Auf Wiedersehen in Sofia Ljdbilfyt
d Cjabz Dowischdane w Sofia erzählt von 1968 Diese Geschichte erzählt von einer wunderschönen Wienerin, die ich 1941 als Soldat in Sofia kennen lernte, und bei der ich wie ein Sohn als Hausgast in ihre Familie aufgenommen wurde. Da ich bei dieser Erzählung auch Familien-Interna ansprechen muss, ist es geboten, Vertraulichkeit zu wahren, was ihr Name betrifft. Einen anderen Namen will ich ihr nicht geben, dagegen würde sich alles in mir sträuben. Rede ich also von Frau B., die ich aber auch ‚Mami’ nennen durfte. Ja, wie bin ich nun an diese Mami gekommen? Ich will ganz kurz rekapitulieren: Ich machte in den Jahren 1941/42 zeitweilig Abfertigerdienst auf der Fernschreibvermittlung in Sofia. Das hieß, die Empfänger von eingegangenen Fernschreiben zu verständigen, dass sie auf unserer Dienststelle zur Abholung bereit lägen. Das 'Deutsche Wissenschaftliche Institut bei der Deutschen Gesandtschaft' war ein häufiger Empfänger eingehender Telegramme. Das hieß für mich jedes Mal dort anzurufen und um Abholung zu bitten. Wenn sich das Institut meldete, war immer die gleiche Frauenstimme am Apparat. Was sage ich Frauenstimme, es war eine Stimme wie Glockenklang und Musik. Ich träumte bereits von ihr und hatte nur den einen Wunsch, diese 'Stimme' einmal kennen zulernen. Listig sann ich nach einer Gelegenheit, die mir zudem nicht schlecht zu Gesicht stehen durfte. Bei solch einer Stimme war das ja wohl das mindeste. Ich habe es geschafft! - Es war an einem Sonntagnachmittag, bei herrlichem Sommerwetter. Wer nahm wohl meinen Anruf entgegen? Aber wer schon: DIESE STIMME. "Ja, wo ist sie denn! - Welcher Unmensch läßt Sie an diesem herrlichen Sonntag auf der Dienststelle ackern?" "Recht haben Sie, aber Ihnen geht es ja auch nicht besser." "Das ist, weiß Gott, ein Unterschied. Ich bin Soldat und befinde mich mitten im Krieg. Ich hätte aber einen Vorschlag zu machen." "Und das wäre?" "Bei diesem Wetter werden Sie sowieso heute noch eine Portion Eis essen. Darf ich Sie dazu einladen?" "Ja ausgezeichnet. Ich freue mich darauf." "Wann und wo wollen wir uns treffen?" Ich bekam schon ganz feuchte Hände. "Kommen Sie, sagen wir um acht, in meine Wohnung. Meine Adresse lautet: Anna B., 'Zar Assen' Nr.66. Das ist eine Querstraße der 'Patriarch Ewtimij', hinter der Kreuzung des Boulevard 'Zariza Johanna', die erste kleine Straße links." - Ich war völlig 'aus dem Häuschen'. Und war das ein elend langer Nachmittag. Von einem Hausdiener habe ich mir Blumen besorgen lassen. Im Hotel habe ich mich präpariert wie vor einer Operation: Heiß geduscht, geschrubbt, gestriegelt und auf Hochglanz gebracht. Wozu eigentlich? Da die Zeit schon knapp war, habe ich mir eine Kutsche bestellt, die mich schnell in die Zar Assen brachte. Jawohl B., das war auf der ersten Etage. Ich ging schön langsam die Treppe hoch, damit mein Atem recht schön ruhig blieb. Aber das war er ja eh nicht. Nachdem ich geklingelt hatte, öffnete sich zögernd die Korridortür. Eine graue Maus, das Hausmädchen 'Jonka', stand vor mir. Mit einem verschmitzten Lächeln sprach sie das übliche 'molja?' Aber da war ja schon die Stimme. Vor mir stand eine sehr schöne und gepflegte Dame im langen Hauskleid und spannte bereits auf mein dummes Gesicht. Sie war, wenn ich heute nachrechne, damals achtundvierzig Jahre alt. Ich machte kein dummes Gesicht. Ich glaube, ich war sogar sehr erleichtert. Allein das gründliche Duschen hätte ich meiner Liesel beichten müssen. Nun stand eine schöne Frau vor mir, die meine Mutter hätte sein können. Sie ist es, cum honoris, am gleichen Abend noch geworden. Sie lud mich zum Essen ein, und gleich müsse auch ihr Mann nach Hause kommen. Wenn ich mir's recht bedachte, war dies hier noch weitaus schöner, als es meine ruchlosen Erwartungen erhofft hatten. 'Mami', ich hab's mitunter auf der Straße vor mir hergesagt, wenn ich auf dem Wege zu ihrer Wohnung war. Ihr Mann war ein lieber und herzensguter Kerl. Nur mit dem Trinken musste ich mich bei ihm vorsehen. Er war ein passionierter Mixer, und seine Rezepte gehörten schon eher in den Bereich der Anästhesie. Wenn ich morgens im Hotel aufwachte und feststellte, dass ich meine Kleider überaus sorgfältig versorgt hatte, dann wusste ich, dass 'Papi' mich wieder einmal in eine tiefe Ohnmacht befördert hatte. Übelnehmen konnte man ihm aber nichts. Nur habe ich mich immer wieder gefragt, wie dieser Glatzkopf wohl an diese wunderschöne Frau gekommen ist. 'Mami' war eine Wienerin und hatte, bis sie ihn geheiratet hatte, auch dort gelebt. Natürlich war sie bei ihrem Wiener Dialekt geblieben. Es klang fast so wie ihr Lachen. In der Familie lebte noch ein Sohn, der äußerlich und überhaupt sehr seiner Mutter glich. Franzl besuchte die Deutsche Schule. Auf Schülerveranstaltungen war er allenthalben 'Hahn im Korb', auf Skiern war er seit Jahren Landesmeister im Abfahrtslauf der Jugendauswahl. Ich glaube, bei Mami durfte man allenfalls noch Zweiter sein. Franzl mochte mich vom ersten Augenblick, obwohl ich doch für ihn ein Eindringling war. Aber das beruhte wohl auch auf Gegenseitigkeit. Auf jeden Fall war Franzl ein lieber Kerl. Nach dieser Vorrede wird wohl ein Jeder einsehen, dass es für mich gute Gründe gab, nach genau 25 Jahren dieser großartigen Frau endlich wieder einmal zu begegnen. * Da wir mit den Jahren zu einer einigermaßen großen Familie herangewachsen waren. stellte sich schon zu Anfang wieder die Frage, wer fährt mit? - Nun ja, was gab es da groß zu entscheiden? Wir machten es wie im vorigen Jahr: Unseren drei Ältesten, Bernd, Christa und Maria, mieteten wir wieder einen Wohnwagen am Nordzipfel der Niederlande, in Den Helder. Dabei galt das Versprechen, sobald Bernd im Besitz eines Führerscheins käme, würden wir unsere Balkanreisen allesamt mit zwei Fahrzeugen unternehmen. Wir hatten allerdings nicht den Eindruck, dass unsere drei 'Großen', mit ihren 16 bis 18 Lebensjahren, diese unbeaufsichtigten Wochen als sehr bedrückend empfanden. Wir gingen allerdings davon aus, dass sie sich gewissermaßen gegenseitig beaufsichtigten. Mit von dieser Partie war noch ein Ausbildungskollege von Bernd, ein gewisser Rolf, der in jenen Wochen damit begann, seine ganz persönliche Familiengeschichte zu schreiben. Das soll heißen, dass er irgendwann unser Schwiegersohn wurde, was wir, zumindest von unserer Seite, nie zu bedauern hatten. * Also denn: Alle notwendigen Vorkehrungen waren getroffen, die Koffer gepackt und das Auto beladen. Zu irgendeiner Mitternacht im August sollte es losgehen. Wer uns kennt, weiß, dass ich als Sohn eines Eisenbahners den von mir erstellten Fahrplan auch sehr gewissenhaft einhalte. Meine Frau wusste das auch, deshalb gab es auch nie überflüssige Wartezeiten. Punkt Mitternacht reichte ich meinem Opel also das Fläschchen mit Benzin, und auf ging's in Köln-Niehl auf die Autobahn. - Die erste Pause, mit Auftanken, Picknick und WC, verlief nach den ersten dreihundert Kilometern wie vorgesehen am Autobahnrasthaus Rohrbrunn im Spessart. Ja, mit den damaligen Tankfüllungen kam man nicht viel weiter. Um acht Uhr in der Früh verließen wir nach nochmaligem Tanken die Raststätte Holledau und sahen uns damit bestens in der Zeit. So ging es dann reibungslos weiter: Etwas mühsam zwängten wir uns über die Ringe der Münchener Innenstadt und waren heilfroh, endlich den Zubringer auf die Autobahn Salzburg erreicht zu haben. Elf Uhr Grenzabfertigung und Abfahrt Kufstein, sechzehn Uhr Abfahrt St.Johann, wo im Jahr zuvor die Wasserpumpe unseres Opels nicht mehr mitgemacht hatte. Um achtzehn Uhr machten wir Quartier im Motel in Lienz, das wir aus mehreren Gründen sehr schätzten: Die wunderschöne Aussicht auf eine beeindruckende Dolomiten-Formation, das Bier in der Gaststube und hernach der Tiefschlaf nach etwa achthundertfünfzig Fahrkilometern. Am folgenden Tag verließen wir über Villach und den Loibl-Paß dann auch unser vertrautes Österreich. Von da an wurde nicht mehr deutsch gesprochen. Das war ja schon merkwürdig, dass fortan jene Töne auf mein Ohr trafen, mit denen man mich vor 23/25 Jahren alle Tage aufs Ärgste sekkiert hatte. Aber ich war ja nicht nachtragend. Pünktlich, wie geplant, trafen wir nach einer Fahrstrecke von 325 km um siebzehn Uhr in Bregana ein, befanden uns also etwa zehn Kilometer vor Zagreb, was in besseren Zeiten, so denke ich, einmal Agram hieß. Dieses Bregana war ein neues und reizvolles Motel. Rezeption und Gastronomie waren zur 'Auto-Put' ausgerichtet, die Unterkünfte in mehreren Häuserzeilen als ebenerdige Ein-Zimmer-Appartements ortseinwärts platziert. So blieb man von den Straßengeräuschen weitgehend verschont. Vor dem Zimmerfenster war ein überdachter Abstellplatz für das Auto eingerichtet. Wir benötigten mit unseren fünf Personen zwei dieser Unterkünfte. Während mein Schätzchen unser 'Sturmgepäck' in den beiden Schlaf- und Toilettenräumen dorthin verstaute, wo man es hinterher suchte, machte ich mich mit den Kindern auf zur Restaurantterrasse, von der man den regen Autoverkehr beobachten konnte. Mir ging es aber vorab um etwas ganz anderes, um den ersten hochverdienten Slivovitz. Dabei sah ich mich veranlasst, der Kellnerin in der ihr gewohnten Sprache zu verdeutlichen, dass ich diesen Pflaumenschnaps sehr viel lieber gut gekühlt genieße. Ja, das könne