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THEMA:   Gedichte Kapitel 18

 136 Antwort(en).

admin begann die Diskussion am 30.09.01 (12:27) mit folgendem Beitrag:

eva antwortete am 30.09.01 (11:45):

Wo sind denn die Teilnehmer des Gedichtforums geblieben ??
Es darf doch nicht sein, dass unserer Kriegsgeneration durch
den Terroranschlag alle Lebensfreude genommen wurde !! Ich
habe für diesen Nebelsonntag ein Gedicht von Theodor STORM
ausgewählt (der es in seinem Leben auch nicht leicht hatte,
die "gute alte Zeit" gab es nie !!), und ich hoffe, es ist
der Beginn neuer Aktivität :


Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk´ ein den Wein, den holden !
Wir wollen uns den grauen Tag
vergolden, ja vergolden !

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt,die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich !

Und wimmert auch einmal das Herz, -
Stoß an und laß es klingen !
Wir wissen doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk´ ein den Wein, den holden !
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden !

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen !
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen !


admin antwortete am 30.09.01 (12:45):

Kapitel 17 ist unter
/seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a171.html archiviert.

(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a171.html )


A la votre! antwortete am 30.09.01 (13:55):

A la votre!


So trolln wir uns ganz still und sacht

von Weingelag und Bratenschmaus.

Ja wenn Dir der Tod sagt : Gute Nacht

Dein Stundenglas rinnt aus.


Ja wer heut noch frech den Schnabel wetzt

und meint ein großer Herr zu sein,

ja paß auf, der Schreiner hobelt schon

auch jetzt an Deinem Schrein.


Scheint das Grab Dir tief und dumpf sein Druck,

A la votre, ja so nimm noch einen Schluck.

Einen oder zwei, oder auch drei

Dann stirbst Du sorgenfrei.


...

Doch was hilfts, wenn Du vor Wut ausspuckst,

dem Tod ist keine Münze feil.

Denn von jedem Schlückchen das Du schluckst,

hat schon der Wurm sein Teil.


Ob niedres Pack, ob hohe Herrn,

am Ende sind wir Brüder doch.

Dann scheint der gleiche Abendstern

Ins selbe finstre Loch.


Scheint das Grab Dir tief und dumpf sein Druck

A la votre so nimm noch einen Schluck

Einen oder zwei, oder auch drei

Und vielleicht... ja vielleicht stirbst Du dann sorgenfrei


sieghard antwortete am 30.09.01 (19:48):


Engel

Ich drehe mich im Kreis,
Ich stecke fest
In meinen Gedanken.
Sie schnüren mir
den Atem zu.

Ich bin voller Sorgen,
Sehe keinen Ausweg,
Komme nicht mehr los
Von mir.

Ich wünsche mir Glück
Und ich finde nichts
als Schillernde Seifenblasen

Ich versuche vorsichtig
Einen Gedanken an Gott
Vielleicht er?
Ich versuche es:
Vielleicht DU?

Und es geschieht
Und die Schnüre lösen sich
Und die Sorgen entsorgen sich
Und das Schwere wird leicht
Und der Horizont öffnet sich

Und das Glück ist ein Engel,
Der mich beflügelt.

.


Brita antwortete am 30.09.01 (21:25):

Von zwei Rosen...

Von zwei Rosen
duftet eine
anders, als die
andre Rose.

Von zwei Engeln
mag so einer
anders, als der
andre schön sein.

So in unzähl-
baren zarten
Andersheiten
mag der Himmel,

mag des Vaters
Göttersöhne-
reich seraphisch
abgestuft sein...

Christian Morgenstern


Heidi antwortete am 01.10.01 (11:25):

zum wiederholten Male und aktueller als je zuvor , obwohl - manchmal muss man 1 oder 2 Schritte rückwärts gehen um weiter zu kommen.
Ich wünsche allen einen schönen Oktober!

Oktober


Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Was vorüber schien, beginnt.
Chrysanthemen blühn und frieren.
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Und du folgst ihr wie ein Kind.


Geh nur weiter. Bleib nicht stehen.
Kehr nicht um, als sei´s zuviel.
Bis ans Ende mußt du gehen.
Hadre nicht mit den Alleen.
Ist der Weg denn schuld am Ziel?

Geh nicht wie mit fremden Füßen,
und als hätt'st du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Laß den Herbst nicht dafür büßen,
daß es Winter werden wird.

An den Wegen, in den Wiesen
leuchten, wie auf grünen Fliesen,
Bäume bunt und blumenschön.
Sind's Buketts für sanfte Riesen?
Gehn nur weiter. Bleib nicht stehn.

Blätter tanzen sterbensheiter
ihre letzten Menuetts.
Folge folgsam dem Begleiter
Bleib nicht stehen. Geh nur weiter.
Denn das Jahr ist dein Gesetz.

Nebel zaubern in der Lichtung
eine Welt des Ungefährs.
Raum wird Traum. Und Rauch wird Dichtung.
Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung.
»Stirb und werde!« nannte er's

Erich Kästner


KarinD antwortete am 01.10.01 (16:00):

Schön, liebe Heidi! Genau - so ist es......
Ich schließe mich dem Herbst an :-) STORM haben wir ja hier schon, also:

Herbst

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.

(Nikolaus Lenau)

Grüße an alle, KarinD.


KarinD antwortete am 01.10.01 (16:36):

Hallo,

Willy Schneider hat folgendes mal gesungen:

Wenn auch der Sommer vergeht
blühen noch Rosen
wenn man auch älter schon wird
lacht noch das Glück.

------------------
Weiß hier vielleicht jemand, wie das ganze Lied geht? Das wäre sehr schön... Hab's nirgendwo sonst gefunden.

Gruß von Karin.


Brita antwortete am 01.10.01 (17:05):

Sommerbild

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schaudernd im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.

Friedrich Hebbel


sieghard antwortete am 01.10.01 (18:23):


Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so im Wandern mit,
Auf dass es einst mir möge sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

[Theodor Storm]

.


Herbertkarl Huether antwortete am 01.10.01 (20:42):


unheil

knaeuel von ideen
gesammelter absurditaeten
haengen wie ein wolke
vorm stern solltemalanderswerden

blitze aus dem chaos
schluende tun sich auf
seinem urheber selbst zu verschlingen
wahnwitz sich zu wehren

wenn das grosse feuer kommt
verbrennen gebirge
tosen die winde
aechzen menschenleiber

geheul wie aus dem
vorhof der hoelle
gewalt gebiert gewalt
frieden ist einhalten

so kommt stahl auf stahl
blut auf blut
aufgerissene leiber
traenken den boden

kein gewissen dem ganzen
unaufhoerlich weitergehend
sich wiederholend in den zeiten
ist nicht das letzte mal

hkh


Heidi Lachnitt antwortete am 01.10.01 (22:52):

"..
sich wiederholend in den zeiten
ist nicht das letzte mal"



Auf einmal aber kommt ein großes Sterben ...
Oktober 1911

Auf einmal aber kommt ein großes Sterben.
Die Wälder rauschen wie ein Feuermeer
Und geben alle ihre Blätter her
Die in dem leeren Luftreich blind verderben.


Die Tiere schreien in dem kalten Neste.
Die Raben steigen in die Abendröte.
Und plötzlich darret trocken das Geäste.


Die Schiffer aber fahren trüb im Ungewissen,
Auf grauem Strom die großen Kähne treibend
In schiefen Regens matten Finsternissen.


Durch leerer Brücken trüben Schall, und Städte
Die hohl wie Gräber auseinanderfallen,
Und weite Öden, winterlich verwehte.


Kurz ist das Licht, das Stürme jetzt verdecken.
Und immer knarren laut die Wetterfahnen
Die rostig in den niedern Wolken stecken.


Und viele Kranke müssen jetzt verenden,
Die furchtsam hüpfen in den leeren Zimmern,
Zerdrückt im Leeren von den hohen Wänden.

Georg Heym


Heidi antwortete am 01.10.01 (22:54):

Themawechsel :-)

Ode auf die Lässigkeit
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht
I
Drei Wesen konnt ich eines Morgens sehn,
Gebeugt, halb abgekehrt und Hand in Hand,
Und heiter nach und nach vorübergehn,
In leichten Schuhn und weißem Schmuckgewand;
Sie schwanden, wie Figurn im Marmorglanz
Auf Urnen, die man vor den Augen dreht;
Sie kamen neu - als sei das Drehn vollführt
Und zeige die Gestalten wieder ganz;
Und fremd warn sie mir, wie’ s wohl dem ergeht
Mit Vasen, der an Phidias’ Künsten rührt.

II
Was hab ich, Schatten! euch nur nicht erkannt?
Was kamt ihr so maskiert und stumm verhüllt?
Habt ihr im stillen tief-verkappt geplant,
Ihr stehlt euch fort, daß meinen Tag nichts füllt
Als Trägheit? Reif war diese Stunde Schlaf;
Vor selger Sommerlässigkeit mein Blick
Ganz starr; mein Puls verflachte mehr und mehr;
Kein Schmerz, der stach, kein Glück, das Blumen warf:
O, warum wicht ihr nicht, ließt mich zurück
Und meinen Sinn, erfüllt von Nichts nur - leer?

III
Ein drittes Mal noch zogen sie vorbei
Und wandten sich mir zu in dem Moment;
Da brannte ich auf Flügel, diesen drei
Zu folgen, denn sie waren mir nicht fremd:
Erst kam das hübsche Kind, das Liebe heißt;
Dann kam der Ehrgeiz, blaß und abgezehrt
Und müden Augs, doch schlafend nie;
Zuletzt, mir mehr lieb, je mehr Schmach ihr Geist
Erträgt, Elfe am ehesten entehrt -
Sah ich meine Dämonin Poesie.

IV
Sie schwanden - wahrlich! Flügel wollte ich.
O Torheit! Liebe - was ist sie! und wo?
Und Ehrgeiz - dieser kurze Fieberstich,
Der eines Menschen kleinem Herz entfloh.
Dann Poesie! - nein, nichts, das sie besitzt -
Für mich niemals - vom Schlaf im Mittagslicht,
Vom Abend, süß durchtränkt mit Lässigkeit.
O, eine Zeit, vor Plagen so geschützt -
Ich wüßte, wie die Monde wechseln, nicht
Und wäre taub für rege Nüchternheit!

V
Ein drittes Mal kamen sie - ach! warum?
Mit trüben Träumen war mein Schlaf bestickt;
Der Rasen meiner Seele war rundum
Mit Blumen, Licht und Schattenspiel geschmückt;
Bewölkt der Morgen, doch nicht regennaß,
Nur seine Augen tränten süß vom Mai;
Durchs Fenster, in das knospend Wein sich brach,
Kam warmer Duft und Drossels Lied herbei -
O Schatten! Zeit, Lebwohl zu sagen, war’s!
Nicht eine Träne weinte ich euch nach.

VI
Darum adieu, ihr Geister! Für euch fährt
Mein Haupt nicht auf vom kühlen Bett im Gras;
Denn ich will nicht, daß man mit Lob mich nährt,
Ein Schoßlamm in einer gefühlvollen Farce!
Weicht meinem Blick und setzt ein weitres Mal
Das Maskenspiel auf diesem Traumkrug fort.
Lebt wohl! Visionen nachts hab ich schon meist
Und zarte für den Tag in großer Zahl.
Verlaßt, Phantome! meinen trägen Geist,
Fort in die Wolken, und bleibt ewig dort!

John Keats


KarinD antwortete am 02.10.01 (07:51):

Das Geheimnis der Blüte

Kennst du die Tage und die Stunden,
in denen Trübsal dich erdrückt
und dadurch alle offnen Wunden
zum Mittelpunkt des Daseins rückt ?

Dann denkst du nicht an Herzensfrieden,
an Gott und seinen Schöpfungstraum,
Du gärst in Kesseln, die noch sieden
vor Lebensfrust und Zweifelsschaum.

Doch es gibt Wege zum Entkommen
aus Düsternis und Schmerzensweh'n
Du hast zum Teil sie schon erklommen.
wenn du beschließt, zum Wald zu geh' n.

Stell dich an den Waldesrand
und werfe allen Seelenschmerz,
der dich an dein Leiden band,
in aller Elfen Mitleidsherz.

Dann sieh in eine Blumenblüte
und öffne jeden Sinn dafür,
dass Gottes unfassbare Güte
sich offenbart durch diese Tür.

Wenn jetzt Vertrauen prägt dein Sein,
wird alles weitere gescheh' n.
Du gehst den Schritt zu Gott hinein,
doch Er kommt dir entgegen zehn.

Die Folge ist, dass alle Freude,
die diese Blüte dir geschenkt,
in dir beginnt zu wachsen heute
und auch dein Leben sinnvoll lenkt.

(Hans Peter Neuber)


Hanna antwortete am 02.10.01 (10:41):

Danke für viele schöne gedichte und mit ihnen viele Erinnerungen.
Ein Gedicht von Hilde Domin

Ein blauer Tag

Ein blauer tag
Nichts Böses kann dir kommen
aneinem blauen Tag.
Ein blauer Tag
die Kriegserklärung.
Die Blumen öffneten ihr Nein
die Vögel sangen Nein,
ein König weinte.
Ein blauer tag
und doch war Krieg.

Gestorben wird auch an blauen Tagen
bei jedem Wetter.
Auch an blauen Tagen wirst du verlassen
und verläßt du,
begnadigst nicht
und wirst nicht begnadigt.
Auch an blauen Tagen
wird nichts zurückgenommen.
Niemand kann es glauben:
Auch an blauen Tagen
bricht das Herz.

