Beim
Jugoslawischen Roten Kreuz
Mein Arbeitseinsatz
beim Jugoslawischen Roten Kreuz, dem JRK, war anfangs wieder eines dieser
Außenkommandos, zu denen man in der Frühe durch einen Wachmann hingeführt und
am Nachmittag wieder abgeholt wurde. Diese Rotkreuz-Dienststelle war
zentral in der Altstadt, an der Uliza Simina, gelegen, gar nicht weit vom
heutigen 'Platz der Republik' entfernt. Das Arbeits- und Transportkommando, es waren nur sechs Landsleute, existierte
seit längerer Zeit. Ich war, wie sich gleich herausstellte, eine schwache
Verstärkung. Wer sich in dieser Kolonne besonders hervortat, war Hermann, unser
Kraftfahrer. Er machte das aber auf angenehme Weise. Er war mit allen
Wassern gewaschen. Ja, er war so ausgekocht, dass sogar die Jugoslawen ihm voll
und ganz vertrauten. Das sollte was heißen! Unsere Arbeit bestand darin, Lebensmittellieferungen und andere Hilfsgüter
der UNRRA auf dem Güterbahnhof auszuladen und in den Lagerräumen des JRK
zu stapeln oder Hilfsgüter-Kollektionen an die Empfänger innerhalb der
serbischen Sektion auszuliefern. UNRRA, das war die Abkürzung des englischen 'United Nations Relief and Rehabilitation
Administration'. Diese Einrichtung wurde 1943 als
internationale, später der UN unterstellte Organisation zur Betreuung
der Flüchtlinge und verschleppten Personen in den von den Alliierten
besetzten Gebieten gegründet. Die UNRRA organisierte auch die Hilfssendungen im
Rahmen des 'Children-Fund', einem Kinderhilfswerk für Europa, das
ebenfalls über das JRK abgewickelt wurde. Meine Kollegen hatten hier an ihrem Arbeitsplatz auch Unterkunft und
Verpflegung, die bedeutend besser als im großen Donaulager war. Beaufsichtigt wurden wir von einem Zivilisten, der sich von uns 'Chiko'
rufen ließ. "Genosse Chiko" natürlich. An ihm war absolut nichts
auszusetzen. Man sagte ihm zwar nach, dass er der OZNA zuarbeite, aber das
war nicht zu beweisen. Natürlich nahmen wir uns vor ihm in acht. Vielleicht
war das aber auch eine von den Jugoslawen gesetzte Warnboje, damit wir auch
wirklich ständig auf der Hut sein sollten. Wenn es so gedacht war, dann
funktionierte diese Methode. Chiko, dem selbstverständlich auch die Arbeitseinteilung oblag, entschied,
dass ich erst einmal mit den leichteren Aufgaben beginnen sollte. Zu diesen leichteren
Verrichtungen zählte, wen sollte es wundern, die Betreuung der Textillagerung.
Es handelte sich dabei um amerikanische Kleiderspenden. Da gab es Wäsche und Bekleidung modernsten Zuschnitts. Vorne durchgeknöpfte
Oberhemden. Wo hatte man so etwas schon gesehen? Ich kannte bis dahin
nur Herrenhemden, die bis zum Brustbein aufzuknöpfen waren. Ja, genau wie
das heute noch bei Nachthemden üblich ist. Dann Mäntel mit 'ausreißbarem'
Futter. So lange Reißverschlüsse waren mir im Leben noch nicht begegnet.
Aber was hatte ich auch schon gesehen? Was die Lagerung dieser Textilien betraf, so hatte Chiko ein verblüffendes
System entwickelt. Alles wurde auseinandersortiert und in Säcke gestopft. Waren
die Säcke voll, wurden sie zugebunden und gewogen. Auf den
Verschlussetiketten war dann etwa zu lesen 12,8 kg Hosen, 9,2 kg Sakkos, 14,5
kg Oberhemden oder 1,8 kg Büstenhalter. Bei kompletten Anzügen wurden
also die Röcke von den Hosen getrennt, auf dass sie sich nie wieder begegneten.
Jedem, dem es an einem Sakko fehlte, musste man deshalb nicht gleich noch eine
Hose dazugeben. Und wenn? Schließlich ließ sich alles kombinieren. Chiko sorgte auch dafür, dass ich mich vernünftig ankleiden konnte. Ich
hatte mir einen Sakko in mittlerem Grau ausgesucht, mit Reißverschlusstasche im
Innenfutter. Allein dieses Reißverschlusses wegen hatte ich mich für
diesen Rock entschieden. Er war aber auch noch in einem sehr guten Zustand. Ich
hatte überhaupt den Eindruck, dass alles so gut wie neu war. - Jetzt brauchte ich
noch eine Hose. Ich sollte sie mir aussuchen. Ich hatte in einem Regalwinkel einen Stapel fabrikneuer kanadischer
Marinehosen entdeckt. Einem so fein strukturierten Kammgarn war ich
noch nie begegnet. Es gab da aber ein Problem. Diese Hosen waren vorne mit
einem gewaltigen Latz versehen. Was eine bayrische Lederhose im
Vergleich zu bieten hat, das hätten diese Kanadier auf Anhieb nicht einmal
gefunden. Wenn man an den Marinehosen die seitlich angebrachten Knöpfe
öffnete..., - aber ich schätze, das war nur auf hoher See erlaubt. - So wollte
ich jedenfalls nicht herumlaufen. Es schien mir offensichtlich, dass
auch Chiko nichts mit diesen Beinkleidern anzufangen wusste. Ich
vermute das. Wieso waren sie sonst nicht schon in irgendeinem dieser Hosensäcke
gelandet. Ich hatte keine Mühe, Chiko drei dieser vertrackten Exemplare
abzuschwatzen. Darüber konnte er nur den Kopf schütteln. Ich wusste im Donaulager einen Schneider, für den es kein Problem sein
würde, aus solchen Beinkleidern Hosen zu schneidern. Warum ich gleich drei
dieser Hosen an Land zog? Die erste war für mich. Die zweite war der Schneiderlohn
für die Änderungen, und die dritte hatte ich veranschlagt, um diesen
blödsinnigen Hosenlatz umrüsten zu können. Als ich mit diesen Hosen bei unserem
Schneider erschien, als er diesen Stoff sah und mein Angebot vernahm, hat
er sich vor Freude mit mir besoffen. Ja, diese gelegentlichen Lichtblicke,
die brachten es. Vierzehn Tage später hätte man mich einmal sehen sollen: Hellblaue
Schlägermütze, der Rest, der mir von der Luftwaffe geblieben war, mittelgrauer
Sakko (mit Innenreißverschluss) und eine maßgeschneiderte, dunkelblaue
Kammgarnhose. Wenn ich in einem Schaufenster meinem Spiegelbild begegnete,
mochte ich mich kaum noch von ihm trennen. Als Schandfleck blieben
nun noch meine Schuhe, die bereits beschriebenen Opanken von Bata. Aber das
Glück hatte wohl wieder mal ein Einsehen. Zu dieser Hose gehörten vernünftige
Schuhe. Chiko gab in unserer Kolonne bekannt, dass das 'Kombinat Obst und Gemüse',
'Voce i P˜vrce', wie es im
serbischen so klangvoll heißt, Transportarbeiter für die Nachtschicht suchte,
und zwar nur für die Nachtschicht. In der nächsten Zeit waren in zunehmendem
Maße Waggons mit verderblichem Obst zu entladen. Dafür wurden
Leute gesucht. Aber wer wollte schon in der Nacht arbeiten, es sei denn, dass
man sich ein Paar Schuhe anschaffen wollte. Ich meldete mich als Einziger. Ab sofort bekam ich über Chiko jeweils Nachricht, in welchen Nächten ich
gefragt war. Da ich mich tagsüber nicht sonderlich anzustrengen hatte, war das
erträglich. Im Textillager gab es eines Morgens überraschend lautstarken Streit. Da
stand eine Zigeunerin, schwarzgrau gewandet, und verlangte was Anständiges anzuziehen.
