Schwabenstraße
13, 90518 Altdorf, Tel. 09187/1203 Fax 09187/906549 Die zwei Sportkarrieren Eine etwas längere Kurzgeschichte
aus der Vor-Senioren(treff)zeit „Wir müssen mehr für unsere Gesundheit tun“, stellte eines Tages Eva fachfraulich fest, „wir treiben Sport!“. Ich konnte ihr nicht widersprechen. Die Schlafzimmerwaage und der Hausarzt lagen mir mit dieser Forderung schon seit langem im Magen und auf den Nerven. Nicht, dass ich etwas
gegen den Sport gehabt hätte, beileibe nicht. In meiner Jugend hatte ich
Fußball gespielt, später spielte ich lieber mit meinen Kindern oder
dem Plattenspieler. Waage und Spiegel erklärte ich zu meinen Todfeinden.
Meine besten Freunde, die gemeinen Kerle, fragten immer wieder mit einem
spöttischen Blick auf den zum Zerreißen gespannten untersten
Hemdknopf, ob ich vielleicht den Ball, gegen den ich zuletzt getreten hatte, als
Erinnerung unter meinem Hemd versteckt habe? Ich tat doch alles um
mein Gewicht zu halten. Ich zog die Schuhe aus, wenn ich auf die Waage stieg
und konnte so verkünden, mein Gewicht seit zwei Wochen gehalten zu haben.
Ein paar Tage später legte ich vor dem Wiegen die Armbanduhr und den
Geldbeutel ab und konnte wieder verkünden nichts zugenommen zu haben. Als
ich dann auch noch die Hose ablegen musste um mein Gewicht zu halten, kaufte
ich ein neues elektronisches Gewichtsbestimmungsgerät. Nachdem ich nur noch
den Ehering abzulegen hatte, der war aber inzwischen so eingegangen, dass er
sich nicht mehr vom Finger ziehen ließ, schob ich meinen ganzen Frust
samt der elektronischen Waage
unter das Bett. „Mach doch was
du willst“, hatte Eva, die sportlichste Ehefrau von allen, gemosert,
„ich jedenfalls“ und sie betonte das ich in ihrer
eigentümlichen Bestimmtheit, „werde Tennis spielen!“ „Tennis“,
fragte ich entsetzt, „das ist doch der teuerste Sport! Wo willst du denn
das Geld dazu hernehmen. Denk doch an unsere drei kleinen Kinder und das neue
Haus!“ jammerte ich. „Da sieht man
einmal wieder, dass du nicht up do date bist“, erwiderte die sportlichste
Ehefrau von allen, mit ihrem süßesten Lächeln, „Tennis
ist heute nicht mehr teurer als jede andere Sportart.“ Sie rechnete mir dann
vor, wie günstig sie in ihrer Sportabteilung in dem großen Kaufhaus
in welchem sie angestellt war, an die Ausrüstung kommen könne. Es
gäbe immer wieder Auslaufmodelle günstig zu erstehen oder zweite Wahl
mit fast unsichtbaren Fehlern. Mir war nach diesem Vortrag klar, dass ich noch
draufzahlen müsse, wenn sie diese Vorteile nicht nützen und nicht
Tennisspielen würde. „Aber, aber
...“, wagte ich den vorsichtigen Einwand, „... mit wem willst du
denn eigentlich spielen? Du kannst doch gar nicht Tennisspielen und bei einem
Club bist du doch auch nicht!“ Da setzte sich Eva,
die sportlichste Ehefrau von allen, mit ihrem Minitennisröckchen –
sie sah darin hinreißend aus – auf meinen Schoß, legte die
Arme um mich und erklärte in ihrem unwiderstehlichsten Tonfall – ich
wusste, dass nun jeder Widerstand zwecklos sei -: „Mein Lieber, bei einem
Verein oder Club muss man heute nicht unbedingt sein, es gibt jetzt
überall private Tennisplätze, die man stundenweise mieten
kann“. Das war mir
tatsächlich neu, denn Tennis und alles was dazu gehört, hatte mich
bisher nicht einmal am Rande interessiert. Bereits die geheimnisvolle, nach
meinem Geschmack snobistische, Zählweise mit fünfzehn, dreißig
aber dann anstatt was logisch wäre fünfundvierzig, plötzlich wieder
vierzig, brachte mich schon bei Fernsehübertragungen in Rasche. Dazu kam
die blasierte Reportersprache, fast wie bei einer Beerdigung und keiner der
Schnösel fand es der Mühe wert, den Zuschauer einmal zu erklären
wieso man mit einem einzigen Fehler gleich fünfzehn Miese machen kann und
der Gegner für einen raffiniert gespielten Ball wieder fünfzehn (was
eigentlich?) gut geschrieben bekam. „Für den
Anfang, habe ich mir gedacht, nehme ich ein paar Trainerstunden“, flötete
sie, „dann werden sich mit der Zeit schon noch andere Partnerinnen
finden.“ Bei dem Wort
Trainerstunden sprang ich so entsetzt aus meinem Sessel, dass die sportlichste
Ehefrau von allen fast das Gleichgewicht verloren hätte. Es war gar nicht
das Geld, was mir wie ein Blitz durch den Kopf schoss.