Gruß an alle HANNA


sieghard antwortete am 02.10.01 (22:46):


Mondesaufgang

An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch über mir, gleich trübem Eiskristalle,
Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
Der See verschimmerte mit leisem Dehnen,
Zerflossne Perlen oder Wolkentränen?
Es rieselte, es dämmerte um mich,
Ich wartete, du mildes Licht, auf dich.

Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;
Im Laube summte der Phalänen Reigen,
Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,
Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern seliger Vergangenheit.

Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein -
Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein?
Sie drangen ein, wie sündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu schwanken,
Verzittert war der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne auf den Grund gesunken,
Nur Bergeshäupter standen hart und nah,
ein düstrer Richterkreis, im Düster da.

Und Zweige zischelten an meinem Fuß
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
Ein Summen stieg im weiten Wassertale
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsse etwas Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.

Da auf die Wellen sank ein Silberflor,
Und langsam stiegst du, frommes Licht, empor;
Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte Greise,
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimaltlampe Schein.

O Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,
Bist keine Sonne, die entzückt und blendet,
In Feuerströmen lebt, im Blute endet -
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.

[Droste 1797 - 1848]

.


Heidi antwortete am 02.10.01 (23:05):

Abendlich schon rauscht der Wald
Aus den tiefsten Gründen,
Droben wird der Herr nun bald
An die Sternlein zünden.
Wie so stille in den Schlünden,
Abendlich nur rauscht der Wald.


Alles geht zu seiner Ruh.
Wald und Welt versausen,
Schauernd hört der Wandrer zu,
Sehnt sich recht nach Hause.
Hier in Waldes stiller Klause,
Herz, geh endlich auch zur Ruh.

Joseph von Eichendorff


Gute Nacht! :-)


Luzia antwortete am 03.10.01 (00:12):

N a c h t

Nacht ist schon hereingesunken,
schließt sich heilig Stern an Stern,
große Lichter, kleine Funken
glitzern nah und glänzen fern;
glitzern hier im See sich spiegelnd,
glänzen droben klarer Nacht,
tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
herrscht des Mondes volle Pracht.

Goethe

Allen eine angenehme Nachtruhe.


Rosmarie Vancura antwortete am 03.10.01 (01:45):


Eine Welt in der Welt
______________________

Es gibt eine Welt
in der Welt,
die ganz anders ist.

In sie hineinzuwachsen,
um mehr und mehr
ein Teil von ihr zu werden,
ist das schönste Bild des Lebens,
das ich mir machen kann -
zu malen mit in den Farben
der Liebe und Verzauberung
auf der Leinwand des Vertrauens.

Hans Kruppa

Ich wünsche Euch alle, dass Ihr Euch verzaubern lässt....


Brita antwortete am 03.10.01 (08:53):

...vielen Dank für die lieben Abend-, Nacht- und Zaubergrüße, ein neuer Tag beginnt so wunderschön....

Spätsommer

Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag
Voll süßer Warme. Über Blumendolden
Schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag
Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.

Die Abende und Morgen atmen feucht
Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau.
Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht
Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau.

Eidechse rastet auf besonntem Stein,
Im Blätterschatten Trauben sich verstecken.
Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein
In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken.

So wiegt sich manchmal viele Takte lang
Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt,
Bis sie erwachend sich dem Bann entrang
Zurück zu Werdemut und Gegenwart.

Wir Alten stehen erntend am Spalier
Und wärmen uns die sommerbraunen Hände.
Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende,
Noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier.

Hermann Hesse


sieghard antwortete am 03.10.01 (16:44):


Mondnacht

Leise naht die Nacht...
Sieh nur, wie sie sacht
sich vom Himmel neigt,
wie der Mond auf Seidenschuhen
von den Bergen, die schon ruhen,
sanft herniedersteigt,

Dort am Kirchendach,
hier in Teich und Bach
blitzt sein Lächeln auf;
unter heimlichem Geläute
führt er weiße Nebelbräute
hoch den Hang hinauf.

Weithin ausgespannt,
über Fluss und Land
ist nun seine Flut -
alle drin vergehen müssen,
die, von seinen Silberküssen
trunken, ausgeruht.

Roderich Menzel
.


Anne 3.10.01 16.55 antwortete am 03.10.01 (16:56):

Herbsttag

Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein,
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süsse in den Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke


Rosmarie S antwortete am 03.10.01 (17:36):

Lieber Sieghard und alle anderen lieben Fleißigen,

für dein langes Gedicht "Mondesaufgang" möchte ich mich besonders bedanken. Ich habe mal in dem Turmzimmer der Meersburg hoch über dem Bodensee gestanden, in dem dieses Gedicht entstanden ist. Ich war damals von der relativ einfachen Ausstattung der Wohnräume und besonders des Schlaf- und Sterbezimmers von Anette von Droste-Hülshoff angerührt.
Auch über die wunderschönen anderen Gedichte von Eichendorff, Goethe, Hesse, Menzel und Rilke habe ich mich sehr gefreut. Ich genieße diese Art von Gedichten ganz besonders! Danke!

Rosmarie


Heidi antwortete am 03.10.01 (23:51):

Nachdenkliches zur Nacht (gerade von einem guten Freund erhalten)



Im Herbst

Der Herbst sich anschickt dieses Jahr
Früh, kalte Winde wehen.
Sie treiben vor sich eine Schar
von Blättern, die fallend noch im Kreis sich drehen.

Das fahle Laub, vom Baum gerissen,
weiß nicht wohin, liegt überall verstreut.
Die frühere grüne Pracht ist arg zerschlissen.
Und noch ein Wind. Die Blätter heben sich erneut.

Und werden weggekehrt in irgendwelche Ecken
mit einigem Geschick.
Man meint, man müßte sie verstecken.
Zumindest für den Augenblick

sind sie jetzt nicht mehr Blätter,
die sich dreh'n.
Doch kommen neue Winde mit dem Wetter,
die wieder Blätter von den Bäumen weh'n.

Es werden mehr.
Sie tanzen taumelnd einen Reigen.
Sie jetzt zu packen wird sehr schwer.
Sie sind recht viele. Ihr'n Übermut sie gerne zeigen.

Sie gehen vor, und gehen gleich darauf zurück.
Sie sind nicht wiederzuerkennen.
Sie spielen lachend in dem dargebotenen Stück,
und rennen

dem Wind davon.
Und bleiben dann ermattet liegen,
um gleich darauf schnell aufzuspringen. Schon
haben sie gelernt, in Formation zu fliegen.

Ein Kampf entbrennt. Das Urteil ist gefällt:
Man will sie fangen.
Sie wehren sich. Sie sind sehr stark. Geschickt. Gestählt.
Wir schauen zu. Und hoffen. Andere bangen.

wml


KarinD antwortete am 04.10.01 (14:07):

Nur einen "kleinen" Goethe :-))

Die ganze Natur ist eine Melodie,
in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.
Die Natur schafft ewig neue Gestalten;
Was da ist, war noch nie,
was da war - kommt nicht wieder -
alles ist neu und dennoch immer das Alte.

(J.W. von Goethe)


sieghard antwortete am 04.10.01 (23:09):


Es ist seltsam mit dem Alter,
wenn man zehn und noch ein Kind,
weiß man glasklar, dass das Alter
so um zwanzig rum beginnt.

Ist man aber selber zwanzig,
denkt man nicht mehr ganz so steif,
glaubt jedoch, genau um vierzig
sei man für den Sperrmuell reif.

Vierziger, schon etwas weiser
und vom Leben schon geprägt,
haben den Beginn des Alters
auf Punkt sechzig festgelegt.

Sechziger, mit Hang zum Grübeln
sagen dumpf wie ein Fagott,
achtzig sei die Altersgrenze
und von da an sei man Schrott.

Doch die Achtziger, die Klugen,
denken überhaupt nicht dran.
Jung sind Alle, die noch lachen,
leben, lieben, weitermachen.

Alter...? faengt mit Hundert an.

.


KarinD antwortete am 05.10.01 (07:45):

Feuer unter der Erde

Es ist Feuer unter der Erde,
und das Feuer ist rein.

Es ist Feuer unter der Erde,
und flüssiger Stein.

Es ist ein Strom unter der Erde,
der strömt in uns ein.

Es ist ein Strom unter der Erde,
der sengt das Gebein.

Es kommt ein großes Feuer,
es kommt ein Strom über die Erde.

Wir werden Zeugen sein.

(Ingeborg Bachmann)


Brita antwortete am 05.10.01 (21:44):

...wünsche eine gute Nacht...

Der unsichtbare Steuermann

Es gleitet des Lebens Nachen
weglos im Nebelgrau.
Ob wir träumen oder wachen, keiner weiß es genau.
Die wütende Woge brandet
brüllend um Bug und Kiel.
Keiner weiß, wo er landet, keiner kennt das Ziel.
Bis wir in Nacht und Grauen,
wind- und wetterumweht,
mit Augen der Ewigkeit schauen
Den, der am Steuer steht.

Manfred Kyber


Herbertkarl Huether antwortete am 05.10.01 (22:34):


gewissenlos


gewissenlos der gesang enthalster schwaene
des federkleids beraubter beine
des bleiernen windes
aus rotost

hurtige spaene kuehlen
das eisige feuer ohne glut
raum nimmt zukuenftige zeit
in geistlicher klage

katzentisch in der
buehne des saals
lianen geschmeidig vom boden herab
eisberge auf olivenoel

geduenstete paletten
angehaeufter geschmeide
geschmiedet vom geist
mirgehtesimmernochgut

granataepfel zerschossener gedanken
aus weh und fernweh
gruene karoffeln der geistigen garbe
unkraut am wegesrand
immernurweiter

stiebende lohe vom
gebratenen schnee
der verlorenen vergangenheit
schnuersenkel vom schuh
wirstdumichweiterhintragen

hkh


Heidi antwortete am 06.10.01 (05:30):

treiben

dem faehrmann
das ruder
aus der hand genommen

treiben zum fernen
ufer schweigen
nachdenken

bis der kurs sich ändert
das boot sinkt
zu schnell

aber
wir können schwimmen

hl


KarinD antwortete am 06.10.01 (08:12):

Letzte Warnung

Wenn wir nicht aufhören
uns mit unseren kleinen
täglichen Sorgen
und Hoffnungen
unserer Liebe
unseren Ängsten
unserem Kummer
und unserer Sehnsucht
zu beschäftigen
dann geht die Welt unter.

Und wenn wir aufhören
uns mit unseren kleinen
täglichen Sorgen und Hoffnungen
unserer Liebe
unseren Ängsten
unserem Kummer
und unserer Sehnsucht
zu beschäftigen
dann ist die Welt untergegangen

(Erich Fried)


Rosmarie S antwortete am 06.10.01 (22:29):

Mit einem herzlichen Gruß in die Runde! Ich wünsche allen einen sonnigen Herbstsonntag!
Rosmarie

Herbst des Jahres - Herbst der Jahre

Du, Erde, trägst die nasse Last des Herbstes,
der Jahre Fülle - reife, lange Zahl.
Du gilbst die Buche – und mein Haar, du färbst es
und bleichst das Morgenlicht in nebelgrau und fahl.

Du dämpfst und dringst mit traurigen Gedanken
mir mitten in die Seele ein,
bringst Baum und Dach bis in das Mark zum Wanken,
wehst tote Blätter über frierendes Gestein.

Doch plötzlich öffnest du den Wolkenhimmel,
blickst blauen Auges in das triste Grau.
Frechkeck geworden dreht der Wind Gewimmel
aus Blättern golden, violett und blau.

Du, Erde, schenkst die Fülle später Jahre,
auch warmer Sonne gold´nen Glanz.
Du senkst ins Herz das Klare und das Wahre
erfüllest dankbar mir die Seele ganz.

rsch


Rosmarie S antwortete am 07.10.01 (09:27):

Guten Morgen miteinander,

etwas zu Heidis und Hans-Jürgens dichterischem Dialog in "Terror - und was nun?":
Ich halte ein Gedicht weit mehr für den Spiegel der Persönlichkeitsstruktur des Dichters als für einen Spiegel der Umwelt.

Hermann Hesse schrieb im dritten Kriegsjahr:

Wenn auch der Abend kalt und traurig ist
und Regen rauscht:
Ich singe doch mein Lied zu deinem Frieden.
Weiß nicht, wer lauscht.

Wenn auch die Welt in Krieg und Angst erstickt,
an manchem Ort
braut heimlich doch, ob niemand sie erblickt,
die Liebe fort.

Allen einen friedvollen Sonntag!
Rosmarie


sieghard antwortete am 07.10.01 (09:36):


Wo ist die Hand so zart, dass ohne Irren
Sie sondern mag beschränkten Hirnes Wirren,
So fest, dass ohne Zittern sie den Stein
Mag schleudern auf ein arm verkümmert Sein?
Wer wagt es, eitlen Blutes Drang zu messen,
Zu wägen jedes Wort, das unvergessen
In junge Brust die zähen Wurzeln trieb,
Des Vorurteils geheimen Seelendieb?
Du Glücklicher, geboren und gehegt
Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt,
Leg hin die Waagschal', nimmer dir erlaubt!
Lass ruhn den Stein - er trifft dein eignes Haupt! -

[Droste]
.


KarinD antwortete am 07.10.01 (12:52):

Der Garten trauert,
Kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert
Still seinem Ende entgegen.

Golden tropft Blatt um Blatt
Nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt
In den sterbenden Gartenraum.

Lange noch bei den Rosen
Bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die (großen)
Müdgewordnen Augen zu.

Hermann Hesse (1877-1962)

Schönen Sonntag Euch allen wünscht Karin.


KarinD antwortete am 08.10.01 (14:20):

Vielleicht Lied des Tages??