So konnte letzten Endes jeder kommen. So ähnlich muss sich Chiko auch erklärt
haben. Dann hörte man, wie Stoff zerriss, und die Zigeunerin stand
splitternackt vor ihm. Ihr vordem 'Grauschwarzes' verhüllte zerrissen ihre
gleichfarbigen Füße. Was blieb Chiko jetzt anders übrig, als dieses resolute
Weib auf die Schnelle einzukleiden. In den ersten Augusttagen erhielt ich die schriftliche Erlaubnis, mich
nun auch im Stadtgebiet von Belgrad frei und ohne Bewachung bewegen zu dürfen.
Nicht nur das. Es war mir sogar erlaubt, mich von vier Mitgefangenen aus
dem Donaulager begleiten zu lassen. Das sah ganz nach steiler Karriere aus. Ausgestellt
war diese 'Potwrda' vom JRK. Sie
schloss mit der jetzt üblichen Grußform 'Smrt faschismu - sloboda
narodu', was nicht anders heißen
kann als 'Tod dem Faschismus - Freiheit dem Volke'. - Da wurde es einem ganz
warm ums Herz. Die Kollegen, mit denen ich fortan und vor allem an Sonntagen durch die
Straßen Belgrads promenierte, waren außer Adolf noch Bernd Hallekamp
und Peter Vollmer, beide vom Chor. Die Letztgenannten waren tolle Kerle. Dass
sie überhaupt noch lebten, grenzte schon an ein Wunder. Bernd Hallekamp ist nach der Kapitulation den ganzen Weg von Ljubljana
bis auf den Kalvarienberg von Zemun zu Fuß gelaufen. Zum Glück hat man ihm
die Schuhe gelassen. Dort auf dem Kalvarienberg angelangt, war er schon
nicht mehr richtig im Kopf. Sein Zustand wechselte ständig zwischen Ohnmacht
und Delirium. Da täglich für die Neuankömmlinge Platz zu schaffen war,
wurden allmorgendlich die ganz und die dreiviertel Toten buchstäblich auf die
Kippe gekarrt. Ob Bernd, in diesem Hang liegend, mit einem Mal kalte Füße bekommen
hatte oder was sonst geschehen war, er hatte plötzlich einen klaren Kopf.
Und als er sah, in welch schlapper Gesellschaft er sich befand, hat er
seine ganze Energie mobilisiert, um sich in irgendeine Baracke dort oben
zurückzumelden. Er ist, wie man sieht, durchgekommen. Bernd war eitel, und das stand ihm auch zu. Er verfügte über einen
makellos blonden Lockenkopf. Als man ihm diese blonde Pracht abschnitt,
glaubte er, dass er nun schon wieder sterben müsse. Zum Glück besaß er eine
graue, unmilitärische Baskenmütze, mit der er seine Blöße bedecken konnte. So
ohne alles wollte er auf keinen Fall herumlaufen. Um jedem kundzutun, was
er von dieser Glatzköpfigkeit hielt, hat er ganz fein säuberlich und exakt
verteilt, rund um die Mütze den Ausspruch des alten Götz v.Berlichingen
aufgestickt. So wusste es jeder: Alle Welt konnte ihn einmal. Diese Mütze trug
er auch jetzt noch, wo er mittlerweile zu seinen Locken zurückgefunden
hatte. 'Kalvarienberg' hieß dieser Hügel oberhalb von Zemun schon immer. Also
nicht erst seit Kriegsende. Nach den schrecklichen Vorgängen jener Zeit
hätte man dieses Hügelgelände aber auch nicht zutreffender benennen können. Peter Vollmer war Kammersänger. Wollte es auch wieder einmal sein. In
unserem Chor trat er als Bass-Solist auf. Er sah recht respektabel aus und
war überdurchschnittlich groß. Das Resonanzvolumen seines Brustkorbs
lag näher beim Kontrabass als beim Cello. Peters Militäreinheit war nahe bei Triest der Tito-Armee in die Hände
gefallen. Nach der Waffenniederlegung mussten alle wieder ihre Fahrzeuge
besteigen. Motorisierte Tito-Einheiten begleiteten sie auf die istrische
Küste zu. - Peter hat seine bösen Vorahnungen in hochprozentigem Schnaps ertränkt
und ist bald in tiefe Bewusstlosigkeit abgetaucht. Seine Kameraden
verstauten ihn fürsorglich auf mehreren Wolldecken unter eine Sitzbank.