sie sich vorstellen, aber damit könne sie nicht dienen. Kaltes Bier, was ich denn davon hielte. Also dann auch noch eine Flasche kaltes Bier. Für die Kinder hatte sie alle möglichen kalten Getränke, von Coca-Cola bis Zitrone Natur. - Da saßen wir nun und genossen in der milden Sonne des Spätnachmittags den Anblick der vorbeibrausenden Motorfahrzeuge allen Kalibers. Liesel war inzwischen auch an unseren Tischen erschienen. Unser Nachtquartier war gerichtet. Wir entschlossen uns, sehr zeitig das Abendessen zu bestellen, damit wir hinterher noch bei Tageslicht einen Spaziergang zum Ort Bregana unternehmen könnten. So haben wir es dann auch gemacht. Die große Grillplatte bot alles, was das Herz begehrte. Der anschließende Weg in den Ort förderte die Verdauung und ließ eine erholsame Nachtruhe erwarten. So war es dann auch. Als wir uns am nächsten Morgen schon sehr zeitig im Frühstücksraum versammelten, waren wir bereits wieder fahrbereit. An diesem Tag wollten wir bis nach Alexinac kommen. Das waren 650 km. Die Auto-Put war zu dieser Zeit noch eine regelrechte Marterstrecke. Der unzähligen Fahrbahnrisse und Schlaglöcher wegen, war eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h vorgeschrieben. Unser vollbeladenes Auto hätte es wohl zerrissen, wenn wir von dieser Vorgabe wesentlich abgewichen wären. Zerrissen hätte es uns fast trotzdem um ein Haar. Wir hatten gerade Slavonski Brod hinter uns, als ich unter meinem Fahrzeug ein heftiges Rupfen und Poltern verspürte. Mit einer Vollbremsung brachte ich den Wagen abrupt zum Stehen. Ich traute meinen Augen nicht: Unter dem Wagenboden hatte sich eine Rolle Draht hin und her und kreuz und quer um die Radachsen, die Wagenfederung und die Auspuffanlage gewickelt. Ich hätte schwören können, dass keine Drahtrolle auf der Straße gelegen hatte. Aber wo kam sie jetzt her? Wahrscheinlich auch aus dem Straßengraben, wo jetzt drei junge Burschen aufkreuzten, um uns scheinheilig ihre Dienste anzubieten. So geschickt, wie sie sich dabei anstellten, machten sie das wohl nicht zum ersten Mal. Natürlich hielten sie hinterher allesamt für die fällige Löhnung die Hände auf. Also habe ich mit strahlendem Zähneknirschen eine Menge Dinare locker gemacht, die ich lieber am Abend in Slivovitz umgesetzt hätte. Zum Glück zeigten sich am Wagen keine Beschädigungen. Was wäre gewesen, wenn dabei etwa die Bremsleitung abgerissen wäre. Also atmete ich ganz tief durch und setzte meine Fahrt fort. Es war ganz schrecklich heiß an diesem Tage. Als wir zur späten Mittagszeit Belgrad hinter uns hatten, wurde es Zeit, dass ich für eine Weile vom Steuer wegkam. Etwa auf der Höhe von Smederevo fuhren wir also eine Raststätte an, um hier zu pausieren und etwas zu Mittag zu essen. Ich hatte eigentlich nur Durst, der vorerst noch alkoholfrei gestillt werden musste. Auch hatte mir die Aufregung wegen der Drahtrolle allen Appetit verjagt. Dann muss man auch wissen, dass südlich von Belgrad vieles anders ist, zumal was die Gastronomie betrifft. Mit Appetit gegessen hat wohl auch nur meine Beifahrerin, der so leicht nichts auf den Magen schlägt. Liesel hat hier ihren ersten Schafskäse und ihre ersten schwarzen Oliven gegessen. Während wir noch auf diese kalten Speisen warteten, ist Liesel rund durchs Lokal und hat Puls und Hände auf den Marmorfensterbänken gekühlt. So hatte sich auch bei ihr die Hitze im Körper gestaut. Wir kamen mit einem deutschen Ehepaar ins Gespräch, das sich, aus der Türkei kommend, bereits auf der Rückreise befand. Ja, in die Türkei müssten wir unbedingt einmal fahren. Eine solche Gastfreundschaft, so viele freundliche Menschen, würden wir nirgendwo anders antreffen. Wir wollten aber nicht in die Türkei. Uns genügte es bis Sofia zu kommen, das heißt erst einmal bis Alexinac. Das waren jetzt noch etwa hundert Kilometer. Alexinac war für uns in mehrfacher Hinsicht eine Überraschung. Das fing damit an, dass uns an der Rezeption eine alte Frau in rheinischer Mundart begrüßte. Ganz richtig. Sie stammte aus dem Rheinland und war vor vielen Jahren einem Serben in dieses Städtchen an der Morava gefolgt. Hier war sie dann hängen geblieben. Ihr Serbe lebte schon längst nicht mehr. Nun freue sie sich, hier an der Rezeption tagtäglich mit ihren alten Landsleuten ins Gespräch zu kommen. Dass wir mit der Zimmerauswahl ganz besonders gut bedient wurden, das verstand sich von selbst. Für den Zustand der Zimmer war sie nicht verantwortlich. Die Fenster, das waren schwere Drehkipp-Konstruktionen, die sich nicht mehr ganz schließen ließen. Aber dafür wäre es ohnehin viel zu heiß gewesen. Die einst hellen Sonnenrollos waren unter der Decke aus den Halterungen gerissen und hingen schief und schlaff an irgendeiner letzten Schraube. Die cremefarben gestrichenen Wände waren über und über mit Schnakenleichen tapeziert. Da wusste man also gleich Bescheid. Ein Blick aus dem Fenster überzeugte, dass es an Schnaken auch für die kommende Nacht keinen Mangel geben würde. Aus dem Fenster schaute man auf die Morava, ein weit ausladendes, seichtes Flussbett, in dem sich das trübe Wasser kaum wahrnehmbar fortbewegte. Bei diesem Anblick mochte man gleich damit beginnen, sich zu schubsen und zu kratzen. Auf dem Motel-Gelände war auch ein Campingplatz eingerichtet, wo aber überwiegend Wohnwagen abgestellt waren. Was die vor dem Hotelkomplex abgestellten Fahrzeuge der Gäste anbelangt, mussten wir feststellen, dass wir an diesem Abend mit unserem Opel-Rekord zu den weniger betuchten Gästen gehörten. Also verkroch sich unser Auto ganz bescheiden zwischen die Straßenkreuzer aus der arabischen Welt. Da fragte man sich ja doch etwas verbittert, warum es auf den eigenen tausend Quadratmetern keinen einzigen Tropfen Öl zu fördern gab. Für die Einnahme unserer Abendmahlzeit wählten wir die Hochterrasse. Wenn es hier auch nicht kühl war, so ging doch immerhin ein Lüftchen. Wir bestellten für uns alle panierte Forellen aus dem benachbarten Fluss. Wie in einer so trüben Brühe so schmackhafte Forellen heranwachsen können, das ist und bleibt mir ein Rätsel. Den nächtlichen Kampf mit den Schnaken will ich mir ersparen, sonst fängt es nämlich gleich wieder überall an zu jucken, war doch ansonsten Alexinac eine gute Adresse, auch für die kommenden Jahre. Bis nach Sofia waren es jetzt nur noch schlappe 150 Kilometer; die schönsten übrigens. Allein der Gedanke, an diesem Tag nur wenige Stunden auf der Piste zu ackern, ließ einen in der Früh munter den Zündschlüssel drehen. Schon nach kurzer Zeit hatten wir Nisch erreicht. Hier trennten sich die Wege, rechts über Nischka Banja und Skopije nach Griechenland und links über Bulgarien in die Türkei. Als wir dieses verwirrende Nisch hinter uns hatten, führte eine schnurgerade und gut befestigte Straße durch üppige Gärten und Felder in Richtung bulgarische Grenze. Bald führte diese gut ausgebaute Straße bis Bela Palanka durch die Schlucht der Nischava. Auch da gab es keine Fahrbahnschäden, aber wenn man aus einem der Tunnel herauskam, sah man den nächsten bereits vor sich. Rundum das kahle, grauweiße Karstgestein. Es war phantastisch! Hinter Bela Palanka war es dann aber vorbei mit der Begeisterung. Die nächsten fünfzig Kilometer in Richtung Pirot, das war keine Straße. Das waren zwei getrennte Trampelpfade, was zumindest jeden Gegenverkehr ausschloss. Die Geschwindigkeitsbegrenzung am Ortsausgang von Koritnica, mit 30 km/h vorgegeben, war angesichts dieser Geländeübung reiner Hohn. Wer sich schneller fortbewegen wollte, musste schon fliegen. Ausgerechnet hier in diesem unwegsamen Gelände gerieten wir unversehens in eine groß angelegte Ralley-Veranstaltung. Die Firma Citroën hatte in Paris mindestens hundert Fahrzeuge des Typs 2CV, besser unter dem Namen 'Ente' bekannt, auf die Strecke Paris - Kabul gebracht. Man stelle sich vor: KABUL! Was waren das noch Zeiten! Der Tross dieser französischen Veranstaltung, das waren natürlich respektable Limousinen des gleichen Herstellers. Diese Enten, herrlich bunt dekoriert, schaukelten vor und hinter uns her den Berg hinauf. Ich erinnere mich, dass ich an irgendeiner Kehre eine dieser Enten überholt habe. Nicht, dass dies besonders mutig gewesen wäre. Auf dem Scheitelpunkt dieses Passes, in 670 Metern Höhe, trat dann aber ein jugoslawischer Verkehrspolizist aus dem Gebüsch und machte mir mit seinen langen, weißen Stulpenhandschuhen deutlich, dass er mir etwas mitzuteilen habe. Man soll es nicht für möglich halten, aber seinem Adlerauge war nicht entgangen, dass ich bei dem Überholvorgang auf halber Bergeshöh die Geschwindigkeitsbegrenzung um etwa 10 km/h überschritten habe. Nun ja, was wollte ich machen? Dieses glasklare Auge war nun mal das Gesetz und das geforderte Bußgeld reichlich nach dem Sondertarif für DM-Touristen bemessen. Ich habe mich damit getröstet, dass dieses Geld ganz gewiss einem guten Zweck zugeführt würde. So war's dann am Ende vielleicht auch noch eine gute Tat. Und während wir wieder talwärts hoppelten, waren meine Gedanken längst wieder in meinem geliebten Sofia. Am Ende dieser Marterstrecke befand sich rechter Hand ein baumfreies, ebenes Gelände, das wie eine große Hobbywerkstatt anmutete. Da steckten Köpfe unter dampfenden Motorhauben, da wurden Reifen gewechselt, da lag man unter den Autos, weil vielleicht eine