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THEMA:   Stimmt das?

 67 Antwort(en).

Ricardo begann die Diskussion am 29.08.01 (10:26) mit folgendem Beitrag:

When people cease to beleave in something, they do not beleave in nothing: they beleave in anything.
Sobald die Leute aufhören, an etwas zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles.

Gilbert Keith Chesterton

Der Verfasser der Krimis mit Pater Brown, verfilmt seinerzeit mit Heinz Rühmann, stellt eine Hypothese auf und ich möchte sie zur Diskussion geben.
Wir leben in einer Zeit nachlassender Bedeutung von Religion (d.h.Rückbindung ), über die Zukunft kursieren alle möglichen Spekulationen, die das Fürchten lehren könnten.
Wir lächeln gerne über die Vorstellungen der Menschen im Mittelalter, als immer wieder über das nahe Weltende phantasiert wurde.
Aber diese gruseligen Träumereien haben offenbar nichts an Aktualität verloren.
Hilft da der Glaube an Gott und den ewigen Bund, den er mit den Menschen geschlossen hat?
Sicher war Chesterton dieser Ansicht.....


BrigitteS antwortete am 29.08.01 (12:25):

Es bleibt jedem selbst überlassen, an was und an wen man glaubt. Meiner Ansicht nach werden die Religionen in Zukunft noch mehr an Bedeutung verlieren. Selbst in fundamentalistischen Staaten wird es eine Frage baldiger Generationen sein, bis die Religion Einfluss verloren haben wird. Schulkinder werden bei uns heute in Ethik unterrichtet und können Religion komplett abwählen. Besser wäre evtl. Ethik und Religion. Da verwundert es nicht, wenn anstelle des christlichen Glaubens andere Götter auftreten, an die man aufgrund mangelnden Wissens glaubt.
Wenn man von der Evolutionstheorie ausgeht, kann man daran glauben, daß es keinen Gott gibt, sondern unser Universum seit dem Urknall zufällig entstanden ist. Gemäß neuester Forschungen wird es irgendwann erkalten - wie unsere Sonne eines Tages erlischt - und nicht in einem atemberaubend kurzen Augenblick in sich zusammenstürzen, wie man bisher angenommen hat.
Der Mensch möchte unsterblich sein und das verheißen die Religionen. Meine Empfehlung zu diesem Thema, das Buch "An wen glaubt, wer nicht glaubt?" Das Buch enthält den Briefwechsel zwischen Umberto Eco und verschiedenen Gelehrten, nicht nur Theologen, in dem die Frage um glauben oder nicht behandelt wird.
Eine schöne Zeit!
Brigitte


Karl antwortete am 29.08.01 (22:04):

Unser Religionslehrer hat immer die Meinung vertreten: Wenn man nicht an Gott glaubt, glaubt man eben an etwas anderes und wollte damit seltsamerweise die Sinnlosigkeit des Abfalls vom Glauben deutlich machen. Mich hat das immer furchtbar aufgeregt, weil ich das arrogant und - mit Verlaub - unintelligent fand. Ich liebe es weiter zu fragen und hasse Tabus. Eines der Tabus war es zu fragen, wer hat Gott geschaffen? Dann gab es Schelte. Früher stopfte man alle Nichtwissenslöcher mit "Göttern": Donner, Blitz, jedes Naturgeschehen, das man nicht erklären oder beeinflussen konnte, war eine Gottheit. Es ist gut sich nicht mit Antworten zufriedenzugeben, die überliefert werden, sie sollten hinterfragt werden dürfen.


Heidi antwortete am 29.08.01 (22:11):

Hallo Karl :-)

ich muss gestehen, dass mir in der Schulzeit die alten "Götter" als Erklärung wesentlich lieber waren als die naturwissenschaftlichen Erklärungen im Physikunterricht.

Die alten Geschichten lasen sich viel schöner ;-).


Heidi antwortete am 29.08.01 (22:30):

mal ernsthaft:

ich "glaube", das 'Gott' mit all seinen unterschiedlichen Namen und Religionen auf der Erde von den Menschen geschaffen wurde, einmal als Erklärung für alles, was die Menschen sich nicht erklären können und zum anderen um ethisch/moralische Regeln für das menschliche Zusammenleben aufzustellen und "im Namen Gottes" besser verbreiten zu können.

Für mich ist es nicht wichtig ob "Gott" nun Jesus Christus, Allah oder Wakan Tanka heißt. Für mich zählt die "Lehre" einer Religion und die ist bei fast allen Weltreligionen erstaunlich gleich.


Karl antwortete am 29.08.01 (22:47):

Liebe Heidi,

ich stimme Dir voll zu. Religionen regelten früher, als es noch keine staatlichen Gesetze gab bzw. als die religiösen mit den staatlichen Gesetzen identisch waren, das menschliche Zusammenleben. Die Ähnlichkeiten der Weltreligionen sind teilweise auf gleiche Ursprünge zurückzuführen und teilweise auf diese gemeinsame Aufgabe. Auch heute sind die von den Religionen geforderten Regeln für das Zusammenleben keineswegs alle sinnlos oder schädlich, aber eine ganze Menge eben doch, z.B.: die Rolle der Frau im Islam bedarf der Korrektur ebenso wie die Rolle der Sexualität im Katholizismus. Solche Korrekturen fallen leichter, wenn man sich bewußt macht, dass Religionen Menschenwerk sind.

Das erzähle man aber mal einem Priester, egal ob Taliban oder Katholik :-|


nick antwortete am 30.08.01 (11:40):

Götter und ihre Religionen sind von Menschen erfunden worden, weil sie den Gedanken an das Nichts nach dem Tod nicht ertragen können. Ein Leben nach dem Tod ist so wie so nicht beweisbar. Aber die Religionen leben gut von dieser unbeweisbaren Behauptung...


e-l-e-n-a antwortete am 30.08.01 (12:59):

Soeben komme ich aus Santiago de Compostela zurück und was ich dort erlebt habe, hat mich zutiefst überrascht. Pilgerströme jung und alt, zu Fuss mit dem Gepäck auf dem Rücken, regennass triefend, aber fröhlich und heiter. Ich habe mit einigen gesprochen und sie erzählten mir ganz schlicht, sie wollten es einmal selbst erleben, den „Camino de Santiago“ entlang zu pilgern, ohne Komfort auf vorgegebenen Wegen, die durch die Muschel „Jakobsmuschel“ gekennzeichnet ist. Dafür „opfern“ sie ihren Jahresurlaub!

Auch ich habe Sonntag in der Kathedrale an einer Messe teilgenommen, obwohl nicht katholisch, und es bezauberte in seiner Wirkung selbst mich. Weihrauch in grossen Mengen, Orgelmusik vom Feinsten, unglaublich schöner Blumenschmuck, - es fehlte nichts, was Herz und Gemüt nicht ansprach. Glücklich die Menschen, die glauben können, eigentlich beneide ich sie.

Ab kommender Woche ein Bericht in meiner Homepage mit Bildern.

(Internet-Tipp: https://www.red2000.com/spain/santiago/2histor.html)


Rosmarie S antwortete am 30.08.01 (13:22):


"Hilft da der Glaube an Gott und den ewigen Bund, den er mit den Menschen geschlossen hat?"

Lieber Ric,

sicher hilft der Glaube, so man ihn hat. Jeder Glaube an höhere Führung und Schutz - egal unter welchem religiösen Banner - hilft meiner Meinung nach, mit den Bedrohungen der uns umgebenden Welt besser umzugehen. Natürlich ist es so gesehen sinnvoll, dass sich die Menschen Religionen erfunden haben.

Ich selbst aber neige eher zu einem anderen Ansatz. Ich glaube, dass es über die bisherigen naturwissenschaftlich erkennbaren und gesicherten Wahrheiten hinaus durchaus noch andere Ebenen gibt, die wir mit unseren geringen intellektuellen oder sinnenerfassbaren Möglichkeiten nicht erkennen können. Ebenen, die weit über die bisher bekannten Kräfte und Wahrheiten hinausgehen. Dass sie nicht beweisbar sind, lieber Nic, beweist ja im Gegenteil auch nicht, dass sie nicht existieren....
Es gibt innere Erfahrungen, die einzelnen Menschen mit, aber durchaus auch ohne Kirchenzugehörigkeit spirituelle Erkenntnisse vermitteln können, die auf einer anderen Ebene als das normal täglich begreifbare Leben liegen. Natürlich können diese Erfahrungen auch als psychische Selbsttäuschung abgetan werden. Jedenfalls solange andere sie machen. Macht man sie selbst, so empfindet man sicherer, ob dies nun eine wirkliche Bedeutung hat oder ein echtes Bild ist oder eben auf Wunschdenken oder sich wichtig machendem Affektpumpen beruht...

Ich selbst habe mit Religionen kein Problem, so lange ich sie in ihrem Glauben betrachte und mich nicht mit Machtansprüchen ihrer Institutionen oder Allein-Wahrheits-Ansprüchen herumschlagen muss. Im Gegenteil, ich halte sie für Bilder oder Gedankengebäude, die uns verschiedene Zugänge zu Ebenen erschließen können, die über das Greifbare hinausweisen.

"Sobald die Leute aufhören, an etwas zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles."

Das erscheint mir so logisch und in der gleichen Absicht ausgesprochen wie die von Karl erzählte Schulanekdote: "Unser Religionslehrer hat immer die Meinung vertreten: Wenn man nicht an Gott glaubt, glaubt man eben an etwas anderes und wollte damit seltsamerweise die Sinnlosigkeit des Abfalls vom Glauben deutlich machen." :-))

Liebe Brigitte, du schreibst: "Da verwundert es nicht, wenn anstelle des christlichen Glaubens andere Götter auftreten, an die man aufgrund mangelnden Wissens glaubt." Das würde ich in dieser Formulierung nicht so stehen lassen wollen. Das bedeutete ja, dass die Bilder des christlichen Glaubens wahrer seien als die anderer religiöser Vorstellungen. Davon bin ich nicht überzeugt. In meinen Augen sind religiöse Vorstellungen kulturell verschiedene Wege, mit denen wir Menschen in unser bescheidenes Gehirn Erkenntnisse hineinbringen, die für uns ein paar Nummern zu groß sind.

Herzliche Grüße in die Runde
Rosmarie


Ricardo antwortete am 30.08.01 (14:45):

Pater Brown war kein Kind von Traurigkeit und so auch Chesterton.
Ich darf also zum Thema noch eine heitere Episode aus der Sammlung jüdischer Witze von Salcia Landmann einfügen:

"Chaim, was bist du überhaupt heute zum Gottesdienst gekommen, und was betest du so eifrig? Du hast doch gesagt, du glaubst gar nicht an Gott!"
"Das ist wahr, ich glaube nicht an ihn. Aber weiß ich denn, ob ich recht habe?"


nick antwortete am 31.08.01 (10:03):

"Sobald die Leute aufhören, an etwas zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles."

Stimmt so auch nicht.
"Glauben heisst nicht wissen"


Friedgard antwortete am 31.08.01 (10:37):

Große Wissenschaftler waren oft tief gläubige Menschen. Woher kommt das?
C.G.Jung soll, als man ihn fragte, ob er an Gott glaube, (sinngemäß) gesagt haben: "warum soll ich an etwas glauben, das ich weiß?" -
Wobei nicht der "Alte Mann mit dem weißen Bart" gemeint ist, sondern "der Weltgeist in der Mitten" - und den meinen wohl alle Religionen.


Georg Segessenmann antwortete am 31.08.01 (17:32):

Ich hatte in meiner "Aktivzeit" einen Flüchtling aus dem Iran. Er gehört einer Glaubensgemeinschaft an, deren Grundsatz lautet: "Gehe in die Welt und prüfe alle Konfessionen. Die beste davon wähle zur deinigen":

Er musste aus dem Iran flüchten, weil er sich als Anhänger dieser Gemeinschaft kundtat. Er sprach aber aus, was schon lange in mir war, jedoch keine Worte fand.

Schorsch


Hermann Penker antwortete am 31.08.01 (18:33):

Lieber Karl!
Sie schreiben:"--- wenn man sich bewusst macht, dass Religionen Menschenwerk sind." Ich gestehe Ihnen selbstverständlich zu, dass Sie das Recht auf diese Überzeugung haben. Nur sind Sie sicher nicht der Vordenker der Menschheit. Können Sie den Anhängern der Offenbarungsreligionen überzeugende Beweise für Ihre Behauptung bringen? Von Ähnlichkeiten der Weltreligionen kann man auch nur sprechen, wenn man sich lediglich an der Oberfläche bewegt und nicht in die Tiefe geht.
Für den Umstand, dass es trotz göttlicher Offenbarung große Unterschiede im Gottesbild gibt, gibt es eine einfache Erklärung: Der menschliche Verstand kann Gott sicher nicht "verstehen", das schaffen wir meistens nicht einmal beim Ehepartner. Dazu kommt, dass unser Denken von unserem Kulturkreis geprägt ist. Dadurch kommt es zu unterschiedlichen Interpretationen. Oft haben Menschen wohl auch einfach weg gelassen, was für sie schwer zu leben war.
Ich halte es zumindest für überheblich, wenn nick lapidar feststellt: "Glauben heißt nicht wissen." Damit sind die Gläubigen wohl die Ignoranten, und die Ungläubigen die wahren Weisen dieser Erde?
Ich gratuliere nick zu dieser Einstellung, sie zeigt sehr viel Toleranz.
Herzliche Grüße
Hermann


Karl antwortete am 31.08.01 (20:27):

Lieber Hermann,

nein, ich möchte niemandem vordenken, habe ich auch nicht gesagt. Wieso muss ich einen Beweis führen? Da sollten wir uns doch einig sein, den Beweis sollte immer der führen, der die unwahrscheinlichere Behauptung aufstellt.
Vorsichtig wäre ich mit dem Begriff der Toleranz, hiervon haben die Anhänger der Religionen historisch und in der Gegenwart am wenigsten.
Ich bin streng pietistisch erzogen worden und kenne sehr gut die religionsinternen Diskussionsstränge und vor allem die Diskussionsstoppstellen. Vielleicht entschuldigst Du deshalb mein Engagement, aber alles was man in der Jugend ausgefochten hat, bewegt.