Wie sonst hätte er so gut versorgt dort aufwachen können. Aber wo waren seine
Kameraden? - Die gab es nicht mehr. Sie hatten schon alles hinter sich. Jetzt, wo die
Sonne schon tief über dem Meer stand, waren die Jugoslawen dabei, den deutschen
Fahrzeugpark aufzunehmen, zu ordnen und entsprechend abzustellen. Peter
ist die ganze Nacht wie um sein Leben gerannt. Er wollte bei seiner unausweichlichen
Gefangennahme möglichst weit von diesem grässlichen Ort entfernt sein. Mein Gott, das lag alles schon so weit zurück. Drei Jahre waren seitdem
vergangen, und nun promenierten wir, fast unbeschwert, durch die
Grünanlagen des Kalemegdans, der alten Festung Belgrads. An diesem Sonntag machten wir uns schon sehr früh auf den Weg. Zu Mittag
wollten wir einmal gepflegt in einem Restaurant essen, wie freie Bürger, koste
es, was es wolle. Mein JRK-Arbeitsplatz befand sich, wie schon erwähnt, nahe beim Platz
der Republik. Im Oktober 1944 schlug ich mich auf diesem Gelände eine
ganze Woche lang mit Serben und Russen herum. Das Haus, in dem wir uns mit
sechs Mann festgesetzt hatten, lag genau dem Nationaltheater gegenüber.
Nach dem Kriege wurde an dieser Stelle ein Speiserestaurant errichtet. Von
dem Haus, das vordem dort stand, war ja auch nicht viel übriggeblieben. Ich
habe den dreien dann eine Episode erzählt, über die ich inzwischen lachen
konnte: Auch während der damaligen Straßenkämpfe musste ab und zu etwas Warmes
gegessen und getrunken werden. Für diesen Verpflegungsgang machten sich immer
zwei Mann auf den Weg. So war man jeden dritten Tag an der Reihe. Unsere Küche
lag nahe beim Hochhaus Albanija. Durch ein weiträumiges Textilhaus,
das in dieser Luftlinie lag, hatte eine russische Pak ein Loch durch alle Wände
geschossen. Dieses Panzerabwehrgeschütz stand direkt neben dem Nationaltheater,
an der Franzuska. Wir beäugten uns gegenseitig von früh bis spät, bis es
dann wieder einmal krachte. Nun gut; mit diesem Meisterschuss ins Kaufhaus
hatten die Russen uns eine Gasse gebrochen, die fast bis zur Küche
reichte. Jetzt brauchten wir nicht mehr die Straße lang. Es galt nur noch eine
Straße zu überqueren. Während mein Kumpel den Kaffeekanister auf den Rücken schnallte und sich
das Brot unter den Arm klemmte, nahm ich die sechs Kochgeschirre in Empfang
und hing sie mit den Tragebügeln zu je drei Batterien zusammen. So konnte ich
sie in eine Hand nehmen. Die drei Wurstkonserven klemmte ich mir
unter den anderen Arm. Es war schon idiotisch, dass ein Offizier unserer Einheit auf die Idee
kam, ausgerechnet mit uns zusammen in Richtung Nationaltheater vorzugehen.
Aber was wollten wir machen. Jetzt mussten wir zu dritt diese Straße
überqueren. Bei seinem Spurt über die Straße passierte nichts. Als dann der
Kaffeeholer folgte, knallte es. Jetzt war da erst nichts mehr zu machen. Die
Russen, die sich mittlerweile auf dieses Verpflegungs-Doppel
eingestellt hatten, mochten meinen, dass sie damit unsere Aktion abhaken
konnten. Ich hoffte es. Trotzdem verweilte ich noch etwa eine viertel
Stunde in meiner Deckung. Dann folgte mein eleganter Spurt zu einer
Garagenzeile, die mir wieder Deckung bieten würde. Und dann passierte es.- In der Nacht hatten uns die Russen mit Granatwerferfeuer eingedeckt. Uns
war nichts passiert. Die Einschläge hatten aber die Asphaltdecke zu kleinen
Mondkratern aufblühen lassen. Über so ein Gebilde musste ich stolpern und
lang auf die Schnauze fallen. Den Kochgeschirren war nichts passiert. Ich hatte
sie wie eine Fahne hochgehalten. Aber die Konserven kullerten über den Asphalt. Ich rappelte mich auf, so schnell es ging, und schoss die Konserven wie Fußbälle
zu den Garagen hinüber. Die Schüsse aus den Häusern zu meiner Rechten
kamen einen Moment zu spät. Im Quartier herrschte Aufregung. Nicht etwa wegen meiner unglücklichen
Bauchlandung. Hier lag unser Kaffeeholer auf einem Tisch und streckte den nackten
Hintern gegen die Zimmerdecke. Was war geschehen: Dieser Schuss, der ihm nachgefeuert wurde, hatte getroffen. Allerdings nicht den Mann,
sondern den Kanister. Einschuss, Ausschuss, aus beiden Löchern war der
heiße Kaffee über den Hintern des Trägers gelaufen und hatte diesen ganz
gehörig verbrüht. Ihm hatte es gereicht. Noch am Abend ist er mit gepudertem
Gesäß über die Save ins nächste Lazarett geschafft worden. Für ihn war Belgrad
kein Thema mehr. Da war noch etwas. Als wir von diesem Textilhaus Besitz ergriffen, waren
die Regale zum Teil noch gefüllt. Ich erinnere mich, dass beachtliche Stapel
Damenschlüpfer in einer Regalwand lagen. Wir haben sie gleich am ersten Abend
ausgeräumt und mitgenommen. Bevor wir bei den Russen unsere Hausbesuche machten,
zogen wir diese Schlüpfer zwei- oder dreifach über die Stiefel. Jetzt waren wir
so leise, wir hätten zu den russischen Nachbarn unbemerkt aufs Klo gehen
können. Doch zurück zu unserem Sonntagsbummel. In den Gärten des Kalemegdan
wurde irgend etwas gefeiert. Überall hatte man Buden aufgebaut, an denen
Wein, Bier und andere Getränke angeboten wurden. Anderenorts wurde
gegrillt und gebrutzelt. Da wurden Küftetas, Tschewaptschitschi und
Peschenizi, Bratwürste, angeboten. Und natürlich fehlte auch,
wie überall auf dem Balkan, dieses Burek nicht, eine der angenehmen
Erinnerungen an die Türkenherrschaft. Das war ein in (zu viel) Öl
gebackener Blätterteig. Er war immer mit etwas gefüllt, mit Hackfleisch, mit
Schafskäse oder mit Kürbisstückchen. Alle diese Buden waren dicht umlagert.