Auspuffanlage abgerissen oder gar Schlimmeres zu diagnostizieren war. Für meinen Opel war dieser Geländeritt gewiss auch keine Wohltat, aber er hatte diesen Härtetest klaglos überstanden. Als wir in die Stadt Pirot hineinfuhren, wussten wir, dass wir nur noch dreißig Kilometer bis zur bulgarischen Grenze zurückzulegen hatten. Dimitrovgrad nannte sich die jugoslawische Grenzstation. Bulgarischerseits erwartete uns der Grenzort Kalotina. Die erste Grenzabfertigung in den Ostblock hinein war schon eine aufregende Sache. Meine Nachkriegserlebnisse auf dem Balkan werden da wohl mit hineingespielt haben. Aber wir haben nach geheimnisvollen Passüberprüfungen und umständlichem Geldwechsel alles gut und heil überstanden. Jetzt war die Uhr noch um eine Stunde vorzustellen. So war man stehenden Fußes eine Stunde älter geworden. Von der Grenzstation Kalotina waren es bis nach Sofia nur noch fünfzig bis sechzig Kilometer auf einer breiten Autostraße. Nach einer guten halben Stunde erreichten wir den Stadtrand. Langsam, alles ganz bewusst in mich aufnehmend, rollten wir ins Zentrum hinein. Das erste mir recht vertraute Bauwerk war die alte Kathedrale Sweta Nedelja. Der große Platz mit seinem Kreisverkehr nannte sich damals ebenfalls Sweta Nedelja, was bei uns 'Heiliger Sonntag' heißen würde. Hier nannte man ihn jetzt 'Platz Lenin'. Der herrliche Corso, die 'Zar Osvoboditel', die geradewegs zum Borisgarten führte, hieß jetzt 'Rußki' und führte deshalb und seitdem auch in den 'Park der Freiheit'. Aber so weit wollten wir an diesem Tage nicht. Bei dem großen Reiterdenkmal des russischen Zaren Alexander II., auch 'Zar Osvoboditel', der Befreier genannt, der in den siebziger Jahren (1877-78), gemeinsam mit bulgarischen Freiheitskämpfern am Schipka-Pass das osmanische Heer vernichtend geschlagen und außer Landes getrieben hat, erblickte mein Schätzchen zum ersten Mal die gewaltige Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeln. Bei diesem Anblick hielt man unwillkürlich den Atem an. Keine andere Kirche der Balkanhalbinsel ist mit ihr vergleichbar. Auf einer Fläche von 4000 qm steht die 76 m lange und 53 m breite Kirche, in der 7000 Menschen Platz haben. Sie wurde zwischen 1904 und 1914 von dem russischen Architekten Alexander Pomeranzev geschaffen. Das bulgarische Volk hat diese großartige Kirche zum Gedenken an die 200.000 russischen Soldaten erbaut, die im Kampfe für die bulgarische Freiheit auf dem Schipka-Paß gefallen sind. Ich bog nach links ab und konnte unseren Wagen gleich bei der Kathedrale unter einer Baumreihe abstellen, die angenehmen Schatten bot. Bei oder unter dieser Baumreihe standen mehrere Bänke. Da trieb sich junges Volk herum, das untereinander Abzeichen und Plaketten tauschte. Sie hatten ihre Schätze in großen Mappen fein geordnet. Natürlich wurden wir sofort angesprochen, ob wir etwa Abzeichen aus dem Westen mit uns führten, diese seien ganz besonders begehrt. Ich versprach ihnen, in den nächsten Tagen in aller Ruhe nachzuschauen. Sollte ich etwas ausgraben, so würde ich es ihnen gerne schenken. Dann saßen da noch alte Männer, die sich für einen Stadtrundgang anboten. Sie waren ganz erstaunt, als ich ihnen in ihrer Sprache Antwort gab. Natürlich erklärte ich auch gleich ganz unbefangen, dass ich mich in dieser Gegend wie in meiner Westentasche auskenne, da ich hier ja vier Jahre lang gelebt habe. Da leuchteten die Augen dieser alten Herren in ihren dunklen Anzügen, die so heftig nach Mottenkugeln rochen. Wenn sie schon nichts an mir verdienen konnten, so wollte ich ihnen doch eine kleine Freude machen. Für solche Gelegenheiten hatte ich immer nicht allzu kleine Kölnisch Wasser Flaschen gleich griffbereit im Kofferraum verstaut. Ja, 4711 Echt Kölnisch Wasser, das war, weiß Gott, die gute, alte Zeit! Das Innere der Kathedrale war überwältigend; auch für mich immer noch. Da gab es bis in die hohen Kuppeln hinein keinen Quadratzentimeter, der nicht kunstvoll ausgemalt war. Etwas Vergleichbares hatte mein Schätzchen noch nie in ihrem Leben gesehen. Bei diesem ersten Besuch sind uns eigentlich die schönsten Fotos gelungen. Es war, Gott sei Dank, noch früh an der Zeit, trotz der einstündigen Zeitverschiebung. Also suchten wir uns ein Quartier. Da wir in dieser Beziehung noch keinerlei Erfahrungen besaßen, hatten wir uns für eine Campinglösung vorbereitet. Nach den Beschreibungen im ADAC-Camping-Führer mussten wir uns jetzt in Richtung Plovdiv orientieren. Ein mickriger Hinweis auf einen Campingplatz verleitete uns nach rechts abzubiegen, wo es über Gorubljane nach Pantscharevo ging. Da musste ich mich ja noch von früher her auskennen. Dort war ich doch des öfteren bei dem Lufthansa-Direktor Dr.Hase (dienstlich) zu Gast gewesen. Also auf nach Pantscharevo. Den angezeigten Zeltplatz fanden wir in einer Senke beim Restaurant 'Lebed', welches sich direkt an der Iskar-Staumauer befand. Überwältigend war das nicht, was wir hier antrafen. Aber jetzt waren wir hier, und die Zeit lief uns davon. Wir schafften es noch unser Zelt aufzubauen. Dann fuhren wir nach Sofia zurück. * So, und jetzt wollten wir unsere Mami B. aufsuchen. Liesel kannte sie ja nur aus Briefen. In einer Viertelstunde, so schätzte ich, würden wir erstmals vor ihr stehen. Sie hatte nach dem Kriege mit ihrem Mann eine Bleibe in der '11.August' gefunden. Ich war noch nie in dieser Gegend gewesen, aber die '11.August' war eine Seitenstraße der Rakovska, in der ich als Soldat gewohnt hatte; ich würde sagen, am anderen Ende gewissermaßen. Also stiegen wir wieder in den Wagen und rollten, eifrig cyrillische Straßenschilder lesend, langsam die Rakovska entlang. Und dann stand es da zu lesen. Wir bogen rechts in die Straße hinein. Hinter der nächsten Parallelstraße war ihre Wohnung. Das Eckhaus mit der Nummer 28. Unseren Wagen konnten wir wieder unter Bäumen abstellen, was bei den dort herrschenden Temperaturen schon eine Wohltat war. Im finsteren Treppenhaus fanden wir uns nicht gleich zurecht. Also fragte ich auf der Straße eine Nachbarin, hinter welchen Fenstern Frau B. wohne. Sie wohnte Parterre. Als wir mit etwas Beharrlichkeit an das Fenster klopften, erschien plötzlich ihr altes Gesicht hinter den vergilbten Gardinen. Wir baten sie auf die Straße zu kommen, da wir einiges aus dem Kofferraum auszuladen hätten. Das erste Zusammentreffen verlief für Augenblicke etwas steif und reserviert. Sie schien es sich so vorgenommen zu haben. Aber dann lagen wir uns nach so vielen Jahren wieder in den Armen. Mein Gott, was war sie ein altes hutzeliges Weiblein geworden. So, nun stand auch die Liesel leibhaftig vor ihr. Aber gleich schien es, als ob sie sich schon ewig kannten. Unsere drei kleinen Kinder, Ursula, Klaus und Günter, standen etwas verwirrt im Abseits, bis die neue Oma sie ebenfalls freudig und gerührt an sich drückte. Dann haben wir den halben Kofferraum ausgeräumt. Kleider, Wäsche, Schuhe und Lebensmittel. Rundum waren die Nachbarn in den Fenstern erschienen. Einige von ihnen kamen sogar auf die Straße und sprachen uns unbekümmert an. Frau B. wird wohl von uns erzählt haben. Ihre Wohnung war ein fürchterliches Loch. Man mochte sich nicht vorstellen, dass in diesem Raum drei erwachsene Personen gelebt und geschlafen hatten. Eine Wohnungseinheit war an drei Parteien vermietet worden. Von einer finsteren Diele führten die Türen zu den Mietern. All diesen Bewohnern stand nur eine Toilette zur Verfügung. Jede Mietpartei verfügte aber über eine eigene Klobrille. Mami B. hatte sie, hinter einem Klappbett, gleich links neben der Eingangstür stehen. Das Klo selbst war ein finsteres Scheißhaus. Jede andere Umschreibung wäre eine ungerechtfertigte Schmeichelei gewesen. Überall stank es penetrant nach Desinfektionsmittel. Das war wohl die neue, die sozialistische Sauberkeit. Frau B. roch diesen Gestank nicht mehr. Nachdem wir die mitgeführte Bekleidung ausgebreitet hatten, es waren alles noch gute Kleidungsstücke, forderten wir sie auf, sich ganz fein zu machen. Dann würden wir gemeinsam zum Essen gehen. Es dauerte eine Weile, bis Mami B. mit ihrer Auswahl wieder aus ihrer Küchenkabine heraustrat. Mein Gott, wir kannten sie kaum wieder. Das waren nicht nur die Kleider, das war ihre ganze Haltung. Sie hatte auch ihre Frisur schön geordnet. Ja, jetzt mochte sich Liesel wohl vorstellen können, wie sie in früheren Jahren einmal ausgesehen hatte. Wir sind mit dem Wagen wieder zurück zur Kathedrale, weil dort die besten Abstellmöglichkeiten waren. Dann sind wir, fast wie in alten Zeiten, bis zur Rakovska und diese hinunter bis zur Graf Ignatiew. Unser Hotel KOOP hieß nun Hotel Sevastopol. Ich hatte mir vorgenommen, unsere erste Mittagsmahlzeit im Kellerrestaurant meiner alten Bleibe einzunehmen. Das Restaurant war ausgesprochen maritim gestaltet. Das war wohl ein Bezug auf den neuen Namen Sevastopol. In diesem Restaurant feierte an diesem Tag eine große Hochzeitsgesellschaft. Es war für Liesel interessant, die hier üblichen Hochzeitsbräuche etwas zu studieren. Als nämlich das Festmahl beendet war, zogen alle Hochzeitsgäste an dem Brautpaar vorbei. Ein jeder überreichte der Braut das mitgebrachte Geschenk. Es waren sehr viele Wäsche- und Bekleidungsstücke darunter. Die Braut legte alles über ihre Schulter und sah bald wie ein Straßenhändler aus. Schade, ich