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THEMA:   Erzähl mir ...

 7 Antwort(en).

Bocky begann die Diskussion am 25.01.04 (21:07) mit folgendem Beitrag:

Hallo Ihr Lieben,

Ich möchte ein Thema vorbringen, das mich schon seit Jahren interessiert, und das Euch, so hoffe ich zumindest, ebenso viel Freude bereiten sollte.

Ich habe GottseiDank eine große Familie. Bei jedem unserer Familientreffen werden irgendwann dann die alten Geschichten ausgepackt:
"Wie war das noch mal gewesen, als Onkel Albert die Tante Thilde zu Hause anbrachte ?"
"Hatte der Urgroßvater wirklich noch 12 Geschwister von 4 verschiedenen Müttern ?"
"Wie habt ihr denn das Ende vom Krieg erlebt?"
und.. und.. und.
Kurze und längere, böse, traurige und schöne Geschichten werden erzählt. Die Älteren in der Familie korrigieren manchmal Erzählungen und zuweilen geben sie sogar noch kleine, feine "Details" zum Besten, von denen bisher noch niemand etwas wusste.
Leider gehen auch viele Geschichten verloren, obwohl sie doch zumeist so hörenswert sind.
Ich würde mich sehr freuen, auch von Euch solche Geschichten als Beiträge zu erfahren.

Ich mache für heue mal einen Anfang:
(für den, den es interessiert)
Meine Mutter, Gott hab sie selig, wurde 1933 in Breslau geboren. Meiner Großmutter war 1944 mit 4 Kindern die Flucht nach Berlin und schließlich nach Hannover gelungen, alleine, denn mein Großvater war noch Kriegsgefangener in Russland. 1945 wurde meine Mutter (als 13-jährige) zur Erholung nach Schleswig-Holstein geschickt, um sie dort wieder "aufzupeppeln". Sie landete damals auf einem reichen Gutshof; die Gutsherrschaft, selbst kinderlos, sorgten sich rührend um meine Mutter und wollten sie schließlich nicht mehr zurückgeben. Als meine Großmutter bei Anfrage keine Antwort mehr bekam und in den Nachkriegswirren keine staatliche Hilfe zu erwarten war, fuhr sie in einer Nacht- und Nebelaktion zu dem Gut und kidnappte ihre eigene Tochter im Schlafanzug. Wenn dies nicht so geschehen wäre, könnte ich selbst wohl nicht dies hier und jetzt erzählen.


juergen1 antwortete am 25.01.04 (22:05):

Ein "Hoch" auf Bocky's Grossmutter !!


Medea. antwortete am 26.01.04 (08:02):

"Breslau" war soeben das Stichwort für eine kleine Geschichte, die meine Mutter oft erzählte....
Sie sollte sich als Geburtstagsgeschenk von meinem Vater, der an der Front war, eine "gedrehte" goldene Kette aussuchen und nahm mich kleines Mädchen mit zum Juwelier.
Die beiden Erwachsenen beachteten mich nicht und mir wurde es langweilig, also beschloß ich, durch die angelehnte Tür in die hintere Wohnung zu gehen. Ich landete in einem Wohnzimmer und sah mich interessiert um, betrachtete alles sehr aufmerksam und ging dann wieder zurück. Meine Mutter erstand außerdem noch so eine kleine mundgeblasene Glasvase zum Aufhängen. Zu Hause angekommen, wollte sie die Neuerwerbung gleich an die Wand hängen, kam aber mit der schmiedeiesernen Aufhängung nicht zurecht, wußte nicht recht, was nach oben oder unten sollte. Daraufhin erklärte ich ihr, w i e sie es machen solle. Auf ihre verblüffte Frage, wieso ich das wisse, konnte ich ihr berichten, daß ich genauso eine Vase mit Aufhängung im Wohnzimmer des Juweliers gesehen habe.....
"Dich kann man wirklich nirgendwo mit hinnehmen", sagte sie, lachte aber dabei.....
Die Neugierde auf anderes, fremdes, nichtbekanntes ist eine meiner ausgeprägten Eigenschaften geblieben. ;-))


pucki antwortete am 26.01.04 (09:48):

