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THEMA:   Civilcourage - Mitgefühl

 11 Antwort(en).

pucki begann die Diskussion am 02.12.03 (07:39) mit folgendem Beitrag:

Heute morgen las ich in unserem Kreisblatt einen Bericht
über einen zurückliegenden Unfall. Unfälle passieren jeden
Tag, des öfteren mit Unfallflucht, gaffenden vorbeifahren-
den Autofahrern oder rumstehenden Zuschauern. Das, was
ich heute morgen las, hat mich eines besseren belehrt,
nämlich -wie es sein könnte.
Der Unfall war gerade passiert...ich zitiere...

Was dann passiert, als die Stille nach der Kollision
eintritt und noch keine Rettungsfahrzeuge in Sicht sind:
"das war einfach eindrucksvoll," schildert N. Andere Auto-
fahrer rennen zum Wrack. Zwei versuchen die Türen aufzu-
reißen, ein anderer schneidet die Gurte auf, ein weiter
klettert durch die Heckklappe, um den Insassen zu helfen.
"Da stand keiner nur herum, die haben alles Mögliche
gemacht," so N., der in den vielen Jahren auf Montage
schon viele Unfälle gesehen hat, bei denen es anders lief.
"Und als ich dann im Rettungswagen lag, kam noch einer und
wünschte mir alles Gute!" Wenige Worte nur..."die aber
unheimlich Trost spendeten. Das tat in der Situation richtig gut.".....
N. ist bis März nächsten Jahres krank geschrieben.

Auch ich habe mich schon sehr oft gefragt, wie verhielte
ich mich wohl in einer ähnlichen Situation. Ganz ehrlich -
ich hoffe nie, in eine solche zu geraten, da ich natürlich
rein theoretisch "selbstverständlich" hülfe - aber wenn
es dann tatsächlich passierte?????????


wanda antwortete am 02.12.03 (09:26):

das klingt jetzt fürchterlich realistisch aber es ist so, es ist Übungssache. Beim ersten Mal reagiert Du vielleicht so, dass Du in Panik gerätst und vor Schreck erstarrst und gar nicht helfen kannst. Du siehst aber die anderen helfen. Beim zweiten Mal ist Dir die Situation schon etwas vertrauter usw. usw.
Wenn Du ganz allein bist, wachsen Dir unheimliche Kräfte zu und du hilfst automatisch - das habe ich auch erfahren.

So habe ich einmal ziemlich brutal mit dem Esslöffelstiel eine Kiefernsperre durchbrochen, ohne Rücksicht auf die Zähne, nur daran interessiert, dass das Kind nicht erstickt. So etwas macht man nur in größter Not und dann kann man das auch.


moni antwortete am 02.12.03 (13:40):

Hallo zusammen!
Vor vielen Jahren haben wir einen Unfall hautnah miterlebt. Ein Autofahrer hat einen Mopedfahrer von der Straße in einen Graben mit Bach geschoben. Der Mercedes-Fahrer hat zwar gehalten, aber er war sehr besorgt um den Schaden an seinen Fahrzeug. Wir sind die Böschung hinabgestiegen und haben dem wimmernden Mann den Kopf über Wasser gehalten. Es war zwar nur ein Rinnsal, aber mit den Verletzungen hätte er noch dazu ertrinken können. Der Autofahrer hat sich nicht von seinem Wagen weggerührt. Weitere Autofahrer haben die Rettung verständigt (es gab noch keine Handies).
Ich hätte auch nicht gedacht, daß ich in der Lage bin, wirklich zu helfen, aber das ging ganz automatisch. Bin heute noch froh darüber, geholfen zu haben und nicht nur ein neugieriger Zuschauer gewesen zu sein.
Liebe Grüße
Monika


Medea. antwortete am 02.12.03 (15:35):

Auch das kann passieren:

Gerade war auf der Landstraße ein Unfall passiert, ein Freund von mir kam ebenfalls des Weges, hielt an, lief zu dem herausgeschleuderten Verletzten und versuchte, ihn vorsichtig von der Straße zu schaffen ....
Da hatte er plötzlich den abgetrennten Arm in den Händen ....
Diesen Schock wurde er sein Leben lang nicht mehr los .....
Leider konnte auch der Arztnotfallwagen nicht mehr helfen, der Mann verstarb noch auf der Straße......


julchen antwortete am 03.12.03 (06:41):

Mitgefuehl und Zivilcourage sind zwei total verschiedene Dinge.

