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THEMA:   Gesetz contra Gewissen und Verstand???

 38 Antwort(en).

Ernst begann die Diskussion am 08.04.03 (01:59) mit folgendem Beitrag:


Wer fährt sogar nachts und nüchtern bei Rot über gut einsehbare menschenleere Straßenkreuzungen? (So ohne weiteres würde ich das nicht zugeben.)
Wer hält an, selbst wenn repunsativ kein Schwein oder blitzender Starkasten in der Nähe ist - und warum eigentlich sollte man?
...
Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen, Dienstanweisungen ...
sie sind machtvolle Werkzeuge der Obrigkeit, für rangniedere von ranghöheren Nacktaffen erdacht. Sollen das Zusammenleben regeln – argumentiert man. Meist tun Sie das auch - irgendwie. Gegen den Nutzen ist eigentlich nichts einzuwenden. Da sie aber oft lästiges eigenes Nachdenken ersetzen, Gewissen sogar chloroformieren können, fühlen sich Gesetzestreue g r u n d s ä t z l i c h auf der Seite des Rechts. Daß dies ein fataler Fehlschluß sein kann, zeigen die schmerzhaften Nachwehen von Nürnberger Rassegesetzen über Meldepflichten (z. B. zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses im 3. Reich) bis hin zu Schießbefehlen an der Berliner Mauer oder Kollateralschäden in Angriffskriegen. So entwickeln sich über anscheinendes Recht die irrenden ehrenwerten Patrioten, Lakaien des vorauseilenden Gehorsams, die ewigen Ja-Sager, KZ-Schergen, Parteigänger, Wucherer, Eroberungskrieger, Henker, Folterknechte oder Blutrichter, eben Herrenmenschen - Leute, deren Untaten kraft staatlicher oder anderer Macht legalisiert scheint. Es gab sie immer und sie sterben nie und nirgends (?) aus. Nur allzu gern suchen sie einen Strahl vermeintlicher Größe zu erhaschen, sind stolz auf Urkunden, Orden, Ehrenzeichen, Wohnsitz und „eigene“ Tote, grüßen zu Tränen gerührt den Hut oder das Tuch auf der Stange, bis manchen eines Tages das inzwischen abgeschaffte oder geänderte Gesetz selbst ereilt. Die Menschheitsgeschichte zeigt, wie sich immer wieder angebliches Recht in Unrecht verkehrt, wie borniert und hilflos regelmäßig versucht wird, ein Unrecht (Saddam) durch ein zweites, oft größeres (Krieg) auslöschen zu wollen.

Gewissen ist – im Gegensatz zu Gesetzen - angeboren instinktiv vorhanden und wird durch Erziehung und wachsendes Urteilsvermögen individuell weiter geprägt, gefestigt und erweitert. In Situationen, in denen es sich im Widerstreit zur Gesetzgebung befindet, ist es für mich die absolut höchste Instanz. Kein Gesetz vermag, das eigene Gewissen zu vertreten! Ein Theologe sagte mir: „Durch das Gewissen spricht Gott zu Dir!“ Hat er Recht? (Ich bin kein Frömmler, aber es hat mich beeindruckt).
Diese Einstellung bringt es mit sich, gelegentlich Schwierigkeiten in Kauf nehmen zu müssen. Aber wer kann das schon bis zur letzten Konsequenz?
Wie weit kann/darf man nachgeben? Ist die Grenze schon bei der Aussichtslosigkeit einer Gewissensentscheidung gesetzt (z. B. bei den ersten Kriegsdienstverweigerern)? Welche Rolle spielt das Abwägen der Werte (z. B. Einsatz gegen Gewinn)? Die Kompromißbereitschaft? Die Angst? Die eigene physische und psychische Untauglichkeit zum Märtyrer? Erlebte Beispiele?


schorsch antwortete am 08.04.03 (09:10):

Was möchtest Du uns eigentlich sagen, lieber Ernst? Etwa das: "...Gewissen ist – im Gegensatz zu Gesetzen - angeboren instinktiv vorhanden.."

Leider hat jede(r) von uns einen anderen angeborenen Instinkt. Des einen Instinkt sagt ihm, dass er auf den Nachbarn Rücksicht nehmen muss. Des anderen Instinkt sagt ihm, der Nachbar sei dazu da, ihm zu dienen und von ihm ausgenutzt zu werden. Wessen Instinkt ist nun der "richtige"?

Ich denke, die Freiheit des einen hört dort auf, wo die Freiheit des anderen darunter leiden müsste.

Noch etwas zum Überfahren des Rotsignals bei Nacht: Wer bestimmt denn, wann die Nacht anfängt? Etwa Du? Da würdest Du ja seelenruhig über die Kreuzung preschen, während Dein Nachbar immer noch der Ansicht ist, es sei Tag und damit gelten "instinktiv" die Gesetze des Tages!

Ein bisschen kommte es mir schon vor, dass Du Deine Instinkte ein wenig schlecht im Griffe hast.....


Barbara antwortete am 08.04.03 (09:43):

Ernst,

ich meine, Du hast ein sehr wichtiges Thema, wenn nicht sogar das wichtigste überhaupt, angesprochen. Mich treiben diese Fragen von Kindheit auf an um....

Wieso gibt es in jeder Gesellschaft einen bestimmten Anteil an Menschen, der um jeden Preis Macht ausüben will, dessen eigenes Selbstbewusstsein wächst, wenn er andere demütigen und quälen kann?

Wieso haben die allermeisten Mitmenschen keine Probleme, sich diesen Machtmenschen unterzuordnen... Gibt man ihnen Uniformen, Orden, Anerkennung, etc. führen sie sämtliche Anweisungen und Befehle von oben aus....

Und drittens: wie kann man als Gequälter überleben... an dem zugefügten Leid nicht zerbrechen.... sogar stark werden, sich widersetzen, nicht vereinnahmen lassen, anderen Gequälten helfen, den "da oben" in die Suppe spucken?

Eine große Verantwortung am Entstehen der eigenen Maßstäbe hat sicher Elternhaus und Schule... Trotzdem bewirken Erziehungsmaßnahmen und ein guter pädagogischer Unterricht bei jedem Kind etwas anderes. Hundert Menschen sehen ein Theaterstück oder lesen ein gutes Buch.... und jeder zieht eine andere Lehre daraus...

