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THEMA:   ... wann faengt das heilen alter wunden erst richtig an ? ...

 9 Antwort(en).

werner meybaum begann die Diskussion am 25.06.01 (18:02) mit folgendem Beitrag:


... wann faengt das heilen alter wunden erst richtig an ? ...

meine mutter war jung verheiratet
sie hatte talente und traeume ... neue sachen zu naehen

sie kaufte ... gute stoffe ... guenstig ... ein
sie kam mit freude nach hause

sie rief meinem vater
oskar komm schnell

mein vater kam rein und sagte boese: du wirst nicht witschaften koennen
und stuermte raus

das hat meine mutter ihr lebenlang nicht vergessen
und meinem vater immer wieder vorgeworfen

als kind tat es mir weh wenn sich meine eltern streiteten
so bin ich zur anderen seite der welt gezogen

nun bin ich 61... und merke ...
wie mir selbst ... sachen nicht aus meinem kopf gehen ... sowie meiner mutter ...

ich dachte immer die zeit heilt ... aber wie lange soll ich noch warten
und dann ... ist mir eingefallen: ab wann zaehlt die zeit

und so habe ich mir vorgestellt dass vater und mutter noch leben
und so habe ich mir folgendes gespraech vorgestellt:


graetchen komm ... setz dich auf meinen schoss ...
viele jahre habe ich dein schreien zugehoert ... mich geschaemt ...

lass mich nocheinmal deine stimme hoeren
sowie du mich damals mit freude gerufen hast ...

oskar,
komm schnell ...

ja, diesesmal hoere ich
deine froehliche stimme ...

ich komm gelaufen ...
wundere mich ... warum du so gluecklich bist ...

du stahlst mir mit freude entgegen und zeigst mir die verschiedenen stoffe die du gekauft hast ...
erzaehlst mir ... deine traeume ... was du alles daraus machen wirst ... wie guenstig du alles gekauft hast ...

ich nehme deine hand ... ich nehme dich im arm ...ich freue mich mit dir ...
du hast soviele talente, ich bin auch gluecklich mit dir ...

ich bin der beste bauer und nun der gluecklichste bauer in ostpreussen
du bist die beste frau in der welt ... du wirst gut wirtschaften koennen ... ich liebe dich ...

danke oskar ... fuer deine lieben worte ... darauf habe ich mein lebenlang gewartet ...
nun koennen meine alte wunden anfangen zu heilen ... ich liebe dich auch ...

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ja ... jetzt verstehe ich zum erstenmal
warum meine eigenen wunden ... nicht heilten ...

ja,
die zeit ... heilt

aber
die zeit ... in meinem fall ... faengt fuer mich erst mit diesem gespraech ... von vater und mutter ... an ...

herzliche gruesse, werner ... wie es mir im leben so gegangen ist ... https://www.geocities.com/lorbass_mpls/

(Internet-Tipp: https://www.geocities.com/lorbass_mpls/)


Georg Segessenmann,alias Georg von antwortete am 25.06.01 (22:39):

Ja, lieber Werner, da hast Du eine gute Methode entdeckt, Vergrabenes aber nicht Verarbeitetes ans Tageslicht zu holen und aufzuschreiben - dass es endlich bewältigt werde.
Ich habe es mit bald 60 auch getan und es hat mir geholfen, eine dunkle Wand, die sich zeitweise über mein Gemüt legte, verschwinden zu lassen. Dass dann noch ein Roman draus wurde, war nicht geplant und musste eigentlich auch nicht sein. Arbeite weiter an Deiner Verarbeitung - aber spiele lieber nicht mit dem Gedanken, es zwischen Buchdeckel zu zwängen - zuviel neue Sorgen wären Dir sonst sicher.

Gruss

Schorsch


Gerlinde antwortete am 26.06.01 (10:08):

Nicht alle Wunden sind heilbar
manche prägen sich tiefer und tiefer ins Herz hinein
und während die Jahre vergehen werden sie Stein.
Du lachst und sprichst als ob nichts wär
der Frühling kommt mit all seiner Helle,
die Welt ist ein Blütenmeer
aber in deinem Herzen ist eine Stelle
da blüht nichts mehr.

