Pik Bube
Durch
Schnee und Mais
Unser Einsatz in
Klenak dauerte knapp eine Woche. Der LKW, der uns von hier abholte, hätte
uns vor die Pforten der Hölle karren können. Nur weg von hier! Unsere
Männerrunde war sich persönlich nicht nähergekommen.
Dafür war jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zum Glück
hatte es keine brenzligen Zwischenfälle gegeben. Der Kerl, der mich
mit seinem Spaten hereinlegt hatte, machte einen verschämten
Bogen um mich. Was soll's, jetzt lag das alles hinter uns. Ein Wunder war es,
dass meine Handverletzung sich nicht entzündet hatte. Dabei war
die Wunde einen ganzen Tag über in engster Berührung mit der
Verwesung gewesen. So heilte sie jetzt still vor sich hin. In dem Städtchen Ruma machten wir Zwischenstation. Es wurde ein
neues Arbeitskommando zusammengestellt. Wir erhielten einen Kommandanten
und eine neue Wachmannschaft. Noch am gleichen Tage ging die Reise weiter nach
dem kleinen Ort Putinci. Als Unterkunft wurde uns wieder die ehemalige Wohnstatt einer ausgesiedelten
volksdeutschen Familie zugewiesen. Es gab ausreichend Stroh für unser
Nachtlager. Das Essen wurde uns gebracht. Ich weiß nicht mehr, woher; von
Ruma, oder kam es vielleicht sogar aus dem Dorf? Um alles das brauchten wir uns
nicht zu kümmern. Was die Organisation betraf, so erledigte alles unser
Dolmetscher, unser Tumatsch, wie
es hier hieß. Dieser war ein Volksdeutscher aus dem rumänischen
Grenzgebiet. Ich war dabei, als sein Heimatort Anina von den deutschen Truppen
geräumt und durch die vordringende Rote Armee besetzt wurde. Dieser Zufall
brachte uns beide zusammen, so dass ich mich von Anfang an bei ihm gut
aufgehoben fühlte. Wir ernteten Mais, von der Dämmerung in der Früh bis zur
Dämmerung am Abend. Die Verpflegungsausgabe war insofern etwas
problematisch, als wir nach der Suppe am Morgen erst bei unserer
Rückkehr am späten Nachmittag wieder etwas zu essen bekamen. Wenn man
aber von dieser Essensregelung absah, konnten wir eigentlich zufrieden sein. Dass es dann eines Tages doch recht unfriedlich wurde, verdankten wir
eben diesem Dolmetscher, bei dem ich mich in guten Händen sah. Für den 2O.Oktober, ein Samstag, war Feiertag angesagt. Wir, die
Gefangenen, hatten nichts zu feiern. Wir waren die Nutznießer. Wir
brauchten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nicht auf die Felder. Am 2O.Oktober jährte es sich zum ersten Mal, dass die Partisanen,
mit Unterstützung der Roten Armee, ihre Hauptstadt Belgrad zurück(?)-eroberten. Dies bedeutete für sie die
Krönung ihres Kampfes gegen die deutschen Besatzer. Mit der Einnahme von
Belgrad war der Partisanenkrieg beendet. Titos Gefolgsleute wurden
jetzt als Kombattanten im
Sinne der Haager Konvention anerkannt. Was sich in der zweiten Oktoberhälfte des vergangenen Jahres in Belgrad
abspielte, darüber hätte ich eine Menge zu erzählen gewusst. Die
Straßenkämpfe begannen am 13., der dazu noch ein Freitag war. Die Tage bis zum 2O. sind uns verdammt lang geworden. Nach Feststellungen
des »Deutschen
Friedensbüros« in Stuttgart sind von den 30.000 deutschen Verteidigern nur wenige hundert am Leben geblieben. Man kann also ohne Übertreibung sagen, dass von hundert
deutschen Soldaten, die in
die Ein Ruhetag mit Sonderverpflegung erwartete uns. - Was die Verpflegung
betraf, stimmte das noch. Den Ruhetag hatten wir uns aber ganz anders vorgestellt. Für den Kommandanten, vielleicht war die Wachmannschaft mit einbezogen,
hatte unser Dolmetscher ein Spanferkel zum Dorfbäcker gebracht. Das
sollte ein knuspriges Festessen werden. Bei unserem Dolmetscher wollte keine rechte Stimmung aufkommen, da er
sich mit einem ganz großen Problem herumschlug. Seine Kontakte zur
Zivilbevölkerung waren offensichtlich erheblich über
den ihm abverlangten Rahmen hinausgegangen. Ausgerechnet an jenem
Samstagmorgen, als der Kommandant dabei war, seine blankgeputzten Orden
anzulegen, raffte sich der Dolmetscher auf, ihm ein Geständnis
abzulegen. Er war in größter Bedrängnis, weil er sich
einen Tripper zugezogen hatte. So behandlungsbedürftig sein Zustand auch
war, so gering war die Aussicht auf ärztlichen Beistand. Der Kommandant
blieb jetzt seine einzige Hoffnung. Ob der Kommandant schon so sehr auf Fest und Feiern eingestimmt war; von
Hilfsbereitschaft keine Spur. Das so leidvoll abgerungene Geständnis des
Dolmetschers war für den Kommandanten offensichtlich die erste
Freude des Tages. Er brüllte vor Lachen, dass es den Dolmetscher in
den Ohren schmerzte; klopfte sich immer wieder auf die Schenkel und genoss
den Witz des Tages. - Aber dieser Tag hatte ja gerade erst begonnen. Zu Mittag gab es Sarmi. Das sind mit Hackfleisch und Reis gefüllte
Krautwickel. Was allein die Zubereitung für eine Mühe gekostet
hatte! Dieser Aufwand war und blieb aber auch einmalig. Dem Kommandanten stand, wie es sich gehörte, besseres in Aussicht.