„Trainer“-Stunden! Tennistrainer und Skilehrer waren für mich
wie das rote Tuch für den Stier. Tennis- und Skilehrer waren die Ausgeburt
von Schürzenjägern und Ehebrechern, noch weit vor
Hollywood-Schauspielern. Das konnte man in vielen Romanen lesen. In jedem Film
in welchem einer der beiden Gattungen oder gleich beide vorkamen gab es nur
Ärger und Verwicklungen. Das auch noch, überlegte ich blitzschnell
und eben so schnell wurde mir klar, dass
ich dagegen nichts mehr unternehmen konnte. Es war bereits ihr erster
Sieg, wenn auch nur im ersten Satz. „Komm doch
mit!“, lächelte die sportlichste Ehefrau von allen. Aus der Art wie
sie es sagte konnte ich entnehmen, dass sie damit nicht nur das Zuschauen,
sondern das Mitmachen meinte. Auf der Anlage erwartete
sie bereits der Tennislehrer. Ich glaubte zuerst, es wäre der Platzwart,
der Hausmeister oder ein ähnlicher dienstbarer Geist. Ich suchte deshalb
mit den Augen möglichst unauffällig und verstohlen auf den
Nachbarplätzen nach dem Typ Herzensbrecher vom Dienst – vergeblich.
Also war diese halbe Portion hier neben mir, tatsächlich der Trainer! Aus mir, dem
Fernsehsportler, hätte man leicht zwei Tennistrainer dieses Kalibers
machen können. Dafür kann er ja nichts, dachte ich und für sein
beträchtlich fortgeschrittenes Alter konnte der gute Mann ja auch nichts.
„Mein Name ist Crakwoicek“, (oder so ähnlich) sagte der Gnom in
einer Mischung aus Tschechisch und „bähmmischen Deitsch“.
Dafür konnte er auch nichts. Auch nicht für seine etwas stark
verschobene Figur mit den kurzen Armen. Es sah aus, als würde ihm der Tennisschläger
direkt aus der Schulter wachsen und ich befürchtete bei jedem Schlag, dass
aus dem dürren Männchen irgend ein Teil knirschend herausbrechen
würde. Er bewegte sich kaum
auf dem Platz während Eva, die sportlichste Ehefrau von allen, bereits
nach wenigen Minuten schweißgebadet war, obwohl ihr der kleine Kobold
alle Bälle die in seine Reichweite kamen immer wieder genau vor die
Füße schlenzte – und das waren seltsamer weise fast alle
Bälle die von Eva nicht gerade über den Zaun geschossen wurden. Ich hatte genug
gesehen und glaubte auch für mein Eheleben keine Gefahren befürchten
zu müssen und trollte mich wieder nach Hause. Ich hatte nun auch nichts
mehr dagegen, dass Eva, die sportlichste Ehefrau von allen, jeden Sonntag in
den frühen Morgenstunden ihre Tennislektion bekam – bis etwas
eintrat, womit ich, im reinsten Wortsinn, nicht gerechnet hatte. Unschuldig fragte ich
sie eines Tages was der Spaß denn nun eigentlich kostet. Nachdem sie mir
ehrlich den Betrag genannt hatte wurde ich abwechselnd blass und rot, schnappte
nach Luft und röchelte: „... da..., dafür, dass sich der Kerl
nicht einmal bewegt! – Also, liebes sportliches Eheweib, dir die
Bälle über das Netz schaufeln, dass du daran deine Schläge
üben kannst, das kann ich als ehemaliger Ballsportler immer noch! Und zwar
kostenlos!“ Sie war sofort damit
einverstanden. Ihr feines Lächeln, das dabei über ihr Gesicht huschte