Universal Soldier
by Buffy Sainte-Marie
© Caleb Music-ASCAP

He's five feet two and he's six feet four
He fights with missiles and with spears
He's all of 31 and he's only 17
He's been a soldier for a thousand years

He's a Catholic, a Hindu, an atheist, a Jain,
a Buddhist and a Baptist and a Jew
and he knows he shouldn't kill
and he knows he always will
kill you for me my friend and me for you

And he's fighting for Canada,
he's fighting for France,
he's fighting for the USA,
and he's fighting for the Russians
and he's fighting for Japan,
and he thinks we'll put an end to war this way

And he's fighting for Democracy
and fighting for the Reds
He says it's for the peace of all
He's the one who must decide
who's to live and who's to die
and he never sees the writing on the walls

But without him how would Hitler have
condemned him at Dachau
Without him Caesar would have stood alone
He's the one who gives his body
as a weapon to a war
and without him all this killing can't go on

He's the universal soldier and he
really is to blame
His orders come from far away no more
They come from him, and you, and me
and brothers can't you see
this is not the way we put an end to war.

(Gefunden im Netz).

Fragt mich nicht nach einer genauen Übersetzung. Ich kann's auch nur so "gerade eben".

Gruß von Karin.


sieghard antwortete am 08.10.01 (22:37):


Im Oktober

Nun braunt es herbstlich auf den Auen,
den bunten Forst entlaubt der Nord
und schwirrend steuert hoch im Blauen
der Zug der Wandervögel fort.

Geheime Schwermut rieselt bange
mir durch’s Gemüt im Windeswehn –
fahr‘ wohl, mein Wald am Bergeshange!
Und werd‘ ich grün dich wiedersehn?

Ach, sicher trägt der Schwan die Kunde,
wann’s Zeit zu wandern, in der Brust;
doch wer verkündet dir die Stunde,
o Herz, da du von hinnen musst?

[Emanuel Geibel]
.


KarinD antwortete am 09.10.01 (07:38):

Nun gab's auch die Übersetzung zum "Universal Soldier":

Der ewige Soldat

Er ist klein und schwach, er ist groß und stark;
Er kämpft mit Bomben, Colt und Speer,
Ist ein Kerl, ein Supermann, ist blutjung, fast noch ein Twen
Und Soldat seit tausend Jahren und mehr.
Er ist Muselmann, ist Hindu, Buddhist und Atheist,
Ist Jude, Katholik und Protestant.
Und es heißt: Du sollst nicht töten!
In der Bibel, im Koran.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Er kämpft für USA und Vietnam,
Für Kuba, Pakistan, er geht als Söldner in das fernste Land;
Kämpft für China und Formosa, für Franco und de Gaulle.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?

Und er kämpft so für den Westen, für den Osten unentwegt;
Es liegt allein in seiner Hand, ob man Länder ausradiert,
Ob ein ganzes Volk krepiert.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Ohne ihn hätt' Hitler niemals halb Europa unterjocht.
Und Nero hätte niemals Rom verbrannt.
Er alleine muß bezahlen mit dem letzten Tropfen Blut.
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?
Er wird ewig ein Soldat sein, und der Krieg wird weitergehn,
Bis zum Tag, wo alle Waffen man verbannt,
Und keiner ihm, wie gestern und auch heut',
Sand in die Augen streut und er dann endlich
Die Schrift sieht an der Wand!

(von mir nur übertragen).

Gruß von Karin.


KarinD antwortete am 09.10.01 (08:06):

Spätsommer

Die Farben der Anemonen
werden bleich

Mach dir nichts vor
es geht zu Ende

Unsichtbare Raubtiere
schleichen
um deine Lebenslust

Angst durchbohrt
deinen Sommertraum

Bald
blühen Eisblumen

Erfinde
ein Apfellied

(Rose Ausländer)


Rosmarie Vancura antwortete am 09.10.01 (17:18):

Was du mir bist
_______________

Du bist das klare Licht
hoch über meiner tiefen Welt.
die sanfte Dämmerung
vor meinem Abend.-
Die Sanftheit deines Wesens
spiegelt mein Angesicht.

Als Morgensonnenstrahl
wirst du mir groß
in meiner Dunkelheit,
wirst mir zum tiefen Meer,
zum stillen Inseltraum
zu meiner stillen Bucht.-

Auch bist du sanfte Nacht,
die warm mich birgt
in ihres Dunkels Schutz,
dem mütterlichen Schoß.
Und weites Land bist du,
voll guter Einsamkeit.

Doch wenn das Herz geängstigt ist,
daß Traumwelt du mir
einst entrückst,
wird tiefes Sein, das mir bewusst,
zur fremden Wirklichkeit -
schmerzhaft im Morgenlicht!

Erfaßt dein Blick noch meine Welt,
bin ich in deinem Herzen noch,
verging ich dir - ein Traumgesicht?
Spür ich das Tasten deiner Hand?
Erkenne ich mich noch in dir,
vereinsamt und mir selber fremd?

Ich glaub an dich! Du bist ihn mir
lebendiger als Tag und Traum,
mir Lichtgestalt im Morgenlicht!
Ich halte dich, wenn alles fällt
allein die Liebe bleibt zuletzt
im Menschenmeer voll Einsamkeit.

Gebhard Schuhböck
Antennen geheimer Botschaften


KarinD antwortete am 10.10.01 (08:10):

Guten Morgen!
Das ist zwar ein Lied-Text, ich denke, er paßt aber auch hier hinein:

Die Freiheit

Vor ein paar Tagen ging ich in den Zoo,
die Sonne schien, mir war ums Herz so froh.
Vor einem Käfig sah ich Leute stehn,
da ging ich hin, um mir das näher anzusehn.

"Nicht füttern" stand auf einem großen Schild
und "bitte auch nicht reizen, da sehr wild!"
Erwachsene und Kinder schauten dumm,
und nur ein Wärter schaute grimmig und sehr stumm.

Ich fragte ihn: "wie heißt denn dieses Tier?"
"Das ist die Freiheit!" sagte er zu mir,
"die gibt es jetzt so selten auf der Welt,
drum wird sie hier für wenig Geld zur Schau gestellt."

Ich schaute und ich sagte: "Lieber Herr!
Ich seh ja nichts, der Käfig ist doch leer!"
"Das ist ja grade", sagte er, "der Gag!
Man sperrt sie ein und augenblicklich ist sie weg!

Die Freiheit ist ein wundersames Tier
und manche Menschen haben Angst vor ihr.
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein,
denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.

(G. Danzer)

Viele Grüße von Karin.


sieghard antwortete am 10.10.01 (08:55):


Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

[Ingeborg Bachmann]

.


Rosmarie Vancura antwortete am 10.10.01 (09:23):

So war alles nicht gewollt!
____________________________


Das Haus hatten wir anders geplant,
diese Politik nicht gewollt.

Die Zigeuner verjagen
wollten wir nicht!

Es war nicht so gedacht
mit der Vergasung der Juden!

Die Geschichte, die hätte
ganz anders verlaufen sollen!

Indianer töten,das wollten wie nie!

Die Umwelt zerstören?
Wir doch nicht?

Waffen liefern,
Terroristen den Terror
erst möglich machen?
Nie haben wir das gewollt!

Wir haben doch nichts davon gewusst,
alles viel später erst erfahren,
leider zu spät!

Wir wollten das doch nicht,
Nein wir nicht!

Nicht so
und nicht das
und nicht jenes!


Unwissenheit schützt nicht vor Strafe
und das Gewissen geht eigene Wege!

RV


Die


Wolfgang antwortete am 10.10.01 (12:54):

Krieg dem Kriege (von Kurt TUCHOLSKY, 1919)

Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit -!

Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr...

Und wenn mal einer auf Urlaub war,
sah er zu Haus die dicken Bäuche.
Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.

Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
"Krieg! Krieg!
Großer Sieg!
Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!"
Und es starben die andern, die andern, die andern...

Sie sahen die Kameraden fallen.
Das war das Schicksal bei fast allen:
Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
Ein kleiner Fleck, schmutzigrot -
und man trug sie fort und scharrte sie ein.
Wer wird wohl der nächste sein?

Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
Werden die Menschen es niemals lernen?
Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
Wer ist das, der da oben thront,
von oben bis unten bespickt mit Orden,
und nur immer befiehlt: Morden! Morden! -
Blut und zermalmte Knochen und Dreck...
und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.

Der Kapitän hat den Abschied genommen
und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
Ratlos stehen die Feldgrauen da.
Für wen das alles? Pro patria?.

Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
Brüder! das darf nicht wieder sein!
Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
ist das gleiche Los beschieden
unsern Söhnen und euern Enkeln.
Sollen die wieder blutrot besprenkeln
die Ackergräben, das grüne Gras?
Brüder! Pfeift den Burschen was!
Es darf und soll so nicht weitergehn.
Wir haben alle, alle gesehen,
wohin ein solcher Wahnsinn führt -

Das Feuer brannte, das sie geschürt.
Löscht es aus! Die Imperialisten,
die da drüben bei jenen nisten,
schenken und nie wieder Nationalisten.
Und nach abermals zwanzig Jahren
kommen neue Kanonen gefahren. -
Das wäre kein Friede.
Das wäre Wahn.
Der alte Tanz auf dem Vulkan.
Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
Will das niemals anders werden?
Krieg dem Kriege!
Und Friede auf Erden.


Heidi antwortete am 10.10.01 (12:54):

Die weißen Tauben
(Hans Harz)

Komm her, Marie, ein letztes Glas,
genießen wir den Augenblick,
ab morgen gibt's statt Wein nur Wasser.
Komm her und schenk uns noch mal ein,
so viel wird morgen anders sein!
Marie, die Welt wird langsam blasser.
Die weißen Tauben sind müde,
sie fliegen lange schon nicht mehr.
Sie haben viel zu schwere Flügel,
und ihre Schnäbel sind längst leer.
Jedoch die Falken fliegen weiter!
Sie sind so stark wie nie vorher,
und ihre Flügel werden breiter,
und täglich kommen immer mehr,
nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.

Bleib noch, Marie, der letzte Rest
reicht für uns beide allemal,
ab morgen gibt's statt Brot nur Steine
Komm her und schenk uns noch mal ein,
denn so wie heut wird's nie mehr sein.
Marie, die Welt reißt von der Leine.

Die weißen Tauben sind müde,
sie fliegen lange schon nicht mehr.
Sie haben viel zu schwere Flügel,
und ihre Schnäbel sind längst leer.
Jedoch die Falken fliegen weiter!
Sie sind so stark wie nie vorher,
und ihre Flügel werden breiter,
und täglich kommen immer mehr,
nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.

Sieh her, Marie, das leere Bett,
der Spiegel uns'rer großen Zeit;
ab morgen gibt's statt Glas nur Scherben.
Komm her und schenk uns noch mal ein,
den letzten Schluck vom letzten Wein.
Marie, die Welt beginnt zu sterben.

Die weißen Tauben sind müde,
sie fliegen lange schon nicht mehr.
Sie haben viel zu schwere Flügel,
und ihre Schnäbel sind längst leer.
Jedoch die Falken fliegen weiter!
Sie sind so stark wie nie vorher,
und ihre Flügel werden breiter,
und täglich kommen immer mehr,
nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.


Heidi antwortete am 10.10.01 (12:57):

Der Graben
Kurt Tucholsky
Mutter, wozu hast Du Deinen aufgezogen,
Hast Dich zwanzig Jahr' um ihn gequält?
Wozu ist er Dir in Deinen Arm geflogen,
Und Du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn Dir weggenommen haben
Für den Graben, Mutter, für den Graben!
Junge, kannst Du noch an Vater denken?
Vater nahm Dich oft auf seinen Arm,
Und er wollt' Dir einen Groschen schenken,
Und er spielte mit Dir Räuber und Gendarm
Bis sie ihn Dir weggenommen haben
Für den Graben, Junge, für den Graben!

Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen spielen auf
Zu Eurem Todestanz!

Seid Ihr hin?
Seid Ihr hin?

Ein Kranz von Immortellen,
Das ist dann der Dank des Vaterlands!

Hört auf Todesröcheln und Gestöhne!
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
Schuften schwer, wie ihr, um's bißchen Leben.
Wollt Ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
Über'n Graben, Leute, über'n Graben!


KarinD antwortete am 10.10.01 (14:39):

Vielleicht mal wieder etwas sanfter? (Zum Thema):

Nein, meine Söhne geb' ich nicht

Ich denk' ich schreib euch besser schon beizeiten,
und sag euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab.
Ich lieb die beiden, dass will ich euch sagen,
mehr als mein Leben, als mein Augenlicht.
Und die, die werden keine Waffen tragen:

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|

Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
vor jeder Kreatur als höchstem Wert,
ich habe sie Erbarmen und Vergeben,
und wo immer es ging Lieben gelehrt.
Nun werden Ihr sie nicht mit Hass verderben,
kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht,
sind's wert, dafür zu töten und zu sterben.

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|

Und sicher nicht für euch hat Ihre Mutter
sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht.
Nicht für euch, und nicht als Kanonenfutter,
nicht für euch hab' ich manche Fiebernacht
verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden,
und kühlt' ein kleines glühendes Gesicht,
bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden,

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|

Sie werden nicht in Reih' und Glied marschieren,
nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt,
auf einem gottverlassnen Feld erfrieren,
während Ihr euch in weiche Kissen setzt.
Die Kinder schützen vor allen Gefahren
ist doch meine verdammte Vaterpflicht.
Dass heißt auch, sie vor euch zu bewahren.