Aber das Spanferkel hatte, wenn auch nicht mehr auf eigenen Beinen, das Weite
gesucht - und unser Dolmetscher auch. Von Putinci bis zu seinem Heimatort Anina waren es etwa hundertachtzig
Kilometer. Wenn man die Landessprache beherrschte, war das keine
Entfernung. Im Ort hieß es kurz darauf, dass er unbehelligt zu Hause
angekommen sei. Der Kommandant tobte. Wer wollte es ihm verdenken. Das flüchtige
Spanferkel allein hätte da schon gereicht. Jetzt war ihm dazu auch
noch ein Gefangener durch die Lappen gegangen. Das würde für ihn
noch ein unangenehmes Nachspiel haben. Aber das war noch nicht alles. Ein junger Bursche aus dem Saargebiet,
kaum älter als achtzehn Jahre, war, ohne sich mit uns abzusprechen, auf
den Dachboden gestiegen und hatte dort einen Taubenschlag ausgeräumt.
Diesen Vögeln die Hälse langziehen und in kochendem Wasser
abbrühen war eins. Hernach löste sich das Federkleid fast von selbst.
Von dem Rupfen und Ausnehmen hatten wir nicht das Geringste mitbekommen.
Es sollte ja auch eine Überraschung werden. Die war ihm, weiß Gott, gelungen.
Noch bevor uns die wohlschmeckenden Krautwickel angedient wurden, hatten wir
als zweites Frühstück, oder als Vorspeise zu unseren Sarmi, Taubensuppe
mit Fleischeinlage genossen. Uns war nicht wohl dabei, aber
rückgängig machen konnten wir diesen Dummejungenstreich auch nicht
mehr. Es hat übrigens nicht lange gedauert, da ist auch dieser Himmelhund
getürmt. Unser Kommandant mochte die Tauben, und seine Wachmannschaft hatte
für deren Wohlergehen zu sorgen. Jetzt kam das also noch obendrauf.
Aus und Schluss war's mit aller Freundlichkeit. Was brauchte er jetzt
für dieses Sauvolk noch einen Dolmetscher. Nach der strengen
'Ordensregel': Arbeit muss, essen kann und schlafen darf, ließ sich auch
die Maisernte einbringen. - Wie recht er hatte. Als gerechten Ausgleich für den arbeitsfreien Gedenktag, den wir ja
wirklich nicht mit dem zu erwartenden Respekt begangen hatten, setzte der
Kommandant für den folgenden Sonntag eine generelle Entlausung an. Da
wir noch keine Läuse hatten, sollte das wohl eine vorbeugende
Maßnahme sein. Die nächste Entlausungseinrichtung war in Indija. Da diese Anlage
mit Holz befeuert wurde, musste jeder von uns ein Holzscheit, Eiche natur, von
einem Meter Länge zum Entlausungsort schultern. Bis Indija war das ein
Fußweg von etwa drei Stunden. Als wir am Abend nach Putinci
zurückkehrten, fand auch unser kleiner Saarländer seine Feiertagsidee
mit der Taubensuppe nicht mehr so gut. Unser Aufenthalt in Putinci war nicht von langer Dauer. Nachdem der Mais
in der Umgebung eingebracht war, wurden wir weiter aufs Land verlegt. Eine
langgestreckte, geräumige Stallung wurde unsere neue Unterkunft. In kurzem
Abstand daneben befand sich ein kleines Wohngebäude. In einem
Vorraum war eine Kochstelle eingerichtet, deren Rauchabzug direkt ins Dach
führte, so dass sich diese Feuerung auch zum Räuchern eignete. Der
Wohnraum wurde von einem großen gemauerten Ofen beherrscht, der mit
ganzen Maisstrohbündeln befeuert wurde. Um diesen Ofen war eine
Sitzbank gemauert, die an der Wand bis in die Zimmerecke weiterführte.