Mit freundlichen Grüßen, Karl


Hermann Penker antwortete am 31.08.01 (22:09):

Lieber Karl!
Ich glaube, dass man die Bewertung einer Aussage doch begründen müsste. Und dass der Glaube an Gott die unwahrscheinlichere Behauptung darstellt, ist doch wieder nichts als eine Behauptung, die sich nicht verifizieren lässt. Auf der Universität Innsbruck gab es ein Seminar über Grenzprobleme ( in den 60er Jahren), in welchem sich Theologen und der Mathematikprofessor Gröbner Streitgespräche lieferten. Prof. Gröbner versuchte mit mathematischer Logik die Nichtexistenz Gottes zu beweisen. Er konnte aber weder seine Kontrahenten noch die zuhörenden Studenten derart in seinen Bann ziehen, dass sie seine Beweisführung als gültig anerkannt hätten. Mir hat der sonst so fähige und auch menschlich gute Professor nur leid getan.
Die Toleranz haben sicher nicht allein die Ungläubigen gepachtet. Toleranz in weltanschaulichen Dingen war in Europa sehr lange eine unmögliche Vorstellung. Da die Vertreter christlicher Bekenntnisse ja auch Kinder ihrer Zeit sind, ist es nur natürlich, dass ihnen Fehler passieren. Niemand hat behauptet, die Kirche besäße die ganze Wahrheit in dem Sinne, dass sie den Göttlichen Willen zu 100 % erkannt hätte, dass es also in Zukunft keine neuen Erkenntnisse mehr geben könnte.
Man sollte meiner Meinung nach ohne Wertung einer fremden Meinungsäußerung argumentieren und die Argumente der anderen für sich prüfen, wie weit sie im eigenem System Platz haben. Sollte ein Argument wirklich bestechend sein und überzeugen, dann wäre die eigene Einstellung zu überdenken. Diese "Missionierung" sollte aber nicht das Ziel einer Diskussion sein.
Herzliche Grüße
Hermann


Karl antwortete am 31.08.01 (22:23):

Lieber Hermann,

ich respektiere deine Argumentationsweise und auch deinen Glauben.

Mit freundlichen Grüßen, Karl


Georg Segessenmann antwortete am 01.09.01 (14:29):

Wenn wir dem Thema "Gott" hier Raum geben wollen, dann müssen wir akzeptieren, dass Andersgläubige den gleichen Anspruch auf Raum für Allah, Wishnu, Mannitou und alle anderen "Götter" haben. Das würde über kurz oder lang zu Glaubenskriegen führen im ST. Ich würde es deshalb begrüssen, wenn ALLE auf das Missionieren hier verzichten würden.

Für Verständnis in unserer Runde dankend grüsst herzlich

Schorsch


Hermann Penker antwortete am 01.09.01 (16:01):

Lieber Herr Georg Segessenmann!
Ich stimme Ihrem Beitrag vom 01. 09. 01 voll zu. Zu Wort meldete ich mich nur, weil es herabsetzende Äußerungen über Religionen und Gläubige gab. In solchen Fällen werde ich mich immer zu Wort melden, schon einfach deshalb, weil ich aufzeigen möchte, dass der Atheismus nicht für alle die einzige Denkmöglichkeit darstellt. Es muss doch eine rein sachliche Argumentation möglich sein, in der Überheblichkeit und Kränkung Andersdenkender keinen Platz haben. Unter dieser Voraussetzung müssen Gott und Religion keine Tabuthemen sein.
Herzliche Grüße
Hermann


Chaim antwortete am 01.09.01 (17:13):

Ich glaube, mir hat niemand zugehört, versucht es doch mal in meiner Sprache.....


Karl antwortete am 01.09.01 (17:38):

Lieber Hermann,


jetzt muss ich mich aber doch noch einmal melden. Ich habe noch einmal alles durchgelesen und keine kränkenden Äußerungen gefunden, es sei denn es wird schon allein die Formulierung "dass Religionen Menschenwerk sind" als Kränkung empfunden.

Falls dem so sein sollte, muss ich dem implizierten Denkverbot aufs heftigste widersprechen, denn das wäre der Geist der Intoleranz, der die Scheiterhaufen brennen ließ. Der Satz "Religionen sind Menschenwerk" muss in unserer Gesellschaft sagbar sein, ohne jemanden zu beleidigen. Ich toleriere die Gegenmeinung, aber bitte schön, dann auch andersherum.

Mit freundlichen Grüßen, Karl


Hermann Penker antwortete am 01.09.01 (20:12):

Lieber Karl!
Für meine offensichtlich schlampige Ausdrucksweise muss ich mich entschuldigen. Ich bezog mich bei der Verwendung des Wortes Kränkung auf die nicht von Dir stammende Äußerung: "von Menschen erfunden worden, weil sie den Gedanken an das Nichts nach dem Tod nicht ertragen können", eine Unterstellung, die Gläubige zu Schwächlingen stempelt.
Bezogen auf die Kirche der Jetztzeit finde ich Ihre Bemerkung: "Das erzähle man aber mal einem Priester, egal ob Taliban oder Katholik :-|" für überheblich und unsachlich. Den kränkenden Beigeschmack nahmst Du mit dem mitgelieferten Lächeln (wenn ich :-| richtig interpretiert habe).
Ich war der Meinung, dass man sich in einem Beitrag auch auf einen anderen Beitrag beziehen dürfe, weil alle gelesen werden.
Herzliche Grüße
Hermann


Rosmarie S antwortete am 01.09.01 (20:20):

Hallo miteinander,

auch wenn sich die Gemüter jetzt ein wenig erhitzen, so fände ich es doch schade, diese Diskussion abzubrechen. Wahrscheinlich sind wir alle aus jeweils verschiedenen leidvollen Vorerfahrungen heraus ein wenig empfindlich, was die eigene Weltanschauung oder Religion angeht. Wie schnell fühlt man sich durch eine Formulierung des Gegenlagers auf die Zehen getreten. Derweil spürt man im Eifer des Gefechts gar nicht, worauf die eigenen Füße gerade herumtapsen... :-)))

Mich haben die verschiedenen Ansätze bereichert, und ich wäre dankbar, wenn noch ausgiebiger dargelegt würde, warum sich die Einzelnen ihrer Einschätzung so sicher sind. Ich für meinen Teil bin mir nämlich - trotz Erfahrungen, die mir keine anderen Schlüsse lassen als religiöse, immer mal wieder unsicher und zweifle.

Liegt das daran, dass wir von der Schule her zu ausschließlich klaren, sachlich begründbaren, logischen Schlüssen angehalten wurden? Oder liegt es daran, dass von eng Denkenden, die einem engen mechanistischen Weltbild anhängen (Lieber Karl, DICH zähle ich NICHT dazu!!!), religiöse Ansätze als mittelalterliches Relikt lächerlich gemacht werden? Oder liegt es an den allgemein verbreiteten psychologischen Kenntnissen über die Neigung des Menschen, sich etwas vorzumachen, zu verdrängen und sich selbt Weltbilder zu schaffen, die das Leben erleichtern? Liegt es daran, dass Männer klar denken, Dinge aufs Logische reduzieren und auf den Punkt bringen (viele Frauen natürlich auch!) und dabei das nur diffus am Rande Erkennbare und Erahnbare ausblenden und abstreiten und so auch öfter Verfechter des rein rational Begründbaren sind - wogegen manche Frauen sich vielleicht nicht zu argumentieren trauen?

Oder liegt vielleicht die Ablehnung von religiösen Erklärungen am so starken Haften an den Tätigkeiten im Hier und Jetzt, dass wir gar nicht mehr offen sind für Erfahrungen der Stille? Oder liegt es am kleinen Gesichtskreis von uns Laien, mit dem wir nur die "einfachen" naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wahrnehmen, eben die, die den gängigen, allgemein bekannten Gesetzen nach verständlich sind, und von den vielen komplizierten und (noch) nicht einzuordnenden Erscheinungen keine Ahnung haben? Oder liegt es daran, dass heutzutage das Wissen so immens gewachsen ist, dass sich Wissenschaftler meist nur mit ihren eigenen Bereichen beschäftigen können und dann von diesen Bereichen - letztlich wie Laien auch - ihre Schlüsse und Erfahrungen auf ihre eigenen metaphysischen Vorstellungen übertragen? Oder liegt es an den schlechten Erfahrungen mit den Institutionen, die oft abschreckend wirkten?

Liegt es daran, dass Weltanschauungen oder Religionen oft als Machtmittel missbraucht wurden/werden (Ich habe die Wahrheit, also musst du dich mir unterordnen und tun, was ich sage...)?

Ich wäre für weitere Gedanken sehr dankbar!

Herzliche Grüße
Rosmarie


Hermann Penker antwortete am 01.09.01 (21:13):

Liebe Rosmarie!
Und wie Sie recht haben! Leider habe ich wegen einiger Äußerungen überreagiert. Das könnte daher kommen, dass ich einige Bemerkungen in verschiedenen Beiträgen als allgemeine Aussagen und nicht einfach als persönliche Meinung genommen habe. Aber eine der eigenen entgegengesetzte Meinung muss akzeptiert werden und sollte daher nicht verletzen oder kränken.
Es würde die Aufrechterhaltung einer gewissen Diskussionskultur allerdings erleichtern, wollten alle sich auf die Darstellung der eigenen sachbezogenen Gedanken beschränken und auf Bewertungen anderer Vorstellungen verzichten. Dass im Eifer, die eigene Vorstellung zu präsentieren, die Wortwahl nicht immer optimal ausfällt, wird sich allerdings nicht vermeiden lassen. Verbale Entgleisungen haben aber die Verantwortlichen mindestens schon einmal dazu gebracht, das Thema ins Archiv zu verschieben, und daher ist auch aus diesem Grunde etwas mehr Vorsicht geboten.
Wenn ich kurz darauf eingehen darf, warum mir das Christentum ein Anliegen ist:
1.) Das Gebot der Liebe, von Jesus als das größte bezeichnet, macht jedes andere irdische Gesetz überflüssig, wenn sich die Menschen wirklich daran halten. 2.) Mit dem Auftrag zur Nächstenliebe wären alle sozialen, nachbarschaftlichen und zwischenstaatlichen Probleme gelöst, wollten wir uns daran halten. 3.) Das Einhalten der überlieferten Lehre würde das Paradies auf Erden schaffen, zumindest würde jedes von Menschen verursachte Leid verschwinden.
4.) Viele Zeitgenossen Jesu und auch deren Nachfolger waren auch durch Marter und Mord nicht von der Überzeugung abzubringen, dass Jesus der von den Propheten vorausgesagte "König der Juden" ist.
Die Liste ließe sich fortsetzen, aber ich darf die Geduld der Diskussionsteilnehmer nicht überstrapazieren. Viele sind sicher an diesem Thema überhaupt nicht interessiert. Herzliche Grüße
Hermann Penker


Karl antwortete am 01.09.01 (23:38):

Liebe Rosemarie, lieber Hermann,

zunächst: ich verwende :-| für "ernst gucken". Es ist weder Lachen :-) noch Weinen :-(. Doch das nur am Rande.

Ich möchte mich bei Rosemarie bedanken. Du hast es wieder einmal verstanden, die Wogen durch Deine vermittelnden Worte zu glätten.

M.E. geht es nicht um die Frage, ob diese Welt voller Wunder ist, sondern darum, ob diese Wunder zu dieser einen Welt gehören. Wir wissen heute weniger als die Menschen vor 1000 Jahren wie die Welt in 300 Jahren aussehen wird. Versetzen wir uns aber einmal in die Lage eines Menschen aus dem 18. Jahrhundert, der unsere Welt besucht. Er fände sie voller Magie. Wir telefonieren, sehen fern, fliegen, fahren Auto, öffnen aus der Entfernung per Funk Auto oder Garagentor, Chatten, Emailen, kurzum, wir machen Dinge, die man im 18. Jahrhundert bestenfalls mit schwarzer Magie hätte erklären können.

So wird es auch in Zukunft sein. Die Welt verändert sich immer rascher, die Zukunft hat noch sehr viel mehr an "Magie" zu bieten als die Gegenwart.

Warum ich das sage? Diese eine Welt ist mir wunderbar genug. Wir werden auf Grund der Ereignisse in diesem kommenden Jahrhundert (ich nenne nur die drei Wissenschaftsbereiche Biotechnologie, Computer- und Nanotechnologie) alle unsere überkommenden Philosophien und Weltanschauungen überdenken müssen. Einen kleinen Vorgeschmack kann übrigens die von Schirrmacher in der FAZ initiierte Debatte liefern. Es gibt hierzu ein lesenswertes Buch, dass ich unten angebe.

Liebe Rosemarie, das ist ein Aspekt, der mich zur Zeit fasziniert. Ich gestehe, ich bin ein Technikfan, aber nicht nur. Interessiert hat mich schon immer die Evolution, die seit der Entwicklung der Sprache vor allem eine kulturelle Evolution ist und deren Natur es ist, immer schneller abzulaufen, weil die Komponenten von Stufe n für die nächste Stufe n+1 verwendet werden. Die Evolutionstheorie kam schon sehr früh mit dem Schöpfungsglauben meiner frühen Umwelt in Konflikt und war die primäre Ursache dafür, dass ich es geschafft habe, mich ganz aus dem tradierten Gedankengebäude zu befreien (es ist sehr schwer gegen Indoktrination im Kindesalter anzukämpfen). Das Problem der Unvereinbarkeit von biologischer Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube liegt nicht in der Zeitspanne, 7 Tage gegen Hunderte von Millionenjahren, sondern in der Annahme eines wirklich zukunftsblinden Prozesses hier und einer schöpfenden Intelligenz dort. Erst mit dem Menschen und mit der kulturellen Evolution ist der Entwicklungsprozess vorausschauend geworden.