Überwiegend von jungen Leuten. An anderer Stelle war eine recht große Fläche glatt betoniert und diente
als Tanzboden. Ein großes Orchester hatte sich nach seinem orchestralen Programm
zu kleinen Tanzkapellen gruppiert und spielte abwechselnd zum Tanz auf. Peter
und Bernd hätten zu gerne einen hingetanzt, aber es war ganz deutlich
zu erkennen, dass sich die jungen Damen nicht getrauten. Diese braungefärbten
Amijacken verrieten zu deutlich unsere Herkunft. Beachtung fanden wir schon. Da
wurde mit den Augen munter hin- und zurückgezwinkert. Aber mit Anfassen war
nichts. - Fast hätten wir noch unseren Restaurantbesuch verpasst, aber
dafür waren wir ja eigens in die Stadt gegangen. Das Kalemegdanspektakel war vorüber. Chiko hatte wieder das Sagen. Ich
bekam eine neue Arbeit übertragen, die auch als leichte Arbeit einzustufen
war. Trotz der Mühelosigkeit ging mir diese Beschäftigung gewaltig gegen den
Strich. Es ging um folgendes: In den Staaten wurden an den Schulen große Spendenaktionen organisiert.
Viele, sehr viele Kinder, packten mit großer Sorgfalt und offensichtlicher
Begeisterung Päckchen mit allen möglichen Dingen des täglichen Bedarfs.
Dazu liebe, zu Herzen gehende Briefe mit bunter Malerei an einen 'unbekannten
europäischen Freund'. Über Adressenmaterial verfügten diese Kinder natürlich
nicht. Ihre 'Freunde' mochten Gott weiß wo leben, in Jugoslawien, in
Griechenland, auch in Deutschland und überall. Alle Kinder, deren Geschenksendungen über das Jugoslawische Rote Kreuz
geleitet wurden, haben auf ihre Briefe nie eine Antwort erhalten. Sie konnten
das auch nicht. Ich habe, zumindest über eine ganze Zeit, ihre Päckchen geöffnet
und all die schönen Briefe in einem großen Karton gesammelt. Allein die
kindlichen Malereien hätten einer Ausstellung gut gestanden. Das jugoslawische
'Kinder-Hilfswerk-Postamt' befand sich im Heizungskeller des Roten Kreuzes.
Allen diesen in fleißiger Schönschrift verfassten Kindergrüßen war ein Einweg-Schicksal
beschieden. Sie erwärmten keine Kinderherzen, sondern für kurze Augenblicke die
Diensträume einer Einrichtung des Internationalen Roten Kreuzes, - im
Jahre 1948. Meine eigentliche Aufgabe bei dieser Aktion bestand wieder darin, Schokolade,
Seife, Zahnpasta, Zahnbürsten, Waschlappen und anderes mehr, sorgfältig
und sehr gewissenhaft in Kartons zu sortieren, auf denen später zu lesen stand:
8.6 kg Zahnbürsten oder 6,3 kg Waschlappen. Bei solcher Beschäftigung habe ich dann meine eigene Bedürftigkeit wiederentdeckt.
Jetzt wurde geklaut. Für den eigenen Bedarf, versteht sich. Ich habe dabei
schnell Format entwickelt, das sogar Hermanns Anerkennung fand. Wen sollte es
wundern, hatte ich doch bei Fritz Barufke und Schäfers Toni Privatunterricht
genommen. Einmal wurde in Split eine Schiffsladung amerikanischer Hilfsgüter der
UNRRA gelöscht, wobei neben großen Mengen Milchpulver auch Kakao angekündigt
war. Milchpulver war uninteressant. Da kamen wir immer dran. Aber Kakao, das
war schon eine Aufgabe. Als dieser Gütertransport in Belgrad eintraf,
waren das insgesamt so große Mengen, dass ein zusätzliches Lager, eine
Fremdlagerung, vorgesehen war. Mein scheinheiliges Gesicht galt inzwischen bei Chiko auch etwas. Also
sollte ich bei ihm in den Waggons bleiben. Hermann transportierte, fuhr also
hin und her. Die übrigen Kollegen entluden das Lastfahrzeug und stapelten die
Fassware im Ausweichlager. Ich hatte mir, strotzend vor Bescheidenheit,
ein kleines Säckchen, kaum größer als das Futter einer Hosentasche eingesteckt.
Das sollte mir im Augenblick genügen. Aber auch das wollte erst einmal gefüllt
sein. Hier auf den Waggons, vor Chikos Augen war da nicht das Geringste zu
machen. Ich musste zusehen, dass ich von hier wegkam. Die Idee, die mir kam, war zwar verwegen und recht optimistisch, aber
warum sollte man es nicht doch einmal versuchen. Also gab ich mich erst einmal
wichtigtuerisch, halblaut ans Zählen. "Pik, was hast du?" - Meine Kameraden riefen mich 'Pit'. Chiko hatte daraus wohl Pik
verstanden und blieb nun auch dabei. "Ich mache mir Gedanken, wie man drüben im Magazin stapeln wird.
Der Magazineur weiß ja überhaupt nicht, welche Mengen von diesem Pulverkram bei
ihm ankommen. Später wird man sich die Kindernahrung zwischen der Trockenmilch
und den Kakao zwischen dem Erbsenpulver heraussuchen müssen. Sollte ich
nicht einmal mitfahren und diesem Magazinverwalter den Frachtbrief zeigen, wo
er die einzelnen Mengen aufgeführt findet?" Ja, das war wirklich zu überlegen. Also begleitete ich Hermann bei der
nächsten Fahrt zum Lager. Dort angekommen, begrüßte ich den schon etwas
älteren, aber sehr freundlichen Aufpasser. Ich machte ihm sofort
klar, dass Chiko mich beauftragt habe, ihm den Frachtbrief vorzulegen,
damit er zu einer Übersicht käme, was noch an Fässern zu erwarten sei. Ich
händigte ihm den Frachtbrief aus. Der gute Mann schaute arg unglücklich drein und drehte den Frachtbrief
um und um. - Er konnte nicht lesen. Das war zu jener Zeit keine Seltenheit. Ganz zu Anfang soll es tapfere
und hervorragende Partisanenführer, spätere Offiziere, gegeben haben,
die noch mit Daumenabdruck beurkundeten. Sie seien nach dem Kriege mit
stattlichen Abfindungen belohnt worden, die ihnen eine Existenzgründung
ermöglichten. Ich tat nun so, als habe ich seine Verlegenheit nicht bemerkt, nahm die
Frachtpapiere wieder an mich und machte ihm Vorschläge, wobei ich die
einzelnen Liefermengen unauffällig ansprach. Ja, das fand er auch vernünftig,
vorher zu wissen, was da so im Einzelnen zu erwarten war. Hermann half fleißig beim Abladen. Als ich ihn bat, mir sein Leinensäckchen
zu überlassen, schaute er mich an, als ob ich dringend einen Arzt brauche.