Weiteres Mobiliar war nicht mehr vorhanden. So lebte unsere Wachmannschaft
auch nicht im Luxus. Zu dieser Stallung gehörte noch ein Ziehbrunnen mit
Tränke und ein Maisschober. Der Raum zur ebenen Erde diente der
Lagerung von leeren Maiskolben, die sich ausgezeichnet als Heizmaterial
eigneten. Darüber befand sich der rundum belüftete Maisschober. Der mit Ziegelsteinen gepflasterte Stallboden war bereits dick mit Stroh
ausgelegt. Unsere Unterbringung war also soweit schon vorbereitet. Fast gleichzeitig mit diesem Umzug hatte sich ein strenger
Kälteeinbruch vollzogen, dem ergiebige Schneefälle
vorausgingen. Kurzum, der erste Winter meiner Kriegsgefangenschaft war
gefürchtete Wirklichkeit geworden. Kein Wunder, denn wie war ich auf diesen
Winter vorbereitet? Ich hatte noch eine Wehrmachtsmütze, deren Rand
man als Ohrenschutz herunterklappen und unter dem Kinn knöpfen konnte.
Mein (Waffen)-Rock, wie schon einmal beschrieben, mit dreiviertel Ärmel
und parallel zur Knopfleiste aufgerissen, also 'durchgehend geöffnet'.
Die bosniakische Hose sowie Unterhemd und Unterhose waren das, was
mir die gute Frau in Privlaka geschenkt hatte. Seitdem waren noch die
beschriebenen Holz/Lederschuhe dazugekommen, die offensichtlich eine Sonderanfertigung
für uns waren, da sie mir bei der Bevölkerung nirgendwo
begegnet sind. Eine Decke besaß ich nicht. Mein Gepäck bestand nach wie vor aus zwei Zementtüten als
Matratzenersatz für alle Fälle und der beschriebenen
Hirtentasche, in der meine Brieftasche und mein Essbesteck untergebracht waren.
Außerdem sammelte ich in ihr alles Zeitungspapier als Ersatz für
Socken oder Fußlappen. Und da war dann noch mein italienisches
Kochgeschirr. Nichts weiter. Ich habe nur wenige Nächte in dieser Stallung zugebracht. In der
Nacht tummelten sich die Ratten. Weder schnarchen noch Fußgeruch
hielt sie davon ab, über uns herzufallen. Was sich über eine Weile
nicht bewegte, wurde schmerzhaft angeknabbert. Ich hatte mich lange genug
mit meinen eiternden Fußverletzungen herumgeschlagen und war
froh, dass alles gut abgeheilt war. Jetzt nicht schon wieder kaputte
Füße! Noch mehr fürchtete ich die Ratten als mögliche
Krankheitsüberträger. Was konnte man wissen. Es kam aber noch
etwas hinzu. Plötzlich und schnell verbreiteten sich Kleiderläuse.
Wenn ich schon Läuse sah, dachte ich an Fleckfieber. Also zog ich aus. Draußen, im Windschutz der Stallung machte ich meine
'Intensivstation' auf. Mit einer Getreideschaufel schaffte ich den Schnee
beiseite und legte meine Zementtüten aus. Sie gewährleisteten eine
ausreichende Bodenisolierung. Da ich keine Decke besaß, zog ich meinen
Waffenrock aus und legte ihn mir über das Gesicht, um mich an meinem
eigenen Atem zu erwärmen. Diese Sinnestäuschung reichte
natürlich nicht aus, um mich vor dieser Kälte zu schützen.