Mit freundlichen Grüßen

Karl

(Internet-Tipp: https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3462030086/derseniorentimin/)


Wolfgang antwortete am 01.09.01 (23:41):

Nehmen wir einmal an, Gott sei existent. Viele Menschen glauben ja an ihn - für sie ist er also existent - und beten zu ihm. Aber so viele Gläubige und so viele Wünsche... Was soll Gott tun? - Der Schriftsteller Wolfdietrich SCHNURRE hat dazu einmal eine kleine Geschichte geschrieben:

Die schwierige Position Gottes

"Und verschone uns mit Feuer, Missernten und Heuschreckenschwäremen", beteten die Farmer am Sonntagmorgen. Zu gleicher Zeit hielten die Heuschrecken einen Bittgottesdienst ab, in welchem es hiess: "Und schlage den Feind mit Blindheit, auf dass wir in Ruhe seine Felder abnagen können."


Karl antwortete am 02.09.01 (10:26):

Lieber Wolfgang,

und ist es nicht in Menschenkriegen ebenso? Beide Seiten werden gesegnet.

Zum Abschluß für mich noch folgendes:

95% der Menschen sind Anhänger der Religion, in die sie zufällig hineingeboren wurden - sagt das nicht alles über die Macht der kulturellen Prägung?

Ist es dumm daraus zu folgern, dass manch eifriger Christ auch ein eifriger Moslem geworden wäre und vice versa?

Mit freundlichen Grüßen, Karl


Hermann Penker antwortete am 02.09.01 (14:44):

Lieber Karl! Liebe Rosmarie!
In der Analyse des technischen Fortschrittes in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen wir konform.
Ich lebte über 30 Jahre davon, Kindern und Jugendlichen eine Einführung in die Grundzüge einer naturwissenschaftlichen Disziplin zu geben und hielt mich nach gegebener Möglichkeit am Laufenden.
Ich entdeckte aber in der bisherigen Entwicklung keine einzige naturwissenschaftliche Erkenntnis, die zwingend die Nichtexistenz Gottes bewiesen hätte, und ich glaube auch nicht, dass es künftig einen derartigen zwingenden Beweis geben wird. Ich kenne Chemiker, Physiker und Biologen, die ihre Fachkenntnisse mit ihrer religiösen Überzeugung vereinbaren können, und sie sind sicher nicht die schlechtesten ihres Faches.
Die Naturwissenschaften arbeiten mit Modellen, und sie fragen nach dem "Wie". Die Frage "Warum" hat nur innerhalb des verwendeten Modells einen Sinn. Weitergekommen ist die Wissenschaft in erster Linie bei der Antwort auf die Frage "Wie", das heißt in der Beschreibung dessen, was ist, und welche Vorgänge laufen in dem ab, was ist. Von diesen Erkenntnissen lebt die Technik.
Vor kurzer Zeit las ich, dass eine Gruppe von "Wissenschaftern" als neueste Erkenntnis veröffentlichte, der Urknall sei durch eine noch nicht durchschaubare Anomalie ausgelöst worden. Dieser "Zufall" sei verantwortlich für die Entstehung des Kosmos.
Eine weitere Sensationsmeldung war, dass der Mensch erst entstehen konnte, weil der Einschlag eines großen Kometen oder Meteoriten die Saurier ausgerottet hatte.
Von den vielen noch möglichen Einflüssen auf die Entwicklung des Lebens verweise ich noch auf die Anomalie des Wassers und auf den Umstand, dass lediglich der Dipolcharakter der Wassermoleküle es ermöglicht, das eine chemische Verbindung mit der Molekülmasse 18 bei terrestrischen Bedingungen über einen so großen Temperaturbereich flüssig ist. Aber ohne flüssiges Wasser gäbe es kein Leben auf der Erde, zumindest in der uns bekannten Form.
Der Atheist leitet seine Herkunft, so sehe es wenigstens ich, von diesen "Zufällen" ab: Diese Zufälle haben seiner Überzeugung nach seine Entstehung ermöglicht.
Es ist beinahe belustigend, wenn Religionskritiker immer wieder Bibelstellen wortwörtlich nehmen, weil es ihnen bis jetzt entgangen ist, dass uns die Bibel sicher nicht Forschungsarbeiten abnehmen will und soll. Sie soll lediglich den Menschen kundtun, dass Gott die Ursache allen Seins ist, und sie macht dies in der Sprache und mit den Bildern, die in der Entstehungszeit verstanden wurden.
Der Gläubige sieht im Werden dieser Welt und in der Entstehung von Leben in seinen vielfältigen Formen bis hin zum Menschen das Walten einer höheren Intelligenz. Das sind zwei Denkmodelle, jeder Mensch muss seine Entscheidung selbst, und Gott sei es gedankt, nur für sich treffen.
Wie kommt es aber dann, dass auch bei anderen Diskussionsthemen "Gläubige" von "bekennenden Atheisten" als mittelalterliche Relikte, Angsthasen, Ignoranten etc. belächelt werden? (Diese Bewertungen lassen sich auch durch anscheinend harmlose Nebenbemerkungen transportieren).
Auch das mit der kulturellen Prägung ist so eine Sache. Jeder, der mit jungen Menschen zu tun hat, weiß, dass sie auch eine "religiöse Krise" durchmachen müssen. Hier muss der Jugendliche entscheiden, ob ihn ein überliefertes Weltbild überzeugt oder nicht. Die Prägung durch Eltern könnte höchstens Taufscheinchristen und keine Tatchristen produzieren.
Ich nehme aber auch an, dass Atheisten sich ebenfalls bemühen werden, Atheisten zu produzieren. Und diese Prägung dürfte erfolgreicher sein.
Und noch eines: Wenn sich der Atheist schon in jungen Jahren für diese Lebensauffassung entscheidet, wird er jede innere Stimme, die seinem Leben eine andere Richtung geben will, übertönen und zum Schweigen bringen, und durch mangelnden Willen, sich nach Gott auszurichten, wird ihm jegliche persönliche Gotteserfahrung fehlen.
Der Atheist lehnt daher einen Gott ab, den er nie in sein Leben treten ließ, und den er daher auch nicht kennt. Denn Gott findet man weniger in theologischen Schriften sondern viel mehr in der praktizierten Nächstenliebe und im Gebet.
Herzliche Grüße
Hermann

p.S.: Ich möchte noch kurz Bezug nehmen auf Deine Antwort an Wolfgang. Es werden nicht beide Seiten gesegnet, damit sie siegen sollen. Der Feldgeistliche segnet die Soldaten, damit jeder, der fällt, im Stande der Gnade vor Gott treten möge. Das hat allerdings nur für Gläubige einen Sinn. Ich bemühte mich lange, einen Priester zu finden, der ein Gebet für den oft zitierten Waffensegen kennt. Ich suchte auch in alten Gebetbüchern. Ich suchte vergebens. Es wäre an der Zeit, mit verleumderischen Märchen aufzuhören (der Waffensegen bezieht sich natürlich nicht auf Deinen Beitrag!).


Georg Segessenmann antwortete am 02.09.01 (16:12):

"95% der Menschen sind Anhänger der Religion, in die sie zufällig hineingeboren wurden - sagt das nicht alles über die Macht der kulturellen Prägung?"

Ich denke, diese von Karl geäusserte Feststellung bringt die Wahrheit auf den Punkt.

Ich habe einmal meinen Vater - religiöser Fanatiker - gefragt, als er behauptete, nur die Anhänger seiner Sekte kämen in den Himmel: "Glaubst du wirklich, dein Gott sei so ungerecht, all die Indianer und anderen Wilden, die gar nie die Möglichkeit hatten, deine Sekte kennenzulernen, zu verdammen?"

Er antwortete etwas verdattert: "Der Liebe Gott wird schon wissen warum!"

Viele Sektenpriester (aber auch solche von anerkannten Kirchen) bereiten den Gläubigen die Hölle schon auf Erden mit ihrer Angsmacherei vor dem Teufel und dem strafenden Gott nach dem Motto: Wenn ich schon vor Angst vor dem Nachher in die Hosen mache, dann will ich wenigstens die Gewissheit haben, dass ich nicht der einzige Hosensch...... bin!

Das nachfolgende Gedicht stand - glaube ich - schon mal im ST. Ich wiederhole es, weil es ein bisschen meine eigene Glaubenshaltung dokumentiert.


Als Gott der Herr....
****************

Als Gott der Herr die Welt erschaffen
mit all den Tieren bis zum Affen,
da dünkte ihn, es fehl` noch was,
na so was wie im Spiel das As.
Drum nahm er einen Klumpen Lehm,
setzte sich auf den Thron bequem,
dann knetete er mit voller Kraft
und hatte bald es schon geschafft
den Adam aus dem Lehm zu formen,
ganz ohne Plan und ohne Normen.
Dann trank er noch ein Schlücklein Wein
und blies Adam seinen Odem ein.
Obwohl das Werk den HERRN erfreute
und ihn der Lehm kein bisschen reute,
hörte er nach ein paar Tagen
sich selber bitterlich beklagen:
„Der Prototyp ist zwar gelungen;
er hat ein Herz und Leber, Lungen,
doch irgendwie scheint mir beim Bein
ein kleines Stück zuviel zu sein.
Darum erschaff`` ich jetzt im Nu
nen weiteren Mensch, ohne, dazu“.
Gesagt, getan, gewagt, wohlan;
was er erschuf, war wohlgetan.








Mal kurzes Haar, mal langes Haar;
es war ein schönes Menschenpaar,
das sich da in der Sonne sonnte
und Gott den HERRN erfreuen konnte.
„Nun zieht ins Paradies sogleich
und wachset und vermehret euch;
benehmet euch wie Frau und Mann
und macht die Erd` euch untertan“!
Die beiden taten wie befohlen,
vermehrten sich ganz unverhohlen,
und schon nach ein paar kurzen Jahren
sie eine grosse Sippe waren,
die sich, wie Gott sie einst belehrte,
sich wie Karnickel stets vermehrte.
Doch bald hat Gott es Leid getan;
sie machten nicht nur untertan,
sie rotteten auch fleissig aus;
die Erde wurde, Graus oh Graus
in eine Wüstenei verwandelt,
das Paradies wurde verschandelt.

Der HERR schaut zu; erbost? Vergrämt?
Ob er sich seiner „Tat“ wohl schämt?

Schorsch, alias Georg von Signau


Rosmarie S antwortete am 02.09.01 (20:30):

Liebe Runde,

danke, dass noch so viele bedenkenswerte Aspekte in die Diskussion eingebracht wurden! Ich konnte leider nicht früher darauf eingehen, weil manchmal Kochen und Schlemmen noch wichtiger sind als philosophische Fragen... :-)))

Lieber Hermann,
Sie führen überzeugende Gründe an, warum Ihnen das Christentum so wichtig ist. "1.) Das Gebot der Liebe, von Jesus als das größte bezeichnet... 2.) Mit dem Auftrag zur Nächstenliebe... 3.) Das Einhalten der überlieferten Lehre... 4.) Viele Zeitgenossen Jesu..." So wie Sie formulieren, könnte das Christentum tatsächlich entscheidend Positives auf der Welt bewirken. Es hat sicher auch viel bewirkt, und es bewirkt immer noch viel Gutes. Allerdings wird es ja leider nicht nur in diesem reinen Sinne gelebt. Das könnte Gegner dieser Religion dazu bringen zu behaupten, dass das damit zusammenhinge, dass diese Lehre wenig Wahrheits- und Überzeugungskraft habe...
Fühlen Sie sich bitte nicht angegriffen, dies ist nicht meine Einstellung. Es soll nur zeigen, dass ich unterscheiden möchte zwischen einer Lehre oder Religion und persönlichen religiösen Einstellungen und Erfahrungen. Sind diese persönlichen religiösen Einstellungen nämlich echt und nicht nur kulturell übergestülpt oder durch Opportunismus beibehalten, so bleibt ein Hineinwirken in das Lebensverhalten des Betreffenden meiner Meinung nach nicht aus.
Worum es meiner Meinung nach geht, ist nicht, welche Religion "richtiger" ist, sondern ob sie für denjenigen wirkliche innere Bedeutung hat.
So stichhaltig Ihre Argumente auch sind, so könnten sie aber auch auf andere große Religionen zutreffen. Auch diese hätten, würden ihre Lehren befolgt, schon viel mehr Positives bewirkt, als bisher geschehen ist.

Nun fällt mir noch auf, dass Sie den sozialen Aspekt (Christentum oder Religion ist sozial sinnvoll) hervorheben. Sicher ist dies richtig. Ich glaube, dies wird hier auch von niemandem bestritten. Aber, diese Tatsache für sich genommen ist für einen Zweifler oder Ablehnenden noch kein Argument für die Existenz Gottes. Denn dass etwas sinnvoll wäre, dass es existierte, das ist ja noch kein Beweis dafür, dass dies existiert... Leider, muss ich für mich sagen.

Lieber Karl,

du hast mich voll auf dem falschen, d.h. eher richtigen Fuß erwischt. Denn genauso so, wie du argumentierst, läuft meine innere Argumentation ab. (Hast mich wohl durchschaut?:-)) Nur bin ich bisher eher zu anderen Schlüssen gekommen... :-)))
"M.E. geht es nicht um die Frage, ob diese Welt voller Wunder ist, sondern darum, ob diese Wunder zu dieser einen Welt gehören. .... die Zukunft hat noch sehr viel mehr an "Magie" zu bieten als die Gegenwart."