hatte nichts dabei. Das wäre jetzt wieder so eine Kölnisch-Wasser-Gelegenheit gewesen. Wir haben an diesem Mittag recht gut und schmackhaft gegessen. Als wir dann unsere Rechnung begleichen wollten, fragte mich der aufmerksame Ober etwas verwirrt, ob ich ein Deutscher oder etwa ein Bulgare sei. Na, das hat mir aber geschmeichelt. Ich erklärte ihm, dass ich Anfang der vierziger Jahre oben im vierten Stock als Angehöriger der Deutschen Luftwaffe gewohnt habe. Jetzt wollte ich es nämlich wissen. Oh, das müsse er aber seinem Geschäftsführer vermelden. Ob wir noch einen Augenblick Zeit und Geduld hätten. Dann kam der Geschäftsführer, ein kleines freundliches Männlein. Erst küsste er den beiden Damen die Hand, ehe er mich begrüßte. "Ist das eine Freude und Überraschung. Sie sind der erste Herr der Luftwaffe, der uns nach dem Kriege hier noch einmal besucht hat. Haben Sie eine gute Unterkunft? Kann ich Ihnen hier für die nächsten Tage einen Tisch reservieren?" Beides lehnten wir dankend ab; aber war das etwa nichts: 'Der erste Herr von der Luftwaffe'. Als wir wieder zur Kathedrale zurückschlenderten, eröffnete uns Mami, dass wir am Nachmittag einer Einladung bei ihrer Freundin nachkommen müssten. Sie sei schon ganz nervös, weil sie uns schon vor zwei Tagen erwartet habe. Diese Zeitplanung konnte aber nicht von uns sein. Nein, Franzl hatte alle verrückt gemacht. Wo steckte Franzl eigentlich? Darüber würden wir noch reden. Von der Kathedrale fuhren wir also gleich in die ulitza Roßiza, zu der alten Frau Koeva. Sie wohnte hoch oben unter dem Dach, unter schrägen Wänden. Frau Koeva war eine sehr gebildete Frau, die uns herzlich wie alte Bekannte begrüßte. Sie hatte bereits vorgestern mit uns gerechnet und einen Apfelstrudel für uns gebacken. Aber Apfelstrudel musste unbedingt ofenfrisch gegessen werden. Gestern hatte sie also einen neuen Strudel gebacken, und dieser hier war endlich die dritte Auflage. Und wer hatte all diesen Apfelstrudel gegessen? Auf der Etage unter ihr hatte ihre Tochter mit ihrem Mann eine Wohnung. Die beiden aßen nun schon seit Tagen nichts anderes mehr. Aber jetzt waren wir da. Jetzt wurde der frischgebackene Apfelstrudel angeschnitten. Sie hatte schon recht. Der musste wohl ofenfrisch gegessen werden, denn er war wirklich ein Gedicht. Von uns wusste Frau Koeva eigentlich schon so ziemlich alles. Mami B. hatte ihr sogar unsere Briefe zu lesen gegeben. Was sie nun wirklich nicht verstand, das war, wie man für eine Familie mit sechs Kindern eine Wohnung finden könne. Eine solche Wohnung, wenn es sie gäbe, müsste doch unerschwinglich sein. Ich sei doch ganz gewiss ein Direktor in irgendeinem westdeutschen Industrieunternehmen. Ich versicherte ihr, dass unsere Direktoren in der Regel keine sechs Kinder hätten. Westdeutschland sei zwar kein sozialistisches Land, wenn man aber bereit und in der Lage sei, im Beruf gute Arbeit zu leisten, seien sechs Kinder jedenfalls kein unlösbares finanzielles Problem. Dass meine Frau von früh bis spät wacker auf den Beinen bliebe, dass sie kaum einmal Zeit fände, an sich selber zu denken, das sei allerdings der Preis für eine große Familie. Frau Koeva schaute mein Schätzchen voller Bewunderung an, zumal unsere Kleinen, die wir bei uns hatten, wie aus dem Ei gepellt aussahen. Und hübsche Gesichter hatten alle drei. Es schien doch alles zu stimmen, was Anni B. ihr von uns erzählt hatte. Von mir wollte sie noch wissen, was ich als Soldat in den vierziger Jahren hier gemacht habe und wie ich heil nach Hause gekommen sei. Ihr Mann sei ein hoher bulgarischer Offizier gewesen, bis ... - Dann erzählte sie diese schreckliche Geschichte: Es war im einundvierziger Jahr. Ihr Mann war Oberst im bulgarischen Heer. An einem Wochenende geschah es dann: Ihr Mann hatte keinen Dienst und befand sich in der Wohnung, als der Sohn einer befreundeten Familie wie wild geworden an der Hausklingel riss. 'Onkel Stefan, Onkel Stefan, bitte versteck mich, man ist hinter mir her!' Ohne erst einmal zu wissen, um was es hier überhaupt ging, ließ ihr Mann den Jungen eintreten, der sich dann in einem der Kellerräume verkroch. Die zivile Polizei hatte aber noch beobachtet, wie der Verfolgte in ihrem Haus verschwunden war. Es waren kaum Minuten vergangen, da erschienen sie an der Haustür und verlangten ebenfalls Einlass. Herr Koev solle sofort den Jungen herausgeben. Ihr Mann, der das alles noch nicht begriffen, die große Angst des Buben noch vor Augen sah, sagte ohne Überlegung, dass sich hier kein fremder Junge befände. - Die Zivilbeamten durchsuchten daraufhin das Haus und fanden natürlich den Buben, den sie dann abführten. Meinem Mann kündigten sie noch ein Nachspiel an. Dieses Nachspiel ließ nicht lange auf sich warten. Jetzt erfuhr ihr Mann erst, was diesen Jungen zu dieser wilden Flucht bewegt hatte. Es war in Bulgarien wie überall, dass sich Söhne aus gutem Hause oft ein wenig revolutionär betätigen wollten. Dieser war dann aber auch gleich in die richtigen Hände geraten. Der kommunistische Untergrund hatte einen Anschlag auf den König geplant. Alles sollte ähnlich ablaufen wie in den zwanziger Jahren in der Sveta Nedelja, die bei einer Explosion ganz erheblich zerstört worden war. Mit von der Partie war ein junger, ebenfalls revolutionärer Pope. Dieses Attentat kam, Gott sei Dank, nicht zur Ausführung. Ob dieses Vorhaben bereits verraten war, erfuhr man nicht. Jedenfalls hatte man sie bei den Vorbereitungen zum Attentat beweiskräftig überführt. Von alledem hatten sie und ihr Mann ja nicht die blasse Ahnung. Wer mochte sich vorstellen, daß der Sohn einer eng befreundeten Familie in solche Machenschaften verwickelt war. Wenn es um die Sicherheit des Königs ging, war der Beamteneifer nicht zu bremsen. Wer wollte sich einmal nachsagen lassen, dass seine Nachlässigkeit zu schlimmen Folgen geführt habe. Im Jahre 1925 hatten die Kommunisten schon einmal einen Anschlag auf Zar Boris ‘III inszeniert. Dies geschah damals in der alten Kathedrale ‘Sweta Nedelja’. Zar Boris war an jenem Morgen verhindert am Gottesdienst teilzunehmen. Dieses Attentat war so brutal angelegt, dass bei der Explosion der Sprengsätze hundertundfünfzig Kirchenbesucher ums Leben kamen. - Außerdem war in Sicherheitskreisen bekannt, dass sich auch im Offizierskorps Elemente auftaten, denen ein Attentat auf den König zuzumuten war. Wohl um ein abschreckendes Exempel zu statuieren, wurden ihr Mann, der unglückliche Bub und der junge Pope zum Tode durch den Strang verurteilt. Die Urteile sollten an dem folgenden Sonntag im Slavia Stadion vor aller Öffentlichkeit vollstreckt werden. Frau Koeva selbst musste bei dieser Exekution zugegen sein. Sie habe beim Anblick dieses grausigen Geschehens von einem Tag auf den anderen schlohweiße Haare bekommen. Ich erinnerte mich noch sehr genau an jenen Sonntagmorgen, als ungezählte Menschenmassen mit Kind und Kegel die Graf Ignatiev in Richtung Boris-Garten zogen. Dieses nicht alltägliche Schauspiel wollte man sich nicht entgehen lassen. Dass mir siebenundzwanzig Jahre später die Frau eines dieser Hingerichteten aus eigener Anschauung und Betroffenheit diese Vorgänge wieder in Erinnerung bringen würde, das war schon ein recht merkwürdiger Zufall. Ich habe ihr nicht gesagt, dass ich damals diese Prozession ins Slavia-Stadion vom Hotel Koop aus beobachtet habe. In der Nacht, auf unseren bescheidenen Luftmatratzen liegend, stellten wir fest, dass Ursula in ihrem Schlafzelt unentwegt leise vor sich hin weinte. Liesel ist zu ihr und hat sie nach ihrem Kummer befragt. Wie war es menschenmöglich, dass ein so gebildeter Mensch wie Tante B. in einem solch stinkenden Loch hausen musste? Was wollte man ihr darauf antworten? Vielleicht, dass wir uns etwas mehr unseres relativen Wohlstandes bewusst werden und dafür einstehen sollten, dass uns dies erhalten bleibt. * Was war nun mit Franzl? Er war für die Sofioter Miliz ein eng beschriebenes Blatt. So sehr man seine mutige Mutter schätzte und sogar auf eine Weise mochte, so sensibel reagierte man, wenn Franzl wieder einmal 'auffällig' wurde. Im Moment konnte man ihm nichts anhängen. Trotzdem hatte man ihn für die nächste Zeit aus Sofia 'ausgebürgert'. Dieses Wort hörte ich jetzt zum ersten Mal. Aber das musste ja trotzdem alles seine Bewandtnis haben. Dieser Grund war folgender: Sofia rüstete zu einem internationalen Jugendfestival. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, denn es blieben nur noch zwei Wochen Zeit. Zu diesem Festival sollte alles aufgeboten werden, was die Jugend heute und für die Zukunft mit Freude, Hoffnung und Lebensmut erfüllen konnte. Natürlich war damit die Jugend der sozialistischen Länder angesprochen. Es wurden aber auch zahlreiche Delegationen aus dem westlichen Ausland erwartet. Da waren auch Abordnungen aus unserer Republik angesagt. Für die Sofioter Miliz war Franzl B. nicht nur ein Saufkopp. Sie wusste auch, was ihn ans Saufen gebracht hatte. Und eben das war der kritische Punkt. Franzl sprach neben seiner bulgarischen Muttersprache fließend Deutsch und Französisch, und das sehr gepflegt. Das waren für einen so unsicheren Zeitgenossen schon zwei Sprachen zu viel. Nein, man mochte ihn während dieser Tage nicht in Sofia haben. Man bürgerte ihn bis auf Widerruf nach dem Ort Samokov aus. Er musste dort übrigens für alles selber sorgen, für die Unterkunft und auch für die Verpflegung. Da sieht man, wie umständlich wir im demokratischen Westen sind. Da Franzl nichts Besseres zu tun wusste, saß er nun täglich am Ortseingang im Schatten alter Bäume und wartete auf uns. So konnte man ihn natürlich nicht verfehlen. Und so war es denn auch. Als wir auf Samokov zufuhren, stand Franzl plötzlich mitten auf der Straße und ließ uns anhalten. Mein Gott, wie sah der arme Kerl aus! Samokov ist, oder richtiger war, eine sehr sympathische Kleinstadt. Ihre Bewohner waren überwiegend ansässige Zigeuner, die natürlich in Armut lebten. Dann waren da noch bulgarische Juden, die sich mit den Zigeunern gut verstanden. Das hat im 2.Drittel des 19.Jh. dazu geführt, dass die wohlhabenden Juden den armen muslimischen Zigeunern eine wunderschöne Moschee, die Bajrakli-Moschee, errichtet haben. Sie ist eine wirkliche Sehenswürdigkeit. In der zentralen Kuppel findet man den Davidstern, der von einem goldenen Halbmond umgeben ist. Ob es das noch einmal auf der Welt gibt? Franzl war glücklich mich wiederzusehen. Bei einem ausgedehnten Mittagsmahl hatten wir Gelegenheit, über seine Probleme zu sprechen. Für Franzl schienen das aber alles keine Probleme zu sein. Da hatte er schon ganz anderes hinter sich. Was er sehr bedauerte, war die Tatsache, dass er doch gerne täglich mit uns zusammen gewesen wäre. Doch es blieb bei diesem kurzen Besuch. Wir versprachen ihm aber fest in die Hand, in der nächsten Zeit, alle Jahre wieder, zu ihm und seiner Mutter zu kommen. Schon am nächsten Tag wollten wir mit Mami B. einen Ausflug zum Rila-Kloster machen. Dort war sie vor dem Kriege das letzte Mal gewesen. Ich selbst war noch nie dort. Also holten wir Mami B. schon zeitig in der Früh bei ihrer Wohnung ab, und auf ging's zum Rila-Kloster. Wir sind nicht allzuweit gekommen. Plötzlich tat es einen Knacks, und wir saßen mit dem rechten Hinterrad im Radkasten. Die Blattfeder war gebrochen. Man hätte uns also auch nicht abschleppen können. Liesel begleitete Mami B. und die Kinder zum nächsten Ort zurück, der Studena hieß. Hier kaufte sie uns etwas zu essen und zu trinken; es waren ein paar dünne Knoblauchwürstchen und gelbe Limonade. Unter normalen Verhältnissen hätte sie sich beides an den Hut stecken können. Jetzt hatten wir nichts anderes. Mami B. wollte zusehen, dass sie die Kinder mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Sofia zurückbrächte. Es gelang mir soeben noch, den Wagen an den Straßenrand zu kutschieren, ohne mir dabei den Reifen total zu ruinieren. Hinter einer nahegelegenen Kurve stellte ich mein Warndreieck auf. Der erste Lastwagen, der daherkam, fuhr exakt darüber hinweg. Jetzt warnte es niemanden mehr. Kurze Zeit danach tauchte ein Militärfahrzeug auf. Der Offizier, ein Major, musste das mit meinem Auto natürlich erst einmal selbst ausprobieren. Mir standen dabei die Haare zu Berge. Er sah das ein, da war schon qualifizierte Hilfe notwendig. Ich gab ihm die Rufnummer des bulgarischen Automobilclubs und bat ihn, mir Hilfe herbeizuholen. Der Offizier erklärte sich freundlich bereit, aber es geschah absolut nichts. Wir befanden uns übrigens im Bereich einer Panzerkaserne. Die schweren russischen T34 Panzer kurvten fleißig durchs Gelände. Das machte die ganze Situation noch deprimierender. Wo Panzer kurven, da ist Schatten Mangelware. Die Sonne brannte uns auf den Schädel, ohne dass wir uns dagegen schützen konnten. Kurz nach Mittag erschien ein Polizeiauto. Ich winkte es heran, worauf die Polizisten sofort reagierten. Nachdem sie sich die Bescherung angesehen hatten, versprachen sie uns, dass sie sich um Hilfe bemühen würden. Wir sollten uns keine allzugroßen Sorgen machen. Es war ja gut, dass man etwas Bulgarisch sprach und verstand. Es vergingen Stunden, bis diesmal ein Fahrzeug der [1]KAT aufkreuzte. Hilfe brachten sie aber auch nicht, vielleicht etwas Trost, indem sie uns versicherten, dass sie sich eifrig um einen Mechaniker bemühten, der uns wenigstens behelfsmäßig fahrbereit machen könne. Die Sonne stand schon tief am Himmel, als endlich ein Privatfahrzeug daherkam und bei uns anhielt. Das war also der angekündigte Mechaniker. Er entnahm seinem Kofferraum eine Rolle Draht und lediglich eine Kombizange. Dann forderte er seinen Beifahrer auf weiterzufahren. Wir bockten den Wagen hoch und er ging daran, die Hinterachse mit einer vielfach gewundenen Drahtschleife an die Federbefestigung anzubinden. Als wir den Wagen wieder anließen und starteten, rollten wir tatsächlich, wenn auch vorsichtig, nach Studena hinein. Seine Werkstatt befand sich im Schatten eines weitausladenden Maulbeerbaumes. Hier bockte er unseren Wagen wieder auf, schnitt die soeben angebrachte Drahtschlaufe wieder weg, um nun ein fingerdickes Drahtseil, ein Abspannseil, wie es bei Licht- und Telefonmasten verwendet wird, einzuziehen. Während er im letzten Schatten wurschtelte, unterhielten wir uns mit seinen überfreundlichen Eltern. Liesel hatte den Eindruck, dass sie das meiste von dem, was diese alte Frau von sich gab, im Grunde verstand. Als der Mechaniker meinen Wagen als provisorisch fahrbereit meldete, verlangte er von uns einen lächerlichen Preis für die Reparaturarbeit. Nein, mehr nahm er nicht an. Etwa eine Stunde später, wir waren sehr vorsichtig gefahren, trafen wir bei Mamis Wohnung ein. Hier erfuhren wir, dass sie auch erst vor kurzem mit einem Omnibus eingetroffen sei. Uns hatte dieser Tag so geschafft, dass wir uns sogleich zu unserer Unterkunft auf den Weg machten. Hoffentlich würde ich am nächsten Tag eine Reparaturwerkstatt finden, die mir meinen Wagen wieder flott machen konnte. Am Stadtrand von Sofia, am 'Vierten Kilometer', befand sich eine große Tankstelle mit Reparatur- und Waschbetrieb. Als sie sich mein Problem angeschaut hatten, zuckten sie ratlos die Schultern. Ein Zivilist, der zufällig und interessiert dabeistand, sprach das erlösende Wort: [2]TPK DUNAV. Dieses technische Kombinat müsse mir eigentlich weiterhelfen können. Und wo war das? Haargenau am anderen Ende der Stadt, nicht weit von Mami B.s Wohnung entfernt, wiederum auf der Rakovska. Das große blaue Transparent mit der metallischen Schrift war nicht zu übersehen. Ich fuhr heran und schilderte im Büro meine Probleme. Man stellte sofort einen Mann ab, der mit mir um zwei Häuserecken fuhr, wo wieder groß dieses TPK DUNAV zu lesen stand. Als wir die Werkhalle betraten, sah ich, sauber sortiert, Federstähle allen Kalibers liegen. Der Meister kam und hantierte unter meinem Wagen mit einer Schieblehre herum. Als er wieder hochkam, verriet mir bereits sein bekümmertes Gesicht, daß es noch Federstahlabmessungen gab, die sie hier nicht führten. Wer will es mir verdenken, dass ich jetzt in Panik geriet und laut wurde. Der Meister dagegen behielt die Ruhe und telefonierte. 'Dobré!' Im Corecom hatte man diese Blattfeder, die der Bulgare Reßór nennt, vorrätig. Wo ich den Corecom fände? Ob ich wisse, wo der 'Vierte Kilometer' sei. Natürlich, am anderen Ende der Stadt, in Richtung Plovdiv. Der mir zugeteilte Mechaniker setzte sich zu mir in den Wagen, und wir fuhren zum Corecom. Einer der Verkäufer hatte die Feder bereits zurechtgelegt. Zwanzig Dollar sollte sie kosten. Ich zog freudig und gelassen meine Euroschecks aus der Tasche, als mich der Verkäufer stoppte. Keine Schecks, samo Dolari oder DMark. Aber wo sollte ich die jetzt hernehmen? Er verwies mich an das benachbarte Hotel Pliska. Dort sei eine Wechselstube. Die Dame in der Wechselstube machte mir klar, dass sie mir für einen Euroscheck über hundert DM nur fünfzig Mark in bar auszahlen könne. Als ich sie fragte, ob sie noch richtig im Kopf sei, war sie beleidigt und knallte den Schalter zu. Was jetzt? Zur Nationalbank! Das war zwar nicht schon wieder am entgegengesetzten Ende der Stadt, aber exakt im Zentrum. Wir mussten uns beeilen, da die Zeit herannahte, wo Banken und Behörden schlossen. Als wir bei der Nationalbank vorfuhren, wollte man soeben die großen Eingangstore schließen. Ich ließ mir von einem Polizisten helfen, dem ich einen Autounfall vorflunkerte, dass ich noch in die Bank hereingelassen wurde. Der Wechselschalter war bereits bei der Abrechnung. Mir auf einen Scheck harte Valuta auszuzahlen, das gefiel diesen Herrschaften auch nicht. Man muss wissen, nichts hat im sozialistischen Osten einen berauschenderen Wohlgeruch als unser kapitalistisches Geld. - Also, wozu brauchte ich Valuta und wie viel genau? Ich erklärte mein Problem. Die für mich reservierte Blattfeder koste sechzig Mark. Zwanzig Mark Bargeld besäße ich noch, so dass ich eigentlich nur vierzig DM Bargeld brauche. Man ermunterte mich einen Scheck über hundert Mark auszustellen, und dann wurde gerechnet: Vierzig DM in Valuta und sechzig DM in Leva. Die Umrechnung ging so gehörig daneben, dass ich dies sogar auf den ersten Blick feststellte. Als ich die ansonsten recht nette Dame freundlich bat, das doch noch einmal nachzurechnen, da geriet sie in Panik und fing heftig an zu weinen. Was weiß ich, vielleicht hatte sie eine Verabredung. Aber die hatte ich ja auch. Die Abteilungsleiterin übernahm die Sache selbst, aber nicht ohne die junge Kollegin vorher zu trösten, was ich sehr nett fand. Ihre Rechnung klappte auf Anhieb. Ich bekam mein Geld, in DM und