Zu Autoren im ST bis 2007 | Neuere Autoren | Impressum

Werner Bleicher

 Schwabenstraße 13, 90518 Altdorf,

Tel. 09187/1203  Fax 09187/906549

 

Der schicksalhafte Käfer

Sehen Sie, schon bin ich abgeschweift! Ich wollte Ihnen ja erzählen: Wie ich dahinter kam, dass diese Eva genau meine fehlende Rippe ist!

Ich habe das bisher noch niemand erzählt und außer den Beteiligten kennt niemand diese Geschichte. Es leben von den Beteiligten auch nur noch Eva und ich. Selbst der (fast) leblose Gegenstand der dabei eine Hauptrolle spielt, dürfte längst verschrottet sein. – Eine Einschränkung muss ich doch noch machen – ähnlich wie beim „Enthüllungsjournalismus“: Vieles ist schon fast ein halbes Jahrhundert her und stellt sich vielleicht im Nachhinein anders dar, als es mir damals erschienen ist! Beschwören möchte ich da gar nichts! -

Wir wohnten seinerzeit in einer bayerischen Großstadt deren Namen auf ...berg endet. Ich möchte den vollständigen Namen nicht nennen, um eventuellen Lesern aus München und dem umgebenden Rest von Bayern die Gewissensbisse zu ersparen, bewusst ein Buch zu lesen, das einmal nicht in Oberbayern spielt.

Eines Tages packte ich mein „Evchen“ – Verzeihung: meine Eva – samt Schwiegermutter und Schwiegervater in spe in einen nagelneuen VW-Käfer – vom Autoverleih – und fuhr mit ihnen in ihre alte Heimat nach H...stadt. – Jetzt erst, beim Schreiben dieser Zeilen, fällt mir auf: Wir wohnen jetzt wieder in einem H...stadt. Nur das „...“ dazwischen heißt anders!

Es war ein typisch mitteleuropäisch/deutscher Sommertag, das heißt: Es regnete in Strömen! Sie können sich jetzt vielleicht schon denken was kommt! Es stimmt aber tatsächlich!

Kurz vor einem Bahnübergang und kurz vor H...stadt blieb der nigelnagelneue Käfer bei strömenden Regen einfach stehen! Es war kein Schaltfehler und der vollgefüllte Tank konnte nach diesen paar Kilometern auch noch lange nicht leer sein! Er bockte grundlos, wie ein störrisches Kind das nicht mehr weiterlaufen und lieber getragen werden wollte. (Diese Erfahrung ist ein Zeit- und Gedankensprung; ich machte sie erst einige Jahre später.) Vielleicht wollte er mich bei Eva und ihren Eltern einfach nur blamieren? Es blieb sein Geheimnis was der Grund für seinen Generalstreik war!

Ich fühlte fast körperlich die fragenden und erwartungsvollen Blicke meiner Mitfahrer. Im Nachhinein glaubte ich, bei Eva auch ein kleines aufmunterndes Lächeln gesehen zu haben. Was sollte ich tun? Ich hatte keine Ahnung von einem Motor – ob Flugzeug oder VW!

Mit einem eleganten Schwung der Selbstsicherheit und überzeugtes „Gewusst-wo“ signalisieren sollte, sprang ich aus dem Fahrzeug. Glücklicher Weise erinnerte ich mich gerade noch rechtzeitig, nach einem halben Schritt in die falsche Richtung, dass der Motor ja hinten war.

Wie gesagt: Es goss in Strömen! Ich öffnete die Motorhaube und suchte darunter Schutz vor den herabstürzenden Wassermassen. Ab und zu warf ich einen abgrundtief verächtlichen Blick auf das Aggregat vor mir. Das ist also der – damals schon berühmte – unverwüstliche, luftgekühlte VW-Motor, der allen wassergekühlten Antrieben überlegen war – sowohl auf dem Großglockner als sogar seinerzeit in der Hitze der afrikanischen Wüste bei Rommel. Regen, schönen mitteleuropäischen Sommerregen, mochte er aber offenbar nicht – jedenfalls dieser!

Mir schien als glotzte er mich mit einem hinterhältigen Grinsen an. Zur Strafe streckte ich ihm die Zunge heraus – es sah ja niemand – zupfte ihn ärgerlich an irgendwelchen Riemen, schlug mit der Faust auf feststehende und ungefährliche Elemente und klopfte wütend auf blecherne Karosserieteile. Ich wusste ja, dass eine Auto jedes Geräusch verstärkt nach innen überträgt. – Huscht Ihnen jetzt auch ein leichter Schauer über den Rücken, wenn Sie daran denken, wie es sich anhörte, als Sie das letzte Mal beim Ausfahren ganz leicht am Garagentor anstreiften?

 Dann knallte ich den Deckel wieder zu und sprang mit dem – „Diese-Kleinigkeit-ist-kein-Problem-für-mich-Gesicht“ wieder in den Wagen. Ich wagte es nicht, jemanden anzusehen. Nun setzte ich mein „Wir-wollen-doch-mal-sehen-Gesicht“ auf und drehte – gleichzeitig mit einem ähnlichen drehenden Gefühl in meinem Magen – den Zündschlüssel um. Und dann – allen Ingenieuren, Entwicklern und VW-Monteuren sei Dank – das liebe, gute Automobil sprang auf Anhieb an! Es tat so als wäre nichts gewesen! Das ärgerte mich noch mehr – ich war pudelnass!

Nachdem ich die Anerkennung von meinen Schwiegereltern in spe genossen hatte und ich merkte, dass ich in deren Achtung um mehrere Grade hochgeschnellt war, tat ich in meinem Innersten dem hinterhältigen und bösartigen Gefährt Abbitte, denn etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können. Nur Eva blieb erstaunlich stumm!

In einem stillen Augenblick, unter vier Augen, fragte mich Eva, die ja mein „technisches Genie“ kannte:

„Du hast doch nicht wirklich etwas an dem Motor gemacht?“

„Nein“, musste ich kleinlaut zugeben.

Der Blick der mich dann aus ihren Augen traf war unbeschreiblich: Verzeihend, mitfühlend, verschwörerisch, liebevoll – alles gleichzeitig. Ihre Augen sagten deutlich: Ich verrate nichts! Ich mag dich! Auch wenn du keine Automotoren reparieren kannst! – Da war mir klar: Mit ihr kann man Pferde stehlen. Ich werde mich bei nächster Gelegenheit revanchieren – und dann habe ich sie geheiratet!.   

*

Das ist auch nach mehr als vierzig Jahren noch ein Thema: Wer hat wen geheiratet? Sie hat mich bis heute auf dem Glauben gelassen, ich hätte sie geheiratet. Typisch Eva eben! Dann wieder kommen mir doch manchmal Zweifel!

Aber ist das überhaupt von Bedeutung? Bei zwei Menschen die beide nichts außer sich selber in die Ehe bringen konnten? Nach vierzig Jahren ist das wohl das unwichtigste Problem!

*

 


nach oben