Genau das wüsste ich gern! Ist alles, was uns heute als "Wunder" erscheint, von dieser Welt, oder gibt es nicht doch ganz andere Bereiche und Energieformen, die im gängigen Sinne nicht von dieser Welt sind?

"Das Problem der Unvereinbarkeit von biologischer Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube liegt ... im zukunftsblinden Prozesses hier und einer schöpfenden Intelligenz dort."

So ist es, da liegt das Problem! Aber bist du dir sicher, dass dieser Prozess wirklich zukunftsblind und ungezielt ist? Dass wir keine schöpfende Intelligenz erkennen können oder als Erklärung für einfache Vorgänge der Evolution benötigen, heißt ja nicht, dass da keine ist, die trotzdem still und heimlich die Fäden zieht. Ich schreibe bewusst "einfache Vorgänge der Evolution", denn sind diesbezüglich wirklich alle Fragen beantwortet? Wie sehen das die Biologen allgemein? Seid Ihr euch einig darin, wie die Evolution ablief und abläuft?
Sicher kennst du Sheldrakes These der "morphischen Felder". Leider sind meine Verstehensmöglichkeiten ein bisschen sehr begrenzt und mein Gedächtnis noch viel schlimmer. Aber ich habe dunkel in Erinnerung, dass er der Meinung ist, dass die form- und gestaltgebenden Prozesse in der Evolution mit den bisherigen Ansätzen nicht genügend zu erklären seien. (Aber vielleicht liege ich falsch?) Sicher, auch er kommt ohne weiteres ohne einen Schöpfer aus. Aber für mich würden "morphische Felder", also derlei "geistige" Felder oder Energien, die wir so noch nicht erklären können, so schön in mein Weltbild passen, in dem es eben geistige Energien gibt... :-)))

Du schreibst: " Die Evolutionstheorie kam schon sehr früh mit dem Schöpfungsglauben meiner frühen Umwelt in Konflikt und war die primäre Ursache dafür, dass ich es geschafft habe, mich ganz aus dem tradierten Gedankengebäude zu befreien." und weiter unten "95% der Menschen sind Anhänger der Religion, in die sie zufällig hineingeboren wurden - sagt das nicht alles über die Macht der kulturellen Prägung?"
Zum Ersten: Auch ich habe mich aus dem tradierten Gedankengebäude befreit, bin aber trotzdem religiös, auf meine andere Weise eben. Befreiung als solche ist also kein zwingendes Argument gegen die Existenz "letzter Wahrheiten". Es ist eher eine psychologische Erklärung dafür, warum einer nicht glaubt und ein anderer glaubt... Zum Zweiten: Natürlich sagt das alles über die Macht der kulturellen Prägung. Aber auch nur darüber. Es sind aber doch keine stichhaltigen Argumente dafür, dass die Wahrheiten, die hinter den Religionen stehen, keine sind? Könnte es nicht genauso gut auch so sein, dass Religion und Suche danach deshalb weltweit verbreitet sind, weil im Menschen eben eine Fähigkeit vorhanden ist, in Ansätzen höhere oder andere Wahrheiten zu erkennen? Eine Fähigkeit hineingelegt wurde? Oder hat sie sich ganz einfach nach den Gesetzen der Evolution entwickelt, weil es für den Menschen sinnvoll ist, die ganze Bandbreite seines Daseins erfassen zu können, also auch seine Verbindung mit einer schöpfenden Intelligenz? :-))) Dass die einzelnen Menschen meist ihr Leben lang bei den religiösen Bildern bleiben, die sie mit ihrer Kultur aufgenommen haben, heißt ja nicht, dass die Wahrheiten dahinter keine wären. Es heißt meiner Meinung nach nur, dass es verschiedene Bilder für die gleiche Wahrheit gibt.
Die Psyche hätte schließlich noch andere Möglichkeiten, uns angenehme Täuschungen vorzugaukeln. Wozu also religiöse Erfahrungen?

Eigentlich möchte ich noch auf so vieles später Angeführte eingehen, aber dies ist wohl für manchen schon mehr als genug und überstrapazierend...

Einen wunderschönen Sonntagabend in die Runde!
Rosmarie


Ricardo antwortete am 02.09.01 (22:57):

Nachdem ich oben so eine etwas traurige Geschichte der Schöpfung gelesen habe, hier zur Abwechselung mal wieder was heiteres


Im Paradies

Eva rief zu Gott:"Herr, ich habe ein Problem."
"Was für ein Problem?"
"Herr, ich weiß,daß du mich erschaffen hast und diesen herrlichen
Garten dazu, all diese prächtigen Tiere und diesen Witzbold von
Schlange, aber ich bin trotzdem nicht glücklich."
"Aber warum denn?" kam die Antwort aus der Höhe.
" Herr ich bin einsam, und ich bin totkrank von den Äpfeln."
" Gut, Eva, in diesem Falle habe ich eine Lösung, ich werde für dich
einen Mann erschaffen."
"Was ist das, ein Mann?"
"Dieser Mann wird ein mangelhaftes Geschöpf sein, mit vielen schlechten
Eigenschaften.
Er wird lügen und betrügen und immer angeben; alles in allem wird es für
dich eine harte Zeit werden. Aber..er wird größer sein als du und
schneller und er liebt es zu jagen und zu töten.
Er wird albern aussehen, wenn er sich aufregt, aber weil du dich nun mal
beklagt hast,will ich dafür sorgen, daß er deine leiblichen Bedürfnisse
befriedigt.
Er wird geistlos sein und an kindischen Dingen Vergnügen haben wie
etwa streiten oder einen Ball herumkicken. Er wird nicht allzu klug sein, so
daß er deinen Rat brauchen wird, um klar zu denken."
" Das klingt gut", erwidert Eva mit ironischem Augenzwinkern, " aber was
ist der Haken dabei?"
" Nun, du kannst ihn haben, unter einer Bedingung."
" Und das wäre?"
"Wie gesagt, er wird eingebildet sein, arrogant und bewundert gerne sich
selbst.. so mußt du ihn glauben machen, er sei als erster erschaffen
worden.
Denk dran, das wird unser kleines Geheimnis bleiben, so von Frau zu
Frau..."


:-) Heidi antwortete am 03.09.01 (01:14):

Mein Schlusswort zu diesem Thema:

Eden

weißt Du wo das Paradies ist?
weit dort oben in dem Blau und Gold

unsere Seelen treiben im unendlichen Raum
gewärmt von der Sonne goldenen Glanz

leicht wie eine Feder
schweben wir

ohne Gedanken
nur voller Liebe und Dankbarkeit
sein zu dürfen

hl


Rosmarie S antwortete am 03.09.01 (09:41):

> weißt Du wo das Paradies ist?
...
> ohne Gedanken
> nur voller Liebe und Dankbarkeit
> sein zu dürfen

Liebe Heidi,

wie recht du doch hast! Schön, dein Gedicht! :-)))

Lieber Ric,
soviel paradiesische Frauenfreundlichkeit schon an einem Montag! Das kann doch nur eine friedliche und harmonische Woche werden! :-)))

Allen einen leichten und hoffnungsfrohen Start in eine wunderschöne Woche!
Rosmarie


Georg Segessenmann antwortete am 03.09.01 (11:19):

Liebe Rosmarie

ich glaube, Du hast Ricardos Kern nicht richtig verstanden: Um ein richtiger Mann zu sein brauchte - und braucht heute noch - Adam die Eva. Lass ihm doch die kleine Lebenslüge, der Erste zu sein!

Gruss

Schorsch


Rosmarie S antwortete am 03.09.01 (12:57):

"Um ein richtiger Mann zu sein brauchte - und braucht heute noch - Adam die Eva. Lass ihm doch die kleine Lebenslüge, der Erste zu sein!"

Lieber Schorsch,

was heißt hier "Lüge"? Ist doch die Wahrheit! Rics Text war doch nur ein freundlicher Gag... :-))))

Ich würde ja gern ein bisschen auf den weiblichen Eigenschaften Gottes herumreiten, vielleicht auch den Begriff "Göttin" in den Raum stellen - ganz ernsthaft sogar. Aber ich glaube, das wäre für viele Teilnehmer hier wohl zu provokativ... Ich lass es, denn im Tiefsten bin ich überzeugt, dass untereinander Frieden zu halten noch wichtiger ist, als seine eigenen Denkkategorien zu schärfen und zu überprüfen...

Mit herzlichen Grüßen an dich
und besonderen Grüßen an alle, die dieses ernsthafte Thema von oben ebenso rumtreibt, die aber auch trotzdem noch lachen können!

Rosmarie


Erika antwortete am 03.09.01 (17:31):

Mit Interesse habe ich die bisherige Diskussion verfolgt.
Religiöse Fragen sind nach meiner Meinung nicht aus unserem Leben wegzudenken und mit der Frage nach dem Sinn des Lebens eng verknüpft. Was wird aus uns nach unserem Tod? Hatte unser Leben einen Sinn? Antworten auf diese Fragen suchen wir in der Bibel. Sie gibt vielen Menschen Hoffnung und Zuversicht.
In der heutigen Zeit gilt der Slogan: das muss jeder selbst entscheiden. Es zählt die Gewissensfrage.
Zu der Freiheit des Einzelnen gehört aber auch, dass er nicht allein glücklich werden kann, sondern auf Gemeinschaft angelegt ist. Die Kirche ist eine besondere Gemeinschaft mit hohen Ansprüchen. An diesen Ansprüchen muss sie sich aber auch messen lassen.
Heute ist bei vielen Menschen die Anbindung an Gott verloren gegangen.
Gruß Erika


Gisela (hier) antwortete am 04.09.01 (11:27):

Ein fröhliches Hallo an alle,
eigentlich ist ja schon alles gesagt und nach so vielen klugen Einlassungen, mag ich mich kaum zu Wort melden. Der Glaube ist aber ein Thema, das mich sehr beschäftigt und das ich auch gern diskutiere. Ich habe z.B.eine wunderbare Freundin, und wenn wir dieses Thema ansprechen, können wir trefflich "streiten", da sie aufgrund ihrer Erziehung streng katholisch ist (Karl hat völlig recht, wenn er sagt 95% der Menschen sind Anhänger der Religion, in die sie hineingeboren wurden...... (Eintrag vom 02.09.) und ich allen Religionen ganz offen gegenüberstehe. Doch keiner will den anderen missionieren, sondern letztendlich toleriert jeder des anderen Anschauung. Respekt vor der Meinung anderer ist wohl immer das Wichtigste und nicht nur bei diesem Thema. Im übrigen ist es doch wohl auch so: Wenn es denn einen Allmächtigen gibt, dann aber doch wohl wirklich nur einen. Oder?

Erfrischend ist für mich, wenn Ricardo mit einem kleinen Witz oder mit dem "Ruf der Eva zu Gott" etwas "Fröhlichkeit" in die Diskussion bringt. Dies mag ja nicht allen gefallen, aber muss immer alles so "bitterernst" sein? Mir gefällt beides! Das einzige was mir an Diskussionen missfällt, sind persönliche Angriffe.

Ich lese z.Zt. ein Buch über die Entstehung des Weltalls und da komme ich wirklich ins Grübeln. Gelehrte wurden als Gotteslästerer hingestellt, z.B. Aristarch von Samos. Das Buch ist wissenschaftlich und für einen Laien wie mich, verständlich geschrieben. Ich frage mich aber, wer denn nun die Welt erschaffen hat? Oder anders herum, wer ist der Schöpfer? Hierzu gäbe es noch viel zu sagen.
Trotz aller Zweifel, bin ich gläubig.


Gisa Ruf antwortete am 04.09.01 (16:47):

Wir haben's schwer.
Denn wir wissen nur ungefähr,
woher,
jedoch die Frommen
wissen gar, wohin wir kommen !
Wer glaubt, weiß mehr.


Georg Segessenmann antwortete am 04.09.01 (18:30):

An Gisela (hier)

Wenn Du dann herausgefunden hast, WER der Schöpfer ist, dann überleg doch bitte weiter, wer IHN geschaffen hat!

Schorsch


Ingrid Müller antwortete am 04.09.01 (22:47):


Ich glaube an einen Gott!
Gott ist das Gute im Menschen
Gott wirkt und schafft durch Menschen.
Menschen können Engel Gottes sein.
Der Mensch ist ohne Gottes-Geist ein nichts.
Der Mensch hat immer die Wahl sich zum Guten-Gott
auszurichten oder zum Schlechtem -Satan.
Leider denkt der Mensch nur an sich ,darum ist
die Welt ,auch voller Neid und Bosheit.
Es ist nicht Gottes -Wille,Gott will Frieden
auf Erden,nur was machen wir Menschen daraus?


Rosmarie S antwortete am 05.09.01 (19:18):



Liebe Ingrid,

ein wahrhaft furioses Credo!

Ich beneide dich, dass du deine Glaubensvorstellungen auf einen solch einfachen Nenner bringen kannst! Obwohl - es wird ja behauptet, dass alle großen Wahrheiten einfach seien.

Aber ich habe trotzdem Schwierigkeiten mit deinen Aussagen. Ich selbst sehe das Göttliche zwar auch als den Inbegriff von Liebe, Güte und Intelligenz an. Aber mit einer Polarisierung wie: "Der Mensch hat immer die Wahl sich zum Guten-Gott auszurichten oder zum Schlechtem -Satan." habe ich so meine Mühe.
Für mich ist die Welt nicht schwarz-weiß, sondern bunt oder auch mit vielen Grauschattierungen versehen. In meinem Alltag gibt es kaum "entweder-oder", sondern eher "angemessen oder unangemessen" und fast immer "sowohl als auch". Ich halte es für unfair, Menschen mit der Latte "gut oder böse" zu messen, denn wer ist schon wirklich gut oder böse?
Aber vielleicht verstehe ich dich ja auch falsch?
Für mich könnte in einem solch polarisierten Denken die Gefahr liegen, andere in einer Weise zu beurteilen und zu bewerten, die wir aus Mitmenschlichkeit, Toleranz und der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit heraus besser unterlassen würden.