Mitgefuehl ist der Grundstock einer guten Suppe,
Zivilcourage aber das Salz.
Den Grundstock haben wir alle, aber wer den
Salzstreuer in der Hand hat, das kommt ganz auf
die Situation an.
Mal haben wir ihn, und mal nicht.
Jeder "Friert" mal und ist unnuetz in einer brisanten
Situation, ist aber kann der kurzentschlossene Retter
in der Not sein - ein andres Mal.

Wer glaubt an Vorrausbestimmung?

Wer , ausser mir, glaubt dass wir alle genau dort sind
wo wir sein sollen - und genau das tun was wir tun sollen - und dann auch faehig sind dazu - wenn es soweit ist?

Dies ist eine ganz andre Richtung zum Thema,
aber ist es wirklich sooo weit davon entfernt?


wanda antwortete am 03.12.03 (08:06):

@julchen, ich glaube das.

nachtrag zu oben: eine Kiefersperre führt normalerweise nicht zum Ersticken.
Hier handelte es sich um einen Vorfall im Landschulheim. Der Junge war krank und lag mit Fieber im Bett und hatte erbrochen. Der ganze Mageninhalt staute sich hinter den Zähnen.

und wenn ich darüber nachdenke, passt diese Geschichte auch zu Julchens Anregung.
Wir befanden uns im Harz auf dem Sonnenberg, das war zu der Zeit ca. 1976 eine ausgebaute Baracke. An dem Tag hatten wir einen grösseren Ausflug geplant mit Essen ausserhalb.
Schon beim Frühstück verdrehte einer unserer Schüler die Augen (alles behinderte Kinder). Es war klar, dass einer der Erwachsenen zuhause bleiben musste. Ausser mir waren zwei Erzieher und zwei Studenten zugegen. Da ich die Oberaufsicht hatte, man reisst sich nicht drum, das ist einfach so, hatte ich auch den ganzen Ausflug organisiert. Trotzdem sagte ich an diesem Tage, fahrt ihr, ich bleibe zuhause. Ausser dem kranken Kind hatte ich noch einen Schüler, der sich nur in Bauchlage auf einem Rollbrett bewegen konnte.
Dem Jungen, der die Augen verdreht hatte, ging es zunehmend schlechter, das Fieber stieg, er bekam Krämpfe usw. ich konnte ihn nicht verlassen, durch das Fenster sah ich draussen eine Putzfrau gehen, der ich dann Bescheid gab, Hilfe zu rufen. Rein zufällig befand sich im "Haupthaus Sonnenberg" eine Fachtagung von Ärzten und gegen l7 Uhr kam eine Schweizer Kinderärztin. Der Junge kam ins Krankenhaus mit Meningitis-Verdacht, der sich dann bestätigte. Ich konnte nicht mitfahren, was ich ganz entsetzlich fand, denn ich hatte den anderen Jungen auch noch.
Am Abend sagten beide Erzieherinnen, den Akt mit der Kiefersperre hätten sie nicht ausführen können.

Wobei ich aber denke, dass sogar eine Studentin dazu in der Lage gewesen wäre, wenn sie diesen schon blau anlaufenden Jungen gesehen hätte.
Wie gesagt, in äusserster Not kann jeder über seinen Schatten springen.


Rosmarie antwortete am 03.12.03 (08:44):

Liebes Julchen,

dein Bild vom Salzstreuer gefällt mir ausgesprochen gut! Ich bin auch sehr für Civilcourage und tue auch immer mal Dinge, die mir schrecklich sind, einfach weil ich es für notwendig halte. Aber in solch einem Fall bin mir nicht sicher, ob ich nicht doch in Panik geraten und feige sein könnte... :-(

An Vorbestimmung glaube ich übrigens nicht. Ich hoffe doch, in allen Situationen eine Wahlfreiheit zu haben...


schorsch antwortete am 03.12.03 (10:12):

Zivilcourage ist auch, das Richtige zu tun, wenn die anderen nur tuscheln......

.....aber ich habe mir dabei schon oft die Finger verbrannt. Und: Hätte ich mich so angepasst verhalten, wie es meine Kollegen taten (eben nur tuschelten), hätte ich wohl einen Hunderttausender mehr auf meinem Lohnkonto gehabt im Laufe der Jahrzehnte, in denen ich eben nicht nur tuschelte.....