fiel mir weiter nicht auf. Sie wusste, das war der zweite gewonnene Satz. Aber
große Turniere gehen über drei Gewinnsätze! „Ich besorge
dir nächste Woche eine Grundausstattung. Wir haben noch einen ganz
billigen Ladenhüter bei den Schlägern, wenn dir die Griffstärke
passt haben wir gleich einen Schläger für dich!“ „Wieso
Griffstärke – wo soll die passen?“ fragte ich unwissend. „Hast
eigentlich recht“, sagte sie, „du willst ja nicht spielen, sondern
nur mir die Bälle zuschlagen, dazu reicht der Schläger auf jeden
Fall“, bestätigte sie eilig und ich merkte die Falle wieder nicht. Am nächsten
Sonntag buchten Eva und ich einen Platz für die frühest mögliche
Stunde in der Hoffnung, weder vom Tennislehrer noch von irgendwelchen anderen
Frühaufstehern beobachtet zu werden. Ich nahm die Bälle, stellte mich
ans Netz wie ich es von dem ehemaligen Herzensbrecher gesehen hatte und brachte
tatsächlich den ersten Ball übers Netz – aber leider für
Eva unerreichbar. Die sportlichste
Ehefrau von allen erklärte ihrem Fernsehsportler nun alles, was sie bisher
gelernt hatte und siehe da, ich brachte tatsächlich immer mehr Bälle
über das Netz und manchmal auch ins Feld und wenn es das Glück wollte
sogar so in Eva’s Nähe, dass sie auch einmal einen Ball
zurückschlagen konnte – nur ich erwischte ihre Bälle nie. Sie
lobte ständig meine Fortschritte. Sie erklärte mir auch gleich die
alte Tennisweisheit, dass die gesündeste Übung bei dieser Sportart,
das Bücken beim Ballaufheben sei. Bei dieser
Tätigkeit erspähte ich aus den Augenwinkeln, den Herrn Crakwiak (oder
wie er hieß). Er lehnte wie uninteressiert an der Tür der
Umkleidehütte und nahm ein paar tiefe Züge an der morgendlichen
klaren, frischen – Konditionszigarette. Ich bemühte mich nun noch
mehr die Bälle gezielt über das Netz zu schubsen, so wie es Herr
Krakowski (oder wie er hieß), in so unnachahmlicher Art mit seinem
angewachsenen Tennisschläger immer machte. Aber wie ich mich auch
mühte, der Arm schmerzte schon, die Bälle flogen fast nie dahin wo
ich sie haben wollte. Ich war eigentlich ganz froh, als die Stunde um war. Ich zahlte die Stunde
bei Herrn Crukw..., beim Tennislehrer, der auch gleichzeitig, Platzwart, Wirt
und Kassier war und beobachtete genau seine Miene. Dieser feige Zwerg zeigte
aber nicht die geringste Lust freiwillig in irgend einer Form zu meiner
Privatstunde mit Eva Stellung zu beziehen. Ich sah mich deshalb genötigt,
höflichkeitshalber wie ich glaubte, den Anfang zu einem Fachgespräch
zu machen, in der Hoffnung beim Herrn Tennislehrer auf ehrlichen aber ebenso
taktvollen Widerspruch zu stoßen: „Da dreht sich wohl bei einem
Tennistrainer der Magen um, wenn er so etwas wie eben zu sehen bekommt?!“ Cool (würde man
heute sagen) kam die Antwort: „Da habän sie Rächt, mein
Härr!“ In der Folge geschah
es, dass auch der Fernsehsportler, zusammen mit seiner sportlichsten und raffiniertesten
Ehefrau von allen, Trainerstunden in dieser von mir ungeliebten Sportart nahm.