Trotzdem ging er an seinen Werkzeugkasten und händigte mir das
Säckchen aus. Jetzt durfte ich keine Zeit vergeuden. Wenn Hermanns Wagen abgeladen
war, musste ich mit ihm zurück zu den Waggons. Also holte ich tief Luft und
drückte dem Zivilisten dieses Säckchen und meine Bescheinigung von der
Rotkreuz-Dienststelle in die Hand, die mir erlaubte, mich in Belgrad frei zu
bewegen . "Chef, Sie müssen mir zwölfeinhalb Kilogramm Kakao für des
Kinderheim des dritten Rejons abwiegen." Ich zeigte auf die Dezimalwaage, die gleich in seiner
Nähe stand. - Briefkopf und Stempel meiner Bescheinigung waren ohne Zweifel
echt. "Wieg es dir selber ab. Kannst ja wohl mit einer Waage
umgehen." "Ich wiege hier nichts ab. Wenn nachher etwas nicht stimmt,
kriege ich mächtig Ärger." Das sah er dann wohl ein. Ich half ihm beim Öffnen eines Spanfasses und
holte die Schöpfkelle, die zur Lagereinrichtung gehörte, herbei. Ich hielt das
Säckchen auf, und der Alte schaufelte. Als der Boden des Säckchens soweit
gefüllt war, dass man es auf die Waage stellen konnte, legte ich die
Gewichte auf. Sobald sich das vorgegebene Gewicht einstellte, hielt ich
gewissenhaft seinen Arm zurück, der schon wieder eine gefüllte Kelle führte. "Stop, stop, dosta, genug!" - Aber der Alte war nicht zu halten. Diese Schaufel
kam noch dazu und das mit einem solchen Schwung, dass das Kakaopulver nur so
hochwirbelte. "Sa dete!" Für
die Kinder! hat er damit sagen wollen. Das Säckchen wurde zugebunden. Ich nahm meine Bescheinigung wieder an
mich, und Hermann verstaute unsere Zuteilung. Ich war mit dem Ergebnis
ganz zufrieden. Dem Alten war Gelegenheit gegeben, sein Herz für Kinder zu
zeigen. Nur Hermann wirkte etwas mürrisch. Einige Tage später gab es sehr schlechte Nachrichten. Adolf kam zu mir
und wirkte sehr niedergeschlagen. Zuerst dachte ich, dass er von zu Hause
schlechte Nachricht habe. Aber dem war nicht so. Ihm selbst ging es nicht gut.
Unser Lagerarzt hatte ihn sofort von der Arbeit freigestellt. Nun war er
im Lagerrevier, wie man die Krankenstube nannte, untergebracht. Es ging
das Gerücht um, dass in der nächsten Zeit wieder ein Krankentransport in die
Heimat geplant sei. So hatten seine Freunde, und mit ihnen der ganze Chor,
die Hoffnung, dass Adolf dann mit auf die Reise gehen würde. - Dieser Heimtransport
kam tatsächlich zustande, aber dazu wäre noch einiges zu sagen. Bis zu seinem Abtransport auf den Kalvarienberg, wo sich jetzt das zentrale
Entlassungslager befand, blieb mir Gelegenheit, ihn im Revier etwas zu verwöhnen.
Wenn ich am Abend von der Rotkreuz-Dienststelle kam, war das Abendbrot für ihn
dabei. Aber was für eins! - Neuerdings gab es Kakao, jede gewünschte Menge, dazu
Meatpaste, Cornet Beef, Irish Stew und verschiedene Sorten Fisch. Adolf
durfte ruhig auf das eine oder andere einmal keinen Appetit haben; dann bekam
er eben etwas anderes. Die Sanitäter schlichen um mich herum wie um eine Erbtante.
Adolfs Stimmung aber blieb gedämpft. Armer Kerl. Und dann war er weg, zum Kalvarienberg, wo auch für ihn das ganze Trauerspiel
vor Jahren begonnen hatte. Dieses Trauerspiel sollte noch nicht zu Ende sein. Wilhelm Dignus hielt über die Lagerleitung Kontakt zum Entlassungslager.
Wir wunderten uns, dass sich das alles so sehr dahinzog. Die Kerle da oben
gehörten doch so schnell wie möglich in ärztliche Behandlung. Als sich nach zwei Wochen immer noch nichts getan hatte, wurde es mir zu
viel. Ich sah ständig Adolfs Gesicht vor meinen Augen. Was hatte ich für Möglichkeiten?
- Ganz einfach betrachtet, überhaupt keine. - Die Sache mit dem Kakao ging mir durch den Kopf. Aber natürlich! Meine
schöne Bescheinigung. Sie berechtigte zwar zu keiner Reise nach Zemun,
aber so ganz nackt kam man sich mit dieser schön gestempelten Potwrda auch nicht vor. Jawohl, das war's! - Das musste jetzt schnell gehen, bevor ich Bammel vor meiner eigenen
Courage bekam. Zuerst brauchte ich Konserven. Eine ganze Packtasche voll.
Meine Kollegen, die Adolf inzwischen auch kannten, klauten alle mit. Gleich am
nächsten Tag wollte ich losziehen. Chiko erzählte ich etwas von heftigen
Ohrenschmerzen. Ob ich einen Tag im Lager bleiben könne. Aber das war
ja das erste Mal, dass ich etwas zu bejammern hatte. Natürlich sollte ich mich
mal einen Tag warm halten. Am nächsten Morgen zog ich mein 'Bestes' über. Zu dieser dunkelblauen
Kammgarnhose passend, besaß ich inzwischen auch recht ansehnliche, braune
Halbschuhe. Das Oberleder war gelocht. Ein ausgesprochener Sommerschuh.
Na, wer leistete sich hier schon Schuhe, die nur für den Sommer geeignet waren.