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|


Ich werden sie den Ungehorsam lehren,
den Widerstand und die Unbeugsamkeit.
Gegen jeden Befehl aufzubegehren,
und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit.
Ich werd' sie lehren ihr' n eignen Weg zu gehen,
vor keinem Popanz, keinem Weltgericht,
vor keinem, als sich selber gerad' zu stehen,

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|

Und eher werde ich mit ihnen fliehen,
als dass ich sie zu euren Knechten mach.
eher mit ihnen in die Fremde ziehen,
in Armut, und wie Diebe in der Nacht.
Sie haben nur dies eine kurze Leben,
Ich schwör' s und sag's euch gerade ins Gesicht:
Sie werden es für euren Wahn nicht geben!

|: Nein, meine Söhne geb ich nicht. :|

(Reinhard Mey)


KarinD antwortete am 10.10.01 (14:45):

Oder dieses hier:

Ich setze auf die Liebe

Wenn Sturm mich in die Knie zwingt
Und Angst in meinen Schläfen buchstabiert
Ein dunkler Abend mir die Sinne trübt
Ein Freund im anderen Lager singt
Ein junger Mensch den Kopf verliert
Ein alter Mensch den Abschied übt

Das ist das Thema
Den Hass aus der Welt zu entfernen
Und wir bereit sind zu lernen
Dass Macht Gewalt Rache und Sieg
Nichts anderes bedeuten als ewiger Krieg
Auf Erden und dann auf den Sternen

Die einen sagen es läge am Geld
Die anderen sagen es wäre die Welt
Sie läg' in den falschen Händen
Jeder weiß besser woran es liegt
Doch es hat noch niemand den Hass besiegt
Ohne ihn selbst zu beenden

Er kann mir sagen was er will
Und kann mir singen wie er's meint
Und mir erklären was er muss
Und mir begründen wie er's braucht
Ich setze auf die Liebe! Schluss.

(v. Hanns Dieter Hüsch)


Heidi antwortete am 10.10.01 (15:21):

Georg Danzer

Frieden

Ned nur I hab so a Angst
ned nur I hab so an Haß auf Euch

die ihr uns regiert's
tyrannisiert's
in Kriege führt's
wir san nur Dreck für Euch.

Vier Milliarden Menschen
vier Milliarden Träume
über die ihr lacht's.

Vier Milliarden Hoffnungen
die ihr mit einem Schlag zunichte macht's.
Und ihr baut's Raketen und Atomkraftwerke
und dann Bunker - wo ihr Euch versteckt's.
Aber diesmal
meine Herren
könnt's Euch sicher sein
daß ihr mit uns verreckt's.

Vier Milliarden Leben
vier Milliarden Tode
doch des is euch gleich.
Hört's ihr Wissenschaftler
ihr Politiker
ihr Mächtigen
wir fordern jetzt von Euch:

Gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden für die Welt !

Gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden für die Welt !

Gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden
wir woll'n nix als Frieden
Frieden für die Welt !

Am Himmel steht die Sonn
die Kinder spiel'n im Park
und es is Frieden. -

I sitz auf ana Bank
die Blumen blühn im Gras
und es is Frieden.

I hab die Menschen gern
I steh auf meine Freund
und es is Frieden. -

Ka Hunger und ka Haß
ka Habgier und ka Neid
und es is Frieden.

Ka Führer und ka Staat
ka Ideologie
und es is Frieden.

Ka Mißgunst und ka Angst
und Gott statt Religion
und dann is Frieden. -

Ka Macht für niemand mehr
und niemand an die Macht
und es is Frieden.

Ka oben und ka unt
dann is die Welt erst rund
und es is Frieden.

Gebt's uns endlich Frieden
gebt's uns endlich Frieden

gebt's uns endlich Frieden für die Welt !


Richard antwortete am 10.10.01 (15:36):

Nicht von der Hand zu weisen

Nach jedem Kriege reden sie emphatisch,
die Herren an der Spitze der Nation,
vom Frieden philantropisch hochdramatisch,
ergriffen von der eignen Emotion:
»Wir wollen alle hüten ihn und hegen.
Kein Mann braucht künftig wieder ein Gewehr
auf einen andern Menschen anzulegen.
Wir wollen Menschen und kein Militär.«

Die dies mit einem Bibber uns versprochen
und Kloß im Halse vor Ergriffensein,
die haben schon sehr bald ihr Wort gebrochen
und ziehn die jungen Männer wieder ein.
Verdrehen uns mit honigsüßen Worten
ins Gegenteil was vorher sie gesagt.
Und sie befehlen wieder aller allerorten,
wenn uns auch diese Willkür nicht behagt.

Den bunten Rock, das Ehrenkleid, zu tragen.
Gewaltsam steckt man sie in die Montur.
Sie pflegen sie nicht lange erst zu fragen,
ob sie das möchten, aber keine Spur!
Der Eingezogene hat sich zu fügen.
Er kriegt per Post .... »Sie haben sich.......!
Man kennt die Tonart sie macht kein Vergnügen.
Und weigert man sich, wird es fürchterlich.

Gesetzt den Fall, dies einmal angenommen,
die Jungen hätten in der ganzen Welt,
wenn die Befehle mit der Post gekommen,
sich völlig unberührt dazu gestellt.
Und Jeder hätte diesen Wisch zerrissen,
wie einen x-beliebigen Prospekt.
Ihn axelzuckend ins Klosett geschmissen.
Welch ein epochemachender Effekt!

Da blieben unbevölkert die Kasernen.
Die Mäuse wohnten friedlich dort im Spind.
An diesem Beispiel könnte man viel lernen,
wie machtlos doch die Vorgesetzten sind.
mit offnen Mäulern hätten sie gestanden.
Was nun? Herr Hauptmann? Herr General?
Ganz plötzlich kein Interesse mehr vorhanden?
Der Menschenmarkt ist lustlos. Ein Skandal?

Da könnten alle Panzer und Gewehre
verrosten, denn die fasst kein Mensch mehr an.
Und auch das sogenannte Feld der Ehre
mit seinem Heldentod wär endlich dann
undenkbar, wenn an diesem schönen Tage
die Jugend einer jeglichen Nation
erklärte --- das kommt nicht in Frage.
Doch leider bleibt dies vorerst Illusion.

Robert T. Odeman


KarinD antwortete am 10.10.01 (15:56):

Abendgebet 1943

Wir hocken in modernen Katakomben.
(Schon wieder Krieg, und noch nicht mein Geschmack!)
Behüt uns, Herr, vor allen fremden Bomben
und, wenn du kannst, auch vor der eignen Flak.

(Erich Kästner)


RosmarieVancura antwortete am 10.10.01 (18:05):

Alter (1 )
________

Was ist mit dir
du alter Mensch
im dunklen Verliess deiner Gedanken
denkst du noch
oder wohin bist du schon gegangen?

Wie nimmst du mich wahr-
bin ich ein Freund
eine Liebe
oder schon ein Niemand?

Spürst Du die Zärtlichkeit
meiner Gedanken
meine Wehmut
die Trauer
und meine Ohnmacht?

Und spürst du
dass du mir mehr bist
als die Hülle des Jemand
der du einst warst
ehe du zum Niemand geworden bist?

Weisst du
dass mir dein Gesicht,
deine Hände,
deine Gestalt
Geschichten erzählen
aus der Zeit
in welcher du warst
was ich heute bin?

Ein Jemand
der versucht
im dunklen Verließ deines Lebens
Einlass zu finden
um aus dem Niemand
wieder ein Jemand werden zu lassen.

RV


KarinD antwortete am 11.10.01 (13:20):

Altwerden

All der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert
Und die Weiblein nicht zuletzt.

Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben.
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod -
Aber später, noch nicht heute!

(Hermann Hesse)


KarinD antwortete am 11.10.01 (13:20):

Spätsommer

Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag voll süßer Wärme.
Über Blumendolden schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.
Die Abende und Morgen atmen feucht von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau.
Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau. Eidechse rastet auf besonntem Stein, Blätterschatten Trauben sich verstecken.
Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein, in Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken. So wiegt sich manchmal viele Takte lang Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt.
Bis sie erwachend sich dem Bann entrang zurück zu Werdemut und Gegenwart.
Wir Alten stehen erntend am Spalier und wärmen uns die sommerbraunen Hände.
Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende.
Noch hält und schmeichelt uns das heut und Hier.

(Hermann Hesse)


Rosmarie Vancura antwortete am 11.10.01 (15:33):

Geborgenheit für wp
____________________

Du legst dein Gesicht
in meine Hände und ich kann dir nicht sagen
wann endlich die Welt so warm
wird wie diese.

Du legst deine Hand
in die meine und ich kann dir nicht sagen
warum du dich in der Welt
nicht so geborgen fühlst,
wie deine Hand in der meinen.

Ich weiss nur das
und das gewiss:
meine Wärme wird dich begleiten
ein Leben lang
und darüber hinaus!

RV


Rosmarie Vancura antwortete am 11.10.01 (15:59):

Was bist du?
____________

Wortspielerei für einen "Macher"


Du bist halt das was du machst
aus dem was du bist!

Machst Du's
dann bist Du's!

Machst du's nicht
dann bist du's nicht!

Aber was machst du
wenn du nicht kannst?

Auch können
müsste man können!

RV


KarinD antwortete am 11.10.01 (16:34):

Liebe Rosemarie!

Ich finde Deine Gedichte wunderschön!

Ein bißchen verunsichert bin ich allerdings, wenn ich die verschiedenen Rubriken sehe. Du schreibst EIGENE Gedichte in die Rubrik "Gedichte". Ich dachte, dort hinein gehören "gesuchte und gefundene" Gedichte von anderen Dichtern?

Bin ganz verunsichert, denn meine eigenen stelle ich in die Rubrik "Eigene Lyrik"?

Ist das nun alles wurscht, oder wie? Oder bin ich zuu ordentlich? :-))

Lieben Gruß von Karin.


Heidi antwortete am 11.10.01 (16:48):

Hallo, Karin
Zu Deiner Frage: In 'Gedichte' gibt es keine Einschränkung - eigene oder fremde Gedichte - ist egal.
In 'eigene Lyrik' sollten jedoch, wie der Titel sagt, nur "eigene" eingesetzt werden.


Heidi antwortete am 11.10.01 (17:07):

Lied von denen auf die alles zutrifft und die alles schon wissen

Daß etwas getan werden muß und zwar sofort
das wissen wir schon
daß es aber noch zu früh ist um etwas zu tun
daß es aber zu spät ist um noch etwas zu tun
das wissen wir schon

und daß es uns gut geht
und daß es weiter so geht
und daß es keinen Zweck hat
das wissen wir schon

und daß wir schuld sind
und daß wir nicht dafür können daß wir schuld sind
und daß wir daran schuld sind daß wir nichts dafür können
und daß es uns reicht
das wissen wir schon

und daß es vielleicht besser wäre die Fresse zu halten
und daß wir die Fresse nicht halten werden
das wissen wir schon
das wissen wir schon

und daß wir niemanden helfen können
und daß uns niemand helfen kann
das wissen wir schon

und daß wir begabt sind
und daß wir die Wahl haben zwischen nichts und wieder nichts
und daß wir dieses Problem gründlich analysieren müssen
und daß wir zwei Stück Zucker in den Tee tun
das wissen wir schon

und daß wir gegen die Unterdrückung sind
und daß die Zigaretten teurer werden
das wissen wir schon

und daß wir es jedesmal kommen sehen
und daß wir jedesmal recht behalten werden
und daß daraus nichts folgt
das wissen wir schon

und daß das alles wahr ist
das wissen wir schon

und daß das alles gelogen ist
das wissen wir schon

und daß das alles ist
das wissen wir schon

und daß Überstehn nicht alles ist sondern gar nichts
das wissen wir schon

und daß wir es überstehn
das wissen wir schon

und daß das alles nicht neu ist
und daß das Leben schön ist
das wissen wir schon
das wissen wir schon
das wissen wir schon

und daß wir das schon wissen
das wissen wir schon

Hans Magnus Enzensberger


KarinD antwortete am 11.10.01 (17:19):

Danke, Heidi, jetzt weiß ich Bescheid!

SCHÖN, das Gedicht von Enzensberger. Ja, er weiß das(schon).

Lieben Gruß von Karin.


Elke Reich antwortete am 11.10.01 (22:51):

Ich möchte mich bei allen bedanken, die zu dieser schönen Herbstgedichtsammlung beigetragen haben. Ich habe sie mir alle ausgedruckt und werde - wie sicher viele andere -noch viel Freude daran haben.

Elke


Brita antwortete am 12.10.01 (07:58):

... hier noch ein Herbstgedicht, Elke :-))

Die große Fracht

Die große Fracht des Sommers ist verladen,
das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.
Die große Fracht des Sommers ist verladen.

Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
und auf die Lippen der Galionsfiguren
tritt unverhüllt das Lächeln der Lemuren.
Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit.

Wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit,
kommt aus dem Westen der Befehl zu sinken;
doch offnen Augs wirst du im Licht ertrinken,
wenn hinter die die Möwe stürzt und schreit.

Ingeborg Bachmann


:-) Heidi antwortete am 12.10.01 (07:59):

Englisches Kurzgedicht zum Wochenende:

Let's make love
not war


KarinD antwortete am 12.10.01 (08:03):

Ach, Heidi! Das könnten sich viele Menschen zu Herzen nehmen, gelle?

Schönen Tag für Dich und alle hier!
Gruß, Karin.


KarinD antwortete am 12.10.01 (08:06):

Damit die Sammlung der "Herbstgedichte" (hallo, Elke!) vervollständigt wird:

TO AUTUMN
(William Blake)

O Autumn, laden with fruit, and stained
With the blood of the grape, pass not, but sit
Beneath my shady roof; there thou may'st rest,
And tune thy jolly voice to my fresh pipe;
And all the daughters of the year shall dance!

"The narrow bud opens her beauties to
The sun, and love runs in her thrilling veins;
Blossoms hang round the brows of morning, and
Flourish down the bright cheek of modest eve,
Till clust'ring Summer breaks forth into singing,
And feather'd clouds strew flowers round her head.