Reuen? Nein! Ich möchte ja beim Rasieren die Augen noch offen halten können.....


Talisa antwortete am 03.12.03 (19:30):

@Julchen

Ich glaube an Vorausbestimmung!
Viele Beispiele könnte ich jetzt aufzählen, die das für mich bestätigt haben! So glaube ich auch, dass z.B. meine Sterbestunde vorgegeben ist.

......genau das tun, was wir tun sollen und dann auch fähig sind dazu ....
das sehe ich nicht ganz so. Denke, es liegt an jedem Menschen, ob er in Notsituationen beherzt ist oder lieber Hilfe holt. Letzteres ist Menschenpflicht!

Bin als junge Frau zum ersten Mal mit einem Moped-Unfall konfrontiert worden. Auf einer Landstraße lag ein junger Mann, bewusstlos - blutend, das Moped kaputt irgendwo auf der Straße und kein Auto mehr zu sehen. Zuerst blieb mir fast das Herz stehen und dann dachte ich an meinen Erste-Hilfe-Kurs. Schnell den Mann in die Seitenlage gelegt, meine Jacke unter seinen Kopf geschoben und mit einer Decke, die ich immer im Auto habe, leicht zugedeckt. Handy gab's damals noch nicht und ich überlegte, mit dem Auto Hilfe zu holen, wollte den jungen Mann aber auch nicht alleine lassen. Er bzw. wir hatten Glück, weil kurz darauf ein weiteres Auto hielt und dieser Mann benachrichtige den Krankenwagen. Der Moped-Fahrer hatte einen guten Schutzengel oder vielleicht sogar zwei oder drei??? Sicherlich hat er das Unglück überlebt!

Ich würde jederzeit beherzt erste Hilfe leisten, soweit es in meinen Kräften steht.

Talisa


DorisW antwortete am 04.12.03 (08:25):

Erste Hilfe bei Unfällen ist keine Frage von Zivilcourage oder Mitgefühl, sondern Pflicht, und unterlassene Hilfeleistung ist eine Straftat nach § 323c StGB:

"Unterlassene Hilfeleistung
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."


pucki antwortete am 04.12.03 (09:54):

Hallo, Doris - das wußte ich! Trotzdem frage ich mich,
wie ich mich verhielte - -auch wenn mir bewußt ist, daß
ich mit Gefängnisstrafe zu rechnen hätte.
Julchen, Dein Einwand, Zivilcourage und Mitgefühl seien
völlig verschiedene Dinge --war mir auch klar. Ich habe
sie bewußt als Titel meines Beitrages eingesetzt, und
möchte an einem Beispiel zeigen, wie sie ineinander greifen. Auf einer Rückfahrt von einer Feier (Nachts um
2 Uhr) sahen wir schon von weitem ein Auto an einem Baum
stehen. Je näher wir kamen, umso mehr wurde uns bewußt, da
ist ein Unfall geschehen. Leichter Qualm drang unter der
Motorhaube hervor. Kein Mensch weit und breit. -Gerade
wollte ich meinen Mann bitten, anzuhalten, um per Telefon
Hilfe holen zu lassen, da stieg er auch schon aus -rannte
auf den Wagen zu, um zu helfen. -Das ist für mich Zivil-
courage. Der Wagen konnte jederzeit explodieren. -Anwohner
hatten wohl den Knall des Aufpralls gehört und sofort die
Feuerwehr, sowie Krankenwagen benachrichtigt. - Aber -kein
Mensch war auf der Straße zu sehen!!!!! Ungefähr 2 Minuten
nach meinem Mann kamen dann die Hilfskräfte. Nun hätten
wir ja weiterfahren können, doch meinem Mann - und nun kommt das Mitgefühl - tat der schwerverletzte junge Mann
sehr leid. Er blieb bis der Krankenwagen abfuhr. - --
Das ganze hat wohl gut eine Stunde gedauert. Als ich ihn
fragte, ob er keine Angst gehabt hätte -war seine Antwort,
nein. Das Gefühl wird wohl in diesem Moment außer Acht
gelassen -so erklär ich es mir jedenfalls.


wanda antwortete am 04.12.03 (21:59):

sehr häufig liest man, dass Helfer auf der Autobahn überfahren werden, wohl weil sie auf sich selbst weniger aufpassen und der Drang zu helfen stärker ist.