Eva konnte bei sich Satz und Sieg verbuchen. Eva, die sportlichste
Ehefrau von allen, sowie der, wie Phönix aus der Asche von den Niederungen
des Volkssports Fußball in die Höhen des Trendsports Tennis emporgestiegene
Reiner, machten nun eine weitere Erfahrung in ihrer Sportlerkarriere. Nach dem Spiel
müssen zunächst alle Gründe der vermeidbaren Niederlage
geklärt werden – im Clublokal bei einem gepflegten Pils oder einem
Gläschen Sekt versteht sich. Es gibt wohl selten bescheidener Sportler als
die Tennisspieler. Ein ungeschriebenes Gesetz der Fairness verlangt es, bei
sich und den eigenen Unzulänglichkeiten den Grund für die Niederlage
zu suchen. Vom eingewachsenen Zehennagel über den noch völlig
ungewohnten neuen Schläger (wenn er auch schon zwei Jahre alt ist) bis zum
störenden Wimpernschlag des Zuschauers in der dritten Reihe, ist wieder
einmal alles eine Verkettung widrigster Umstände, denn sonst hätte
man das Match niemals verloren. Es ist tunlichst zu vermeiden auch nur mit dem
Gedanken zu spielen, der Gegner hätte an diesem Tag ganz einfach einmal
besser gewesen sein können! Interessant bei
diesen Gesprächen ist aber noch die seltsame Tatsache, dass als
nächstes Thema mitten im Sommer unweigerlich der Wintersport, die neuesten
Skimodelle, die tollsten Bindungen und die geheimsten Geheimtipps über
absolut schneesichere und dabei nicht einmal überlaufene Pisten und die
gefährlichsten Abenteuer bei den Abfahrten besprochen werden. Im Winter,
in der Skihütte, wird dann nochmals eruiert, warum man im Sommer das
Halbfinale bei der Tennis-Vereinsmeisterschaft verloren hat. Eva spitzte die
Ohren, denn an ihrer Sportabteilung in dem großen Kaufhaus gab es
selbstverständlich auch komplette Wintersportausrüstungen. Nachdem
selbst ernstzunehmende Ärzte behaupten eine Woche Wintersport würde
soviel gesundheitlichen Nutzen vermitteln wie zwei Wochen Mallorca – meiner Meinung nach sind sie
alle von der Wintersportindustrie bestochen – stand für Eva fest,
dass es an der Zeit wäre auch einen Versuch im Schnee zu starten. Meine
Gegenwehr wurde mit allen Waffen einer Frau gebrochen. Unter gleichzeitiger
Zuhilfenahme namhafter Ski-Asse, die an der Wintersport-Abteilung des
großen Kaufhauses dank ihrer Olympischen Ringe auf dem neuesten Dress
absolute Kompetenz ausstrahlten, erklärte Eva unbedarften Neulingen wie
mir, dass nur ein skifahrendes Individuum Einlass in die verschneiten Bereiche
der Alpen finden würde. Mein
„energischer“ Widerstand zeitigte wenigstens einen kleinen Erfolg:
Es wurde mir gnädigst erlassen, die Streif oder das Hahnenkammrennen
fahren zu müssen. Dafür wurde ich auf die Spur – sprich Loipe
– des seinerzeit verschwunden Langläufers Behle gesetzt (den der
Sportreporter Bruno Morawetz heute noch sucht – wenn er nicht gestorben
ist). Ich bekam eine nordische Langlaufausrüstung mit Schuppen-(Renn-)Ski
und wurde bei der Skischule angemeldet. Mit einer handvoll
anderer absoluter Neulinge (wie alle behaupteten) wartete ich vergeblich am
Skischul-Sammelplatz auf den Loipen-Sepp. Schließlich erbarmte sich der
Skischulbesitzer, der über sein Funkgerät von der Verspätung des Sepp erfahren hatte und empfahl
den Schülern einstweilen in den beiden Spuren, die Loipe hießen,
selbständig auf die Strecke zu gehen. Der Sepp sei bei der Olympiade 1936
der zweitbeste Mitteleuropäer gewesen und würde sie schon
schnellstens einholen. Was offensichtlich in
den Augen des gründlich und zuverlässig ausbildenden Skischulbesitzers
nicht erwähnenswert schien, war der Umstand, dass die Loipe zunächst in Serpentinen
einen für Anfänger schier unüberwindlichen Hang hinaufstieg.
Während ich schwitzend und schimpfend, weil ich ja Langlauf und nicht
Alpin lernen wollte, im Stil der Echternacher Springprozession zwei Schritte
vor, einen zurück, dazwischen einen Kniefall, mich aufwärts
quälte, sah ich beim ersten Rundblick nicht einmal mehr einen Skistock der
anderen „blutigen Anfänger“. Beim Blick hinter mich entdeckte
ich noch eine einzige Leidensgenossin – allerdings norddeutscher
Herkunft, wie sich beim ersten Wort herausstellte. Das war nun im Hinblick auf
meinen Bayerischen Nationalstolz besonders peinlich, wusste ich doch (oder vermutete
es zumindest), dass man in Norddeutschland davon ausginge, dass in Bayern die
Kinder schon auf Skiern geboren würden. Es war mir bei diesem
Anstieg bisher schon so ähnlich ergangen wie seinerzeit Till Eulenspiegel,
nur unter umgekehrten Vorzeichen: Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen,
wusste ich doch, dass nach diesem Aufstieg auch eine Abfahrt kommen musste.