Leva, und ab ging es zurück zum Corecom. Auch da hatte man den Feierabend erreicht. Es war schon gut, dass meine Blattfeder zur Abholung bereitlag, sonst wäre ich nicht mehr bedient worden. Als ich meine Rettung wie ein Messdiener in meinen Kofferraum trug, habe ich dieses nach Öl stinkende Monstrum sogar geküsst. - Und jetzt? Wir setzten uns wieder in den Wagen. Mein Mechaniker würde mir schon sagen, wo es lang ginge. Den dazu notwendigen Wortschatz beherrschte ich perfekt: Geradeaus, das hieß 'pravo', nach links 'levo' und nach rechts 'djasno'. Der Meister war alles in allem sehr zufrieden mit mir. Aber wo wollte er mit mir hin? Sofias Stadtgrenze hatten wir schon hinter uns. In der Ferne erkannte ich den Flugplatz Vrazdebna. Ganz in dieser Nähe war ein großes Gelände, das mich im ersten Augenblick an einen Schrottplatz erinnerte. Sehr viel mehr war das wohl auch nicht. Hier bogen wir ein. Neben dem Fahrgestell eines alten LKW's hielten wir an. Die Fahrerkabine, das war sein Umkleideraum. Als er dort wieder zum Vorschein kam, trug er eine ölige Kombination. Ehe er aber mit der Arbeit begann, schleppte er mich zu seinen Bastelkollegen, die hier ausschlachteten und mit diesen Ersatzteilen andere alte Veteranen reparierten. Ganz stolz klappten sie einige Motorhauben auf, unter denen sich halb Europa versammelt hatte. Der Vergaser stammte aus einem englischen Wagen, die Wasserpumpe hatte Skoda in der Tschechei gebaut, und so etwa ging das weiter. Das waren schon tolle Kerle, die da regelrechte Neukonstruktionen vorführten. Während ich mir das alles staunend anschaute, war mein Mechaniker fleißig dabei, meine Blattfeder zu montieren. Als er seine Arbeit erfolgreich beendet hatte, fuhren wir an eine bescheidene Waschanlage heran. Jetzt sollte der Wagen noch gewaschen werden. Dabei benutzte er reichlich Shampoo, so dass mein Auto eine Weile aussah, als ob es rasiert werden wolle. Helfen durfte ich ihm nicht. Fing ich an einer Ecke an abzutrocknen, spritze er alles wieder nass. Ich gab's auf. Bevor wir die Rückfahrt antraten, fragte er mich, ob er eine LKW-Bremstrommel in meinen Kofferraum laden dürfe. Er wolle sie mit in die Stadt nehmen. Es dämmerte bereits, als wir wieder in der Rakovska anlangten. Dort bei der Werkstatt lud er die Bremstrommel in einen 'Trabbi', der darüber schon etwas in die Knie ging. Was hatte ich zu zahlen? Er wollte von mir kein Geld. Diesen Tag bekäme er von der TPK DUNAV bezahlt. Aber jetzt waren wir doch schon weit in den Abend hinein. Nein, kein Geld. Ich nahm mir einen Zwanzig-Leva-Schein und steckte ihm diesen in die Brusttasche seines karierten Hemdes. Er schaute dabei ganz verschämt weg. Als ich mich dann von ihm verabschieden wollte, war das auch nicht richtig. Nein, er komme mit mir nach Lebed. Was sollte das jetzt wieder heißen? - Also machten wir uns auf den Weg nach Pantscharevo. Meinen Wagen stellte ich auf dem Parkplatz des Campinggeländes ab. Dann gingen wir beide zu dem angrenzenden Gartenrestaurant hinüber, von wo laute Musik ertönte. Eine rauchige Frauenstimme sang Lieder aus den vierziger Jahren. Das war aber auch das einzige, was mir an diesem Gesang gefiel. Als wir an einem der freien Tische Platz genommen hatten, fragte ich meinen Freund, was ich zum Essen bestellen solle. Nein, kein Essen, er möchte nur eine Kleinigkeit trinken. Also bestellte ich eine Flasche Rotwein. Nein, das war auch nicht richtig. Slivova war ihm lieber. Aber um Himmels Willen, jetzt Schnaps in den völlig leeren und knurrenden Magen? Er musste es wissen. Ich für meinen Teil bestellte eine Karaffe Rotwein. Mein Nachbar kippte ein großes Glas Schnaps (100 ml) herunter, als sei es Wasser. Der aufmerksame Ober war bereits unterwegs, Nachschub zu holen. Wenn das nur mal gut ging. Ich selbst konnte nicht einmal den Rotwein im Magen vertragen. Die Magenwände brannten, als seien sie ein einziges Magengeschwür. Aber mein Mechaniker hatte sich auch übernommen. Mit einem Mal kippte er mit seinem Kopf auf den Tisch. Seine Arme baumelten in seinen Hemdsärmeln, als ob sie ihm gar nicht gehörten. Jetzt wurde es doch recht ungemütlich für mich. Was sollte ich mit dem Kerl anstellen? Ich wusste ja nicht einmal wo, in welchem Stadtteil er wohnte. Ich bezahlte eilig meine Rechnung und holte Liesel zur Hilfe. Ihr Blick verriet mir, dass sie mich nicht sonderlich bewunderte. Wir schleiften ihn erst einmal zur Rezeption. Irgendwo mussten wir ihn ja hinschaffen. Die Dame von der Rezeption wurde abends von ihrem Mann mit dem Auto abgeholt. Er war wohl nicht weit von hier als Chemieingenieur in einem Kombinat tätig. Ihm gelang es immerhin, den Namen und die Adresse unserer Schnapsleiche zu ermitteln. Irgendwie musste diese Adresse für eine Mitnahme günstig gelegen haben. Also verfrachteten wir ihn auf einen der Rücksitze, als unser Ingenieur die Heimfahrt antreten wollte. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass er ihn unterwegs doch irgendwo aus dem Wagen geworfen hat, als er ganz gefährlich zu rülpsen begonnen habe. Sich auch noch den Wagen einsauen zu lassen, so weit reichte seine Hilfsbereitschaft nun doch nicht. Mir ging es am folgenden Tag auch sehr schlecht. Ich konnte nichts essen, und das erbrach ich auch noch. Meine Kinder hatten ihren Vater noch nie so jämmerlich daliegen sehen. In der Nacht prasselte ein wolkenbruchartiger Regen auf uns hernieder. Unser Steilwandzelt stand in einer Senke, etwa fünf Schritte vom Flussbett der Iskar entfernt. Als wir hier unser Zelt aufbauten, führte dieses Flüsschen nur wenig Wasser. Es vollendete gewissermaßen eine reizvolle Kulisse, in der wir glaubten, bei aller Bescheidenheit, doch ein schönes Plätzchen gefunden zu haben. Das wurde nun mit einem Mal anders. So, wie das Flussbett der Iskar sich schnell zu einem rauschenden Wasser füllte, drang Regenwasser auch von den Hängen ringsum auf uns ein. Kurzum, Liesel hatte sich, nur mit ihrem Nachthemd bekleidet, den Schanzspaten aus dem Kofferraum unseres Wagens geholt und schaufelte verbissen Wassergräben, während ich mich, erbärmlich schlapp, meinen alkoholischen Nachwehen hingab. Hier in diesem ganz besonderen Falle sah ich mich doch mehr vom Schicksal als vom Alkohol geschlagen. Aber bei wem wollte ich mit dieser Feststellung ankommen? Ich glaube, meine Kinder waren die einzigen, die es zumindest nicht ausschlossen, dass man Mitleid mit mir haben müsse, waren ihnen ja die Nachwirkungen des im Überfluss genossenen Alkohols, Gott sei Dank, noch unbekannt. Ich bleibe dabei, es waren die Umstände, die mich so elend versagen ließen. Ich muss zugeben, Liesel hat mir keine erwähnenswerten Vorwürfe gemacht, aber ihre Redewendung: "Weißt du noch ...", die ärgert mich nach wie vor. Tags darauf erzählten wir dann der Mami B. von meiner 'Niederkunft'. Sie ließ ihrer Schadenfreude freien Lauf. Da soll vor vielen, vielen Jahren einmal etwas ähnliches geschehen sein, wo Papi mir den Kopf gehalten habe. Aber wie gesagt, das war schon sehr lange her. Auf den langen Wegen, kreuz und quer durch Sofia und hinaus nach Vrazdebna, hatte ich meinen Tank so gut wie leer gefahren. Ich musste mir unbedingt eine Tankstelle suchen. An der ersten Petrol-Station, dort, wo sich die Straßen nach Plovdiv oder nach Pantscharevo verzweigten, gab es nur Diesel zu tanken. An den anderen Tanksäulen war ein Karton befestigt, auf dem stand: "NEMA BENSIN". Ich glaube, das brauche ich nicht zu übersetzen. Also auf zum 'Vierten Kilometer'. Hier die gleiche Situation: NEMA BENSIN. Was jetzt? Meine fünf Liter aus dem Ersatzkanister hatte ich schon eingefüllt. Ich hatte inzwischen gelernt, wie man laut klagend und fluchend die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Und so funktionierte das auch jetzt. Ein Bulgare im blauen Overall trat an meinen Wagen und fragte mich, ob mein Sprit noch bis in die Stadtmitte reicht. Ja, das würde ich gewiss noch schaffen. Also stieg er zu mir ein, und auf ging’s, wie gestern bereits ausgiebig geübt, mit levo, pravo und djasno. Kurz hinter der Dondukov bogen wir auf einen Werkshof, wo mir mein freundlicher Beifahrer meinen Ersatzkanister füllen ließ. Nein, kein Geld. Diese fünf Liter Superbenzin übernahm der bulgarische Staat. Aber wo würde ich jetzt meinen Tank füllen können? Ja, das wollte er mir eben erklären. Also: Links auf die uliza Rakovska, dann wieder links die ganze Rakovska hinunter bis zur Patriarch Ewtimij. Dann rechts ab bis zur Skobelev. Wieder rechts bis zum Obelisken an der Tolbuchin, die ich allerdings erst aus einem Kreisverkehr heraus erreichen würde. Die Tolbuchin hinunter bis zum Hospital 'Pirugov', und genau gegenüber sei eine Tankstelle, wo ich unter Garantie Benzin bekommen würde. Das war mir zu kompliziert. Also noch einmal von vorn zum mitschreiben. Ich habe diese Tankstelle auf Anhieb gefunden. Hier gab es Normalbenzin, Superbenzin, Diesel, Gemisch, ganz wie es beliebte. Also volltanken! Während mein Tank sich noch mit Superkraftstoff füllte, meinte mein fixer Tankwart, dass mein Opel eigentlich auch mal wieder eine ordentliche Wagenwäsche vertragen könne. Ich war etwas überrascht, denn so schmutzig war mein Wagen wirklich nicht. Aber da nun mal das Angebot stand, also meinetwegen. Gleich gegenüber sei eine Kneipe. Da könne ich mich derweil aufhalten. - Das war ein