Herzliche Grüße
Rosmarie


Hans-Jürgen antwortete am 05.09.01 (20:00):

Innerhalb weniger Tage entstand hier ein wahres Feuerwerk meist geschliffen formulierter Meinungen und Gegenmeinungen über ein offenbar sehr bedeutsames Thema, und die Frage stellt sich, warum dies nicht schon viel früher geschah.

Als überaus angenehm empfinde ich hierbei den höflichen, sachlichen Ton, auch wenn die geäußerten Ansichten und Argumente dem Inhalt nach oftmals nicht miteinander zu vereinbaren sind. Wenn jemandem in der Hitze des Gefechts ausnahmsweise ein falsches Wort, ein unglücklicher Satz herausrutscht, entschuldigt er sich dafür, und die Entschuldigung wird akzeptiert, so daß die Diskussion ungehindert weitergehen kann. Ich habe den Eindruck, daß fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ihr gemeinsam und sehr ernsthaft um eine Lösung des durch die Kapitelüberschrift gekennzeichneten Problems ringen, auch wenn es eine solche vielleicht niemals geben wird. Toleranz unter Beibehaltung des eigenen Standpunkts wird dabei groß geschrieben!

Besonders gründlich und tiefschürfend fand ich neben anderem Rosmaries Fragen und Reflexionen; und dem, was Herrmann Penker schreibt, kann ich in großem Umfang zustimmen. Von Karls Bemerkungen sind mir vor allem zwei im Gedächtnis geblieben.

Die eine ist die, daß er meint, daß derjenige die Beweislast zu tragen habe, der das weniger Wahrscheinliche behauptet. Dies ist mir neu, und ich muß weiter darüber nachdenken.

Die zweite Bemerkung Karls betrifft seine religiösen Erfahrungen in der Kindheit, von denen er sich als Erwachsener befreite. Mir ging es gerade umgekehrt wie ihm. Von staatlicher Seite (meine Eltern blieben dabei indifferent) versuchte man mich als Kind zum Atheisten zu erziehen, doch ging das aus verschiedenen Gründen schief. Erreicht wurde damit lediglich, daß ich der Religion zumindest nicht ablehnend gegenüberstand, und im Laufe meines weiteren Lebens nahm meine Sympathie zu ihr immer mehr zu. Speziell an der christlichen Lehre bewegt und erfüllt mich manches tief, das andere Religionen nicht haben.

Im übrigen bin ich der Ansicht, daß Religion und Naturwissenschaft keine Gegensätze sind, denn beide bedienen sich desselben Verfahrens, wenn es um den Anfang, die Grundlagen geht. In der Religion sind es Glaubenswahrheiten, die keines Beweises bedürfen und von den Gläubigen nicht nur hingenommen, sondern ausdrücklich bejaht werden. Und in den sogenannten "exakten" Wissenschaften, speziell in der Physik, die mir am besten vertraut ist, geht man ganz ähnlich vor. Hier spricht man zwar vornehmer von "Axiomen", doch gemeint sind damit ebenfalls unbewiesene und unbeweisbare Annahmen, die an die Spitze des Lehrgebäude gestellt werden. Zudem geschieht dies meist stillschweigend und wird nicht besonders hervorgekehrt, so daß es in der Regel nicht auffällt. Zu den Axiomen der Physik gehören Sätze wie "Die Gesetze, wie sie hier auf der Erde entdeckt werden, gelten im gesamten Weltall." Auch bei bestimmten, als "universell" bezeichneten Konstanten geht man davon aus, daß sie überall dieselben Werte haben wie bei uns. Naheliegend, gewiß; aber eben nicht *bewiesen*!

Somit besitzt in meinen Augen die Physik keinen erkennbaren Vorzug gegenüber der Religion, was ihre logische Begründung und ihren Wahrheitsgehalt angeht. Überspitzt könnte man sagen, sie sei ebenfalls nichts Anderes als Religion, nur eine Religion *ohne Gott*. Dies wird auch beim sog. "Urknall" deutlich. Bei ihm stellen sich automatisch die Fragen wie: *Warum* "knallte" es plötzlich, wer oder was veranlaßte das und was war davor? Ich glaube nicht, daß jemand hierauf jemals eine befriedigende Antwort finden wird. Trotzdem wird der "Urknall" von vielen Physikern als etwas tatsächlich Gegebenes angesehen (und viele Laien wiederholen dies; nur der genaue Zeitpunkt ist umstritten), obwohl es sich dabei lediglich um eine *Hypothese*, eine ungesicherte *Annahme* handelt.

Religion und Naturwissenschaft, so meine ich, sind beide nötig. Sie sind gleichberechtigt und sollten gleich geachtet werden. Sie kommen sich auch gegenseitig nicht ins Gehege, können also auch nicht miteinander konkurrieren. Die Physik kümmert sich nicht darum, was nach dem Tod kommt und wie wir leben sollen. Die Religion läßt die Welt der Atome und Elektronen (die uns soviel bedeutet) kalt; fremde Planeten, ferne Galaxien, Gravitationsgesetz und Quantentheorie sind ihr gleichgültig. Beide Gebiete des menschlichen Geistes und Seelenlebens ergänzen einander und können sich im Idealfall gegenseitig befruchten. Wehe den Gesellschaften, die eines von beiden unterdrücken, was früher geschah und heute geschieht. Und auch der Einzelne: er sollte m. E. die Einstellung ablegen (oder sie wenigstens nicht allzu offen, zum Teil in polemischer Absicht, zum Ausdruck bringen), Gott sei nur "ausgedacht", ebenso wie manche überzeugten Christen besser daran täten, nicht mitleidsvoll auf diejenigen herabzusehen, die "nur mit dem Verstand arbeiten" – auch das gibt es, leider.

Hier im ST wird an einer Stelle darauf hingewiesen (und ist im übrigen weitbekannt), daß es große Naturwissenschaftler gab, die an Gott glaubten. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur drei: Newton, Leibniz und Pascal. In unserer Zeit sagte *Heisenberg*: "Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch; aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott." Dieses sehr bildhafte Zitat fand ich im Internet bei www.dasgrossez.de unter dem Suchwort "Glaube".

Hans-Jürgen


Hermann Penker antwortete am 05.09.01 (20:33):

Liebe Rosmarie!
Obwohl Ingrid und nicht ich in Deinem letzten Beitrag angesprochen wurde, möchte ich mich dennoch dazu äußern. Will man keinen Verstoß gegen das Gebot der Liebe verantworten müssen, wird man nicht einen Menschen als "gut oder böse" einstufen dürfen, sondern höchstens seine oder einen Teil seiner Taten. Böse wäre der "Täter" doch nur, wenn er als böse Erkanntes aus Lust am Bösen, freiwillig und ohne Zwang tut. Wie viel Böses geschieht in unserer Welt, und die Täter wissen nicht, was sie tun?
Herzliche Grüße
Hermann


Hermann Penker antwortete am 05.09.01 (23:15):

Liebe Rosmarie,
ich hätte obige Wortmeldung besser noch einmal lesen sollen, bevor ich sie abschickte. Im Ausdruck "gut oder böse" ist gut wohl besser weg zu lassen.
Herzliche Grüße
Hermann


Ingrid Müller antwortete am 06.09.01 (01:39):


Liebe Rosemarie!
Ich habe nicht behauptet ,es giebt nur gute oder
böse Menschen!Ich meine zum Guten ausrichten.
(Gut-Gott)Beispiel:Ich finde eine Brieftasche,
der gute Gedanke ich gebe sie ab!Oder ich
behalte sie,kann ich gut gebrauchen.(schlecht)
Hat mit Intelligenz nichts zu tun!
Ich hoffe das du meine Gedanken nachvollziehen kannst.
Besser kann ich meine Gedanken leider nicht
erklären!
Es grüßt dich herzlich Ingrid!


Rosmarie S antwortete am 06.09.01 (18:11):

Liebe Rosemarie!
Ich habe nicht behauptet ,es giebt nur gute oder
böse Menschen!Ich meine zum Guten ausrichten.
(Gut-Gott)Beispiel:Ich finde eine Brieftasche,
der gute Gedanke ich gebe sie ab!Oder ich
behalte sie,kann ich gut gebrauchen.(schlecht)
Hat mit Intelligenz nichts zu tun!
Ich hoffe das du meine Gedanken nachvollziehen kannst.
Besser kann ich meine Gedanken leider nicht
erklären!
Es grüßt dich herzlich Ingrid!


Liebe Ingrid,

manchmal steh ich ein bisschen auf der Leitung. Eigentlich hätte ich früher erkennen können, dass du dieses "gut oder böse" so meinst, wie du dies am Beispiel oben erklärt hast!
Du schreibst: "Besser kann ich meine Gedanken leider nicht erklären." Falls du damit sagen möchtest, dass du sie vielleicht nicht deutlich erklärt hättest, liegst du völlig falsch. Die Probleme beim Verstehen lagen nur auf meiner Seite! Manchmal springe ich auf irgendwelche Stichwörter einfach zu schnell an. Du hattest dich durchaus klar ausgedrückt!
Ich selbst neige beim Schreiben dazu, viel zu detailliert und genau sein zu wollen und werde dabei oft wohl viel zu kompliziert. Aber beim Tippen habe ich halt mehr Zeit zum Formulieren, und da sprudelt es dann nur so aus mir heraus... :-)) Dabei bin ich im Reden völlig normal. Im Gegenteil, da suche ich oft mal nach Wörtern, verhaspele mich, verliere den Faden, bin eingeschüchtert... Aber beim Schreiben - hach, da kann ich so richtig loslegen! Sieh mir das also bitte auch nach. :-)))

Lieber Hermann,

Sie stellen für mich sehr schön das Gebot der Liebe heraus. Das zu verinnerlichen, täte uns wirklich allen gut - egal, ob gläubig so oder so oder gar nicht, ob Naturwissenschaftler, Philosoph oder Viehzüchter...
Wenn ich nur bei mir selbst überzeugend damit anfangen könnte... :-)))

Lieber Hans-Jürgen,

deinen Beitrag habe ich mit großem Interesse und Spaß gelesen.
Natürlich gefällt mir dein Heisenberg-Zitat am Ende besonders gut! :-)))

Dass dieser Thread weitergeht, ohne dass wir uns die Köpfe einschlagen, finde ich auch äußerst erfreulich. Andererseits vermisse ich jetzt die Gegenstimmen (Karl muss ja wieder in die Uni, wird also einfach keine Zeit haben), aber wo bleiben die anderen Gegenargumente? Ihr mit der anderen Meinung werdet euch doch hoffentlich nicht frustriert abgewendet haben? Ihr denkt doch hoffentlich nicht, was soll man auf so viele unbewiesene Glaubensäußerungen noch sagen? :-))

Herzliche Grüße
Rosmarie


Karl antwortete am 06.09.01 (21:22):

Liebe Rosemarie und alle anderen,

es geht mir nicht um Widerrede, sondern um Erläuterung.

Hans-Jürgen hat geschrieben: "Zu den Axiomen der Physik gehören Sätze wie 'Die Gesetze, wie sie hier auf der Erde entdeckt werden, gelten im gesamten Weltall.' Auch bei bestimmten, als 'universell' bezeichneten Konstanten geht man davon aus, daß sie überall dieselben Werte haben wie bei uns. Naheliegend, gewiß; aber eben nicht *bewiesen*! ".

Das ist richtig angemerkt. M.E. ist der Schluss daraus trotzdem falsch. Religion und Physik sind nicht auf die gleichen Fundamente gebaut.

Die Naturwissenschaften versuchen die Welt mit möglichst einfachen Modellen zu erklären, die Betonung liegt wirklich auf "möglichst einfachen". Es gibt nämlich immer eine große Zahl von Modellvorstellungen, die ein Phänomen erklären können. Nur das einfachste Modell, das die wenigsten Parameter benötigt, wird als schön erkannt und akzeptiert.

Jedes Modell eines realen Systems muss zudem verworfen oder erweitert werden, wenn es das Verhalten des Systems unter neuen Bedingungen nicht hinreichend beschreibt. Deshalb gehört das Ausdenken von Tests für ein Modell zu den Aufgaben eines Naturwissenschaftlers. Er muss bereit sein, sein Modell zu verwerfen, wenn es nicht in der Lage ist, das Systemverhalten in einer neuen Situation zu beschreiben.

In einem naturwissenschaftlichen Modell der Welt taucht Gott nicht auf, weil man mit diesem Parameter nicht rechnen kann bzw. alles beweisen könnte. Steven Hawkins hat einmal gesagt, die Rechnungen funktionieren auch ohne.

Um zu Hans-Jürgens Aussagen zurückzukommen: Die Annahme, dass die Naturkonstanten überall gleich sind, ist die einfachste Annahme, die man machen kann. Sie wäre nur dann zu verwerfen, wenn man mit ihr nicht alle Phänomene erklären könnte.

Mein Fazit: Naturwissenschaftliche Weltmodelle müssen möglichst einfach (Minimalmodell) und überprüfbar (d.h. falsifizierbar) sein. Beide Eigenschaften unterscheiden die naturwissenschaftliche Weltsicht fundamental von der religiösen. Bei letztere wird ja sogar immer argumentiert, man könne sie nicht widerlegen, was richtig ist.