Kurz vor einer Panik stand ich dann beim nächsten Schritt nach vorn! Unversehens
stand ich vor einem steilen, meiner Meinung nach fast senkrechten Abhang von
mindestens zwei Metern Höhe und die Loipe fiel gnadenlos in direkter Linie
nach unten. Um das Maß der Schwierigkeiten voll zu machen führte die
Spur nach wenigen Metern genau auf eine Schlucht zu, deren Tiefe von meinem
Standort aus nicht einsehbar war. Das kühne Bauwerk das den Abgrund überbrückte,
bestand aus zwei Brettern und einem windigen Ast als Geländer auf nur
einer Seite. Das Gemeinste aber war: die Preußin saß mir immer noch
im Nacken. Was macht ein
„boarischer Bua“ in einer derartigen Situation? (Ich hätte
mich als Nürnberger vor meinem Gewissen ja rausreden können, dass ich
eigentlich Franke sei, ich wusste aber, dass man in Preußen hier keine großen Unterschiede
kannte.) Ich entschloss mich zu einer Aktion, die den Großen Bayerischen
Verdienstorden wert gewesen wäre – ich stürzte mich mit geschlossenen
Augen todesmutig in die Tiefe. Zwischen Steilhang und Schlucht hatte ich
Buschwerk erspäht und nachdem ich ja an meinen Langlaufskiern keine Bremse
wusste, hatte ich schon oben geplant, das Gebüsch als Notbremse zu
missbrauchen. Der Plan zur Rettung von Bayerns Ansehen klappte auch
vorzüglich, nur hatte ich vorher aus der Entfernung dem Gebüsch nicht
angesehen, dass es ein Ableger des biblischen brennenden Dornbusches war
– ich war ab sofort „Ehren-Igel“! Meine Leidensgenossin
war offensichtlich weniger patriotisch gesinnt. Ihr war Preußens Gloria
auf gut bayerisch „wurscht“. Sie entledigte sich ihrer Gehbehinderungswerkzeuge
und rutschte, auf dem dafür zwar nicht vorgesehenen aber praktischen
Skianzug, den Hang hinunter. Weil dann weder in
der Loipe noch am Sammelplatz ein Sepp oder blutige Mit-Anfänger zu sehen
waren, ließ ich mir im Büro der Skischule meine Schillinge
„Lehrgeld“ zurückerstatten. Eva, die sportlichste
Ehefrau von allen, hatte beim Apres-Ski alle Mühe mich mental wieder
aufzurüsten. Sie müsste eine schlechte Sportartikel-Verkäuferin
sein, wenn ihr das nicht gelungen wäre. Ich entdeckte mit ihrer
psychologischen Hilfe meinen Durchhaltewillen und unternahm anderntags einen
Alleingang in einer anderen Loipe. Mit Todesverachtung
rutschte ich dreißig Zentimeter hohe Gefälle hinab. Gelegentlich gelang es mir dabei sogar
aufrecht zu bleiben. Die steilen Anstiege über halbe Meter hohe Dämme
meisterte ich ganz gut und den Abstieg erledigte ich zu Fuß, wenn gerade
niemand auf der Strecke zu sehen war. Dabei passierte es,
dass mir auf der Gegenspur ein Langlauf-Fan, der Figur nach eine
„Fanin“, (immer diese Frauen!!!) just in dem Moment
in die Quere kam, als wieder ein Anstieg und eine Abfahrt bevorstand. Ich
dachte ‘wenn das wieder eine Preußin ist, will ich nach der
gestrigen Affäre mir nicht wieder eine Blöße geben’ und
begann an meiner Skibindung zu nesteln während gleichzeitig mein
Gegenüber die Nase putzen musste. War das nun Zufall ...!? Ich beschloss
die Probe aufs Exempel zu machen und putzte nun meinerseits die Nase und
tatsächlich – gegenüber war ebenfalls an der Skibindung etwas
nicht in Ordnung. ‘Ja, wenn das so ist ...’ überlegte ich,
löste die Bindung und trug meine Skier über das störende
Hindernis. Freundlich lächelten wir uns mit den Brettern auf den Schultern
bei der Begegnung an und ich wusste: das war das Ende meiner Langlaufkarriere! Inzwischen sind wir,
Eva, die sportlichste Ehefrau von allen und ich, der Fernsehsportler, im
Fitness-Studio gelandet. Dort verbläst kein Wind Tennisbälle und
keine Schluchten zwingen zu halsbrecherischen Abfahrten. Wenn die Gewichte zu
schwer werden träume ich in der Sauna von einer goldenen halben Bier mit
einer herrlichen Schaumkrone darauf. Die Waage ist zwar noch immer mein Todfeind,
aber nachdem Muskeln schwerer als Fett sind (hat der Fitness-Trainer
erklärt) kann ich immer wieder die „Fortschritte“ meines
Trainings beobachten! * |