Während der Nacht unterhielt ich ein kleines Feuer aus Maisstroh und abgekörnten
Maiskolben. Wenn dieses Feuerchen niedergebrannt war, weckte mich die
Kälte. Es konnte passieren, dass ich blasend und wedelnd eine ganze Weile
damit beschäftigt war, wieder eine offene Flamme zu erzeugen. War das
geschafft, legte ich Stroh und Kolben nach. Ich hatte wieder für eine
halbe bis dreiviertel Stunde Ruhe für ein Nickerchen. Von der Not
getrieben, wagte ich es, mir einen Getreidesack zu 'organisieren'. Ein
Loch für den Hals, zwei für die Arme, und fertig war die neue
Winterbekleidung. Ich frage mich heute, wie ich das über eine Zeit
von etwa zehn bis vierzehn Tagen durchgestanden habe. Der Wind kam
immer über ein Wasser, entweder über die Donau oder über
die Save. Nach Aussagen der Wachmannschaft hatte das Thermometer Tiefstwerte
bis zirka dreißig Grad erreicht. Ein Naturapostel grub Mäusenester
aus und machte uns an deren Vorratshaltung deutlich, dass uns ein strenger Winter
erst noch bevorstünde. Wir beobachteten die Mondphasen. Zunehmender Mond ließ einen
erneuten Kälteschub befürchten, abnehmender Mond auf Entspannung
hoffen. Ein klarer Mondhimmel versprach klirrenden Frost, ein Hof um die
Mondscheibe deutete auf Schnee und fallende Temperaturen. Unsere
Lernfähigkeit war enorm. Dieser erste Nachkriegswinter muss auch in der Heimat sehr streng gewesen
sein. Wie mir meine Schwägerin bald nach meiner Heimkehr erzählte,
habe sich mein älterer Bruder in der Nacht mitunter in den Schlaf geweint,
bei dem Gedanken, wie es mir, wo auch immer, bei dieser Kälte gehen
möge. In der Tat war meine Situation damals so erbärmlich, dass ich
froh war, dass sich zu Hause niemand eine Vorstellung davon machen konnte.
Dabei war es zu dieser Zeit auch in der Heimat alles andere als
erträglich. Wer noch Glasscheiben in den Fenstern hatte, dem
blieb erspart, diese mit Brettern zu vernageln.- Aber wer konnte zu Hause
wissen, dass ich überhaupt noch lebte. Es war wie eine Erlösung, als wir Ende November nach Ruma
zurückverlegt wurden. Inzwischen waren wir total verlaust. Die
Verhältnisse draußen im Stall hatten uns dazu verleitet, das
Waschen weitgehend einzustellen. Einige von uns behaupteten sogar, dass
mit dem Grad der Verlausung die Rattenbelästigung
zurückgegangen sei. Aber das war wohl Einbildung. Es mag sein, dass ein
durch Läuse verursachtes unruhiges Schlafverhalten die Ratten etwas vergrämt
hat. Angst vor Läusen hatten diese Biester bestimmt nicht. Meine umfunktionierte Getreidesackkreation hat bestimmt dazu beigetragen,
dass ich jene kritischen Wintertage ohne schwere Gesundheitsschäden
und überhaupt überlebt habe. Dieses grobe Gewebe erwies sich aber als
ein Dorado für die Kleiderläuse. Wenn ich dieses Sackhemd über
meinen geschorenen Kopf zog, um meine Läuse nachzuzählen, gab es
ganze Flächen oder Siedlungen, wo aus jeder Masche frech ein spitzer
Läusehintern herausschaute. Unserem Lagerkommandanten wurde diese Verseuchung allmählich unheimlich.
Ruhr und Typhus waren von der Gefangenenverwaltung schon sehr gefürchtet.
Vor Fleckfieber hatte man schlichtweg Angst, eine Heidenangst, weil der
Krankheitsverlauf so kläglich ist. Also ließ der Kommandant eine
Menge leerer Treibstofffässer ins Lager schaffen. Daraus konstruierten
wir recht effiziente Entlausungseinrichtungen. Aber der Populationsfreudigkeit
unseres Ungeziefers war nicht beizukommen. Irgendeine Nissenkolonie war immer
wieder schlupfbereit. Alles Auskochen, Brühen und Verdampfen
schaffte nur für wenige Tage Erleichterung. Die Kälte hielt an. Die Wege zu den Ernteplätzen wurden immer
weiter. Zum Ausgleich zogen wir in der Frühe zeitiger los und kamen am
Nachmittag später zurück. Bei der Essenausgabe blieb es bei
dünner Suppe am Morgen und dickerer Suppe am späten Nachmittag.
Das Brot wurde, verführerisch frisch, am späteren Abend verteilt.