Mit freundlichen Grüßen
Karl

(Internet-Tipp: https://www.zum.de/zumdb/buch/cgi/titel.cgi?id=171)


Ricardo antwortete am 06.09.01 (22:08):

Auch Physiker sind nachdenkliche Menschen, dazu gehörte Albert Einstein, der den berühmten Satz geprägt hat: "Gott würfelt nicht!" Das aus dem Respekt vor den Gesetzen der Natur.

Im April 1929 erhielt Albert Einstein ein Telegramm des New Yorker Rabbiners Herbert Goldstein. Der Rabbi war
aufgeschreckt worden, weil ein Bostoner Kardinal seine Gemeinde vor dem Studium der Relativitätstheorie gewarnt hatte. Sie stelle Gott und die Schöpfung in Frage und verberge atheistisches Gedankengut.* Goldstein kam direkt zur Sache: "Glauben Sie an Gott? Stop. Bezahlte Antwort: 50 Worte." Einstein brauchte für seine Antwort nur 29 Worte. Er telegraphierte zurück: "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt."
(Inka Kübel)
* Im Nazi-Deutschland war die Relativitätstheorie Einsteins verboten.


Karl antwortete am 06.09.01 (22:15):

Lieber Ricardo,


danke für diesen schönen Beitrag. Wenn Einstein sagt "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt." dann ist dies die Gleichsetzung von Gott mit der Welt und eben nicht der Gott, an den die meisten glauben. Dann sind wir ein Teil von ihm.

Beste Grüße, Karl


Hans-Jürgen antwortete am 07.09.01 (12:04):

Das Thema Wissenschaft und Religion (das hinter der Kapitelüberschrift "Stimmt das?" steckt) fasziniert mich weiter. Deshalb möchte ich mich noch einmal hierzu zu Wort melden. Karl schreibt:

"In einem naturwissenschaftlichen Modell der Welt taucht Gott nicht auf, weil man mit diesem Parameter nicht rechnen kann bzw. alles beweisen könnte. Steven Hawkins hat einmal gesagt, die Rechnungen funktionieren auch ohne."

Diese Feststellung besagt doch nur, daß sich manche Physiker (wie Hawking) um Gott nicht kümmern, daß er nicht in ihr Arbeitsgebiet fällt. Die Frage, ob Gott existiert, die Welt geschaffen hat und sie regiert oder nicht, bleibt dadurch völlig unberührt. Physiker, die so handeln, isolieren sich in meinen Augen in ganz spezifischer Weise; ob zu ihrem eigenen Nutzen oder Schaden, bleibe dahingestellt.

Andere Naturforscher waren jahrhundertelang von der Existenz Gottes überzeugt und nicht wenige sind es noch heute. Wenn man im Internet z. B. mit google mit den Suchwörtern "Newton" "Gott" (so wie hier geschrieben) herumstöbert, findet man eine Fülle von Hinweisen darauf. Ein diesbezüglicher, zusammenfassender Artikel von Peter Ripota beginnt mit:

"Wissenschaft und Religion waren schon immer Gegensätze, heißt es. Und: Wissenschaftler lehnen seit je die These von einem allmächtigen Gott ab, da sie ihn nicht brauchen. Umgekehrt unterdrückte die Kirche wissenschaftliche Erkenntnisse, weil sie den Glauben an Gott erschüttern könnten. Wissenschaftler emanzipierten sich vom Glauben, während die Kirche stets im Gegensatz zur Wissenschaft stand, wie der Fall Galilei beweist. Jede neue Erkenntnis rückte Gott in weitere Ferne: Kopernikus entthronte die Erde, der Atheist Darwin den Menschen als Mittelpunkt des Kosmos. Heute, im Zeitalter der gigantischen Atomzertrümmerungsanlagen und nur 20 Jahre vor der Entdeckung der Weltformel (nach Meinung von Stephen Hawking), ist der Glaube an Gott praktisch überflüssig. An diesen Behauptungen, die in etwa gängige Auffassungen widerspiegeln, ist so gut wie alles falsch. ...."

Und von Einstein, der hier, in unserer Gesprächsrunde, bereits zitiert wurde, stammt das folgende, weitere Zitat: "Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind." Eine solche Denkweise ist geeignet, die nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit bestehende Spaltung zwischen Naturwissenschaft und Religion zu verringern und den gegenseitigen Respekt zu fördern. Hieran bin ich sehr interessiert. (Der genannte Artikel findet sich im *Archiv* von google unter der unten angegebenen Adresse.)

Hans-Jürgen

(Internet-Tipp: https://www.pm-magazin.de/magazin/aktuell/1999/9912_story_01.html)


Hermann Penker antwortete am 07.09.01 (20:13):

Liebe Rosmarie, lieber Karl, lieber Hans-Jürgen und die anderen dieser Runde!

Zumindest viele der an Gott glaubenden berufen sich bei der Argumentation auf die Ordnung im Kosmos (kosmos = Ordnung) und den gesetzmäßigen Ablauf aller Vorgänge in der Natur. Der Atheist glaubt aus der Erkennbarkeit von Gesetzmäßigkeiten und der daraus resultierenden Berechenbarkeit von Naturvorgängen auf die Nichtexistenz Gottes schließen zu müssen. Von den gleichen Fakten ausgehend kommt der Gläubige zu seinem Gottesglauben und der Atheist zur Leugnung der Existenz Gottes. Was wäre das aber für ein Gott, der nicht schafft, was ein Techniker ohne weiteres vermag, nämlich die Konstruktion eines automatisch arbeitenden Systems, in dem man Menschen höchstens noch bei Kontrollgängen oder Alarm antrifft? Dass die Welt so gut funktioniert, dass der Schöpfer nicht andauernd eingreifen muss, um sein Werk in Betrieb zu halten, kann also genau so gut als Beweis für "Qualitätsarbeit Gottes" genommen werden.
Das Bestreben der Naturwissenschaft, ein möglichst einfaches Modell (Minimalmodell) zu schaffen, ist voll gelungen. Es spart sogar aus, was für eine riesige Anzahl von Menschen von grundlegender Bedeutung ist, nämlich die Frage nach dem Sinn der Welt und des Lebens, nach dem "Woher und Wohin" des Menschen. Ob man so etwas dann auch noch als schön bezeichnen kann, ist eine reine Geschmacksfrage. Diese Selbstbeschränkung des Naturwissenschaft auf "Greif-, Mess- und Wägbares" ist das Eingeständnis, mit naturwissenschaftlichen Methoden keine Antworten auf die menschlichen Grundanliegen geben zu können.
Zur Aussage Karls: "Jedes Modell eines realen Systems muss zudem verworfen oder erweitert werden, wenn es das Verhalten des Systems unter neuen Bedingungen nicht hinreichend beschreibt" wäre hinzu zu fügen, dass sehr wohl widersprüchliches nebeneinander existiert, z. B.: Je nach Versuchsanordnung kommt die Antwort der Natur, Licht besitzt Teilchen- bzw. Licht hat Wellencharakter. Analoges gilt für Elektronen und Elektronenwellen.
Karl schreibt: "Wenn Einstein sagt: Ich glaube an Espinosas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt, dann ist dies die Gleichsetzung von Gott mit der Welt..", dann ist dies kein zwingender Schluss. Einsteins Aussage bedeutet doch nur, dass Gott nach Einsteins Auffassung durch die Harmonie der Schöpfung erkannt werden kann. Und mit "Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind" zeigt Einstein, wie wichtig ihm Religion und Naturwissenschaft waren (Das Schlusszitat wurde dem Beitrag Hans-Jürgens entnommen).
Herzliche Grüße
Hermann


Wolfgang antwortete am 08.09.01 (10:28):

Es wird zuweilen behauptet, der Glaube sei das Eine... Etwas Irrationales, etwas Subjektives, etwas über das sich nicht diskutieren liesse. Dagegen sei die moderne Naturwissenschaft das völlig Andere... Sie sei rational, objektiv, nachvollziehbar, also diskussionsfähig. So wird ziemlich dreist propagiert, dass die Gläubigen eben nur GLAUBEN, Anhänger der Naturwissenschaften aber WISSEN. Dabei steht das Denkgebäude der meisten NaturwissenschaftlerInnen auf dünnen Brettern. Haben sie sich doch eine Welt zurechtgezimmert, die auf einfachsten Annahmen beruht und alles Wichtige und Entscheidende ausklammert. Mit Fanatismus und Intoleranz (Eigenschaften, die Gläubige oft an den Tag legen) und reduzierend auf das Rechenbare und Berechenbare - also auf das Unwesentliche -, versuchen sie die Welt und insbesondere das Leben in ihre technische Form zu pressen.

Werden wir aufgrund der rasanten Technikentwicklung unsere bisherigen Philosophien und Weltanschauungen überdenken müssen? - Ich meine: Nein, das müssen wir sicher nicht. Denn, trotz mancher Begeisterung, kommen mir die sogenannten Wunder der Technik als äusserst primitiv vor gemessen am Wunder der Natur. In der Tat ist jeder in der Pflicht, das Unwahrscheinlichste zu erklären, das man sich denken kann. Dieser unwahrscheinlichste aller möglichen Prozesse ist die Entstehung und Entwicklung des Lebens, besonders die der Vernunft, des entscheidenden Merkmals des menschlichen Lebens.

Woher kommt Leben? Wohin entwickelt es sich? Was ist Schönheit? Was ist Moral? - Auf diese und viele andere Fragen hat die reduktionistische Naturwissenschaft keine Antwort. Ganz einfach darum, weil sie schon die Fragen aus ihrem Wissenschaftsprogramm ausgeklammert hat. Der moderne und zur Zeit vorherrschende Glaube - die reduktionistische Naturwissenschaft - ist nicht die Lösung der Probleme. Dieser gefährliche Glaube ist das eigentliche Problem...


Karl antwortete am 08.09.01 (10:58):

Mit "Mit Fanatismus und Intoleranz"? Lieber Wolfgang, möge doch jeder mit einem Blick in die Geschichte deine Worte bewerten.


MfG Karl


Rosmarie S antwortete am 08.09.01 (11:47):



Lieber Karl und alle Mitlesenden,

deine Erklärungen und Darlegungen vom 6.9.01 sind faszinierend! Einleuchtend auch. Aber mir als Laien kommt dabei die Frage, ob es nicht so ist, dass die Naturwissenschaften - auch in der Astro- oder Teilchenphysik - nicht doch immer wieder Phänomene entdecken, die sich mit ihren bisherigen Modellen nicht erklären lassen. Soviel ich weiß, ist z.B. allgemein anerkannt, dass es eine Riesenmenge dunkler (oder muss es heißen "schwarzer"?) Materie im Weltall gibt, mehr als von unserer bekannten - das haben ja angeblich Rechnungen ergeben - , aber noch nirgendwo habe ich je etwas gelesen, aus was diese Andersmaterie bestehen könnte und nach welchen Gesetzen sie funktionieren könnte.

Ein anderes Beispiel: Wenn Walter von Lucadou, der (durchaus "ganz diesseitige") Freiburger Parapsychologe Psychokinese (bewegen von Dingen danke geistiger Kräfte) als bewiesenes Phänomen belegt, aber auch noch keine befriedigende physikalische Erklärung liefert (er ist u.a. Dr.der Physik), dann ist das für mich ein Hinweis darauf, dass die Modelle der Naturwissenschaften noch keineswegs alle Phänomene der Welt erklären können. (Das behauptest du ja auch nicht.)
So lange aber noch kein Gesamtmodell gefunden ist, das die Forderung nach Einfachheit erfüllt und das ALLE Phänomene der Welt erklären kann, so lange überzeugt es mich nicht, dass es dieses in der erhofften Weise geben wird.
Für mich ist dann der nächste Gedankenschritt: Natürlich _kann_ alles "von dieser Welt sein", aber noch ist keineswegs bewiesen, dass - wie Hawkings meint - alle Rechnungen auch ohne Gott funktionieren. Es wäre doch denkbar, dass wir als Menschheit bisher nur die oberste Schicht beschauen und erkennen können. Wer weiß denn, ob zukünftige Generationen nicht Schnittstellen zu geistigen Kräften finden werden, wo die sichtbare und untersuchbare Materie durchaus von "geistigen" oder eben ganz anderen, als den bisher bekannten Kräften beeinflusst oder gar gesteuert wird?
Natürlich _muss_ auch dies nicht so sein. Aber diese Hypothese ist doch auch nicht weniger belegbar als die deine? Oder mache ich da einen Denkfehler?

Rics Beitrag zu Einstein finde ich hochinteressant, und ich habe besonders viel Spaß daran! Aber Beweise sind das letztlich ja auch nicht?

Ich bitte um Nachsicht, dass ich auf die späteren Gedanken noch nicht eingehen kann, dies brannte mir einfach auf der Seele.

Allen ein wunderschönes Wochenende - mit viel Wundern :-))))
Rosmarie


Karl antwortete am 08.09.01 (13:57):

Liebe Rosemarie,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich freue mich immer, Dich zu lesen, da Du versuchst zu verstehen und nicht "draufhaust". Wir stimmen überein darin, dass das Weltmodell der Naturwissenschaften unvollständig ist. Wahrscheinlich auch darin, dass die Naturwissenschaften im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr Naturphänomene zu "erklären" gelernt haben ("erklären" bedeutet hier die Zurückführung auf einfachere, bereits bekannte Prozesse) und dass in Zukunft dieser langsame und mühsame Prozess des Verstehens fortschreitet.

Ich persönlich halte es für unbefriedigend, Gott in dem noch "ungeklärten Teil" der Physik zu suchen, denn dann wäre dieser auf einem stetigen Rückzug. Ich persönlich möchte "Gott" weder als Synonym für "Nochnichtwissen" verwenden, noch kann ich in der Tatsache, dass wir nicht alles wissen, einen Gottesbeweis sehen.