The spirits of the air live on the smells
Of fruit; and joy, with pinions light, roves round
The gardens, or sits singing in the trees."
thus sang the jolly Autumn as he sat;
Then rose, girded himself, and o'ver the bleak
Hills fled from our sight; but left his golden load.

("The Portable BLAKE". Penguin Books, 1978)

Schönen Herbstgruß, Karin.


sieghard antwortete am 12.10.01 (10:00):


Enzensberger, ja, brutal aber wahr!!!

Let's make love
not war

the more you know

besser D, gibts weniger
Verständniszweideutigkeiten oder mehr!

Krieg und Frieden
das zweite wir lieben
Moral im Großen fordern
im Kleinen nicht befolgen
heucheln
heucheln
heucheln
brutal aber wahr
Worte nichts
als Worte

sorry
ich bin so!

.


Elke Reich antwortete am 12.10.01 (18:09):

KarinD: Du hast so eine wunderbare Übersetzung von The Universal Soldier gemacht, kongenial nennt man das ja wohl, nämlich nicht Wort für Wort, sondern so stimmig in Sinn und Gefühl. Willst Du es nicht auch einmal mit dem Blake-Gedicht versuchen. Ich fänd es schön!

Elke


KarinD antwortete am 12.10.01 (18:17):

Liebe Elke!

Danke für die Lorbeeren, aber sie gebühren nicht MIR! Ich schrieb "nun gab's auch eine Übersetzung.......", und zwar genau an der Stelle, wo ich das Lied "fand".

Ich hätte es nur bruchstückweise hinbekommen, nicht so "stimmig", wie Du schreibst.

Vielleicht gibt's zu dem Blake-Gedicht auch bald eine Übersetzung, aber nicht von mir. Ich kann auch das nur provisorisch.

Lieben Gruß von KarinD.


KarinD antwortete am 12.10.01 (18:18):

Und noch ein kleines zum Thema Herbst:

Herbstsonne

Herbstsonne die mir küsst die bleiche Hand
bist du ein Gruß aus jenem Sehnsuchtsland,
in das die Armen und Verbannten
zu allen Zeiten ihre Herzen sandten?

Herbstsonne, bleich und kränklich, so wie ich,
in deiner stillen Armut lieb ich dich.
Könnt' ich, wie du, mit meinen siechen Händen
ein wenig Glück noch einem Menschen spenden.

(Georg Trakl)


KarinD antwortete am 12.10.01 (18:24):

Und noch eines:

Herbst in der Heide

Ich liebe die Heide zur Herbsteszeit.
Ich muß bewundern das Rot und das Braun.
Wie schön ist sie im neuen Kleid,
ich möchte sie heute noch schauen.

Die Birkenstämme beleben das Ganze
mit frischem glänzenden Weiß.
Es fliegen die Blätter in drehendem Tanze,
ich muß in die Heide um jeden Preis.

Den Heidepfad, den will ich gehen,
wo Gräser und Farne liegen geknickt.
Oftmals muß ich bleiben stehen,
weil so fein hat Natur das Herbstkleid gestickt.

Bevor will schlafen gehen die Heid,
offenbart sie noch einmal ihre Pracht.
Es scheint der Mond so tief, so weit,
ich kann nicht scheiden bis es Nacht.

(Jakob Litsch -1956-)

Wünsche Euch ein schönes Herbstwochenende.
Gruß von Karin.


Herbertkarl Huether antwortete am 12.10.01 (21:07):


lebensfaden

haare wie gedreht
hervor aus dem leib
lebensfaden angesengt
mit dem staunenden licht des werdens

kursive gedanken an
front der gedachten linien
mit dem kaltem charm
durchzechter gelage
der art von orgien
des paradoxen

wirf das handtuch
des vorwurfsvollen schweigens
dem tod nass vor die stirn

himmle an geleuchtete
lampen der vibration
des unerschwinglichen
druecke platt den
tiefschwarzen kaefer seelenlos


geh dem abgrund nicht aus dem weg
zeige dein licht erhaben
denen die sich zeigten
in schwarzstiller nacht
um frohlockend ihren schmerzruf
niederzuspeien auf unseren
geschändeten rücken
der niederkunft
des seligen vor dem eden


spiralhafte wesen scharren
kristallklaren wassern entgegen
das sich auf den folgen des
erlebten daseins
artig in das nest
ungelegter eier wirft

schokoladenfarbige laken
rupfen graus zu hauf
zum weben
der decke der hohlheit
vor dem ungeschaffenen wahn

nun schlag an deine laute
schierer unbekuemmertheit
die weit sich schaffend
dem volk ein untrueglich zeichen setzt

rufe an die geschlagenen
der oberen mächte
denn wollen sie das leben
dann müssen sie erst sein

hkh


Wolfgang antwortete am 13.10.01 (18:36):

Sonderling (von Hermann HESSE)

Ich bin zuweilen wie ein wilder Mann,
Der Götter höhnt und laute Nächte lang
Mit rohen Kameraden zechen kann
Und dem schon mancher scharfe Witz gelang.

Ich bin zuweilen wie ein schwaches Kind,
Das ohne Schuld krank wurde und verdarb,
Und dessen Lächeln ungeboren starb,
Und dessen Träume voll von Engeln sind.


Heidi antwortete am 13.10.01 (19:58):

von BUFFY Sainte-Marie

Who knows what tomorrow brings
in a world where few hearts survive
All I know is the way I feel
When it's real
I keep it alive

The road is long
There are mountains in the way
but we climb a step every day

Love lift us up where we belong
where the eagles cry
on a mountain high
Love lift us up where we belong
far from the world we know
up where the clear winds blow

Some hang on to used to be
live their lives looking behind
When all we have is here and now
All our lives
out there to find

The road is long
There are mountains in the way
but we climb a step every day

Love lift us up where we belong
where the eagles cry
on a mountain high
Love lift us up where we belong
far from the world we know
up where the clear winds blow

Time goes by
No time to cry
Life's you and I
Alive... today

Love lift us up where we belong
where the eagles cry
on a mountain high
Love lift us up where we belong
far from the world we know
up where the clear winds blow


Barbara antwortete am 14.10.01 (18:11):

Hallo,liebe Freunde!Vielen Dank
fuer die vielen schoenen Gedichte!
ich habe eine grosse Bitte:Vor vielen.vielen Jahren
mussten wir in der Schule ein wunderschoenes Gedicht lernen.
Ich kenne nicht mehr den Dichter und nicht die UEBERSCHRIFT.
Ich kenne nur noch einige Verse:"du gehst mir nicht rein,
dein Vater ging unter und Momme mein Sohn drei Jahre verschollen ist Uwe schon,mein Uwe mein Uwe."


Rosmarie Vancura antwortete am 14.10.01 (19:31):

Guten Abend,liebe Barbara

Hier Dein gesuchtes Gedicht

Nis Randers
------------

von Otto Ernst


Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man's gut:
Ein Wrack auf de Sandbank!Noch wiegt es die Flut -
gleicht holt's sich der Abgrund

Nis Randers lugt - und ohne Hast
spricht er: " Da hängt noch ein Mann im Mast;
wir müssen ihn holen."

Da fasst ihn die Mutter: " Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
ich wills, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme,mein Sohn,
drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
mein Uwe, mein Uwe!"

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
" Und s e i n e Mutter"?

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
hohes, hartes Friesengewächs -
schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muss es zerschmettern...! Nein, es blieb ganz!...
Wie lange, wie lange?

Mit feurigen Geisseln peitscht das Meer
die menschenfressenden Rosse daher;
sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des anderen springt
mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält.-
Sie sind es"Sie kommen"

Und Augen und Ohr ins Dunkel gespannt...

Still - ruft da nicht einer?- Er schreit's durch die Hand;
" Sagt Mutter, s'ist Uwe!"

ERNST Otto geboren 1862 in Ottensen bei Hamburg
gestorben dasselbst 1926


KarinD antwortete am 14.10.01 (19:31):

Liebe Barbara!

Da kann ich Dir helfen, weil ich ihn mag, den Otto Ernst. Das Gedicht heißt "Nis Randers", ich füge es hier der Einfachheit halber gleich rein.

Nis Randers

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd –
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man's gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich's der Abgrund.

Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: »Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen.«

Da faßt ihn die Mutter: »Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will's, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!«

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
»Und seine Mutter?«

Nun springt er ins Boot, und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern...! Nein: es blieb ganz!...
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? – Ein Boot, das landwärts hält –
Sie sind es! Sie kommen! – –

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...
Still – ruft da nicht einer? – Er schreit's durch die Hand:
»Sagt Mutter, 's ist Uwe!«

Übrigens, falls es interessiert: Mein Lieblingsbuch von O.E. ist "Appelschnut", ein ganz reizendes Büchlein. Ebenso zu finden bei dem Link, den ich unten einfüge (online lesbar!).

Schönen Abend wünsche ich Dir.
Lieben Gruß von Karin.

(Internet-Tipp: https://gutenberg.aol.de/index.htm)


Rosmarie Vancura antwortete am 14.10.01 (20:22):

Ich bin berührt worden
_______________________

Ich spüre in mir eine Regung,
die ich nicht kenne.
Ich bin berührt worden in meinem Inneren.
Es ist etwas losgegangen.
Es ist ungeheuerlich schön.
und doch habe ich Angst davor.
Aber ich will, dass es weitergeht.
Doch schaffe ich es, damit umzugehen?

Nie habe ich mich so gefühlt.
Ich habe nicht gewusst,
dass das Leben so sein kann.
So tief und ergreifend,
Aber kann ich so leben?
Kann ich so noch ganz normale Dinge tun?
Kann ich jemals wieder normal leben?

Ulrich Schaffer
Berührungstexte
In einer tiefblauen Nacht


Iris Berghaus antwortete am 14.10.01 (22:59):


ABENDGEDICHT

Der Abend kommt.
Ich fühle mich besser,
kann sogar lächeln,
obwohl ich keinen Grund
dazu habe.
Ich lächle die Dunkelheit an,
lächle den Kummer an,
und ich weiß,
morgen werde ich aufwachen
und mich gut fühlen
und nicht mehr fragen,
warum du so viel aufgegeben hast,
das du mit so wenig
hättest retten können,
und ich werde lächeln
über das Kind in mir,
das so schön
von dir geträumt hat.

Hans Kruppa...FÜR IMMER *DU* Liebesgedichte


sieghard antwortete am 14.10.01 (23:16):


Mir ist der See ein trauter Freund,
der mit mir lächelt, mit mir weint;
ist, wenn er gründlich golden ruht
mir eine sanfte Zauberflut,
aus deren tiefen klaren Grund
Gestalten meines Lebens steigen.

[Droste]

.


sieghard antwortete am 14.10.01 (23:22):

Altweibersommer

Septembergold und neuer Wein.
Ich hab gewollt es war aus Stein,
mein Herz aus Gold.

Oktoberrot und Hasenjagd.
Die Liebe tot.
Die Leiche fragt nach Lippenrot.

Novembergrau, die Toten ruhn.
Mein Haar wird grau, ich färb es nun:
Altweiberblau.

[Ingrid Noll]
.


Heidi antwortete am 15.10.01 (00:03):

THEODOR FONTANE

Aber es bleibt auf dem alten Fleck

"Wie konnt' ich das tun, wie konnt' ich das sagen",-
So hört man sich auf, sich anzuklagen,
Bei jeder Dummheit, bei jedem Verlieren
Heißt es: "Das soll dir nicht wieder passieren".
Irrtum! Heut traf es bloß Kunzen und Hinzen,
Morgen trifft es schon ganze Provinzen,
Am dritten Tag ganze Konfessionen,
Oder die "Rassen, die zwischen uns wohnen",
Immer kriegt man einen Schreck,
Aber es bleibt auf dem alten Fleck.


Rosmarie Vancura antwortete am 15.10.01 (04:21):

Friedrich Hebbel ausgegraben...

HERBSTBILD
___________

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.


O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.


Nein, nein, nicht der Schwabe Hebel....sondern

Friedrich HEBBEL, 1813 geb.in Wesselbüren (Holstein
gestorben in Wien 1863


KarinD antwortete am 15.10.01 (07:41):

In den Nachmittag geflüstert

Sonne, herbstlich dünn und zag,
Und das Obst fällt von den Bäumen.
Stille wohnt in blauen Räumen
Einen langen Nachmittag.

Sterbeklänge von Metall;
Und ein weißes Tier bricht nieder.
Brauner Mädchen rauhe Lieder
Sind verweht im Blätterfall.

Stirne Gottes Farben träumt,
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.
Schatten drehen sich am Hügel
von Verwesung schwarz umsäumt.

Dämmerung voll Ruh und Wein;
Traurige Gitarren rinnen.
Und zur milden Lampe drinnen
Kehrst du wie im Traume ein.

(von Georg Trakl)

Einen wunderschönen Montag wünscht Euch Karin.


KarinD antwortete am 15.10.01 (15:08):

Und noch'n Kruppa:

Gib gut auf deine Träme acht

Gib gut,
auf deine Träume acht,
ohne sie bist du
verraten und verkauft.
Gib ihnen nur das Beste,
lies ihnen jeden Wunsch
von den Augen ab -
und laß sie niemals warten.
Halt warme Kleidung
stets für sie bereit,
wenn sie spazieren wollen
in der Weltgeschichte,
in der es für sie,
selbst im Hochsommer,
oftmals schneit.

Mach deine Seele nicht
zu einem Friedhof
gestorbener Sehnsucht
und vergeudeter Zeit.

Gib gut
auf deine Träume acht,
sonst fliegen sie davon -
und mit ihnen
deine Flügel.