Wort! In der Kneipe befand sich zur Rechten eine Theke und auf der anderen Seite eine Reihe quergestellter Tische. Gleich bei der Tür saß eine Gruppe arbeitsfähiger Bulgaren, die an diesem Tage wohl alle krank feierten. Gefeiert wurde auf jeden Fall. Der Tisch war schon eher eine Rotweinpfütze. Ich fragte die lustige Gesellschaft, ob sie noch einen Platz für mich hätten. Da machten sie aber kugelrunde Augen. Ja, mein Gott, wo ich denn herkäme. Deutscher? Ganz genau! DDR? Nein, Adenauer. Na, dann sei ich bei ihnen genau richtig. Nach einer viertel Stunde hatte mir jeder erzählt, wie lange er im sozialistischen Knast gesessen habe. Ich glaube, die Burschen haben mir mächtig einen übergebraten. Aber recht gut angehört hat es sich auf jeden Fall. Auf diese Weise hatten sie natürlich auch jemanden gefunden, der ihnen an diesem Vormittag ihre Zeche bezahlte. Mein Opel war fixfertig gewaschen und gewienert. Was hatte ich zu zahlen? - Zehn Leva! - Dieser Schuft. Dafür konnte man vierzehn Tage lang recht ordentlich in einem ebenso ordentlichen Restaurant zu Mittag essen. Natürlich habe ich diese zehn Leva ohne Murren gezahlt, da ich darüber ja allein schon für fünf Leva klüger geworden war. Da nun aus unserem Rila-Besuch nichts geworden war, machte Mami B. den Vorschlag, Papis Grab auf dem Friedhof einmal aufzusuchen. Also setzten wir dies auch gleich in die Tat um. Man hatte mit dem Auto ein ganzes Stück zu fahren, um dorthin zu finden. Als wir das Friedhofsgelände betraten, merkte ich, dass Liesel verdächtig mit der Nase schnupperte. "Mein Gott, wie riecht das hier so merkwürdig?" "Na, mein Liebes, irgendwann riechst du auch nicht viel anders." Liesel schaute mich etwas schockiert an. Dann konnte sie sich aber auch selbst davon überzeugen, wie man viele dieser Gräber sehr oberflächlich angelegt hatte. Besonders die Gräber, die man unter alten Bäumen ausgehoben hatte, glichen eher Hügelgräbern. Mami B. erklärte uns, dass es gar nicht so einfach sei, durch dieses alte und starke Wurzelwerk durchzugraben, und überhaupt, bei wem wolle man sich da beschweren? In der Friedhofskapelle wurde gerade eine Beerdigung vorbereitet. Der Sarg war offen aufgebahrt. Der Sargdeckel stand aufrecht hinter dem Kopfende des Sarges. Dieser war innen mit Staniolpapier ausgeschlagen. So etwas hatten wir auch noch nicht gesehen. Während sich die Angehörigen allmählich versammelten, erklang von einem Tonband Trauermusik. Bei den Kränzen stand ein etwa 1,50 Meter langer Holzobelisk, der sich nach oben verjüngte und von einem goldenen Stern gekrönt war. Die viereckige Holzsäule war rot gestrichen. Die Personendaten waren mit schwarzer Lackfarbe aufgebracht. In der Spitze, kurz unter dem fünfzackigen Stern, prangten Hammer und Sichel, in Gold natürlich. Da blieben keine Zweifel: Der Dahingeschiedene hatte seine Seele nicht dem lieben Gott anempfohlen; ein riskantes Spiel, wenn man bedenkt, wie allzu vergänglich unsere modernen Götter doch wohl sind. Auf Papis Grab hatte aber ein Kreuz, das Symbol der Christenheit, noch seinen Platz. Wir hatten schöne Blumensträuße und Grablichter gekauft. Hier lag er nun seit einem Jahr unter der Erde, und ich hatte ein Wiedersehen mit ihm unwiederbringlich versäumt. Während ich noch diesen Gedanken nachging, hörte ich Mami neben mir schimpfen. Das möge sich mal einer vorstellen: Seine Familie, mit der sie all die Jahre kaum einen Kontakt gehabt hätten, würde nun Anspruch auf dieses Grab erheben. Jetzt könne es ihr noch passieren, dass sie irgendwann Gott weiß wo in die Erde verscharrt würde. Wie stand es auf dem Grabkreuz zu lesen: Gott schenke ihm Ruhe in Frieden. Den Lebenden war hierzulande vielfach beides nicht vergönnt. "Mami, sei schön friedlich. Er könnt's hören." * Unser Zeltstandplatz war so, dass man sich tagsüber dort nicht aufhalten mochte. Wozu auch. Ich hatte ja meiner Liesel und meinen Kindern noch so vieles zu zeigen. Während ich in der Früh bei den nahen Verkaufsständen alles fürs Frühstück einholte, brachte Liesel das Zelt in Ordnung und ließ den Kaffee durch den Filter laufen. Der Milchmann verkaufte die Milch vor seinem Laden, unmittelbar nachdem der Milchtransporter seine Flaschenmilchkästen abgeladen und aufgestapelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits eine beachtliche Warteschlange gebildet, die sich jedoch stets sehr diszipliniert verhielt. Für diesen geordneten Ablauf sorgte allerdings auch unser temperamentvoller Milchmann. Seine Frau gab die Flaschenmilch aus und nahm das Leergut entgegen. Er selbst saß hinter einem wackeligen Tisch und kassierte. Seine Kassenbox war eine ausgediente Zigarrenkiste. Aber was soll's. Das Geschäft florierte, zumal er ja der einzige Milchmann am Platze war. Und überhaupt, ob er jetzt viel oder wenig in dieser 'Mlekarniza' umsetzte, der Laden gehörte ihm ja nicht. Er und seine Frau bekamen ihr monatliches Gehalt, und damit hatte es sich. Eines morgens gab es dann doch einmal heftiges Gedränge. Der Milchtransporter war noch nicht eingetroffen, obwohl es mindestens schon eine Stunde über die Zeit war. Aber dann kam er doch. Jetzt wollte ein jeder möglichst schnell an seine Milch kommen. Sie alle hätten ja längst an ihrem Arbeitsplatz sein müssen. Aber was hatte unser Milchmann damit zu tun? Wenn ihm die Drängelei zu bunt wurde, keifte er laut durch die Gegend und klappte heftig seine Zigarrenkiste zu. Erst wenn wieder alles schön in der Reihe stand, ließ er den Verkauf wieder anlaufen. Natürlich machte auch die wartende Kundschaft ihrem Ärger Luft, aber was konnten sie damit schon ausrichten. Vielleicht wollte ich mit meinem vorlauten Schnabel die Anwesenden etwas friedlich stimmen, als ich sie, eine Woche vor dem großen Sofioter Jugendfestival, fragte, ob dies jetzt hier das Milch-Festival sei. Eine Bemerkung kann ja so geistlos sein wie sie will, kommt sie zur rechten Zeit, erntet man Beifall und Gelächter. Sogar unser Milchmann nahm mich wohlwollend ins Visier. Aber dann wurde es mir doch etwas ungemütlich. Die kleine Iskar-Brücke, die ich allmorgendlich zum Einkauf passieren musste, wurde von einem Milizoffizier bewacht. Mein Milchladen lag gleich daneben. Jetzt kam dieser Offizier auf mich zu und nahm mich zur Seite. Na, das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Aber ich muß diese Situation doch falsch eingeschätzt haben. "Ich beobachte Sie jetzt schon all die Tage, wenn Sie diese Brücke passieren. Habe ich recht, wenn ich annehme, dass Sie aus Westdeutschland sind?" "Wie kommen Sie darauf?" "Ach, dafür bekommt man mit der Zeit einen Blick." "Dann gratuliere ich Ihnen. Sie haben Recht." "Beantworten Sie mir einmal ganz ehrlich eine Frage?" "Natürlich. Was wollen Sie denn von mir wissen?" "Aber seien Sie ganz ehrlich. - Was glauben Sie, geht es Ihnen in der BRD wesentlich besser als uns hierzulande?" "Oje! Ihre Frage ist wirklich nicht leicht zu beantworten. Wissen Sie, ich bin weder ein Funktionär und erst recht kein Minister. Als einfachem Arbeiter geht es mir, so denke ich doch, sehr viel besser als den Menschen hierzulande." Mir war ja wirklich nicht zu helfen. Das mit dem Milchfestival hätte ja eigentlich schon genügt. Aber ich hatte meinen Milizionär doch richtig eingeschätzt. Er überlegte kurz, dann schmunzelte er und klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter. Wenn ich an den Folgetagen morgens die Brücke passierte, haben wir uns beide, militärisch natürlich, freundlich gegrüßt. Dann hatte ich wieder eine ganz merkwürdige Begegnung, die sich auf längst vergangene Zeiten bezog. Auf dem Parkplatz beobachtete ich einen recht betagten Zivilisten, der sich ständig in der Nähe meines Wagens aufhielt. Der wollte doch irgend etwas. Also fragte ich ihn. "Ja, können oder würden Sie mir Lesestoff aus der BRD für ein, zwei Tage ausleihen?" "Was wäre denn so nach Ihrem Geschmack?" "Der Readers Digest und der Spiegel." "Den Readers Digest können Sie von mir ausgeliehen haben. Der Spiegel gehört nicht zu meinem Lesestoff. Aber jetzt frage ich Sie, wieso Sie sich für deutsche Zeitschriften interessieren?" Dann erzählte er mir, dass er während der Kriegsjahre sein ganzes Haus an die Deutsche Lufthansa vermietet habe. Ein Herr Dr.Hase habe mehrere Jahre mit seiner Familie in seinen Räumen gewohnt. Aber jetzt brachte ich ihn erst recht ans Staunen, als ich ihm erzählte, dass ich in jenen Jahren zeitweilig als Luftwaffenangehöriger drüben in Simeonovo gewohnt habe, in dem ehemaligen amerikanischen Kolleg, das mittlerweile von einer staatlichen Einrichtung genutzt würde, worüber man aber nichts in Erfahrung bringen könne. Ich habe mich sogar etliche Male in seinem Hause aufgehalten. Ob er meine Neugierde verstehen könne, wenn ich diese Räume mal wiedersehen möchte. - Nein, da gab es keine Probleme. Er bekam seine Readers Digest Exemplare, eine komplette Jahresreihe, die er sogar behalten durfte. Dafür ließ ich mir von seiner Frau einen türkischen Kaffee aufbrühen. Die alten Leute überboten sich an Freundlichkeiten. Es war ja doch ein Glück, dass ich für solche Gelegenheiten immer 4711 Echt Kölnisch Wasser zur Hand hatte. Es war darüber doch etwas mehr Zeit vergangen als mir bewusst war. Als ich dann an unserem Zelt erschien, hat mich mein Schätzchen mit deutlicher Geste von der Verlustliste gestrichen. Es war ein Samstag. Den ganzen Nachmittag über hatten wir uns mit Mami B. im Boris-Garten aufgehalten, der ja nun 'Park der Freiheit' genannt wurde. 