Das ist ein bisschen dramatisch ausgedrückt von Ricarda Huch, allerdings ist auch ein Stück Wahrheit darin. Wenn etwas zerstört wurde, ist es nicht mehr wie es war. Wichtig ist, glaube ich, dass man damit leben lernt. Es akzeptiert, dass es gewesen ist. Aber es war und man sollte es nicht ein lebenlang hervorholen.Damit ändert sich nichts. Im Jetzt leben und noch möglichst viele schöne Stunden herausholen.
Das dir dies gelingt wünsche ich dir vom Herzen, lieber Werner, es ist harte Arbeit aber es lohnt sich.


Anni antwortete am 28.06.01 (21:19):

Gerlinde, ich stimme Dir vollkommen zu. Man muß damit leben LERNEN. Das gelingt einem aber nicht indem man alles in sich verschließt. Man kann auch im Alter noch versuchen, sich einigermaßen zu befreien. Jeder muß sich seinen eigenen Weg suchen. Der eine schreibt und veröffentlicht, der Andere schreibt es für sich selbst auf und der Nächste wiederum geht zur Therapie. Egal wie's gemacht wird, die Hauptsache ist, man findet einen Weg,


Doris Routliffe antwortete am 29.06.01 (17:32):

Lieber Werner - versuche, aus dem Geschehenen, aus der Vergangenheit, aus Deiner Lebensgeschichte, Hinweise darauf zu finden, was Du in diesem Leben für das nächste Leben lernen musst. Wenn man nicht aus Ereignissen lernt, werden sie wiederholt, weil das Dein Schicksal ist und erfüllt werden muss.


Monika Hartmann antwortete am 06.07.01 (02:09):

Lieber Werner, ich glaube, daß das Heilen erst richtig anfängt, wenn man die Trauer über die Verwundung voll und ganz zuläßt, auch wenn viel Zeit dazwischen liegt.


werner meybaum antwortete am 06.07.01 (16:29):



ja, so ist es ...

ich strahle mit freude ...

nach ein paar wochen ... kann ich den unterschied merken ...
nachts, kann ich wieder schneller einschlafen ...
am tag, kommt mir ein laecheln uebers gesicht ... wenn ich merke, dass ich wieder anfange, mit meinen alten gedanken um kreis zu gehen ... ... ... und ich merke ... die gedanken bleiben nicht mehr so lange, als zuvor ... ... ...

herzlichen dank fuer eure hilfe ...

ich gruesse euch von minneapolis in minnesota ... werner

(Internet-Tipp: https://www.geocities.com/lorbass_mpls/)


Hermann Penker antwortete am 07.07.01 (01:34):

Die Heilung alter Wunden beginnt, wenn man denen, die die Wunden geschlagen haben, zu verzeihen beginnt. Ich wurde mit ca. 11 Jahren Menschen anvertraut, die wie ich heute weiß, wohl den besten Willen hatten, die aber weder die Fähigkeit hatten, Kinder zu erziehen, noch mit den eigenen Problemen fertig wurden. Die Folge war, dass alle in diesem Umfeld unter der gefühslmäßigen Kälte litten. Mancher der Betroffenen wurde mit den Erlebnissen dieser Zeit niemals fertig. Ich erfuhr durch einen Zufall,allerdings viel später, dass der Hauptverantwortliche für diese fürchterliche Zeit selbst die größten Probleme hatte. Das Bewusstsein, dass dieser Mensch vielleicht noch größere Nöte zu überwinden hatte, gab mir die Kraft, für ihn zu beten. Heute kann ich an diese Zeit ohne negative Gefühle denken und sehe in dieser Zeit eine der Komponenten, die mich geformt haben.Ohne diese Erfahrungen wäre ich heute ein anderer, und sicher nicht glücklicher.
Herzliche Grüße
Hermann


Georg Segessenmann antwortete am 07.07.01 (13:58):

Was des (dem) Einen Wunde ist,
ist des (dem) Anderen Kratzer!

Schorsch


Rosmarie S antwortete am 07.07.01 (23:21):

>Die Heilung alter Wunden beginnt, wenn man denen, die die Wunden geschlagen haben, zu verzeihen beginnt.

Lieber Hermann,

deine Einstellung nach solch schweren Erfahrungen bewundere ich!

Allgemein habe ich die gleiche Überzeugung wie du: Nur wenn man es schafft, sich mit dem Schlimmen im eigenen Leben auszusöhnen, mit den Fehlern der Anderen und auch mit den eigenen, dann ist man wieder offen für das Gute und Schöne und die Freude daran.

Herzliche Grüße, besonders an die im Moment Niedergeschlagenen
Rosmarie