Na, das macht doch Spaß einmal von eigenen Erlebnissen zu
erzählen.
Wir lebten in einem Dorf (1943). Jeder kannte jeden. Ich
war damals 4 Jahre alt, als meine Mutter, mich im Schlepp-
tau, zur Mühle ging (die gibt es heute nicht mehr) um Mehl
zu kaufen. Wie das so ist in einem Dorf, die Müllersfrau
und meine Mutter gerieten ins "Tratschen". Mir wurde
schrecklich langweilig. -Als meine Mutter wieder den Rück-
weg antreten wollte, war ich verschwunden. "Wo steckt dieses Mädchen nur ?" - Alles wurde abgesucht, Freunde
gefragt, Bruder mit Freunden losgeschickt zum Suchen -
keine Spur- und das in einem Dorf !! Nun wurde meiner
Mutter himmelangst. Alarmierte die Polizei, inzwischen
suchten Nachbarn und deren Freunde fieberhaft nach mir.
Nichts !!
Meiner Mutter wurde inzwischen kalt und sie wollte sich
eine Jacke aus der Wohnung holen. - Da saß ich, umgeben
von einem Eimer Erbsenschoten (die "wir " morgens ge-
pflückt hatten) und war fast fertig mit Auspulen :-)))
Erbsen liebe ich auch heute noch (enthalten sehr viel
Eiweiß :-) --))am liebsten direkt vom Busch.


schorsch antwortete am 26.01.04 (10:00):

Als 1932 in der "friedlichen" Schweiz Geborener erlebte ich den 2. Weltkrieg nur über Radio- Zeitungsmeldungen und über Gerüchte. Viele dieser Gerüchte entpuppten sich später als Wahrheiten, wie z.B. die Judenvernichtungen.
Das eindrücklichste Erlebnis hatte ich etwa 1944, als ich mit meinem Vater im nahe gelegenen Berg holzen ging. Plötzlich ertönten die Sirenen und ein unheilvolles Brummen kündigte das nahen einer "Fliegenden Festung" der Amerikaner an. Genau in unsere Richtung kam sie geflogen; ich konnte in das Cockpit sehen. Dieses aber schien leer zu sein. Kleine Schweizer Jagdflugzeuge umschwirrten den Koloss und gaben Warnschüsse ab. Ich duckte mich - mein Vater war gerade heim gegangen um Sprengpulver zu holen - hinter einen Baum und zitterte. Wenige Meter über meinem Kopf zog das Ungetüm hin, machte eine Schleife und landete. Glücklicherweise gerade auf einem freien Platz. Niemand kam zu Schaden. Es stellte sich später heraus, dass die Deutsche Flugabwehr das Flugzeug angeschossen hatte. Die Piloten verliessen es noch auf deutschem Raum mit dem Fallschirm.


Clasina antwortete am 26.01.04 (10:04):

Liebe Bocky
Deine Großmutter war eine großartige Frau,und sie hatte viel Mut.
Ich kann aber auch verstehen,daß die reichen Leute Dich in ihr Herz geschlossen hatten,da sie keine eigenen Kinder hatten.
Da war es schwer für sie,Dich wieder herzugeben.
Aber Mutterliebe ist eben stärker.
Ich bin nur 3 Jahre jünger als Deine Mutter.
Demnach mußt Du noch mir gegenüber ein Küken sein:))))
Aber Du bist sehr nett,wie man an Deiner Schreibweise erkennt.
Liebe Pucki,Deine Geschichte ist sehr lustig.
Meine Kindheit war nicht so besonders schön,da ich viel krank war.
Werde auch nicht so gerne daran erinnert.
Meine Geschwister sind alle viel älter als ich,so daß ich mich immer als Einzelkind gefühlt habe.
Meine Mutter war schon 47 Jahre alt,als ich geboren wurde.
Meine Eltern haben mich sehr behütet,weil ich ein Sorgenkind war.
Den Krieg habe ich noch mitbekommen,und all die Ängste und Entbehrungen sind mir noch in Erinnerung.
Jetzt bin ich mit meinem Mann alleine,denn Kinder haben wir nicht.Dafür haben wir unsere Vierbeiner,die natürlich ganz schön verwöhnt sind.:-)))))

Ich wünsche Euch allen einen schönen Wochenanfang.
Liebe Grüße von
Clasina


eko antwortete am 26.01.04 (21:37):

Mein Vater war "Postschaffner" bei der Deutschen Reichspost, als er Anfang 1942 als 38jähriger eingezogen wurde.