In meinen Nachtschichten bei 'Voce i P˜vrce' hatte ich sie mir schon verdient. Aber davon werde
ich ja noch erzählen. Jetzt ging es erst einmal um Adolfs Verbleiben in Zemun. Um dorthin zu
kommen, fuhr man am besten mit dem Schiff. Den Weg zur Anlegestelle machte
ich mit der Straßenbahn. Um mein Drehbuch zu ordnen, ließ ich erst einmal ein
Schiff an- und ablegen. Man musste ja wissen, was dort bei den Landungsbrücken
auf einen zukam. Und das war auch gut so. Auch 1948 standen bei der
Fahrscheinkontrolle zwei Uniformierte, die mich irritierten. Die blaue Farbe
ihrer Kragenspiegel mochte mir nicht gefallen. Man kannte sich inzwischen
aus. Also, wie sollte ich die Sache anpacken? Ich merkte mir vom Fahrplan die
nächste Abfahrt nach Zemun und fuhr mit der Straßenbahn wieder ein Stück
stadteinwärts. Pünktlich zum Ablegetermin ließ ich mich mit einem Taxi direkt bis an
die Anlegebrücke kutschieren. Dem Fahrer gab ich etwas ausgeholt ein
Trinkgeld, dass er die Hand an die Mütze legte. Dann bin ich mit hocherhobener
Kappe an diesen Uniformierten vorbei. Wenige Minuten später lag ich auf
dem Oberdeck in einem Liegestuhl und dankte meinem Schutzengel, dass er an dieser
Aktion auch Gefallen fand. So machte ich nach vielen Jahren wieder einmal eine
Schiffstour, was diesmal allerdings kein reines Vergnügen war. Jetzt wollte ich es auch schnell hinter mich bringen. Als das Schiff in
Zemun anlegte, machte ich mich im Eiltempo hinauf zum Kalvarienberg. Als der Wachposten am Lagertor mein Rotkreuz-Papier sah, hat er es sich
nicht einmal genauer angeschaut. Womöglich war ich sogar irgend so ein
'Internationaler'. Bei meinem Aufzug und meinem Auftreten sowieso. Die Idee,
ihn auf englisch zu begrüßen, war vielleicht etwas überzogen, mir aber
momentan auf die Zunge gelegt. Also marschierte ich in ein
Entlassungslager.- Heute mag man da nicht allzu Besonderes bei finden. Damals hätte ich
diese Story niemandem zu erzählen brauchen. Adolf zu finden, war so schwierig nicht. Es waren nur zwei Baracken
belegt. Gefunden habe ich ihn aber außerhalb, auf einer frisch eingesäten
Böschung. Dort lag er auf dem Bauch, sein Gesicht in die verschränkten
Arme vergraben. "He
Adolf, hast du einen Augenblick Zeit?" Adolf nahm seinen Kopf hoch. - Aber das konnte doch nicht sein. Dann
lagen wir uns in den Armen. Hier auf dieser Böschung gefiel es mir gut. Da
konnte man ohne Sorgen reden. Also bat ich Adolf erst einmal, seine
Marschverpflegung wegzustecken. Er begriff das aber alles noch nicht. Dann erzählte Adolf von den Vorgängen hier auf dem Kalvarienberg. Das
war eine Schande und ein Skandal zugleich: Im Abstand von wenigen Tagen kam jeweils eine Abordnung unserer
ANTIFA 'im Auftrage des Innenministeriums'
und verlas vor angetretener Mannschaft die Entlassungslisten. Am Ende stellte
sich heraus, dass etwa fünfundzwanzig bis dreißig Mann nicht auf dieser Liste
standen. Die Sache sollte überprüft werden. Mit dieser Erklärung zogen diese
Galgenvögel wieder ab. Bei der nächsten Segnung waren vielleicht zwanzig von diesen fünfundzwanzig
gelistet. Jetzt fehlten ganz andere Aspiranten, die bei dem letzten Entlassungsappell
noch aufgerufen wurden. Aber nicht der geringste Grund zur Panik. Das wurde
gewissenhaft überprüft. So ging das eine Woche. Nicht anders in der zweiten. Da standen sie
wieder, diese selbsternannten Götter, jene Herren über Leben und Tod, die
wir doch noch so wach in Erinnerung hatten. Und es machte wohl noch die
gleiche Freude. * Jetzt will ich aber von meiner einträglichen Nachtarbeit bei 'Voce i
P˜vrce' berichten. Wenn mein Einsatz
gefragt war, fuhr beim Roten Kreuz ein Lieferwagen vor, der mich zum
Güterbahnhof brachte. Diese klapprige Kiste wurde von einer jungen Frau kutschiert,
an der nun wirklich gar nichts klapperte. Sie war ausgesprochen hübsch,
wirkte auf mich sehr gepflegt und sprach ein tadelloses Deutsch. Aber wie kam
sie auf den Bock dieser alten Mühle? Ihr Vater besaß vor und noch während des Krieges ein namhaftes
Export-Unternehmen. Auch er handelte mit Obst und Gemüse, das er aber in Konserven
verarbeiten ließ. Vor zwei Jahren ungefähr hatte die OZNA Vater und Mutter
zugleich abgeholt. Sie waren hier irgendwo in Belgrad eingesperrt. Die
junge Frau war froh, dass ihre Eltern noch lebten. Der alte FORD war ein
Relikt aus dem elterlichen Betrieb. Mit diesem Vehikel stand sie nun den neuen
Herren zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Diensten. Diesem Monstrum von Lastwagen und ihrer bedingungslosen Arbeitswilligkeit
glaubte sie es zu verdanken, dass sie nicht auch inhaftiert war. Das war jedenfalls
ihre Überzeugung, und da mochte etwas dran sein. Ich sagte ihr, dass ich Peter heiße und im Lager 'Pit' gerufen würde.