Mitunter habe ich den Eindruck, dass zur Menschwerdung, zur Prägung dieser eigenen Maßstäbe, ein gewisses Maß an eigener Leiderfahrung dazu gehört. Die größten Dichter und Denker hatten oftmals eine ausgesprochen schwierige Kindheit oder ein leidvolles Leben....

Goethes schlechter Gesundheitszustand in jungen Jahren, Hesses schwierige Beziehung zum Vater.. und zu Lehrern, Lessings Verlust der geliebten Frau im Kindbett...

Ist es überhaupt möglich, ohne eigene Leiderfahrung zum "guten Menschen" zu werden? Was hieße das, wenn ich diese Frage verneinen müsste?

Mir fallen noch viele weitere Aspekte ein....
Schließlich finanzieren heute Arbeitgeber Kurse für "soziales Verhalten" oder "emotionale Intelligenz".... Kann man die Maßstäbe für eigenes Verhalten durch Kurse beeinflussen?
Einige Vorstandsmitglieder großer Unternehmen leisten heute ein paar Wochen im Jahr Dienst bei Obdachlosen- oder Drogeneinrichtungen... Sie berichten von positiven Auswirkungen auf ihr Weltbild.... Wird das von Dauer sein?


pilli antwortete am 08.04.03 (11:40):

häää???

nachdem ich beide einträge aufmerksam und mehrmals gelesen habe möchte ich die frage stellen:

bleibt es bei dem von Ernst vorgegebenen Thema

"Gesetz contra Gewissen und Verstand???"

ein sehr interessantes thema und ein bischen "fülosofieren"
(das beispiel mit der roten ampel zeigte mir die richtung) :-)könnte ja so manche antwort bringen:-)

wenn denn dann antworten auf die im thema vorgegebene frage gewünscht sind, bin ich gerne dabei. :-)





Angelika antwortete am 08.04.03 (12:44):

hmmm ..... Du hast die Grundbedürfnisse jedes einzelnen Menschen vergessen, dass sein Handeln bestimmt und das nur durch Normen und Regeln ein Leben in der Gemeinschaft und in Ballungszentren möglich macht. nehmen wir nur einige der Grundbedürfnisse neben Essen, Trinken und Sex, mit denen jeder Mensch geboren wird:
1. Geltungsbedürfnis: "Ich will sein" - und am besten mehr als mein Nachbar
2. Besitzstreben: "Ich will haben"
3. Kontaktbedürfnis: "Ich will mitteilen"
4. Informationsbedürfnis: "Ich will wissen" - auch das, was mich nichts angeht!
5. Aktionsbedürfnis: "Ich will handeln"
6. Sicherheitsbedürfnis: "Ich will Schutz, Gesundheit, Sicherheit"

Alle aufgezählten Grundbedürfnisse sind immer und bei jedem präsent und sie bestimmen unser Handeln - je nach Lebensalter ist das eine mehr, das andere weniger ausgeprägt. Wer sich das vor Augen hält, dem fällt es oft leichter, die Reaktion seiner Mitmenschen, Geschäftspartner, Kunden, Nachbarn oder Partner zu verstehen und der versteht auch seine eigene Reaktion. Und: jeder, der Werbung macht, wendet nichts anderes an als das Wecken eines oder mehrerer dieser Brdürfnisse.

Würden diese instinktiven Bedürfnisse in einer Gemeinschaft oder einem Staatsgefüge nicht durch Gesetze und Normen reguliert werden, gäb es sicher viel mehr Probleme als jemanden, der bei Rot über die Ampel fährt.


"Zwischen Blut, Kot und Urin werden wir geboren" steht irgendwo geschrieben - wie wahr. Und jeder ist bestrebt, da herauszukommen. Jeder hat das Recht, dem Lustprinzip zu folgen und als Hedonist durchs Leben zu schlendern aber die Gemeinschaft erfordert von uns allen vor allem auch das Bewegen innerhalb bestimmter Gesetze und das mehr oder weniger Handeln und Einhalten nach und von einer bestimmten Moral und Ethik und einem Leben nach gewissen Werten. Damit meine ich nicht die verstaubte Moral irgendwelcher Hofschranzen oder "Moralapostel" sondern den für uns alle notwendigen Utilitarismus, der weder religiöse Dogmen noch politische Färbung braucht sondern ganz einfach einer ethischen Theorie folgt. Mittelpunkt dieser Theorie, die Grundlage jeder Gesetzgebung und Norm sein sollte, ist das Glück jedes Menschen und seiner individuelle Freiheit, es zu suchen. Ob das Laufen über die rote Ampel dazugehört, mag ich nicht entscheiden.

"Freiheit bedeutet immer auch die Unfreiheit eines anderen"


maggy antwortete am 08.04.03 (15:49):

Hallo Angelika,
mir fällt auf, dass bei den von dir genannten 6. Bedürfnissen stets ein "ICH" vorangestellt wurde. Vielleicht liegt der Schlüssel des Menschsein darin, mehr "Du" zu denken??

Hallo Ernst,
Dein Beitrag ist sehr lang, ich habe ihn nicht ganz gelesen - sorry.
Viele Menschen sagen, man solle auf sein Gewissen hören. Andere meinen, den Verstand zu gebrauchen, sei das Wichtigste. Ich denke, Gesetze sind nötig, ansonsten würde vieles Drunter und Drüber gehen.
Ob wir dabei unseren guten Menschenverstand einsetzen oder mehr auf unser Gewissen hören, ist sicherlich nicht in eine Norm zu pressen. Dafür sind unsere Empfindungen zu unterschiedlich.
Was wir aber vor uns selbst verantworten können, sollten wir auch mit gutem Gewissen und Verstande vereinbaren dürfen.
[falls ich das Thema verfehlt haben sollte, dann seht es mir nach, da ich mir nicht die Zeit nehmen konnte, alle Beiträge ausführlich zu lesen. Ich beziehe mich auf die Themenvorgabe "Gesetz contra Gewissen und Verstand"]


Ernst antwortete am 08.04.03 (16:05):

Hallo schorsch,

ich kann und will Dich nicht hindern, in mir einen instinktgesteuerten Rambo zu vermuten. Ich gebe allerdings zu, daß mich so etwas schon verletzt. Da stand auch z. B. mein Satz „Gegen den Nutzen (von Gesetzen) ist eigentlich nichts einzuwenden.“, den Du vermutlich nicht wahrgenommen hast. Und was das harmlose Beispiel von der roten Ampel angeht, könnte man ja direkt ein neues Gesetz erfinden, das endlich bestimmt, „wann Nacht ist“, damit wir so schwerwiegende Probleme endlich in den Griff kriegen.