Ich könnte mich mit Einsteins Meinung "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt." anfreunden, wenn es nicht Etikettenschwindel wäre - und zudem, wie würde es klingen, wenn ich sagen würde "Ich glaube an den Kosmos!"?

Die Naturwissenschaften sagen wie es ist, sie können nicht sagen, warum überhaupt etwas ist. Wenn jemand hierin die Begründung für seinen "Glauben" findet, kann ich das akzeptieren. Allerdings, wie ich bereits ganz oben einmal gesagt habe, kann ich ganz privat in der Vokabel "Gott" hierfür auch keinerlei erklärenden Wert erkennen.

Auch meinerseits allen ein schönes Wochenende.

MfG Karl


Hermann Penker antwortete am 08.09.01 (15:07):

Lieber Karl! Ohne "hineinhauen" zu wollen, was ich meines Wissens nie getan habe, hätte ich ein paar Fragen an Dich. Wie oft hast Du in Beiträgen mit der Geschichte und mit den Sünden von Kirchenvertretern der Vergangenheit argumentiert? Was hat dies mit der heutigen Kirche zu tun? Wenden wir uns doch unserem Jahrhundert zu. Wer war es, der nicht als Einzelperson sondern mit ganzen Forscherheeren den Technikern das nötige Grundlagenwissen gebracht hat, mit dem die Atom- und andere teuflische Waffen produziert werden konnten? Immer wieder wird gesagt, dass vorhandenes Wissen früher oder später angewendet wird. Diese Naturwissenschafter wussten, was sie entwickeln wollten und taten es im Bewusstsein, dass die Atomwaffen auch eingesetzt werden, was ja zur Geschichte des 20. Jahrhunderts gehört. Wurden alle Bomben-Toten und durch Verstrahlung schwerst geschädigten Opfer ebenfalls sorgfältig gezählt und der Naturwissenschaft angerechnet? Haben die Naturwissenschafter die Konsequenzen gezogen und sind die Waffenproduzenten jetzt ohne wissenschaftliche Helfer? Gibt es ernst zu nehmende Versuche von Naturwissenschaftern, eine Vereinbarung zu treffen, dass künftig "gefährliches Wissen" erst dann frei gegeben wird, wenn der anwendende Mensch Verantwortungsbewusstsein genug entwickelt hat? Gilt hier nicht das Wort Jesu?
Lk 6,41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?
Herzliche Grüße
Hermann


Wolfgang antwortete am 08.09.01 (16:34):

Lieber Hermann... Damit wirst Du Dich abfinden müssen, dass Kritik am naturwissenschaftlichen Weltbild als "hineinhauen" eingestuft wird. Gläubige mögen es meistens nicht, wenn ihre Wahrheit - also das, was sie als wahr propagieren - als Glaube bezeichnet wird. - "Die Naturwissenschaften sagen wie es ist..." - Genau das ist die Anmassung, von der ich sprach. Die Naturwissenschaften sagen natürlich nicht, wie es ist, denn das weiss bis jetzt kein Mensch. Die modernen Naturwissenschaften sagen etwas aus über das, was übrig bleibt von der Wirklichkeit NACH all den (unbewiesenen) Annahmen, Restriktionen, Reduktionen, Abstraktionen von der Wirklichkeit. Das ist nicht mehr viel, im Wesentlichen nur das Rechen- und Berechenbare.

NaturwissenschaftlerInnen sollten wissen, dass ihr Denkgebäude einen winzigen Ausschnitt der Natur erklären kann. Auf die wirklich interessanten und für die Menschen wichtigen Fragen hat die Naturwissenschaft aber keine Antworten, weil sie schon nicht diese Fragen stellt. Sie ist ein Glaube unter vielen, ihre AnhängerInnen machen aber den Fehler, den viele Gläubige gemacht haben: Sie halten nur das für wirklich und für wahr und für bewiesen, was in ihr selbstverordnetes enges Gedankengebäude passt...

NZZ online vom 16. 06. 2001
Vom Nutzen der Häresie
https://www.nzz.ch/2001/06/16/fe/page-article7GH1W.html

(Internet-Tipp: https://www.nzz.ch/2001/06/16/fe/page-article7GH1W.html)


Karl antwortete am 08.09.01 (16:37):

Lieber Hermann,


irgendwie passt das "herzlich" nicht zu dem Balken, den Du in meinem Auge entdeckt haben willst. So ganz verstehe ich auch nicht, wieso die Atombombe, die wir doch beide furchtbar finden, ein Argument in unserer Diskussion sein soll.

MfG Karl

P.S.: Wenn wir beginnen von "gefährlichem Wissen" zu reden, nähern wir uns wieder dem dunklen Mittelalter. Wissen ist nicht gefährlich, sondern u.U. das, was der Mensch damit anfängt. Soll der Papst wieder darüber entscheiden, was gewußt werden darf und was nicht? Ich bin gegen eine fundamentalistische Diktatur.


Hermann Penker antwortete am 08.09.01 (17:53):

Lieber Karl!
Du weichst prima aus. Dass die Atombombe existiert, ist das Werk von Naturwissenschaftern. Du trägst dieser Zunft aber nichts nach, Dein Blick geht lieber in die Vergangenheit, wenn anderswo eine Schuldzuweisung für Unmenschlichkeiten möglich ist. Verantwortung müsste der besitzen, der die Möglichkeit zur Schaffung gefährlicher Situationen gefunden hat. Er müsste wissen, ob er das Wissen an die herrschende Kaste der Politiker weiter geben darf. Und bedenken, dass verantwortungsbewussten Politikern vielleicht bald andere folgen werden. Das hat mit dem Papst überhaupt nichts zu tun. Der hat wohl auch in den meisten Fällen überhaupt keine Ahnung, welch bedrohliche Dinge in den verschiedenen Laboratorien ausgebrütet wurden und werden. Der "Balken" sollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich diese Ungleichgewichtung von gegen unschuldige Menschen gerichtete Untaten nicht verstehe. Untaten von Kirchenmännern werden bekritelt, selbst wenn sie im Mittelalter passiert sind. Verantwortungslose Preisgabe von Mitteln, die den Massentod bringen können, wird nicht einmal ignoriert. Während Märchen über Waffensegnungen erfunden werden (nicht von Dir) und Segnung der Soldaten durch den Feldgeistlichen vielleicht sogar bewusst falsch interpretiert werden, werden die ärgsten Vernichtungsmittel durch weitere Forschungsarbeiten von Naturwissenschaftern und Technikern ermöglicht.
Schlechtes ist also nur schlecht, wenn man es jemandem zuweisen kann, der anders denkt.
Trotz unserer verschiedenen Standpunkte
herzliche Grüße
Hermann
p.S.: Ich glaube, dass man die Bauvorschrift für eine H-Bombe durchaus als gefährliches Wissen bezeichnen kann. Die Verwendung dieser Phrase hat Dich wohl wieder reflexartig eine Gefährdung durch eine fundamentalistische und mittelalterliche Diktatur des Papstes erkennen lassen?


Wolfgang antwortete am 08.09.01 (18:47):

Schön, dass endlich der Begriff 'Fundamentalismus' fällt. Meist wird der ja verwendet, um Religionen, insbesondere islamische Religionen zu diskreditieren. Die uneinsichtigsten und gefährlichsten Fundamentalisten gibt es aber mittlerweile unter den NaturwissenschaftlerInnen. - HANS-PETER DÜRR - Philosoph und Physiker und Träger des Alternativen Nobelpreises - drückt das so aus (das Zitat stammt aus seinem Buch "Für eine zivile Gesellschaft"):

(Zitatanfang) Fundamentalismus basiert darauf, dass jemand eine Projektion herausgreift und behauptet, das sei die einzig richtige, und dann alle anderen Kulturen dieser Erde verwirft und bekämpft. Kandidaten dafür sind nicht nur gewisse Weltreligionen. Auch die Naturwissenschaften neigen heute zum Fundamentalismus, weil das objektiv Messbare für die einzige Möglichkeit gehalten wird, das Wesentliche in unserer Welt zu erfassen und das Wahre zu erkennen. Dabei wird übersehen, dass die Welt bei wissenschaftlicher Betrachtung [gemeint ist die naturwissenschaftliche Betrachtung, W. M.] auch nur von einer gewissen Seite erfahren werden kann. [...] Per Definition kommt in dieser Welt des 'Begreifbaren' das Transzendente nicht mehr vor. Das Gute, Schöne und Wahre hat keinen Platz mehr und der Verlust der Transzendenz, des Göttlichen, hinterlässt nicht einmal ein Loch. Doch die Wirklichkeit ist nicht nur Realität. [...] (Zitatende)

Hans-Peter Dürr*
Lernen aus Hiroshima und Nagasaki
Die Verantwortung der Naturwissenschaftler
https://www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-95/9521501m.htm

(Internet-Tipp: https://www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-95/9521501m.htm)


Rosmarie S antwortete am 08.09.01 (19:50):

Liebe Diskussionsteilnehmer,

leider hinke ich dauernd mit meinen Beiträgen hinterher. Inzwischen schlägt die Diskussion wieder hohe Wellen... :-)) Ich empfinde das nicht als Nachteil, weil sich dadurch zeigt, wie sehr uns doch ein solches Thema tief innen betrifft - allerdings nur so lang jedem Leser klar sein kann, dass solche Formulierungen wie "Die uneinsichtigsten und gefährlichsten Fundamentalisten gibt es aber mittlerweile unter den NaturwissenschaftlerInnen." nicht gegen jemanden persönlich gemeint sind (so verstehe ich z.B. Wolfgang ganz klar), sondern bestimmte Aussagen nur als Aufhänger dazu benutzt werden, um die eigene Meinung überdeutlich auszusprechen.
Naja, wenn ein paar Bemerkungen doch mal ein bisschen giftig gemeint sein sollten, so könnten wir´s doch vielleicht unter " Ausrutscher im Eifer des Gefechts" ablegen? Auf jeden Fall fände ich es unendlich schade, wenn wir die vielen interessanten Gedankenanstöße durch zu heftige Polarisationen abwürgen würden. Mich bereichern die gegensätzlichen Standpunkte ungemein!

Meine Antwort an Hermann ist zwar schon überholt und angesichts der viel spannenderen neuen eigentlich überflüssig, aber ich möchte sie trotzdem noch gern an ihn richten:

Lieber Hermann,

du schreibst: "Der Atheist glaubt aus
der Erkennbarkeit von Gesetzmäßigkeiten und der daraus resultierenden
Berechenbarkeit von Naturvorgängen auf die Nichtexistenz Gottes
schließen zu müssen. Von den gleichen Fakten ausgehend kommt der
Gläubige zu seinem Gottesglauben ..."
Dieser Gedanke ist mir auch schon oft durch den Kopf gegangen (übrigens
auch, dass ein Gott es sicher nicht nötig hätte, eine Welt zu schaffen,
in der er immer wieder in einer Weise eingreifen müsste, bei der er sich
über seine geschaffenen Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzen müsste...). Ist
es nicht tatsächlich so, dass in weltanschaulichen Dingen oft mit
ähnlichen Ausgangsargumenten gegensätzliche Schlüsse belegt werden
sollen?
Auch wenn wir kluge Zitate hochintelligenter Köpfe anführen, die zu
ähnlichem Glauben oder Nichtglauben gelangt sind wie wir selbst, so
steckt meiner Meinung nach das gleiche Grundbemühen dahinter. Wir
möchten durch größere Autoritäten wie wir es selbst sind, belegen, dass
unsere Schlüsse nicht von der Hand zu weisen sind.
Da aber offenbar ohne allzu große Denkfehler gegensätzliche Folgerungen
getan werden können, muss doch irgendwo irgendwas im Argen liegen. Aber
WAS?
An der im allgemeinen verwendeten Art, logisch zu denken, kann es ja
nicht liegen. Dann kämen ja alle zu den gleichen Ergebnissen. Aber wenn
keine eklatanten Denkfehler zu erkennen sind, woran liegt es dann?
Nur an den Grundannahmen?

Könnte es nicht auch daran liegen, dass die uns eigene Denkfähigkeit den
Realitäten nicht voll genügt? Dass es vielleicht noch Wahrnehmungsarten
anderer Art gibt, die in die Meinungen der Einzelnen miteinfließen, die
aber nicht ausgesprochen werden und mit denen nicht argumentiert wird?
(Damit will ich nichts über den Wahrheitsgehalt sagen.)
Beispiel: Ein Freund ( an sich knochentrockener Mathematiker/Physiker
:-))) hat vor vielen Jahren den Autounfall seines Sohnes mit einer
Straßenbahn Wochen vorher in allen wesentlichen Punkten und in
bestechenden Details vorausgeträumt. Für mich ist das - subjektiv - ein
Beleg, dass Zeit ein anderes Phänomen sein muss, als sie es von der
Alltagserfahrung her ist. Aber logisch argumentieren lässt sich mit
solchen Erfahrungen natürlich nicht.
Meine Frage: Könnte es sein, dass die an eine schöpferische Intelligenz
Glaubenden zusätzlich aus völlig anderen Grunderfahrungen heraus
argumentieren als nur aus denen heraus, die sachlich-logisch angeführt
werden?
Und wenn das so sein sollte, wäre dann überhaupt eine
"Einigungsmöglichkeit" gegeben?

Herzliche Wünsche in die Runde für einen entspannten, zufriedenen Abend!
Rosmarie


Hermann Penker antwortete am 08.09.01 (21:29):

Liebe Rosmarie!