Aber nein, dieses Pit gefiel ihr absolut nicht. Sie sagte 'Peder'. So, wie sie
es sagte, gefiel mir Pit auch nicht mehr. Mit einem so hübschen Wesen zu nächtlicher Stunde durch Belgrad zu kutschieren,
weckte Empfindungen, die sich heute kaum mehr beschreiben lassen. Sie war
ja nicht nur schön. Sie hatte eine Ausstrahlung und auch einen Geruch wie
eine Verheißung. Ich habe mich diesen Empfindungen hingegeben, in der
glücklichen Vorstellung dessen, was mir wohl bald bevorstand. So hatte ich
überhaupt keine Hemmungen, ihr gutes Aussehen festzustellen. Und sie? -
Sie hatte ihre Freude daran. Sie spürte wohl auch, dass mir der Sinn nicht nach
Abenteuern stand. Was uns erwartete, zeigte sich schon bald auf dem Güterbahnhof. Da
standen Waggons, vollbeladen mit Zwetschgen, Zwetschgen und nichts als
Zwetschgen. Sie waren in morschen Kisten verpackt. Man musste sie schon
etwas vorsichtig aufnehmen; aber nicht nur des morschen Holzes wegen.
Die Wespen, die sich tagsüber auf den Zwetschgen gutgetan hatten, waren über
einer eintönigen Bahnfahrt wohl eingeschlummert. Sie hatten sich am
liebsten da niedergelassen, wo man die Kisten anzufassen
gedachte. Rücksicht kannten sie auch nicht. Sie stachen sofort zu. - Alle Welt
war gegen uns! Dieses Zwetschgenverladen dauerte etwa eine Woche. So Nacht für Nacht war
mir das eigentlich etwas viel. Andererseits brachte mir das natürlich umso
schneller die erforderlichen Moneten. Mittlerweile freute ich mich aber
auch etwas darauf, wenn am späten Abend der alte FORD ans Haus fuhr und DANA
mich freundlich begrüßte. DANA, das ist die Kurzform des slawischen Namens
Bogdana. Das hat sie mir aber auch erst erklären müssen. Tagsüber ließ ich mir lustige Geschichten einfallen. Meistens musste
meine Sofioter Zeit dafür herhalten, denn was hatte ich vorher schon erlebt?
Aber der Stoff ging mir so schnell nicht aus. Dana lachte gerne, doch wer tut
das nicht. Bei Zwetschgen, Wespen und lustigen Geschichten vergingen die
Stunden zwischen Güterbahnhof und Markthalle wie im Fluge. * Hermann machte mich darauf aufmerksam, dass er in den nächsten Tagen
eine Fahrt nach Zemun auf dem Plan habe. Er fragte mich, ob ich dann mitfahren
wolle. Aber ja, das war doch eine Gelegenheit, Adolf noch einmal zu sehen. Die
armen Kerle hingen immer noch da oben auf dem Kalvarienberg fest. Hermann forderte mich als Beifahrer an, was keine Schwierigkeiten
bereitete. Eine Packtasche mit Konserven hatte ich auch schnell beisammen.
So konnte es also losgehen. Ehe wir vom Hof fuhren, bin ich schnell noch einmal in die Unterkunft
und habe mir in aller Eile meinen Sommerchic angezogen. Das waren für diese
Unternehmung notwendige Requisiten. Hermann brachte mich in Zemun bis ans Lagertor. Dann erledigte er seine
dienstlichen Besorgungen. Es sah nicht schlecht aus, mit einem
Rotkreuz-Wagen vorzufahren, auch wenn dies ein LKW war. Ich konnte wieder ohne
Schwierigkeiten das Lagertor passieren. Aber dann erschrak ich mich doch fast
zu Tode. - In dem Augenblick, als der Wachmann das Lagertor wieder hinter mir
verschloss, öffnete sich die Tür der Wachstube, und der Wachoffizier trat
heraus. Ach du lieber Himmel! Jetzt durfte nichts schief gehen. Das Beste war,
wenn ich am Zuge blieb. Also marschierte ich forsch auf den Wachoffizier los,
grüßte ihn respektvoll und fragte ihn nach dem Dienstzimmer des Lagerleiters.
Ich hätte bei ihm im Auftrag des Zentralausschusses ein Akkordeon abzuholen,
das im Rahmen eines Chorkonzertes benötigt werde. Der Offizier erklärte mir freundlich, wie ich zur Lagerleitung hinfände.
Dann gingen wir beide unserer Wege. Das heißt, ich ging nur bis zur
nächsten Baracke. Dann schlug ich einen Haken und sah zu, dass ich schnell zu
Adolf hinkam. Der Schrecken saß mir noch so in den Gliedern, dass ich mich bei ihm nur
kurz aufhielt. Jetzt fehlte nur noch, dass dieser Offizier dem Lagerführer
über den Weg lief. Dann war ich aufgeschmissen. Nein, ich hatte keine Ruhe
mehr; nur schnell wieder weg von
hier. Im halben Berg wartete ich auf Hermann und seinen LKW. Von meiner Begegnung
mit dem Offizier erzählte ich ihm nichts. Wenn man es sich so recht bedachte,
hatte ich auch ihn mit diesem Exkurs in Gefahr gebracht. Also nie wieder.