Wohl dem, der am Morgen noch etwas davon besaß. Durch den starken Frost wurde die Maisernte immer problematischer. Der
Maiskolben muss aus mehreren Blattschichten unterschiedlicher Struktur herausgeschält
werden. Mit unseren steifgefrorenen Fingern war das kaum noch
möglich. Ein Glück, dass unser Lagerkommandant keine Ernteergebnisse
reklamierte. Diese Einsicht verdankten wir wohl seiner Wachmannschaft. Wortgeplänkel
gab es ab und zu doch mit den Posten, wenn man für Augenblicke die
Hände etwas aufwärmen wollte. "Šta glèdaš?!" rempelte mich ein Wachmann an. Bei uns würde
das 'Was schaust du so (blöd)?' heißen. Ich blies in meine
kältestarren Hände und machte ihm klar, dass es mir erbärmlich
kalt sei. "Kuraz kalt!"
motzte er mich an, knöpfte seinen Mantel auf und zeigte mir seinen
nackten Oberkörper. Na, was wollte ich da noch sagen? War wohl auch
ein armes Schwein. Auch für das Militär musste das ein strenger
Winter sein, wenn der Innendienst den Waffenrock trug, und dem
Außendienst dann nur der Mantel blieb. "Kuraz" ist ein Kraftausdruck, den man zwar übersetzen
könnte, was aber sehr unfein wäre. Also lassen wir's dabei. Nach etwa vierzehn Tagen brach das Fleckfieber über uns herein. Ich
kann mich an die Lagerunterkünfte kaum noch erinnern, weil wir sie morgens
im Dunkeln verließen und ebenfalls im Dunkel zu ihnen zurückkehrten.
Wohl erinnere ich mich
deutlich, wie an Sonntagen die Entlausungswilligen, in Decken
gehüllt, das verlauste Gelumpe unter dem Arm, wie zur Essenausgabe in
Warteschlangen vor den Entlausungstonnen im Schnee bibberten. Waren die
Kleider endlich entlaust, musste man die Decken gleich in die nächste
freie Tonne stecken. Diese Decken hatten unsere Wachleute eigens für die
Entlausungen herbeigeschafft, damit wir überhaupt aus unseren Kleidern
steigen konnten. Es war also nicht so, dass wir auf diese Weise mit Wolldecken
versorgt worden wären. Die ausgebrochene Seuche konnte nicht behandelt werden. Es gab nichts
dagegen. So verlief diese Epidemie völlig ungebremst. Nachdem die ersten
Toten abtransportiert waren, niemand von uns wusste wohin, wurde unser Lager
unter Quarantäne gestellt. Die Wachmannschaft durfte das Lager nicht mehr
betreten. Die Essen- und Brotausgabe erfolgte am Lagertor. Es war wohl
Gedankenlosigkeit, dass uns weiterhin die Verpflegung nur morgens und gegen
Abend ausgegeben wurde. Die Ratten wurden wieder aktiv. Die Verstorbenen des Tages mussten vor
Einbruch der Dunkelheit abtransportiert werden. Wir machten die Erfahrung,
dass sie über Nacht rabiat von den Ratten angefressen wurden.
Hätten wir doch einmal erlebt, dass so ein Rattenvieh an unserem Fieber
verreckt wäre! Die Angst dieser Tage lässt sich nicht beschreiben. Das Fleckfieber
hat eine Inkubationszeit von etwa vierzehn Tagen. So warteten wir alle auf den
ersten Fieberanfall. Bei einer seuchenspezifischen Behandlung rechnet man
mit einer Sterblichkeitsrate von etwa zwanzig Prozent. Bei uns wurde nichts
behandelt. Wer diese Quarantäne überlebte, stand sich gut mit seinem
Schutzengel. Nicht wenige haben in jenen Tagen das Gebet ganz neu
entdeckt, obwohl das damals noch gar nicht so aus der Mode war. Die Mütter
hatten es uns noch gelehrt. Diese niederschmetternde Dezimierung löste natürlich alle
unsere Kleiderprobleme. Mützen, Waffenröcke, Hosen und
Unterwäsche gab es nun zu Hauf. Man konnte es sich aussuchen.
Kochgeschirre gab's und Höchstpersönliches. Von nun an war ich
für den weiteren Verlauf des Winters den Umständen entsprechend
gut gerüstet; aber für welchen Preis! Irgendwann würde ich auch
einmal eine Wolldecke bekommen. Aber darauf warteten wir ja alle. Zwischen Weihnachten und Neujahr löste man das Lager Ruma auf. Eine
kleine Restmannschaft, fleckfieberresistent bis auf die Knochen,
wurde nach Zemun, nach Semlin in Marsch gesetzt. Neues Spiel.- Neues Glück? ***
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