Ich hatte auch nicht die Absicht, jemandem oberlehrerhaft „etwas zu sagen“, sondern ich habe Fragen gestellt - erkennbar an den Fragezeichen. Thema war dabei keineswegs „Instinkt“ sondern „Gewissen“ - besonders, wenn es mit obrigkeitlichen Anordnungen in Kollision gerät. In diesem Zusammenhang habe ich versucht, den Begriff zu definieren. Vielleicht war das Adjektiv „instinktiv“ nicht gerade glücklich und man hätte ein treffenderes finden können. Ich warte voller Spannung auf eine von Dir gelieferte Definition für „Gewissen“!

Das Nachdenken über Ursachen, warum vieles so ist wie es ist, hat mich auf das Ausgangsthema gebracht. Und die interessanten Anmerkungen von Barbara, pilli, Angelika und maggy zeigen mir, daß ich nicht von allen mißverstanden worden bin.

@maggy, Du hast recht; der Beitrag ist zu lang.Sorry!

Viele Grüße
Ernst


Angelika antwortete am 08.04.03 (16:31):

maggy: dem Leben steht das Überleben voran und dazu ist das Ich-bezogene Denken und Handeln lebensnotwendig. Keiner von uns kann sich davon freisprechen, alles in irgend einer Form auch immer irgendwie ich-bezogen zu tun und wer behauptet, nicht eine Gegenleistung zu erwarten (und sei es der Dank des anderen oder um Anerkennung, auch in Form von Liebe und Bewunderung oder um es welchem Gott auch immer recht zu machen) der ist nicht ganz ehrlich. Bitte achte darauf, dass ich die angeborenen Bedürfnisse beschrieben habe, nach denen alle Menschen instinktiv handeln. Erst Gesetze, Ethik, Kultur, Erziehung und Ordnung machen uns brauchbar für die Gemeinschaft. Das ist bei Naturvölkern nicht anders als bei Menschen in Industrieländern.

Die Ich - Du beziehung wird für mich durch martin Buber am deutlichsten beschrieben. In seiner Schrift "Ich und Du" beschreibt er eine Philosophie, ausgerichtet auf den Unterschied zwischen direkter, gegenseitiger Beziehung (Ich-Du-Beziehung), in welcher sich die Personen einander ihren einzigartigen Wert bestätigen und indirekter, zweckmäßiger Beziehung (Ich-Es-Beziehung), bei der sich die Personen nicht wirklich anerkennen. Er versucht in dieser Schrift seine Grundüberzeugung "alles wirkliche Leben ist Begegnung" philosophisch zu begründen. Nach Bubers Überzeugung wird der Mensch zu einem Ich erst durch die Beziehung zu einem Du. Aber ich glaube, das ist nicht das Thema dieser Diskussion? :-)


Barbara antwortete am 08.04.03 (16:49):

Genau wie maggy habe auch ich mich bei Angelikas Beitrag gefragt, ob nicht gerade in diesen angeblichen "Grundbedürfnissen" die unterschiedliche Einstellung liegt, z.B.

"ICH will haben" oder
"ICH will (mehr als mein Nachbar) sein"

Tut mir leid, aber für mich ist das sehr fremd.....

Warum bin ich in einer Gewerkschaft? Meine KollegInnen meinten, sie wären besonders schlau, da sie ohne den Beitrag von einem Prozent ihres Bruttogehaltes gleichfalls von den von den Gewerkschaften ausgehandelten Abschlüssen profitieren. Oft genug habe ich mir sagen lassen, dass ich doch "doof" wäre... Man rechnete mir vor, was die Höhe meines Beitrages angelegt in einem Sparvertrag bringen würde... Dass die Arbeitgeber jedoch Vieles ohne Gegendruck durchsetzen können, wenn die Arbeitnehmer gewerkschaftlich kaum organisiert sind, spüren Viele inzwischen am eigenen Leib... Bei meinem Arbeitgeber handelt es sich um das Kreditgewerbe.

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, dass ich mehr als mein Nachbar haben muss. Wenn meine Nachbarn sich die dritte neue Möbeleinrichtung kaufen, freue ich mich mit ihnen.... finde die neuen Sachen auch sehr schön.... habe jedoch keinerlei Bedürfnis, mich ebenfalls neu einzurichten.

Wie maggy bereits schreibt sollte jeder überlegen, ob das ICH kleiner geschrieben langfristig nicht mehr bringen würde. Anstatt "du" wäre mir ein "wir" noch lieber.

Ich hoffe, dass ich bei meinen Entscheidungen nicht in erster Linie den eigenen Horizont sehe sondern mich frage, welche Auswirkungen sie auf andere, auf uns alle, auf kommende Generationen, etc. haben.

Ernst,

in Deiner Fragestellung ging es Dir ja nicht allein um Gesetze...
>>Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen, Dienstanweisungen ...<<

Wie viele Dienstanweisungen hat man z.B. im Beruf zu beachten, deren genaue Einhaltung Kollegen verletzen würde. Manch einer hält sich strikt an die Vorschriften, ohne über Auswirkungen nachzudenken, erledigt seine Arbeiten mit Tunnelblick...

Der andere sieht den Menschen hinter dem Kollegen, hinterfragt sein Tun und setzt sich im Zweifel über eine Vorschrift hinweg. Das ist nicht immer leicht, weil man sich später evtl. vor dem Chef rechtfertigen muss. Trotzdem standen mir Kollegen stets näher als unsinnige Dienstanweisungen.


Barbara antwortete am 08.04.03 (16:53):

Angelika,

wir haben unsere Beiträge gleichzeitig geschrieben....
Mit Deinem letzten Beitrag stimme ich voll überein. Auch die von Dir erwähnten Gedanken von Martin Buber von "Ich und Du" empfinde ich genau als unser Thema....


Ernst antwortete am 08.04.03 (21:44):

@Barbara,
Genau so habe ich es gemeint! Natürlich ging es mir nicht nur um Gesetze, sondern um das grundsätzliche Problem der Hörigkeit gegenüber den „Bestimmern“ unter Ausschaltung von Verstand und Gewissen. Die Schwierigkeit lag für mich nur darin, derart komplexe Zusammenhänge möglichst kurz auf den Punkt bringen zu können. Es gibt einfach zu viele Teilaspekte, und das Kapitel „Instinktverhalten“ (Hallo Angelika) ist einer davon, der seine Erörterungen durchaus wert ist.