Die Tatsache, dass er schon vierfacher Familienvater war und sein Chef ihn mehrfach zurückstellen lassen wollte, half nicht, denn er war "Zwölfender".

So hieß man damals jene Männer, die sich in der Zeit der Weimarer Republik für 12 Jahre beim damaligen "Hunderttausend Mann - Heer" verpflichtet hatten.

Einen solchen Berufssoldaten ließen sich die Häscher doch nicht entgehen.

Zu Weihnachten 1942 hatte man ihm Urlaub gewährt, aber am 2.Weihnachtstag sollte er wieder zu seiner Einheit fahren.
Während seines Urlaubs hatte er sich einen riesigen Holzkoffer zimmern lassen, in dem er neben anderen Dingen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, auch eine Anzahl Sturmlaternen für seine Kameraden nach Rußland mitnahm.

Alle Bitten und Flehen meiner Mutter, wenigstens e i n e n Tag später zu fahren, kamen nicht an. Als Berufssoldat sah er darin eine Pflichtverletzung.

Noch heute sehe ich die gespenstige Szene vor meinen Augen, wie er am 2.Weihnachtstag abends um 21.00 Uhr wieder wegfuhr. Ich sehe den Bahnsteig vor mir, fahlgelb spärlich beleuchtet, den Dampf der Lok, der uns einhüllte, meine Mutter und meine 8-jährige Schwester ( ich war grad mal 11 Jahre alt), wie sie herzzereißend sich dem Abschiedsschmerz hingaben.

Wir haben nie mehr etwas von ihm gehört!

Er schaffte es gerade noch, in den sich schließenden Kessel bei Woronesch am großen Donbogen ( unweit von Stalingrad ) hineinzukommen.

Es war jener bitterkalte Winter, auf den die deutschen Soldaten nicht vorbereitet waren. Ungenügend mit warmer Kleidung versorgt, erfroren viele von ihnen jämmerlich.

Der Gedanke, dass auch mein Vater auf so jämmerliche Art den Tod gefunden hat, lässt mich auch heute, nach über 60 Jahren nicht los.

Bald darauf stellte die Reichspost die Gehaltszahlungen ein, weil mein Vater nicht offiziell gefallen war, sondern "nur" vermisst. So standen wir jahrelang ohne direkte Geldeinnahme da, immer von freudigen Hoffnungen zur tiefen Niedergeschlagenheit hin und her wechselnd.

Deshalb: Bloss ja keinen Krieg mehr !


carla antwortete am 27.01.04 (17:20):

Ich bin im Januar 1943 geboren, direkt an der Schweizer Grenze. Dort flogen jede Nacht etwa um 3 Uhr alliierte Flieger über den Ort, etwa eine Stunde später flogen sie zurück. Das bedeutete für meine Mutter und meine zwei großen Schwestern: Fliegeralarm, also mit Köfferchen und mir ab in den Keller, bis Entwarnung gegeben wurde.
Ich hatte an diese nächtlichen "Abenteuer" keine Erinnerung. ABER: ich wachte jede Nacht etwa um 3 Uhr auf und konnte nicht schlafen bis ca. 4 Uhr. Bei einer kinesiologischen Sitzung mit dem Thema "Aufwachen nachts um 3 Uhr" kamen wir auf den Krieg und dass meine Schlaflosigkeit etwas damit zu tun hätte. Als ich meine Mutter fragte, was denn um diese Zeit damals los war, sagte sie sofort, ohne Nachzudenken: "Ja, da mußten wir immer mit Dir in den Keller. Und Du hast jedes Mal geschriien, wenn wir Dich wecken mußten....".
Seitdem schlafe ich durch !