- Das war auch nicht mehr notwendig. Die Nachricht, dass Adolf und die
übrigen Kranken in die Heimat abgedampft seien, erreichte mich und unseren Chor
noch in der gleichen Woche. * Tage später wurde ich wieder zum Nachtdienst bestellt. Es waren große
Mengen Wassermelonen auszuladen. Wer mochte mich wohl am Abend mit
dem Wagen abholen? - Aber wer sollte das schon sein. Dana begrüßte mich in
bester Laune. Ich glaube, so ein ganz klein bisschen mochte sie mich wohl -
oder meine lustigen Geschichten. Bei den Wassermelonen machten wir es so, dass Dana mit der Ladefläche
ganz dicht an den Waggon zurücksetzte. Als ich dann die breite Ladeklappe zur
Seite schob, kullerten diese dicken Dinger schon munter auf unseren LKW. Beim weiteren Umladen machten wir eine merkwürdige Entdeckung. Da musste
jemand zur frühen Jahreszeit mit einer Nadel Adressen in die Melonenschalen
geritzt haben. Jetzt, wo diese Früchte ausgewachsen waren, hatten sich
diese Schriftzeichen entsprechend vergrößert und waren auf dem dunkelgrünen
Untergrund hellgrau vernarbt. Es waren immer zwei Frauennamen und die
Anschrift eines Arbeitslagers bei Panschevo. Immer die gleichen Namen. Wir konnten jetzt natürlich nicht alle Melonen auf solche Markierungen
untersuchen. Trotzdem hielten wir beide die Augen offen. Als wir den
Waggon umgeladen hatten, waren uns etwa ein halbes Dutzend dieser
gekennzeichneten Melonen in die Hände gefallen. Dana hatte sie ins Führerhaus
gepackt. Ich wollte sie am Morgen in die Unterkunft mitnehmen. Auf Danas
Frage, was ich damit vorhabe, werde ich wohl etwas großmäulig eine Aktion
angedeutet haben. "Peder,
du bist verrückt!" Als wir uns an diesem Morgen voneinander verabschiedeten, war nicht
damit zu rechnen, dass wir uns noch einmal wiedersehen würden. Also dann: "Dana,
halt die Ohren steif!" "Na
klar, und du sieh' zu, dass es bald nach Hause geht." Diese Melonenstory war natürlich für uns alle was. Panschevo, das war ja
nur eben über die Donaubrücke. Unsere konkreten Entlassungsaussichten, die Repatriierungs-Organisation
lief auf Hochtouren, in dieser glücklichen Erwartung trieb es uns noch einmal
zu gewagter Wohltätigkeit. Was man aus diesen Arbeitslagern hörte, das hatte
auch 1948 noch wenig mit dem 'Sloboda narodu', mit der Freiheit des Volkes gemein. So saßen wir am Abend in der Runde und stierten auf diese abenteuerlich
inspirierenden Melonen. Jeder hatte seine schrecklichen Vorstellungen
vor Augen, die zu diesen Hilferufen geführt haben konnten. Aber wir wollten ja
jetzt keinen Krimi schreiben. Wir wollten etwas Konkretes tun. Oder? - "Na
klar tun wir was." Das sagte
Hermann, der wusste, dass sich ohne seinen LKW überhaupt nichts tat. "Und
was machen wir?" "Weiß
ich noch nicht." Beim Sinnieren kam mir Toni Schäfer in den Sinn. Wie war das doch noch?
Er hatte sich einschließen lassen und dann die Kollektion zusammengestellt.
Das war doch genau unser Problem. Also gab ich Tonis soziales Engagement
zum Besten. Zuerst wurde darüber nur gelacht - und dann gesponnen. "Wir könnten ja so etwas nur tagsüber auf die Beine
stellen." Für Hermann war die Transportfrage offensichtlich schon kein Problem
mehr. Aber wie kam man an dieses Gelumpe. Ich brachte meinen Vorschlag. Durch meine
Nachtschichten bei 'Wtsche i Powtsche' musste jedem einleuchten, dass ich mit einer Menge Schlaf im Rückstand
war. Was würde man also davon halten, wenn ich mich im Textillager einschließen
ließe und zwei ansehnliche Kollektionen Damenober- und -unterbekleidung
zusammenstellen würde. Da brauchte Hermann mit dem LKW nur gegen die
Oberlichter zurückzusetzen, und die beiden Pakete entgegennehmen. Hermann fiel auch nichts besseres ein. Wie sollte es auch. Mir wäre solches
auch nicht in den Sinn gekommen, wenn ich nicht diese 'Vorbilder' gehabt hätte. Machten wir es gleich. Morgen wollte ich mich am Nachmittag einschließen
lassen. Hermann würde laden. Ein Abstecher nach Panschevo war immer drin.
So ist es auch gelaufen. Ich packte zwei gut sortierte Pakete und übertrug die
Melonen-Adressen. Nur wollte ich im Textillager nicht übernachten. Als
unsere Beschaffungsphase abgeschlossen war, telefonierte Hermann mit Chiko
auf dessen Privatenschluss. Chiko wohnte weit draußen, am Avala. Chiko machte sich sogleich auf den Weg zurück in die Uliza Simina. Ich
weiß nicht, ob er wütend war. Jedenfalls hörte ich ihn mit seinem Jeep
vorfahren, und wie er sich dann kurz mit Hermann unterhielt, der ihn lediglich
darüber informiert hatte, dass ich nicht auffindbar sei. Chiko schloss das Magazin auf. Natürlich hatte er mich bald entdeckt.
Ich war ihm dabei durch vernehmliches Schnarchen behilflich. Dann hörte ich
flüstern und wenig später Wasser in ein Gefäß laufen. Da wusste ich schon
Bescheid. Wenn ich das Wasser ins Gesicht bekam, hieß es die Luft anhalten. Chiko hatte seinen Spaß. Mir hat er meine Schlafmützigkeit nicht weiter
übelgenommen. Wie gut, wenn man nicht alles weiß. Den Rest hat Hermann ganz allein besorgt. Ihm steckte immer noch die
Sache mit dem Kakao. Direkt an der Front wollte er mich nicht mehr haben. Und
ich habe mich nicht aufgedrängt. Wie Hermann hinterher berichtete, hatte er diese Aktion absolut
'geschäftsmäßig' abgewickelt. Es war auch nicht das erste Mal, dass er mit
diesem Lager zu tun hatte. In dieses Frauenlager hatte er schon einige
Male Lebensmittel abzuliefern gehabt. Wir wollten natürlich wissen, ob er diese
beiden Frauen zu Gesicht bekommen habe. - Na, es war doch klar, dass er
sich den Empfang der beiden Pakete in seiner Kladde quittieren ließ. Nein,
angeschaut hat er sich die Frauen nicht. Das war typisch Hermann. Der Gefangenenchor des Donaulagers war mittlerweile im Belgrader
Kulturleben eine feste Größe. Wir sangen längst nicht mehr nur für unsere
gefangenen Kameraden. Wir traten in der breiten Öffentlichkeit auf, in
großen Sälen, vor anspruchsvollem Publikum. Von unserem Abschiedskonzert
für den 'Klub Deutscher Schaffender' besitze ich noch ein vergilbtes
Programmexemplar. Vier Tage später standen wir auf der größten Kinobühne des Belgrader
Corso, der Terasia. Hier gaben wir in unseren eingefärbten Ami-Jacken, die
inzwischen unser Markenzeichen waren, unser letztes Konzert vor der
Belgrader Bevölkerung. Statt dem sonst üblichen Madrigal- und Volksliederteil brachten wir ausschließlich
Chöre großer Meister zum Vortrag. Höhepunkt war ohne Zweifel der
Gefangenenchor aus dem 'Fidelio'. Mit einer solchen Ergriffenheit wird man diesen
Chor nie zuvor aufgeführt haben. Wir sangen und weinten in eins. Oh welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben. Nur hier, nur hier ist Leben! Haltet euch zurück, wir sind belauscht mit Ohr und Blick! Oh welche Lust! *** |