Da werden zum Beispiel umfangreiche Durchführungsbestimmungen in Chefetagen zu bereits vorliegenden Gesetzblättern verfaßt, wo eine Gesetzblattkopie an jedes Team ausreichen würde. Ungezählte Dienstanweisungen werden verfertigt, denen man anmerkt, daß sie gegen Kollegen gerichtete Abwärtspässe machtbesessener oder entscheidungsunwilliger Vorgesetzter sind. Rückversicherer und Machtgeile schieben sich Papier über Schreibtische, wo ein Gespräch genügt hätte. Mitarbeiter werden instrumentalisiert und andere mit deren Hilfe auch schikaniert.
Um nicht mißverstanden zu werden: ich bin unbedingt für Delegation von Verantwortung und halte Dienstanweisungen keineswegs für völlig entbehrlich. Aber ein mitdenkender Mitarbeiter war mir immer lieber, als ein ergebener Sklave.

Wir alle wissen, daß wir uns diese Welt nicht nach unserem Geschmack zurechtschnitzen können und daß es Regeln geben muß. Sicher ist das auch ok. Aber ein bißchen über Zusammenhänge "fülosofieren" (Hallo pilli) muß erlaubt sein.

Viele Grüße
Ernst


pilli antwortete am 08.04.03 (23:03):

"Gesetz contra Gewissen und Verstand" ?

ja, für mich schon. :-)

bevor ich aber meine gedanken dazu mitteile, möchte ich versuchen, die begrifflichkeit des wortes "ich", das Angelika gewählt hat,
aus meiner sicht begründen:

"ich weiß nicht du"

habe ich mal gelesen und das gefiel mir gut, denn es bedeutet, daß "ich" und "du" reden müssen, damit unklares verständlicher wird oder
verstehen der unterschiedlichen ein- oder ansichten möglich wird. und erst dann, wenn das "ich" weiß, wie es sich selbst sieht, dann kann ich zum "du" und "wir" beitragen , mehr noch...auch das mitgestalten ist dann für mich denkbar.

-wenn es gilt, mich selbst zu erkennen, hilft es meiner meinung nach wenig, das "du" zu befragen.

-das "du" wird mir genausowenig mitteilen können, was "ich" kann und wie weit ich das umsetzen kann damit "ich" selbständig bin.

-und was "ich" darf, kann nicht das "du" für mich entscheiden

-"ich" und "du" werden mal angenommen, zur gleichen zeit die jeweils vorgeschriebene gesetzliche altersgrenze erreichen, die bedeutet, daß wir mündig sind. sind wir das dann in gleicher weise? ich denke nicht.

-"ich" empfindet auch die zwänge in einem bestehenden rechtssystem möglicherweise sehr viel schmerzlicher als "du"; und was "rechtens" ist, auch das kann unter umständen erstritten werden zwischen mir und anderen.

"ich" und "du" brauchen eventuell unterschiedlich große freiräume zur entwicklung einer persönlichkeit und wie differenziert sehen dann "ich" und "du" freiheitliches autonomes tun?

erst wenn ich für mich geklärt habe, wer ich bin und was ich will erst dann kann ich das "du" oder das "wir" miteinbeziehen und ihm bedeutung geben. ich wähle dann auch, wieviel bedeutung dem "du" oder "wir" innerhalb der von mir gewählten gemeinschaft gegeben wird. also wieder
ist es meiner meinung nach das "ich", das entscheidet. ich schaffe mir unter einbeziehung von erlebtem und erfahrenem ein bild von gut und böse, wäge ab und entscheide mich dann wie weit ich das interesse steigere um gutes oder böses zuzulassen. das "du" kann andere motive
als ausschnitt oder ganzes berücksichtigen. ich erkenne andere lebensformen und entscheide, wie weit ich mich angleichen möchte. und selbst wenn das "du" mir bessere wege aufzeigten , ist es meiner meinung nach nicht sicher, daß ich das in gleicher weise erkennen kann.

wie hoch "ich" oder "du" die meßlatte anlegen um erwarten und hoffen zu können auch das ist für mich nicht gleich zu stellen.

daher ist es für mich ein irrtum anzunehmen, daß eine hinwendung zum "du" eigene erkenntnisse vermittelt.


Felix antwortete am 09.04.03 (00:23):

Ein einigermassen geordnetes Zusammenleben in einer Sozietät funktioniert nur, wenn gewisse Verhaltensregeln vom Grossteil eingehalten werden.
Das Problem stellt sich in der Frage der Einsehbarkeit oder Einsichtigkeit im Einzelnen.
Wenn Vorschriften oder Reglementierungen als unnötige Schikanen empfunden werden, wird die Motivation, sie einzuhalten, verringert sein.
Oft sieht der Einzelne aus dem Blickwinkel des Egoisten nicht, dass es noch andere Bedürfnisse als die seinen gibt.
z.B. erlebe ich zur Zeit mit meiner Frau im Rollstuhl hautnah, was es heisst, wenn rücksichtslos auf dem Gehsteig geparkt wird. Die Ausreden, die ich mir anhören muss, zeugen von diesem eigenmächtigen Handeln ... und nur an sich denken! "Ich musste nur schnell etwas Schweres ausladen!" "Sie können doch auf die Fahrbahn ausweichen!""Da muss sonst kein Rollstuhl durch!""In 10 Min. bin ich wieder weg ... solange werden sie doch warten können?" etc.
Mit den Folgen von nachts eigenmächtig das Rotlicht überfahren zu wollen ... will ich gar nicht anfangen!
Oder geht es dann sogar soweit, dass ich das Bezahlen der Steuern von meinem Gewissen und Verstand abhängig machen will!
Ich bin dafür, dass man ungehorsam werden und sich verweigern soll, wenn Unmoralisches von mir verlangt wird.
Aber ein Rambo-Staat, wo jeder nach seinem Gusto aussucht, was für ihn gerade stimmt oder nicht .... ist undenkbar!


pilli antwortete am 09.04.03 (02:33):

"Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann."
(I. Kant 1797)

"Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf..."
(Rousseau)

"Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig."
(aus der Vorrede zur Hegelschen Rechtsphilosophie 1821)

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das recht ist doch nicht nur das, was im besten falle von experten oder wissenden den entsprechenden organen vorgeschlagen wird und dann als gesetzt niedergeschrieben wird. richterInnen können sehr wohl auch gegen gesetze entscheiden und dann recht sprechen. nach Art. 20 GG ist die rechtsprechung an gesetz und recht gebunden. somit ist gesprochenes recht nicht immer identisch mit geschriebenem gesetz.