"Das ist schon erstaunlich: von den gleichen Fakten ausgehend zu entgegengesetzten Resultaten zu gelangen! Hierbei muss einer im Unrecht sein.
Diesen Satz zitiere ich aus einem heute an mich persönlich adressierten Mail und ich teile ebenfalls diese Meinung.
Die Ursache für das angesprochene Phänomen liegt meiner Meinung nach darin, dass wir verschiedene Maßstäbe benutzen und Fakten und Folgen infolge verschiedener Wertskalen unterschiedlich bewerten. Man sagt ja auch Gutachtern nach, dass sie oft genau das Ergebnis erzielen, welches der Auftraggeber brauchen kann. Der Gutachter der Gegenseite schafft das aber auch, und beide mit naturwissenschaftlicher Exaktheit. Dass man sich über ein Zitat einer anerkannten Kapazität freut, welches eigene Gedanken bestätigt, ist verständlich. Einerseits steigert es das Selbstbewusstsein, andrerseits gewinnt das eigene Argument an Gewicht. Man kann beweisen, dass ein großer Geist in diesem Punkt auch so denkt. Da ist wohl nichts schlechtes daran.
Dass wir Gott, den Schöpfer des Kosmos, als Mensch nicht zur Gänze verstehen können, ist doch selbstverständlich. Der Versuch dazu ist doch ärger als der Versuch einer Nervenzelle, Aufbau und Funktion des menschlichen Gehirns zu verstehen. Dies ist der Grund, warum ich bei meiner Suche nach Gott letztlich aus den Offenbarungsreligionen ausgewählt habe.
Und auch mit den Wahrnehmungsarten hast Du Recht. Ich habe schon mehrmals die persönliche Gotteserfahrung angesprochen. Diese fließt aber aus dem Leben und nicht aus der Theorie. Wissen ist natürlich auch in religiösen Belangen wichtig. Aber wenn sich der Glaube ausschließlich auf die Beschäftigung mit theoretischen Fragen und theologischen Spitzfindigkeiten beschränkt, dann sind Menschen genau zu den Untaten fähig, die Karl nicht vergessen kann.
Ich glaube, dass dies aber für andere Disziplinen auch gilt. Wer über dem Studium das Mensch sein vergisst, wird fähig, um dem "Recht" zum Durchbruch zu verhelfen, auch Verbrechen zu begehen. Ist der Täter ein Christ, sollte man aber nicht vergessen, dass nur ein "Scheinchrist" ist, wer nur von Christus redet und ihm nicht nachfolgt. Daran ändert auch eine hohe Funktion nichts.
Wahrträume sind nicht so selten, in meinem Leben gab es zwei. Ich sehe darin die Wirkung unserer Geistseele. Dazu kommt noch, wie ich schon an einer anderen Stelle erzählt habe, dass ich heute nur deshalb nicht blind bin, weil mir eine innere Stimme laut befahl, eine Schutzbrille zu holen und aufzusetzen. Und dies, nachdem ich eine Arbeit so weit abgeschlossen hatte, dass im Normalfall keine Gefahr mehr bestanden hatte. Was ich nicht wissen konnte: im nächsten Moment setzte ein Arbeiter eine Säureleitung unter Druck, und die im Rohr befindliche Nitriersäure ergoss sich über mich. Ich musste mit dem Kopf, Gott sei Dank durch die Brille geschützt, durch den Säurestrahl.
Einer sagte mir, warum hat Gott den Unfall überhaupt zugelassen? Nun, ich wusste damals nicht, woher ich das Geld für den nächsten Studienabschnitt nehmen sollte. Das Chemiewerk hatte zwar nicht die Möglichkeit, eine Entschädigung zu zahlen, rechnete meine Entlohnung aber x-mal durch und fand x Möglichkeiten für eine Nachzahlung. Und so hatte ich das nötige Geld, als das nächste Semester begann.
Eine Einigung gäbe es nur, wenn wir durch eine ähnliche Lebensgestaltung auch ähnliche Lebenserfahrungen machen könnten. Ich finde aber eine Einigung überhaupt nicht nötig. Der eigenen Überzeugung widersprechende Argumente zwingen zum Nachdenken, Gleichgesinnte aber anders formulierte Beiträge zeigen neue und zusätzliche Aspekte. All das ist nötig, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Herzliche Grüße
Hermann


Ricardo antwortete am 09.09.01 (08:45):

Die Diskussion hat mir ein Erlebnis in Erinnerung gebracht.
1968 habe ich einen Vortrag des späteren Nobelpreisträgers und Hirnforschers Sir John Eccles aus Canberra gehört.
Er berichtete über damals einmalige Forschungen an einzelnen Zellen des Rückenmarks. Die Ergebnisse ließen erkennen, daß unsere Vorstellungen in der Neurologie überholt waren. In seiner gewissenhaften Art sagte der Forscher, daß ihn seine Entdeckungen zu Bescheidenheit mahnen und daß unser Nervensystem ihm immer komplizierter und rätselhafter erscheine. Ihm war die Begrenztheit menschlichen Wissens eine Selbstverständlichkeit.
"Eccles hielt wie Thomas von Aquin die Seele für eine eigenständige Kraft, aber was er eigentlich meinte,
war Abwehr einer niederziehenden Art von Materialismus. Er betonte die Eigenaktivität der menschlichen Persönlichkeit, ihre Kreativität, Phantasie, positive Freiheit und moralische Verantwortung." (Prof.Kornhuber, Universität Ulm)


BrigitteS antwortete am 09.09.01 (12:38):

Hallo,

falls es interessiert, nachfolgend die homepage von Stephen Hawking: www.hawking.org.uk

Gruß Brigitte

(Internet-Tipp: https://www.hawking.org.uk)


Rosmarie S antwortete am 09.09.01 (14:37):

Lieber Karl,

danke, dass du in deiner Antwort vom 8.9.01 so ausführlich auf meine Gedanken eingegangen bist! Du kannst dich sehr gut in das hineinversetzen, auf was ich hinaus will und erwischt jedesmal genau den Punkt, wo meine Anschauungen eine Schwachstelle haben, bzw. wo andere Schlussfolgerungen noch näherliegender sein könnten! Für mich ist das nicht nur bereichernd, sondern geradezu köstlich! :-))) Schließlich bin ich mir auch für mich selbst keineswegs in dem Maße sicher, ob ich richtig liege, wie ich es möchte. (Wenn der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist, so ist der Weg zum Himmel vielleicht mit Selbsttäuschungen gepflastert? :-)))

"Ich persönlich halte es für unbefriedigend, Gott in dem noch
"ungeklärten Teil" der Physik zu suchen, denn dann wäre dieser auf einem
stetigen Rückzug. Ich persönlich möchte "Gott" weder als Synonym für
"Nochnichtwissen" verwenden, noch kann ich in der Tatsache, dass wir
nicht alles wissen, einen Gottesbeweis sehen."

Das ist köstlich!!! Es ist so herrlich, dass ich es mir an die Wand hängen werde!
Allerdings spricht es letztlich nicht gegen die Existenz Gottes, sondern nur für die Beschränktheit meiner Argumentation. :-))

"Spinozas Gott... wenn es nicht Etikettenschwindel wäre - und zudem,
wie würde es klingen, wenn ich sagen würde "Ich glaube an den Kosmos!"?"
:-))))! Du bringst genau das auf den Punkt, was mir auch gegen den Strich geht. Ein Gott, der in allem, was es gibt, enthalten ist, aber nicht darüber hinaus weist oder existiert, ist im engen Sinne "nur" Natur.
Nur, wer sagt dir, dass ein Gott, der vollständig in den Gesetzen der Natur enthalten ist, nicht noch weit darüber hinaus weist? Aber ich verstehe schon, dass du dich lieber auf das Erfassbare beschränken möchtest.

"Die Naturwissenschaften sagen wie es ist, sie können nicht sagen, warum
überhaupt etwas ist. Wenn jemand hierin die Begründung für seinen
"Glauben" findet, kann ich das akzeptieren. Allerdings, wie ich bereits
ganz oben einmal gesagt habe, kann ich ganz privat in der Vokabel "Gott"
hierfür auch keinerlei erklärenden Wert erkennen."

Diesen Teil deines Textes musste ich unbedingt noch mal kopieren, einfach weil ich deine Formulierungen sowas von klar und gelungen finde.
Ich bleibe zwar - vorerst? :-)))) - bei meinen persönlichen naturreligiösen Ansätzen, aber deine Sichtweise und deine Art, die Dinge aufs Wesentliche zu reduzieren, ist für mich eine Köstlichkeit! Danke!

Herzliche Grüße an alle, besonders an die, denen es geht wie mir :-)))
Rosmarie


Rosmarie S antwortete am 10.09.01 (20:07):

Lieber Ricardo,

dein Beitrag über Sir John Eccles gefällt mir sehr, vor allem das am Schluss angefügte Zitat! Zeigt er doch an einem schönen Beispiel auf, wie voller Wunder nicht nur unser Kosmos, sondern auch unser eigener Körper ist!

Auch wenn meine Frage an dich eigentlich nicht ganz hierhin passt, möchte ich sie doch stellen. Kann es sein, dass ich vor einiger Zeit irgendwo gelesen habe, dass ein "Gedächtnis im Bauch" oder "Gehirn im Bauch" entdeckt wurde? Wenn ich dies richtig erinnere, ging diese Erkenntnis in die Richtung, dass auch bestimmte Nervenzellen im Bauch (eine große Menge) eigenständig Vorgänge regeln und dabei Informationen abspeichern - also ohne das Gehirn.
Für mich als Laie ist auch dies ein Wunder, da sich der Körper mal wieder als viel komplexeres Gebilde zeigt, als dies bisher bekannt war.

Allen Gehirnen - wo auch immer - einen schönen Abend! :-)))
Rosmarie


Georg Segessenmann antwortete am 11.09.01 (09:40):

Liebe Rosmarie

Meines Wissens haben wir noch viele solcher Gedächtnisse in und an unserem Körper. Wie sollte sonst die Haut wissen nach einer Verletzung, wie sie sich wieder regeneriern soll? Nimm als Beispiel die einmalige Konstruktion der Linien an den Fingern. Auch nach einem noch so tiefen Schnitt, oder gar wenn ein Fleck weggeschnitten wird, finden sich diese Linien auf wunderbare Weise wieder zusammen. Aber das hat auch negative Seiten. Wenn zum Beispiel jemand in seiner Jugend viel an der prallen Sonne lag, erinnert sich die Haut noch nach vielen Jahren daran, ja kann offenbar die Strahleneinheiten aufsummieren. Dann steht halt eines Tages ein brauner Fleck auf der Haut. Diagnose: Hautkrebs.


Dora Naef/Millefoglio antwortete am 16.10.01 (02:31):

Tia, meine Lieben,

Fast getrau ich mich nicht , da auch noch etwas zu schreiben, weil schon so viel darüber diskutiert wurde und auf einem so hohen Niveau.
Ich hab mich gefreut, manchmal, manchmal weniger, hab aber alles mit steigendem Interesse gelesen. Jetzt freu ich mich nur noch, weil ich finde, dass es doch schön und mutig ist von Euch allen, Eure Ansichten so offen hier darzustellen. Darum nehm auch ich allen Mut zusammen und schreibe für Euch alle, ich erzähl Euch von meiner Reise durch den Dschungel der Bücher.
Weil auch ich persönliche Angriffe nicht liebe, auch wenn sie nicht mich betreffen, schreib ich einfach so für alle.
Vielleicht liegt dabei mein Wille, dem Nächsten zu helfen zu Grunde, der überall immer den ersten Platz einnimmt in meinem Leben, seit ich vor 30 Jahren einen Schwur getan habe.
Vielleicht, oder sicher auch, weil ich mich auch abgequält und immer nach der Wahrheit gesucht hatte. (Aber oh wei oh wei, manchmal tut das sehr weh und manchmal fällt da eine Welt zusammen, die man sich mühsam aufgebaut hatte).:-))
Ich war eine überzeugte Atheistin, bis ich (fast wütend und sehr kritisch) ein Buch gelesen habe, das mir ganz andere Horizonte erschloss und mir zu einer tiefen Gläubigkeit bekehrte. Ich musste es lesen, denn es war für mich eine Herausforderung.
Ich dachte, nachher nur umso wütender darüber schimpfen zu können. (Schliesslich konnte ich mir nicht anmassen, darüber zu schimpfen, wenn ich es nicht gelesen hatte.)
Ich habe daraus viel gelernt.

Zum Beispiel:
...dass Gott die Gesetze wohl geschaffen hat und zwar volkommene Gesetze, und weil sie vollkommen sind, können sie nicht verbogen werden.
....dass sie in allen Ebenen wirksam sind.
....dass alles den gleichen Aufbau hat im Universum ( Die Atome, die Sonnensysteme, die Galaxien, die Weltenteile usw.
(und bitte Schorsch, komm mir nun nicht mit der Frage, wer Gott geschaffen hätte) Hihihihi:-)) Vielleicht ist auch er ein Atomkern von vielen anderen Universen ? würde ich Dir zur Antwort geben.:-). Aber mir reicht der eine Gott, und vielleicht steht es uns nicht zu, über Seinen Ursprung zu rätseln.
So konnte ich mir vorstellen, dass Gott der Kern, die Sonne des ganzen Universums sei. Er hält das ganze All zusammen. Für mich war er nun das Licht, die Wahrheit, die Kraft, die Wärme die Liebe, und das Leben überhaupt. Und dies alles strahlt er aus in das Universum.
Nun kam ich endlich los von dem alten Bild, das uns überliefert wurde in der Schule von einem Gott der auf einer Wolke sitzt mit dem Zepter in der Hand und alles sieht, was wir armen Würmer machen und uns dann zur Strafe in die Hölle schickt !


Schön, diese Vorstellung, nicht wahr ? Eigentlich sehr einfach, aber es ist wahr, dass alle grossen Dinge einfach sind und alles, was einfach ist ist gross!
So, nun bin ich müde.

Ich grüsse Euch Alle liebevoll,

Dora/Mille