(Hans Kruppa)


Horst Großewiese antwortete am 15.10.01 (19:30):

Wonach du sehnlichst ausgeschaut
Es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut:
Jetzt hab ich endlich Frieden.

Ach Freundchen werde
nicht so wild.
Bezähme deine Zunge.
Ein jeder Wunsch, wenn er
erfüllt,
Kriegt augenblicklich Junge.
Wihelm Busch


KarinD antwortete am 15.10.01 (20:03):

Es mag trübe Zeiten geben,

in denen die Hoffnung müde wird,
weil der einstmals schäumende Brunnen
des Lebens versiegt zu sein scheint.
Aber es lohnt sich,
alle die leeren Gefäße
geduldig aufzubewahren,
um von neuem aus der Freude
schöpfen zu können,
sobald der Lebensquell wieder sprudelt.
Die Zeiten der Dürre
dauern nicht ewig.

(Elli Michler)


Brita antwortete am 15.10.01 (21:12):

...rückblickend, hier noch ein paar Zeilen von G. Trakl...

Im Park

Wieder wandelnd im alten Park,
O! Stille gelb und roter Blumen.
Ihr auch trauert, ihr sanften Götter,
Und das herbstliche Gold der Ulme.
Reglos ragt am bläulichen Weiher
Das Rohr, verstummt am Abend die Drossel.
O! dann neige auch du die Stirne
Vor der Ahnen verfallenem Marmor.

Georg Trakl


sieghard antwortete am 15.10.01 (21:56):

Ein wenig Sonne,
und der Schnee
schmilzt.

Ein wenig Wärme,
und das Eis
bricht.

Ein wenig Güte,
und Menschen
tauen auf.

[Heidi Lachnitt]
.


G. Segessenmann, alias Georg von Signau antwortete am 15.10.01 (22:15):

Naja, wenn denn schon gemelancholiet werden soll.......

Es weht durch die Lüfte ein herbsüsser Duft,
er färbt alle Blätter, er sättigt die Luft,
lässt reifen die Trauben, die Äpfel, die Nüss`,
er füllt mir die Lungen, wenn Liebchen ich küss`,
er lässt mich gar Träumen, dass ewig es währt,
dass ewig der Traum mich erquiket und nährt.

Ich lass mich verführen vom herbsüssen Duft
und merk`doch, dass langsam mein Leben verpufft.

15.10.01,Schorsch

Gut Nacht in die Dichterrunde


Heidi antwortete am 16.10.01 (01:12):

Lassen wir die Melancholie :-) -

(für mlB)


Der Abend küsste geheimnisvoll
Die knospenden Oleander.
Wir spielten und bauten Tempel Apoll
Und taumelten sehnsuchtsübervoll
Ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
Und Jahrhunderte sanken
Und reckten sich
Und reihten sich wieder golden empor
Zu sternenverschmiedeten Ranken.
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,
Mit den Früchten des Paradiesmai,
Und im wilden Gold Deines wirren Haars
Sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei,
Wie ein schwarzer Urwaldvogel.
Und junge Himmel fielen herab,
Unersehnbare, wildsüsse Düfte;
Wir rissen uns die Hüllen ab
Und schrieen!
Berauscht vom Most der Lüfte.
Ich knüpfte mich an Dein Leben an,
Bis dass es ganz in ihm zerrann,
Und immer wieder Gestalt nahm
Und immer wieder zerrann.
Und unsere Liebe jauchzte Gesang,
Zwei wilde Symphonieen!

Else Lasker-Schüler (1869-1945)


Rosmarie S antwortete am 16.10.01 (20:05):

Zu Schorsch.

>Ich lass mich verführen vom herbsüssen Duft
>und merk`doch, dass langsam mein Leben verpufft.


Muss schließen das Leben mit einem Puff,
so wünscht sich das mancher in glücklichem Suff...
Doch, Schorsch, du endest noch nicht in Luft!
Noch atmest du herbstlich süßen Duft,
Und Gänschen und Zimtstern rücken schon nach.
Die müde Nase wird wohl noch mal wach
und schnüffelt und saugt bald Weihnachtsduft...
Also nix: Noch wird nicht weggepufft!


Pamina antwortete am 17.10.01 (23:57):

Hier ist Pamina - guten Abend, ich bin ganz zeu in der Runde und möchte mich noch mit einem französischen Herbstgedicht beteiligen:

Les sanglots longs
des violons de l'automne
blessent mon coeur
d'une langueur
monotone

Tout suffocant et blème,
quand sonne l'heure,
je me souviens
des jours anciens
et je pleure.

Et je m'en vais
au vent mauvais,
qui m'emporte
deca, delà
pareil à la feuille morte.

(Verlaine)


KarinD antwortete am 18.10.01 (07:30):

Liebe Pamina!

Welch ein hübscher Name!!

Mag sehr schön sein das Gedicht, Danke dafür. Aber ich kann z.B. nur gaaanz wenig französisch, kriege die Übersetzung nicht zusammen. Kann frau da etwas machen?? Oder wer auch immer hier.... Das wäre sehr schön.

Gruß von Karin.


Iris Berghaus antwortete am 18.10.01 (09:03):

Für alle...die das "Schmunzeln" auch in trüben
Zeiten...nicht verlernt haben ;-)))


Von Werner Finck

Ick warte und weeß nich uff wen
und steh schon seit acht uff`n Posten
und jetzt isses zehn.
Man müßt mal in`n Lunapark jehn;
das kann doch so ville nich kosten.

Wie machen die andern das bloß,
die sieht man doch täglich poussieren,
die werden es los.
Mir setzt sich keen Aas uff`n Schoß
wie soll man da eene vafieren?

Da wart man und wartet und wart`
und keene kommt und sagt "Kleener,
das Leben ist hart,"
"Komm` mit! Ick bezahl ooch die Fahrt."
Und ick sehn mir doch so nach so eener.

Dat jibt es wohl bloß im Roman.
Am besten bleibt`s, man vazichtet
und jeht in`n Kahn
und denkt, man hätt` es jetan,
bis daß die Sehnsucht vaflichticht.


Heidi antwortete am 18.10.01 (09:22):

Hallo Karin und Pamina:-)

Eines der wenigen Gedichte die ich auswendig schreiben kann:


Wie die Geigen des Herbstes
mein Herz verwunden
mit tiefem Seufzen
mit schwerem Sehnen

bleich mit stockendem Atem
hör ich die Stunden schlagen
gedenke vergangener Tage
und weine

und wandern muss ich weiter
im treibenden Wind
hierhin und dorthin
ein welkes Blatt

Paul Verlaine


KarinD antwortete am 18.10.01 (13:53):

Liebe Heidi,

DANKE SCHÖN! Ja - sehr hübsch, wie ich mir dachte. Ich weiß, daß Du Verlaine magst....

Aber Du mußt heute nicht weinen, gelle? :-))

Lieben Gruß von Karin.


KarinD antwortete am 18.10.01 (14:48):

Hast recht, Iris! Hier auch etwas zum Lächeln:

Widmung in ein Kochbuch

Es wird behauptet und mit Grund,
Ein nützlich Werkzeug sei der Mund!

Zum ersten läßt das Ding sich dehnen
Wie Guttapercha, um zu gähnen.
Ach, Grete, wenn du dieses mußt,
Tu es im stillen und mit Lust!

Zum zweiten: Wenn es grad vonnöten,
Kann man ihn spitzen, um zu flöten.
Sitzt dann der Schatz auch mal allein,
Dies wird ihm Unterhaltung sein!

Zum dritten läßt der Mund sich brauchen,
Wenn's irgend passend, um zu rauchen.
Dies kannst du deinem guten Gatten,
Der darum bittet, wohl gestatten.

Zum vierten ist es kein Verbrechen,
Den Mund zu öffnen, um zu sprechen.
Vermeide nur Gemütserregung,
Sprich lieber sanft mit Überlegung,
Denn mancher hat sich schon beklagt:
»Ach, hätt' ich das doch nicht gesagt!«

Zum fünften: Wie wir alle wissen,
So eignet sich der Mund zum Küssen.
Sei's offen oder sei's verhohlen,
Gegeben oder nur gestohlen,
Ausdrücklich oder nebenher,
Bei Scheiden oder Wiederkehr,
Im Frieden und nach Kriegeszeiten:
Ein Kuß hat seine guten Seiten!

Zum Schluß jedoch nicht zu vergessen:
Hauptsächlich dient der Mund zum Essen!
Gar lieblich dringen aus der Küche
Bis in das Herz die Wohlgerüche.

Hier kann die Zunge fein und scharf
Sich nützlich machen, und sie darf!
Hier durch Gebrötel und Gebrittel
Bereitet man die Zaubermittel
In Töpfen, Pfannen oder Kesseln,
Um ewig den Gemahl zu fesseln.

Von hier aus herrscht mit schlauem Sinn
Die Haus= und Herzenskönigin. -
Lieb's Gretchen! Halt dich wohlgemut,
Regiere mild und - koche gut!

(W. Busch)

Schönen Resttag noch an alle. Gruß von Karin.


KarinD antwortete am 18.10.01 (15:01):

Hallo, Heidi + Pamina,
hab auch einen Verlaine (auch wenn's nicht fröhlich ist. Aber schön!):

Die grosse Ruhe

Die große dunkle Ruh
Sinkt über meine Brust:
Schlaf ein, mein Hoffen du,
Und du auch, süße Lust.

Ich sehe nimmer klar
Und weiß schon lang nicht mehr,
Was gut , was böse war; -
O Dasein, trüb und leer.

Von sanfter Hand gewiegt
Ich eine Wiege bin,
Ins Dunkel eingeschmiegt;
O Schweigen, nimm mich hin!
--------------------------------
Un grand sommeil noir

Un grand sommeil noir
Tombe sur ma vie:
Dormez, tout espoir,
Dormez, toute envie!

Je ne vois plus rien.
Je perds la mémoire
Du mal et du bien ...
O la triste histoire!

Je suis un berceau
Qu'une main balance
Au creux d'un caveau:
Silence, silence!

(Paul Verlaine)





Iris Berghaus antwortete am 18.10.01 (16:54):

Thema EHE...

schaut mal...was GÜNTER GRASS darüber schreibt...
ich finde...bestens beobachtet !! *grins*


EHE

Wir haben Kinder, das zählt bis zwei.
Meistens gehen wir in verschiedene Filme.
Vom Auseinanderleben sprechen die Freunde.
Doch meine und Deine Interessen
berühren sich immer noch
an immer den gleichen Stellen.
Nicht nur die Frage nach den
Manschettenknöpfen.
Auch Dienstleistungen:
Halt mal den Spiegel.
Glühbirnen auswechseln.
Etwas abholen.
Oder Gespräche, bis alles besprochen
ist.

Zwei Sennder, die manchmal gleichzeitig
auf Empfang gestellt sind.
Soll ich abschalten?
Erschöpfung lügt Harmonie.
Was sind wir uns schuldig? Das.
Ich mag das nicht:Deine Haare im Klo.

Aber nach elf Jahren noch Spaß an der Sache.
Ein Fleisch sein bei schwankenden Preisen.
Wir denken sparsam in Kleingeld.
Im Dunkeln glaubst Du mir alles.
Aufribbeln und Neustricken.
Gedehnte Vorsicht.
Dankeschönsagen.
Nimm dich zusammen.

Dein Rasen vor unserem Haus.
Jetzt bist Du wieder ironisch.
Lach doch darüber.
Hau doch ab, wenn Du kannst.
Unser Hass ist witterungsbeständig.

Doch manchmal, zerstreut, sind wir zärtlich.
Die Zeugnisse der Kinder
müssen unterschrieben werden.
Wir setzen uns von der Steuer ab.
Erst übermorgen ist Schluss.
DU. Ja DU. Rauch nicht so viel.


Luzia antwortete am 18.10.01 (19:10):

Hier ein "Guter Zuspruch" von Eugen Roth

Wenn sonst ein Gatte an was litt,
beleidete die Frau ihn mit.
Doch trifft man auch das Gegenteil -
die Frau nur schimpft:"Natürlich, weil:
du einfach nie zum Doktor gehst;
barfuß auf kalten Böden stehst,
nie pünktlich nimmst die Medizin,
hinarbeitest selbst auf den Ruin,
beim Baden immer untertauchst,
den ganzen Tag Zigarren rauchst,
hineinfrißt, was du nicht verträgst,
am Ast, auf dem wir sitzen, sägst,
zu jeder Warnung blöd nur lachst,
nie ernstlich dir Gedanken machst --
Das würde dir vielleicht so passen,
Als Witwe mich zu hinterlassen!"
So schlägt sie nieder ihn mit Keulen
und jetzt fängt sie gar an zu heulen.
Der Mann, gelockert und bewässert,
verspricht, daß er sich schleunig bessert. --


sieghard antwortete am 19.10.01 (08:12):


Spätsommer in der Heide

Die Hänge leuchten rosenrot in
allen Abstufungen, unterbrochen
von den silbernen Stämmen
der Birken, unterbrochen durch
die starren, straffen Ruten
des Ginsters und die wirren
Klumpen der verkrüppelten Kie-
fern. Hier und da hebt sich
ein grauer Findling aus dem ro-
senroten Untergrund ab. Ein
schmaler weißer Weg, gefällig
gekrümmt, zeigt sich teilweise;
das Blattwerk eines Stechpal-
menhorstes wirft gleißende
Lichter um sich. Die Sonne er-
wärmt den Boden so, dass ich
sehen kann, wie die Luft
über dem Heidekraut flimmert.
Ein schwerer Honiggeruch
wogt über das ganze Land hin,
und das Summen der Bienen
klingt wie das Brausen un-
sichtbarer Wellen. Die hohe
Zeit der Heide ist gekommen.
Aber auch später, wenn die
Heide nicht mehr blüht und
braun wird, ist es wunderbar
schön hier. Dann werden aus
den rosigen Blüten Silberper-
len. Die Birken heben sich
wie goldene Springbrunnen
von der Heide ab. Jedes Stück
Moorland wird vom Wollgrase
wie mit Sommerschnee be-
deckt. Selbst dann, wenn kalte
Nebel vom Moore heraufstei-
gen und jeden Zweig, jeden
Stängel einspinnen, dass am
andern Morgen die Heide ganz
und gar versilbert ist, ist es
herrlich hier.