das gewissen wird m.e. weitergebildet und zwar so lange ich lebe. als kind erlebe ich die vielfältigsten einflüsse innerhalb der familie.
die schulische ausbildung vermittelt werte und die persönlichen kontakte zu gruppen und freunden prägen erlebtes. die so gewonnenen wertvorstellungen helfen mit zu bestimmen, ob eine orientierung den vorgaben des gewissens erfolgt; andererseits aber zeigt das gewissen sehr deutlich, wenn eine falsche entscheidung von mir getroffen wurde.


schorsch antwortete am 09.04.03 (09:36):

@Barbara

Du sprichst ein grosses Problem an mit der Solidarität mittels Gewerkschafts-Mitgliedschaft. Ich habe den Sinn dieser Solidarität schon früh begriffen, bin mit 18 Jahren beigetreten und fast 50 Jahre Mitglied gewesen. Als ich dann nach meiner Pensionierung merken musste, dass die Pensionierten-Vereinigung in der heutigen schwierigen Zeit ein grosser Kostenfaktor für meine Kollegen bedeutet, habe ich schweren Herzens den Austritt erklärt. Dies bedeutet aber nicht, dass ich nun vom Paulus zum Saulus mutiert bin - wie Du unschwer an meinen Statements hier erkennen kannst. Ich bin heute wie damals der Ansicht, dass "Trittbrettfahrer" den Tod der Solidarität bedeuten.....


pilli antwortete am 09.04.03 (11:43):

gewissensentscheidungen, die nach sorgfältiger prüfung und orientierung getroffen werden, gelten m.e. nur für jeden selbst. es kann demnach duchaus möglich sein, daß eine andere person eine konträre entscheidung für sich findet; d.h. dann aber wieder für mich, ob ich will oder nicht, ich muß versuchen, das zu akzeptieren.
vielmehr noch, ich sollte es achten und notfalls auch mithelfen und mich Unterstützend einmischen, wenn gefahr droht, daß nur aufgrund des "anderen denkens", andere benachteiligt oder gar bedroht werden. die von den kirchen vorgegebenen weisungen und richtlinien entsprechen sicherlich nicht in jedem fall meiner persönlichen einstellung. ich erkenne aber an, daß daß sie einen bedeutenden anteil daran haben mitzuwirken, eine persönliche gewissensbildung zu ermöglichen. diesen respekt erwarte ich aber auch für mich und zwar besonders dann, wenn ich entscheide, daß lediglich "gehorsames folgen" alleine mir nicht genügt. hier fehlt es nach meiner persönlichen erfahrung bei einigen der vertreter des "göttlichen willens" nicht nur an respekt sondern ich vermisse auch den manchmal hilfreichen verstand.

mehrfach hatte ich gelegenheit, dies sehr deutlich zu spüren.

nach erfolgter scheidung und anschließendem wohnsitzwechsel besuchte ich die mir perönlich bekannte pfarrsekretärin meiner pfarrei in ihren büroräumen. bei dieser gelegenheit traf ich auch ihren "cheffe", der mich herzlich einlud, rege an den pfarraktivitäten teilzunehmen.
einige wochen später, rief er mich an und bat um ein gespräch. noch am gleichen tag besuchte er mich und erklärte mir, daß er den ihm zugesandten unterlagen zwischenzeitlich entnommen habe, daß ich geschieden sei. nach allen möglichen und unmöglichen erklärungen und konfusem hin und her auf gezielte fragen von mir bat er mich um verständis, daß er die bitte habe, ich möge die kommunion nicht mehr in der gemeinschaft der gläubigen zu empfangen. zu diesem zweck könne ich nach der messe in die sakristei kommen.

ich weiß nicht, wie sehr er sein gewissen geprüft hat, bevor er seine entscheidung traf. aber ich weiß, wie schnell mein gewissen signalisiert hat, seinen wunsch nicht zu respektieren, da ich verstand nicht erkennen konnte. sein "mich gängeln wollen" konnte meine entscheidung weiterhin "öffentlich" zu kommunizieren und zwar in meiner gemeinde, nicht beeinflussen.

fairerweise sollte ich sagen, daß diese begegnung vor ca. 30 jahre stattfand; heute würde wohl anders verfahren werden, berichtete mir unlängst der pfarrer, der meine tochter traute. tja, vielleicht ein beweis dafür, daß verstand wirklich die chance hat, sich zu entwickeln?

ich war und bleibe immer dann ungehorsam, wenn regeln, bestimmungen und gesetze mit den mir verständlichen möglichkeiten nicht mehr zu begreifen sind. und hinter einer fahne oder in müllbeuteln kostümiert macht signalisieren zu müssen, ist bestimmt eine möglichkeit anderen mächten gegenüberzutreten; nur wenn ich macht tatsächlich ablehne, dann darf ich sie meiner meinung nach auch nicht öffentlich demonstrieren.


Felix antwortete am 09.04.03 (17:46):

Hallo pilli ...

dein Beispiel mit der Kommunion zeigt, dass es Autoritäten gibt, die sehr fragwürdig sind, wenn man sie selber nicht extra anerkannt hat. Kirchenrecht, Vorschriften, Gebote oder Moralvorstellungen sollen nur für die gelten, die sie freiwillig akzeptiert haben. Eine Taufe im Kleinkindalter ist kein Willensakt des Getauften sondern höchstens seiner Eltern.
Leider gibt es immer noch Einflüsse von vorherrschenden Glaubensgemeinschaften auch auf Individuen, die sich nicht zu ihnen bekennen. Doch die Trennung von Kirche und Staat hat in aufgeklärteren Gegenden schon Fortschritte gemacht!


schorsch antwortete am 09.04.03 (19:10):

Ich denke, dass kein Kind getauft werden sollte bevor es mündig ist. Dann soll es selber entscheiden, ob es das will oder eben nicht.

Ich weiss von einem Arbeitskollegen - Iraner auf der Flucht - der im Iran einer konfesseinellen Gruppierung angehörte. Diese rät den Kindern, möglichst viele Konfessionen zu prüfen und erst wenn sie sicher sind, dass sie diejenige gefunden haben, die zu ihnen passt, sich festzulegen.

Ich denke, das ist der einzig ehrliche Weg.....


