerbittlich und dauerhaft wie sein Leiden, würde sie ihm nun für lange. Zeit schwarz auf weiß gegenüberstehen.
Als die Männer den Kreuzigungsort verließen und ihr Handwerkszeug wieder zusammenpackten, blickten alle drei noch einmal befriedigt zu dem Schild mit der Inschrift auf. Sie lautete: »In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.«
(Aus: E.L.: Saisonbeginn. Erzählungen. RUB 7723. S. 3ff.)
(Eine Geschichte, die ich auch schon mal als Abituraufgabe eingesetzt habe...)

(Internet-Tipp: https://news@shoa.de )