[Hermann Löns 1866 - 1914]

.


KarinD antwortete am 19.10.01 (10:14):

Finde ich wunderschön, und kann sicher manche/r hier nachempfinden:

Trost

Ich möchte eine alte Kirche sein
voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit Deiner Last
Du senkst den Kopf, die große Tür fällt zu.
Nun sind wir ganz alleine, ich und du.
Ich kühle dein Gesicht mit leisem Hauch,
ich hülle dich in meinem Frieden auch,
ich fange mit der Orgel an zu singen...
Nicht weinen, nicht die Hände ringen!
Hier hinten, wo die beiden Kerzen sind,
komm setz dich hin, du liebes Menschenkind
Ob Glück, ob Unglück, alles trägt sich schwer.
Du bist geborgen hier, was willst du mehr?
In den Gewölben summt' s, die Kerzenflammen
Weh' n flackernd auseinander, weh' n zusammen.
Vom Orgelfuß die Engel sehn dir zu
Und lullen dich mit Flötenspiel zur Ruh.
Ich möchte eine alte Kirche sein
Voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.

(Manfred Hausmann)


Rosmarie Vancura antwortete am 19.10.01 (13:35):


Sehnsucht nach grosser Ruhe
____________________________

Ruhe soll kommen.
soll sich niederlassen
wie ein Schwarm grosser Vögel
wie eine dunkle Wolke
wie ein schweres Gift
soll sich senken und Grund schaffen


damit Gedanken hören könnnen
damit das Hören denken kann
damit in ihrem Schatten
die Dinge sich setzen
bleiben und vertraut werden
damit Vertrauen sich vorsichtig nähern kann.

muss Ruhe kommen.
He, Ruhe: Hörst du mich?
Ruhe, hör doch: Ich rufe dich!
Kommst du nun oder was?
Gott ich werde ja noch ganz hibbelig hier.

Aus: Steffen Jacobs Geschulte Monade
Collection S.Fischer (DM 16.-)


KarinD antwortete am 19.10.01 (14:18):

Bald ist die Zeit der Rosen (in der Natur) vorbei, daher heute eines von Hölderlin:

An die Rose

Ewig trägt im Mutterschoße,
Süße Königin der Flur,
Dich und mich die stille, große
Allbelebende Natur.

Röschen! unser Schmuck veraltet,
Sturm entblättert dich und mich;
Doch der ew'ge Keim entfaltet
Bald zu neuer Blüte sich.

(Friedrich Hölderlin)


Luzia antwortete am 19.10.01 (14:46):

Verklärter Herbst

Gewaltig endet so das Jahr
mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
wie schön sich Bild an Bildchen reiht -
das geht in Ruh und Schweigen unter.

------ Georg Trakl -----


Brita antwortete am 19.10.01 (22:20):

Die stille Stadt

Liegt eine Stadt im Tale,
Ein blasser Tag vergeht;
Es wird nicht lange dauern mehr,
Bis weder Mond noch Sterne,
Nur Nacht am Himmel steht.

Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
Kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
Kaum Türme noch und Brücken.

Doch als den Wandrer graute,
Da ging ein Lichtlein auf im Grund;
Und durch den Rauch und Nebel
Begann ein leiser Lobgesang,
Aus Kindermund.

Richard Dehmel


Herbertkarl Huether antwortete am 19.10.01 (23:08):


kieselsteine

fetzen zwischen den lippen
gedroehn aus
schallendem gelaechter
dem nichts entgegen

abgewiesene klagen
der ehrfurcht
vor dem erlebten

sirenengesaenge der verheissung
vom blutigem orden

parade der angst
im blicke des verstaendnisses
ausgestreckter zeigerfinger
auf zerfurchter stirn
des ungewohnten gruebelns
knistern der zehrenden feuer
abgeschmackter brunnen
mit tiefe
ins innere
des lebendigen verstaendnisses

irrtum in der scheide
tutnichtgut
sesambroetchen
zur morgenroete
des st nimmerleinstags
gewebe verworfener leiden
an scheinbarer welt


geschirr zerbrochen
im anblick
vergessener ehren
des einsamen
in der nichtzeit

enden der beschwerden
in irdenen minuten
der geistigen uhr
ohne zeiger

schnuppern der tage
von fern
aus dunkelheiten
hinter den sternen

beruehren der stroeme
vergossener zeiten
als urtaeler dem meere
mitleidlos entgegenstroemten
reissend mit sich
die frucht des funkelns
des smaragdenen mittags

ein verlieren in wollust
mit pein
kontakte mit sanfter haut
sich vergebend
und erlebend
empfinden des anderen
durch sich selbst

hefezoepfeflechtend
heb ich das glas
bis zum rand
des vergorenen kelches
einnehmend den raum
den ich mir gab
als liebesbeteuerungen
den schwall der worte
niederzwangen
bereit zum austausch
zahnloser muender
gesteckt in neigungen der liebe
vor geschehen des anfangs

nicht wieder schmerzen worte
bedeutungen nieder
ohne am bach
einen abdruck zu hinterlassen

hkh


Luzia antwortete am 20.10.01 (11:04):

Hallo Schorsch,
vielen Dank für Deine Zeilen - und hier noch etwas von
Eugen Roth

Gesunde Umwelt

Gewiß, wir haben allen Grund
zu lachen, wenn wir selbst gesund.
Doch sei auch innig Gott gedankt,
wenn niemand sonst im Haus erkrankt,
wenn Weib und Kind und Ingesind
wohlauf und ganz in Ordnung sind,
Verwandte, Freunde sich nicht legen -
gar mit dem Anspruch, sie zu pflegen;
Wenn Milchmann, Krämer, Schneider, Schuster,
nicht bettgefesselt sind als Huster,
die Zeitungsträgerin jederzeit
von Kraft erstrahlt und Rüstigkeit.
Nur eins : halt deine frommen Triebe
nicht gleich für reine Nächstenliebe:
Gesundheit wünschst du allen ihnen,
damit sie deinem Wohlsein dienen!!


Heidi antwortete am 20.10.01 (23:01):

Augenblick
(Paul Celan: Gedichte 1938-1944)

Es pflügt die Nacht mein Blut mit Gold,
daß Glanz durch tausend Furchen rollt.

Gespannter Fühler roter Samt
ist in den Schluchten aufgeflammt.

Mit Riesenfingern krallt sich klar
der Brand der Sterne in mein Haar.

Und züngelt wirr und bangt verrenkt,
ob sich dein schwarzes Regnen senkt.


Pamina antwortete am 21.10.01 (00:46):

Hallo Heidi und Karin -

wunderschöne Übersetzung von "les sanglots" - danke!

Hier noch eins von Rilke, das ich auch sehr liebe:

Die Blätter fallen,
fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln
ferne Gärten.
Sie fallen mit verneinender Gebärde
und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen,
diese Hand da fällt
und sieh dir an'dre an,
es ist in allen.
Und doch ist Einer,
welcher dieses Fallen
unendlich sanft
in seinen Händen hält!

Grüße von Pamina


sieghard antwortete am 21.10.01 (08:49):


Apfelkantate

Der Apfel war nicht gleich am Baum
Da war erst lauter Blüte.
Das war erst lauter Blütenschaum
und lauter Lieb und Güte.
Dann waren Blätter grün an grün
und grün an grün nur Blätter.
Die Amsel nach des Tages Mühn,
sie sang ihr Abendlied gar kühn
und auch bei Regenwetter.
Der Herbst, der macht die Blätter steif
der Sommer muss sich packen.
Hei! Dass ich auf die Finger pfeif
da sind die ersten Äpfel reif
und haben rote Backen.
Und was bei Sonn` und Himmel war
erquickt nun Mund und Magen
und macht die Augen hell und klar.
So rundet sich das Apfeljahr
und mehr ist nicht zu sagen.

[Matthias Claudius 1740 - 1815]
.


KarinD antwortete am 21.10.01 (12:05):

Guten Morgen!

Am 12.10. um 8.06 Uhr setzte ich ein englisches Gedicht von William Blake hier rein. Titel "Autumn". Da ich es nicht genau übersetzen konnte, kündigte ich eine eventuelle Übersetzung an.
Diese kann ich jetzt anbieten, und zwar hat übersetzt: FRIEDGARD SEITER, der ich herzlich dafür danke. Sie läßt grüßen, hat aber im Moment keine Zeit, die Übersetzung selbst hier reinzustellen. Hier also ist sie:

***Übersetzung von Friedgard Seiter***

AN DEN HERBST
(William Blake)

O Herbst, beladen mit Frucht und gefärbt
mit dem Blut der Trauben, geh nicht, sondern bleib
unter meinem schattigen Dach; dort magst Du ruhen,
und erheb deine fröhliche Stimme zu meiner munteren Flöte;
und alle Töchter des Jahres sollen tanzen!

Die feste Knospe öffnet ihre Schönheit
der Sonne, und Liebe rinnt durch ihre zitternden Gefäße;
Blumen hängen über die Augenbrauen des Morgens, und
blühen herab über die leuchtenden Wangen des sanften Abends,
bis der ausschwärmende Sommer ausbricht in Gesang,
und fedrige Wolken Blumen um sein Haupt streuen.

Die Geister der Lüfte leben in den Düften
der Früchte; und Freude, auf des Lichtes Flügelspitzen,
umspinnt die Gärten, oder ruht singend in den Bäumen.“
so sang der fröhliche Herbst, als er ruhte;
Dann erhob er sich, gürtete sich und über die rauhen
Hügel floh er aus unserer Sicht; aber hinterließ seine goldene Last.

(„Der tragbare BLAKE“, Penguin-Bücher, 1978)

-------------------------------------

Einen schönen Sonntag wünscht allen,
Karin.


sieghard antwortete am 21.10.01 (21:54):


Chanson d'automne

Les sanglots longs
Des violons
De l'automne
Blessent mon coeur
D' une langueur
Monotone.

Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l' heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure;

Et je m'en vais
Au vent mauvais
Qui m' emporte
Deç à, delà,
Pareil à la
Feuille morte.

[Paul Verlaine]

.


.


Erika Kalkert antwortete am 22.10.01 (00:00):

Im Nebel
Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, kein Baum sieht den anderen, jeder ist allein. -
Voll Freunden war mir die Welt, als noch mein Leben licht
war; nun da der Nebel fällt, ist keiner mehr sichtbar. -
Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt. -
Seltsam im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den anderen, jeder ist allein.

Hermann Hesse

Gute Nacht Erika


KarinD antwortete am 22.10.01 (07:23):

Geradewegs

Was in uns lebt, soll immer in uns leben,
wenn's gut ist,
was immer sich auch mag begeben
und wie auch immer uns zumut ist.
Natürlich kommt's, daß wir zuweilen
entgleisen.
Dann kann kein Eigensinn das heilen.

Doch schon mit einem versuchsweisen,
reuigen Lächelchen
flickst du
das eingerissene Löchelchen
wieder zu.

(Joachim Ringelnatz)

Allen einen schönen Tag wünscht Karin.


Rosmarie V ancura antwortete am 22.10.01 (08:28):


F ü l l e
_________

Conrad Ferdinand Meyer

Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
der Herbst! Kein Ast der seiner Frucht entbehrte!
Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte,
der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde.

Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube!
Die saft'gen Pfirsche winkt dem durst'gen Munde!
Die trunknen Wespen summen in die Runde:
Genug ist nicht genug!" um eine Traube.

Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen
schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses;
das Herz, auch es bedarf des Überflusses;
genug kann nie und nimmermehr genügen!


Ich wünsche Euch für Eure Herzen Überfluss dicke!!!
Eure Rosmarie


Rosmarie S antwortete am 22.10.01 (10:16):

Liebe Rosmarie und ihr Lieben miteinander,

ach, ist das schön, das Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer! Ich kannte es noch gar nicht.
Aber auch eure anderen Gedichte sind mir jeden Tag eine Freude und Bereicherung. Besonders auch die Apfelkantate hat mir gefallen. Danke!

Einen schönen Tag miteinander!
Rosmarie

Noch eine Frage an dich, liebe Rosmarie:
Möchtest du, dass ich statt "Rosmarie S" zur besseren Unterscheidung "Rosmarie Schmitt" schreibe? Schließlich warst du vor mir da!


Brita antwortete am 22.10.01 (17:15):

Blassblaue Tage I

Blassblaue Tage halten die Herzen so milde
süßer vertieft sich das Weh um den alten Verlust.
Herbstfäden wehen silberlang über Gefilde,
und der Alpdruck der Zeit fällt leicht von der Brust.

Nimm süßes Kind diese honigduftenden Reben,
allen Sinnen zum Trost; auch die Nelke sei dein!
Wolken sind nah wie der Traum und fern wie das Leben
aber der hellblaue Stern dort läßt dich allein.

Werden die Möwen ihre Nähe verschmähen
um dir zu huldigen, ach der Verzicht ist zu groß!
Lass ihnen Freiheit! Nimm diese blassblauen Nähen
diese schon welkenden Tage auf in dein Los!