Ernst antwortete am 09.04.03 (19:52):

@pilli und Angelika
„Ich tu’, was ich tu’
und Du tust, was Du tust.
Ich bin nicht auf dieser Welt,
um nach Deinen Erwartungen zu leben.
Und Du bist nicht auf dieser Welt,
um nach den meinen zu leben.
Du bist Du und ich bin ich.
Und wenn wir uns zufällig finden
- wunderbar.
Wenn nicht, kann man auch nichts machen“

Die Quelle kann ich leider nicht mehr sicher angeben. Vermutlich habe ich es aus einer der Schriften von Michael (?) Friedmann aufgesaugt und dann auf meiner Hirnfestplatte gespeichert.

@Felix
Als Schwerbeschädigter mit Gehbehinderung sind mir Deine Probleme geläufig und ich weiß sehr gut, wovon Du redest. Ich hasse Rambos - und das nicht nur im Straßenverkehr! Immerhin hat meine provokante rote Ampelfrage die Diskussion etwas am Laufen gehalten, wobei ich feststelle, daß die Ladies das gelassener einzuschätzen wußten als die Herren.

@alle
Ich hätte genausogut fragen können: „Wer hält jede Geschwindigkeitsbegrenzung ein?“ oder „Wer gönnt seinem Hund nie einen freien Auslauf?“ Aber bitte, bitte jetzt daraus nicht gleich neue Rückschlüsse auf meine „Tierfreundfeindlichkkeit“ schließen.

Schorschs und Barbaras Anmerkungen zur Gewerkschaftsmitgliedschaft, pillis Kommunionsbeispiel und besonders auch Barbaras Geständnis, auch schon mal gegen innerdienstliche Anweisungen bewußt verstoßen zu haben, kommen meinem eigentlichen Anliegen weitaus näher; ich kann mir nur ganz schwer vorstellen, daß Leute unseres Alters ein Leben lang zu jedweder Vorschrift immer nur Ja-und Amen gesagt haben. Das wäre ja ganz schlimm, wenn wir nichts dazugelernt hätten!

Mal abgesehen von der roten Ampel ;)) ein etwas ernsteres, aber immer noch sehr harmloses Beispiel zu einer der von mir in Gewissenskonflikten vorsätzlich in Kauf genommenen Zuwiderhandlungen:
Nach DDR-Strafrecht war die Unterlassung einer Anzeige bei Kenntnis des Vorhabens eines „Verbrechens gegen die DDR“ mit bis zu 10 Jahren Knast bedroht (§ 225 StGB der DDR). Vor meiner Tür stand eines Tages ein mir unbekannter junger Mann, der mich bat, angesichts einer von ihm geplanten Flucht ihm die auch von der DDR unterzeichnete, aber wohlweißlich nicht zugängliche (Menschenrechts-)Charta der Vereinten Nationen zu überlassen. Mein erster Gedanke war: das ist ein IM und die Stasi will meine Loyalität testen. Woher wußte er überhaupt, daß ich sie besaß? Ist es ein vorgeschickter Stasi-Spitzel, der aus Verhören Gefaßter von meinem Besitz des Dokuments Kenntnis hatte? Ist das das Ende meiner beruflichen Karriere? Was tun? Scheiß-Angst! Was wird aus meinen Kindern, wenn sie mich abholen!? Schließlich kramte ich die Blätter aus ihrem Versteck hervor und überließ sie ihm. Die kommenden Tage vergingen mit Zittern und Zagen, ohne daß ich vorgeladen wurde. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Wahrscheinlich ist er gut angekommen. Heute, Jahrzehnte danach, bin ich froh, daß ich der verdammten Angst von damals nicht nachgab.

Viele Grüße und Danke fürs Echo
Ernst

PS.: maggy, s’tut mir leid, schon wieder alles zu lang.


Angelika antwortete am 09.04.03 (20:18):

@ernst: eigentlichfühle ich mich von dir völlig missinterpretiert aber auch das gehört zu den freiheiten die ich anderen lasse und mir selbst nehme:-)das hat weniger mit toleranz , von der ich nur bedingt etwas halte, zu tun - eher mit ignoranz. was du da zuletzt in deinem beitrag schreibst, erinnert an den alten spruch: recht haben ist eine sache - recht bekommen eine ganz andere.


Ernst antwortete am 09.04.03 (21:57):

@Angelika
Es war nie meine Absicht, Dich zu interpretieren. Wie auch? Das hast Du weißgott nicht nötig; Deine Beiträge sprechen für sich! Mit dem (Friedmann?-)Zitat wollte ich lediglich etwas zu der vorangegangenen Ich-Du-Diskussion beisteuern. Wenn’s daneben war, tut’s mir leid. Jeder von uns hat das Problem, vom anderen maximal zu 90% richtig verstanden zu werden! Warum sollte das im Internet anders sein als im sonstigen Leben? Ich verstehe in diesem Zusammenhang nicht ganz Deinen Hinweis vom „Recht haben“ und „Recht bekommen“? Klär den dummen Ernst auf, kämpferische Angelika!

Ernst


Angelika antwortete am 09.04.03 (22:25):

ach Ernst, ach Ernst :-) nein so hart war es gar nicht gemeint - ich mag zwar manchmal wortgewaltig tönnen, aber kämpferisch war und bin ich eigentlich noch nie wirklich - was ich sagen wollte: bei meiner "ich" - Aufzählung ging es mir um Verdeutlichung der Grundbedürfnisse und was dahinter steckt. Aber: Egoistin bin ich durchaus und ein gesunder Egoismus ist sicher besser als krankhafter Altruismus und Idealismus. Bist Du da nicht auch der Meinung?

Alle Theorie von Vernunft und Verstand wird ohnehin über den Haufen geworfen, wenn der unberechenbare Faktor Liebe ins Spiel kommt - und da gibt es ein wunderschönes Zitat von Martin Buber:
"Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du" ...
In diesem Sinne
auf bald

Angelika


Rosmarie S antwortete am 09.04.03 (22:29):

Lieber Ernst,

erst jetzt stoße ich zu deiner interessanten Dikussion dazu, habe aber vieles nur halb oder gar nicht gelesen. Doch dein letzter Bericht hat mich sehr berührt. Natürlich warst du unendlich erleichtert und auch froh, die Charta weitergebeben zu haben. Aber wie wäre es geworden, wenn tatsächlich die Stasi hinter deinem Besucher gesteckt hätte? Wie lange und wie schlimm hättest du diese "Verfehlung" büßen müssen...

Ich versuche zwar auch, Civilcourage hoch zu halten, aber für so etwas wäre ich vermutlich zu feige gewesen. Vor allem wegen der Kinder... Da würde ich schon eher eine rote Ampel überfahren...

Übrigens jammert ein Autofahrer beim anderen: "Stell dir vor, ich bin vor Wochen über eine rote Ampel gefahren und musste heute 5000 Euro Strafe zahlen!" "Was? Wieso soviel? Das kann doch gar nicht sein!" "Doch. 4000 für die Ampel, 500 für die Elektrik und 500 für den kaputten Straßenbelag."


Ernst antwortete am 10.04.03 (23:43):

@ RosmarieS

Auch ich war schon kleinmütig und alles andere als ein Robin Hood! Bei der Frage, wie weit ich mitzumachen bereit war, war die Grenze immer dann erreicht, wenn man mich zu instrumentalisieren versuchte, gewissermaßen zum Dobermann gegen andere einsetzen wollte. Offenbar hatte ich da eine naturgegebene „Beißhemmung“. Ich war darüber sogar bekümmert, weil das meiner beruflichen Karriere abträglich war, zumal ich mich einer besonderen Aufmerksamkeit der Aufpasserorgane erfreute (Telefonabhören, Postkontrolle, Beschattung in Urlaubsfahrt, auf mich angesetzte „gute Freunde“ ...).
Wo sind sie heute abgeblieben, jene hoch qualifizierten „Fachleute“ von der Stasi? Ich ahne es!
Angst habe ich eigentlich immer nur hinterher gehabt, nie in aktuellen Situationen. Auch auf Einschläge von Panzergranaten und Maschinengewehrfeuer 1945 habe ich als Kind keine Emotionen empfunden und mich eher über das Zittern anderer gewundert. Heute packt mich das Geschehen im Irak.

@Angelika
<<ach Ernst, ach Ernst :-) >> „... was Du mir alles lernst“ (Spruch meiner Mutter):))
Zum krankhaften Altruismus: ich gebe Dir recht. Ich wäre z. B. nicht als lebendes Schutzschild geeignet. Die Heilsbringer irgend einer altruistisch verbrämten einzigen Wahrheit bringen stets Leid und Unheil über die Leute. „Sozialismus“ war ein Tierversuch mit lebenden Menschen und eigentlich in seinen ideologischen Anfängen altruistischer Natur. In Wirklichkeit sind Egoismen die Triebfeder des Fortschritts. Aus dieser Fehleinschätzung mußte z. B. die Wirtschaft der DDR in die Knie gehen. Kein Kellner mit Festgehalt war mehr interessiert, möglichst viele Gäste freundlich zu bedienen. Sie stellten „Reserviert“-Schilder auf die Tische und machten sich einen Feiertag.
Was den Faktor Liebe angeht: Die Unberechenbarkeit ist uns von Mutter Natur zur Arterhaltung zugeteilt worden; zumindest die christliche Menschheit wäre längst ausgestorben, wenn alle immer nur dem Verstand, den Ratschlägen der Weisen („Heirate die/den nicht“, „Heirate nie“, „Laß Dir Zeit“) oder der Kirchen („erst nach dem Trauschein“, Keuschheitsgebot ...) gefolgt wären.

Ernst


Rosmarie S antwortete am 11.04.03 (09:14):

Lieber Ernst,

deine Rückblicke, Gedanken und Einstellungen haben etwas sehr Menschliches und Weises! Freu, freu!

Was mich immer wieder erstaunt, ist, dass manche Menschen, die viel mitgemacht haben im Leben, sogar viel an Ungerechtigkeit und Benachteiligung, dennoch versöhnlich und positiv denken (auch bei messerscharfem Durchblick), während andere stets das Ankreidenswerte und Negative sehen.
Ist es so, dass die Beurteilung dessen, das um uns ist, letztlich doch mehr von unserem Charakter abhängt als von objektiven sachlichen Gegebenheiten?


schorsch antwortete am 11.04.03 (09:25):

Jeder muss mit sich selber (und seiner Familie!) ausmachen, wie weit er sich zum Fenster hinauslehnen kann. Ich war 8 Jahre Präsident einer Betriebskommission (von meinen Mitarbeitern gewählt) und als solcher von Amtes wegen auch in verschiedenen Gremien wie z.B. in der Pensionskassenkommission. Daneben war ich noch von der Gewerkschaft als Arbeitsrichter gewählt.
In guten Zeiten sind solche Ämter keine Sache. Aber mich traf es in die erste Rezession während den Siebziger-Jahren. Da brauchte es eine ganz gehörige Portion Rückgrat, den "Herren" die Stirn zu bieten. Ich tats - mit einigen unangenehmen Konsequenzen, die sich erstens im Zahtagstäschlein und zweitens im Verhältnis zwischen meinen Vorgesetzten und mir niederschlug. Da ich zum Überdruss noch Meister einer Abteilung war, war ich stets der Prellbock zwischen "Oben" und "Unten". Das ging so weit, dass mich einer der Direktoren mal geradeheraus fragte, ob ich eigentlich von den Mitarbeitern meinen Lohn erhalte oder von der Geschäftsleitung....
Ich ging trotzdem meine mir angeborene Linie. Und ich freue mich heute jedes Mal, wenn ich einem ehemaligen Mitarbeiter begegne und ihm in die Augen sehen kann!


Gudrun antwortete am 11.04.03 (10:22):

Das ist es,lieber Schorsch!

Sich so zu verhalten,dass man anderen und sich selber (im Spiegel) in die Augen sehen kann!

Das war ein Leben lang (ist es natürlich noch) mein Wahlspruch.

Gudrun


pilli antwortete am 11.04.03 (11:28):

na dann verhänge aber zumindest heute alle deine spiegel mit tiefschwarzen tüchern...ansonsten wird es klirren ohne ende...und jetzt husch husch ins körbchen, damit du nicht aus versehen doch noch gefahr läufst...spiegel zerschellen zu lassen :-)


pilli antwortete am 11.04.03 (11:30):

da stellt sich mir gerade eine andere frage...bedarf gewissen zu spüren den verstand?


Gudrun antwortete am 11.04.03 (11:53):

pilli

jedenfalls wird "Verstand" benötigt,wenn geistreicher Unsinn verzapft werden soll....
ansonsten ??????na,was ist es dann ;-)--?


schorsch antwortete am 11.04.03 (11:53):

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Klügste im ganzen Land? (;--))))


Medea.- antwortete am 11.04.03 (14:00):

Zu Pillis Frage "Bedarf Gewissen zu spüren den Verstand?"