Rose Ausländer


KarinD antwortete am 22.10.01 (18:16):

SIEGHARD stellte am 21.10. einen Verlaine (Chanson d'automne) hier rein, hier die Übersetzung, die ich IM NETZ FAND:

Wie die Geigen des Herbstes
mein Herz verwunden
mit tiefem Seufzen
mit schwerem Sehnen

bleich mit stockendem Atem
hör ich die Stunden schlagen
gedenke vergangener Tage
und weine

und wandern muss ich weiter
im treibenden Wind
hierhin und dorthin
ein welkes Blatt

(Paul Verlaine)


Rosmarie Vancura antwortete am 22.10.01 (21:39):

Le temps perdu
______________

Devant la porte de l'usine

le travailleur soudain s'arrete
le beau temps l'a tire par la veste
et comme il se retourne
et regard le soleil
tout rouge, tout rond
souriant dans son ciel de plomb
il clingne l'oeil
familierement
Dis donc camerade Soleil
tu ne trouve pas
que c'est plutot con
de donner une journee pareille
a un patron?

Die verlorene Zeit
___________________

Vor dem Tor zur Fabrik
hält der Arbeiter plötzlich an
Das schöne Wetter hat ihn am Rock gezupft
und als er sich umwendet
und die Sonne betrachtet
die rot leuchtet und blendet
lächelnd im bleigrauen Himmel
Zwinkert er ihr vertraulich zu
Sag Kamerad Sonne
Meinst du nicht auch
man sollte sich verdammt bedenken
Einen solchen Tag
Dem Chef zu schenken?

Von Jacques Prevert
deutsch Kurt Kusenberg


eva antwortete am 23.10.01 (09:11):


Ihr habt von mir lange nichts gehört,
ich bin zur Zeit leider etwas verstört :

Ich hab einen Schlag auf´s Gemüt bekommen;
nur seelisch, doch es dürfte genügen ...
und nun versuche ich beklommen
die Scherben zusammenzufügen.

Und an allem bin ich, bin ich nur schuld !
So muss ich den Kummer halt tragen;
ich übe mich nun in Eselsgeduld
und höre auf mit dem Klagen.

Doch warum verstehen die Menschen sich nicht ?
Wir haben uns doch gern -
wir schauen einander ins Angesicht
wie Wesen von einem fremden Stern.


KarinD antwortete am 23.10.01 (14:52):

EVA, tut mir so leid!

FRIEDGARD, recht gute Besserung - weiterhin!

Für alle (im Netz gefunden):

------------------------------------------

Ich wünsche Euch diesen Einen

Einen brauchst Du auf dieser Welt,
der mit Dir weit und lacht,
einen, der unbeirrt zu Dir hält,
der Deine Probleme zu seinen macht.

Einen, der Dir Dein Glück nicht neidet,
Dich über Schwellen trägt,
einen, der Dir Freude bereitet
und helle Spuren legt.

Einen, der Deine Träume kennt,
Dir Deine Schwächen vergibt,
einen, der Dich beim Namen nennt
und froh ist, dass es Dich gibt.

Einen, dem Du vertrauen kannst,
der Dich wortlos versteht,
einen, mit dem Du Gespenster bannst,
ehe Dein Mut vergeht.

Einen, der Dich in die Arme nimmt,
wenn eine Hoffnung zerbricht,
einen, der Deine Saiten stimmt.
Einen brauchst Du als Licht.

(Emmy Grund)


R.M.Rilke antwortete am 23.10.01 (22:13):

Die Liebende

Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite
mich verlierend selbst mir aus der Hand,
ohne Hoffnung, daß ich das bestreite,
was zu mir kommt wie aus deiner Seite
ernst und unbeirrt und unverwandt.

...jene Zeiten: o wie war ich Eines,
nichts was rief und nichts was mich verriet;
meine Stille war wie eines Steines,
über den der Bach sein Murmeln zieht.

Aber jetzt in diesen Frühlingswochen
hat mich etwas langsam abgebrochen
von dem unbewußten dunkeln Jahr.
Etwas hat mein armes warmes Leben
irgendeinem in die Hand gegeben,
der nicht weiß was ich noch gestern war


Rosmarie Vancuraa antwortete am 23.10.01 (22:22):

Ich finde dieses Lied von Bettina Wegener so schön, und es ist, obwohl 1976 geschrieben und vertont, aktueller denn je.
Ich hoffe, es berührt Euch ebenfalls.

K i n d e r
___________

Von Bettina Wegener

Sind so kleine Hände
winzge Finger dran
darf man nie drauf schlagen
die zerbrechen dann.

Sind so kleine Füsse
mit so kleinen Zehn
darf man nie drauf treten
könn sie sonst nicht gehn.

Sind so kleine Ohren
scharf,und ihr erlaubt
darf man nie zerbrüllen
werden davon taub.

sind so klare Augen
die noch alles sehn.
Darf man nie verbinden
könn sie nichts verstehn.


Sind so schöne Münder
sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten
kommt sonst nichts mehr raus.

Sind so kleine Seelen
offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen
gehn kaputt dabei.

Ist son kleines Rückgrat
siehst man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen
weil es sonst zerbricht.

Grade,klare Menschen
wärn ein schönes Ziel
Menschen ohne Rückgrat
hab'n wir schon zuviel.


sieghard antwortete am 23.10.01 (22:45):


Friedrich Schnack (1888-1977)

Vater und Kind

Kleine Hand in meiner Hand
ich und du im Kinderland
gehn wir auf der langen Straße.
Kleine Hand in meiner Hand,
die einander zärtlich fassen:
Ich und du, nichts hat Bestand.
Einmal, ach! muss ich dich lassen,
kleine Hand in meiner Hand,
kleiner Schritt bei meinem Schritt
einmal geh ich nicht mehr mit,
einmal gehst du ohne mich,
ein Traum,
wie schnell die Kinderzeit verstrich!

.


KarinD antwortete am 24.10.01 (08:18):

Liebe RosemarieV!

Dieses Lied gehört auch bei mir zu den Lieblingsliedern, schon lange. Umso mehr, als ich inzwischen auch drei Enkelchen habe. Im Nu habe ich wieder einen "Ohrwurm" für heute - danke!
Ich fand auch dieses von ihr, schon etwas länger her:

Als ich jünger war

Als ich jünger war und offen
kannt' ich diese Angst noch nicht
Frei war ich und voller Hoffen
war kein Urteil, kein Gericht
nur ein Vogel, bunt, mit Schwingen
die kein Mensch zerbrochen hat
kannte Schwerter nicht und Zwingen
war im warmen Wind ein Blatt
Hab auf einem Pferd gesessen
das war alt, der Baum war grün
Habe Zeit und Pflicht vergessen
Prinz war ich und Harlekin
Von Unsterblichkeit und Sinn
hab ich meinen Traum verloren
daß ich nicht so einsam bin
hab ich Träumer mir geboren
und ich wärm sie, wenn sie frieren
und ich habe Angst um sie
Nirgends soll' n sie mitmarschieren
müde werden soll' n sie nie
Alt und lauwarm die Gedanken
Ich hab alles, was ich brauch
klare Grenzen, schöne Schranken
und die Alltagstode auch
Bin ein Kerkermeister heute
sperrte meine Seele ein
daß sie nichts und niemand reute
schläft sie in der Mauern Stein.

(Bettina Wegener - 1981)

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Dieses liebe ich auch über alles, kennen sicher viele (Meryl Streep spielt dieses Fingerspiel in dem Film "Sodbrennen", Partner war Jack Nickolson):

Incey Wincey Spider

Incey Wincey spider
Climbing up the spout
Down came the rain
And washed poor Incey out.

Out came the sun
And dried up all the rain
Here comes Incey Wincey spider again. ***)

SPLAT! (stamp your foot!)

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Heidi antwortete am 25.10.01 (09:17):

Blind?

ich sehe
Mond, Sonne
Wolkenspiele, Sterne,
Himmel in allen Farben
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Wiesen, Wälder
grüne Blätter, bunte Blumen
kahle Äste
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Flüsse, Seen
Kanäle, trübe Tümpel
klare Quellen
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Dörfer, Städte
kleine Häuser, Fabriken
grosse Wohntürme
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Menschen, Völker
alte Gesichter, junge Gesichter
Kinderaugen, hell gross dunkel
Lieber Gott, bist Du dort?

ich sehe
Gleichgültigkeit
Hass, Krieg
Soldaten
Lebende, Tote
tote Kinder!

Lieber Gott, bist Du dort?
oder
bist Du am Ende

..fort?

hl


Erika Kalkert antwortete am 25.10.01 (11:07):

Über die Heide

Über die Heide hallet mein Schritt;
Dampf aus der Erde
wandert es mit.

Herbst ist gekommen,
Frühling ist weit,
gab es denn einmal selige Zeit?

Brauende Nebel geisten umher,
schwarz ist das Kraut
und der Himmel so leer.

Wär ich nur hier
nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe -
wie flog es vorbei!

Theodor Storm


Ingrid Steiner antwortete am 25.10.01 (14:35):

Hallo RosemarieV,

Du schreibst die Verse Kinder von Bettina Vegener wurden vertont. Kannst Du mir sagen, wo ich dieses Lied finden kann? Hab auch ein Enkelkind und finde dieses Gedicht (oder sollte man es "Erziehungsanweisung" nennen) einfach bezaubernd.

Dankeschön
Ingrid


KarinD antwortete am 25.10.01 (14:45):

Liebe Ingrid,

das Lied "Kinder", das Du suchst, i s t das von RosemarieV eingestellte Gedicht ...sind so kleine Hände... (steht auch in ihrer Überschrift!).

Gruß von Karin.


KarinD antwortete am 25.10.01 (14:48):

NICHT GESAGT

Nicht gesagt
Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre
Und vom Blitz nicht das einzig richtige
Geschweige denn von der Liebe.

Versuche. Gesuche. Mißlungen
Ungenaue Beschreibung

Weggelassen das Morgenrot
Nicht gesprochen vom Sämann
Und nur am Rande vermerkt

Den Hahnenfuß und das Veilchen.

Euch nicht den Rücken gestärkt
Mit ewiger Seligkeit
Den Verfall nicht geleugnet
Und nicht die Verzweiflung.

Den Teufel nicht an die Wand
Weil ich nicht an ihn glaube
Gott nicht gelobt
Aber wer bin ich dass

(Marie-Louise Kaschnitz)


KarinD antwortete am 25.10.01 (16:15):

Es regnet

Im Herbst
sind die Häuser
heimatlos

In welches
verirrst du dich

Du redest zur Wand
über den Frühling

Das Fenster spannt auf
einen Regenbogen

Kommen die Fremden
suchen Wohnung
ihre nassen Schritte
klopfen an deinen
Puls

du redest zur Wand
über den fremden
Frühling

Es regnet

(Rose Ausländer)


Allen einen schönen Abend von Karin.


Rosmarie S antwortete am 25.10.01 (18:04):

Liebe Heidi,

du hast mich mit deinem Gedicht "Blind?" zum Nach- und Weiterdenken angeregt...

Herzlichen Gruß an dich und die Runde!
Rosmarie S


Ist Gott nicht immer schon entfernter,
weiter weg, als er erwünscht?
Gerufner Gott, wann endlich lernt er,
die Welt zu machen, wie erwünscht?

Was Gott ist, liegt in unsern Augen.
Was fragen wir, ob er recht tut?
In dieser Welt kann nur das taugen,
was Mensch verantwortet und tut.

Gott ist gewiss nicht der Bequeme,
der unsern Mist ausbügelt mild.
Nur der Mensch in seiner Häme
hat dies bequeme Gottesbild.


admin antwortete am 26.10.01 (12:13):

Vorwarnung :-))

Morgen abend wird dieses Kapitel archiviert und Kapitel 19 wird eröffnet


KarinD antwortete am 26.10.01 (14:49):

Wenn jeder eine Blume pflanzte

Wenn jeder eine Blume pflanzte,
jeder Mensch auf dieser Welt,
und, anstatt zu schießen, tanzte
und mit Lächeln zahlte statt mit Geld -
wenn ein jeder einen andern wärmte,
keiner mehr von seiner Stärke schwärmte,
keiner mehr den andern schlüge,
keiner sich verstrickte in der Lüge,
wenn die Alten wie die Kinder würden
sie sich teilten in den Bürden,
wenn dies WENN sich leben ließ,
wär`s noch lang kein Paradies -
bloß die Menschenzeit hätt` angefangen,
die in Streit und Krieg uns beinah ist vergangen.

(Mascha Kaléko)


Brita antwortete am 26.10.01 (22:01):

...leider, leider - älter - kälter...

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.

Ricarda Huch


KarinD antwortete am 27.10.01 (08:36):

Guten Morgen!
Eines habe ich noch, bevor hier "abgeschlossen" wird:

Die Tauben auf dem roten Dach
sind heute voller Sorgen.
Sie denken still und ruhig nach:
wer füttert uns wohl morgen?

Wie sie dann heftig flatternd eilen
vom Dach hinab zum Futterplatz,
wo sie die Körner müssen teilen
mit einem dreisten Mini-Spatz.

Das bringt die Tauben sehr zum Murren ...
Sie ziehn sich auf das Dach zurück.
Dann hört man sie unwillig gurren.
Den Spatzen stört das nicht -, zum Glück.

Der denkt so gar nicht weiter nach,
was wohl aus seiner Nahrung werde,
und setzt sich glatt mit Witz und Krach
auf kleine Äpfel großer Pferde.

Dort pickt er fröhlich vor sich hin.
Die Tauben machen runde Augen:
sie hatten gar nicht so im Sinn,
wozu noch Pferdeäpfel taugen.

(Von Elisabeth Franke)


Wünsche allen einen schönen Samstag. Karin