Also meiner hatte in einer gefährlichen Situation erst später eingesetzt ...:-)
Es war in den 70ern, wir jungen idealistischen Leute hatten so etwas wie einen Jugendclub ins Leben gerufen, mit wenig Geld aber sehr viel Elan. So dienten als Stühle zersägte Baumstümpfe, es sah urig aus und man/frau konnte auch darauf ausruhen, denn meistens wurde sowieso getanzt. Zu dieser Zeit machte eine Motorradbande, "Black Spiders" genannt, ihre unrühmliche Runde. - Mit noch einem Helfer machte ich, natürlich ehrenamtlich, Dienst und da geschah das Unfaßliche. Die Tür sprang auf, beängstigend aussehende lärmende Kerle mit ihren Bräuten stürmten herein, lachten sich halbtod über unser Mobiliar und begannen, unsere "Stühle" sich gegenseitig zuzuwerfen, wohl so eine Art Mutprobe. Mein tapferer Mitstreiter wollte einschreiten und wurde kurzerhand ergriffen und auf das Fensterbrett gesetzt und unsere anwesenden jungen Leute standen vor Angst stumm in einer Ecke. Da packte mich ein solcher Zorn, daß ich ohne zu überlegen mein volles Colaglas dem Anführer ins Gesicht schüttete. Der glotzte ganz verdattert, das Lärmen verstummte und ich dachte bloß Oh Gott, was jetzt?"
Dann nahm ich mein Taschentuch, wischte ihm so gut es ging die Flüssigkeit vom Gesicht, sagte, es tut mir leid und ob er mit mir tanzen wolle. Was wir auch taten und alle grölten dazu - und dann waren sie wieder wie die wilde Jagd verschwunden. Und ich hatte ganz weiche Knie.
Unser kleiner Jugendtreff wurde von den Black Spiders nie wieder heimgesucht.


Gudrun antwortete am 11.04.03 (14:05):

Hallo,Medea

das war aber couragiert!
Du beschreibst das so lebendig,dass die Situation direkt nachempfunden werden kann!


schorsch antwortete am 11.04.03 (16:20):

Wetten, dass du noch mehrmals weiche Knie hattest nachher - aber bei schöneren Gelegenheiten? (;--))))


Medea. antwortete am 12.04.03 (11:31):

Pst Schorsch ...., aber

ich kann es wahrlich nicht bestreiten :-))


Ernst antwortete am 13.04.03 (00:24):

Versuch einer Antwort auf
@RosmarieS
<<Ist es so, dass die Beurteilung dessen, das um uns ist, letztlich doch mehr von unserem Charakter abhängt als von objektiven sachlichen Gegebenheiten?>>
@pilli
<<bedarf gewissen zu spüren den verstand?>>


Was „um uns ist“ wird mit den Sinnen wahrgenommen und - falls von Bedeutung - vom Verstand beurteilt sowie erforderlichenfalls in Aktionen umgesetzt.

Gewissen hingegen ist eine innere Stimme, die uns sagt, was Recht und Unrecht ist. Es ist uns als Keim (genetisch ? angelegtes „Ur-Gewissen“) in die Wiege gelegt. Später wird es durch Erziehung, Verstand und Erfahrung den jeweiligen gesellschaftlichen Normen (Moral, Ethik, Recht) angepaßt. So kommt es, daß zum Beispiel in monogamen Kulturen andere Regeln als in polygamen gelten, in Südostasien andere als in Mitteleuropa. Die Neigung, anderen Völkern das eigene Empfinden überstülpen zu wollen, gereicht zumeist beiden Seiten zum Schaden. Seelisch gesunde Menschen sind sich auch ohne gesetzliche Strafandrohungen grundlegender unrechter Handlungen bewußt. Man bringt nicht einfach jemanden um, selbst wenn er uns bis zur Weißglut wütend gemacht hat. Wenn Triebe (Bedürfnisse, Instinkte) so stark werden, daß sie das Gewissen einschläfern oder gar ausschalten, kommt es in Extremfällen zu Verbrechen. Das Gewissen entzieht sich obrigkeitlicher Kontrollmöglichkeiten (vgl. Orwell Gedankenpolizei in „1984“). Daher bedürfen wir der Gesetze und weiterer Regeln.

Unter „Charakter“ verstehe ich ein festgelegtes individuelles Verhaltensmuster auf „objektive sachliche Gegebenheiten“. Ich glaube, daß ein Charakter jenseits der 20 sich nicht mehr wesentlich ändern läßt. Während der eine in der gleichen Polizeikontrolle die Beamten bis zu Tätlichkeiten beleidigt, wird der andere sich mit einem Witz aus der Affäre ziehen und der Dritte macht sich vor Angst in die Hosen. Der typische Jähzornige bleibt jähzornig, der Lustige lustig und der Überängstliche überängstlich. Dieses Unvermögen, seinen Charakter selbst zu beeinflussen, ist auch Ursache von Ehescheidungen. Verliebte hoffen, sich den Partner erziehen zu können. Bis man merkt, daß das nicht funktioniert, kann ziemlich viel Zeit vergehen. Ich habe in erster Ehe 12 Jahre gebraucht, obzwar ich es schon während der Verlobungszeit hätte erkennen können. Charaktereigenschaften anderer kann man nicht ändern, sondern allenfalls tolerieren oder im Idealfalle mögen.

So - und jetzt verabschiede ich mich in den Urlaub.
Viele Grüße
Ernst


pilli antwortete am 13.04.03 (07:29):

mit gutem gewissen :-) wünsche ich dir erlebnisreiche stunden...vielleicht hat es gelegenheit, auch mal "unvernünftig" zun sein? mich jedenfalls inspirieren gerade die momente sehr :-)))


Barbara antwortete am 13.04.03 (19:42):

In einem anderen Thread folgte ich dem von Wolfgang angegebenen Link zur "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" von Immanuel Kant....

Darin las ich u.a. Folgendes, was m.M.n. genau zu diesem Thema passt:

>>Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.<<

Ich fand den gesamten Text sehr interessant....

https://gutenberg.spiegel.de/kant/aufklae/aufkl001.htm

Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/kant/aufklae/aufkl001.htm


MariaM. antwortete am 14.04.03 (02:35):

Hallo, Ernst,ich wünsche Dir einen repunsationellen Urlaub. Maria