'Swoboda' und 'Mir', Freiheit und Friede, das sind die hohlklingenden Attribute, denen man in allen kommunistischen Ländern überall begegnet. Ein gewaltiges Ehrenmahl für die im Krieg gefallenen Soldaten und Partisanen beherrschte eine großzügige Grünanlage in diesem Freiheitspark. Das muss man den Bulgaren ja lassen: Was die so an Denkmälern auf die Beine bringen, das lohnt sich schon anzuschauen. Ich will versuchen, dieses Monument zu beschreiben. Ein mächtiger, hoch aufragender Obelisk bildete den Mittelpunkt und war von zwei langgestreckten Wandflächen flankiert. Links und rechts, ganz außen, waren noch zwei Sockel aufgerichtet. Auf dem linken Sockel nahmen ein Soldat und ein Partisan Abschied von der Mutter; der Soldat im wallenden Mantelüberhang, der Partisan, gestiefelt und im Waffenrock, trug eine Kalaschnikow im Riemen geschultert und eine Stielhandgranate im Koppel. Vor die linke Wandfläche war ein Relief mit vielfältigen Abschiedsszenen montiert. Da küssten und umarmten Mütter, Bräute und Kinder die tapferen Männer, die sich anschickten in den Kampf zu ziehen. Am Fuße des Obelisken, unter dem Zeichen des fünfgezackten Sterns, postierten sich ein Partisan mit hoch erhobener Faust und einer Kalaschnikow in seiner Rechten und einer Stielhandgranate im Gürtel. Er schien mir der gleiche Held zu sein, der auf dem linken Sockel Abschied von seiner Mutter nimmt. An seiner Seite eine 'Drugarka', eine Genossin, deren rechte Hand den Lauf einer deutschen Maschinenpistole fest umschließt. Am Tragegurt ihres Brotbeutels hält sie noch eine Eierhandgranate bereit. Das Relief vor der rechten Wandfläche stellt nun dar, worum es hier eigentlich geht. Da wird gestürmt, gekämpft und gestritten. Auf dem rechten Sockel ist dann der Krieg kein Thema mehr. Nachdem der Feind besiegt ist, geht es jetzt mit Elan an den Wiederaufbau. Dieser Partisan hat seine Waffen niedergelegt. Statt dessen führt er einen Hammer in der Hand, während er mit seiner Linken den Hemdsärmel aufkrempelt. Die Drugarka im Hintergrund hat bereits die Sichel für die bevorstehende Ernte in die Hand genommen, und rechts außen, vermutlich der Soldat aus der linken Gruppe, muss wohl schon ein Gelernter, ein 'Spezialist' sein. Mit erhobener Hand scheint er als Architekt oder Vormann seine Anweisungen zu geben. Wesentlich bescheidener, aber immer noch gewaltig, macht sich das russische Ehrenmal auf dem Boulevard Rußki aus. Da schwingt auf hohem Sockel 'Aljoscha', wie ihn die Sofioter nennen, in der Mitte einer Dreiergruppe siegreich seine Kalaschnikow. Die unteren Reliefs haben wir uns nicht mehr angeschaut. Man konnte sich dieses Szenario ja in etwa vorstellen. Momentan war man eifrig dabei, den sich lang dahinziehenden Boulevard Rußki mit Girlanden und Transparenten für das bevorstehende Jugendfestival auszuschmücken. Als wir dann wieder am Monument des Zaren Alexander II ankamen, lachte Mami B. plötzlich hell auf: "Kinder, wo ich jetzt das Denkmal sehe, fällt mir doch gerade ein guter Witz ein.- Da kommt also unser Außenminister die Rußki herunter auf das Denkmal zu. Als Zar Alexander ihn sieht, beugt er sich vom Pferd und sagt: Lieber Ivan Baschev, schau dir die Pracht an, wie schön man jetzt hier den Boulevard schmückt! Und schau jetzt auf mein armes Pferd. Ganz durchgesessen hab ich's in den letzten fünfzig Jahren. Ich mag’s gar nicht mehr anschauen. Jetzt zum Fest solltet ihr mir doch auch ein neues Pferd gönnen. - Ja, weißt du, antwortet der so Angesprochene, so einfach geht das nicht. Aber ich will es schon morgen im Parlament vortragen. Meine Zustimmung hast du auf jeden Fall. - Im Parlament wird darüber gestritten, bis dann der Ministerpräsident Schivkov entscheidet: Schluss für heute. Ich schau mir das Pferd selbst einmal an. Also geht er zusammen mit Ivan Baschev die Rußki hinunter, aufs Denkmal zu. Als Alexander die beiden kommen sieht, beugt er sich wieder vom Pferd: Aber Ivan Baschev, was tust du mir an? Um ein Pferd habe ich dich gebeten. Was soll ich denn mit einem Esel?" Dieser Ivan Baschev hat übrigens hernach nicht mehr lange gelebt. Man fand ihn irgendwo im Witoscha-Gebirge mit gebrochenem Rückgrat. Da er aber auch als ausgezeichneter Alpinist einen Namen hatte, erzählte man sich wieder etwas mit vorgehaltener Hand. Es ging schon auf den Abend. An der Kathedrale hatten wir wieder unseren Wagen abgestellt. Als wir dort eintrafen, vernahmen wir aus dem Kirchenraum herrliche Chorgesänge. Kurz entschlossen haben wir uns unter die Kirchenbesucher gesellt und erlebten noch etwa die zweite Hälfte der Abendliturgie. Für Liesel, die einer orthodoxen Messfeier noch nie beigewohnt hatte, war dies ein überwältigendes Erlebnis. Für unsere Kinder wird es dazu noch etwas mühsam gewesen sein, denn sie mussten diese eineinhalb Stunden bis zum Schluss der Messfeier stehen. Man kennt in diesen Kirchen keine Sitz- und Kniebänke, wie in unseren Gotteshäusern. Am Schluss dieser Messfeier erlebten wir dann folgendes: Der Sofioter Patriarch, der mit großem Gefolge diese Liturgie gefeiert hatte, verteilte am Ende aus einem flachen Korb Brotstücke an die Kirchenbesucher. Diese Brotverteilung kennen auch wir unter dem Begriff 'Agape'. Wenn man das Brot entgegengenommen hat, küsst man den großen Siegelring des Patriarchen, der hier als das Oberhaupt der bulgarisch-orthodoxen Kirche gilt. Unsere beiden Buben hatten wir aufgefordert auf uns zu warten, während wir mit Ursula, die zu dieser Zeit immerhin schon vierzehn Jahre alt und dazu noch recht hübsch anzuschauen war, an dieser Agape teilnahmen. Als wir von der Ikonastase zu Klaus und Günter zurückkehrten, strebte eine alte Frau geradewegs auf unsere Ursula zu, überreichte ihr eine rote Rose und küsste sie auf beide Wangen. Ursula ließ dies völlig verwirrt über sich ergehen. Mami B. erklärte sich diesen Vorgang so, dass es in dieser Zeit völlig ungewöhnlich sei, sich als junger Mensch an solch religiösen Veranstaltungen zu beteiligen. Es käme noch dazu, dass solches Verhalten, zumindest an höheren Lehranstalten, zu einem Schulverweis führen könne. Den folgenden Vormittag nutzte ich, meiner Liesel und den Kindern mein altes 'Jagdrevier' zu zeigen. Für den Mittag hatten wir uns ja wieder mit unserer Mami zum Essen verabredet. Da blieb also nicht allzu viel Zeit. Von der Alexander-Nevski-Kathedrale, wo wir fortan immer unseren Wagen abstellten, drehten wir die Runde über die Rakovska, die Graf Ignatiev bis hin zur Banja-Baschi-Moschee. Ich musste meinem Schätzchen doch zeigen, wo ich als Soldat einmal als Schuhputzer aufgetreten war. Zwischen der Moschee und dem Türkischen Bad hatte man eine wunderschöne Grünanlage geschaffen. Ein mindestens dreißig Meter langes Blumenbeet war nach den Motiven eines bulgarischen Stickmusters angelegt worden. Also hatten sich meine Bulgaren immerhin noch den Sinn für Schönheit bewahrt. Das Königsschloss hatte man zu einem Museum umfunktioniert. Ich mochte gar nicht hinschauen. Diesem geschichtsträchtigen Gebäude gegenüber hatte man die Revolution, genauer den Revolutionär, einbalsamiert und konserviert. Hier befand sich das Mausoleum von Georgi Dimitrov. Jener Dimitrov, der für die Nazijustiz wegen des Reichstagsbrandes kein Unbekannter war. Nicht weit von diesem 'Wallfahrtsort' entfernt befand sich ein gewaltiger Neubau, gekrönt von einem roten Stern, der am Abend weit über die Stadt leuchtete. Mir war nicht erinnerlich, was in den vierziger Jahren an dieser Stelle gestanden hatte. Links von diesem Parteihaus befand sich das neubulgarische Kaufhaus [3]'ZUM', wo man alles bekam, vorausgesetzt, dass es vorrätig war. Zur rechten Hand befand sich das Büro des Bulgarischen Automobilklubs. Das war natürlich eine Adresse, die man kennen musste. Pünktlich um die Mittagszeit holten wir Mami zum Mittagessen ab. Auf der Rakovska hatte sich ein Restaurant aufgetan, das einen recht guten Eindruck machte. Es nannte sich Restaurant Budapest. In diesem Lokal spielte sogar eine ungarische Musikkapelle auf, und der Erste Geiger spielte den Gästen, die er sich ausgesucht hatte, schluchzende Weisen ins Ohr. Natürlich gehörte auch Mami B. zu diesen Auserwählten. Und Mami sang begeistert mit, wobei ich eigentlich erstmals feststellte, dass sie auch gesanglich über eine wunderschöne Stimme verfügte. So wurde die ganze Atmosphäre sehr bald nahezu familiär. Der ungarische Geiger, der ja auch der Jüngste nicht mehr war, machte mit großer Eleganz unserer Mami den Hof. Das Ganze entwickelte sich zu einer regelrechten Gaudi. Unser großer Tisch, in einer Nische platziert, wurde für den Rest unseres Sofioter Aufenthalts zum Stammtisch erklärt. An einem der kleineren Tische saß ein General der NVA, der Nationalen Volksarmee. Er ist und blieb der einzige, den ich je gesehen habe. Ich weiß nicht, ob diese Gaudi auch nach seinem Geschmack war. Jedenfalls hat er unser fröhliches Treiben aufmerksam beobachtet. Tags darauf machten wir mit dem Auto einen Abstecher nach Borovez, dem früheren Tschamkoria. Die bulgarische wie auch die alte türkische Benennung dieses Villenviertels deutet darauf hin, dass sich diese weiträumige Anlage in einem Tannenwald befindet. In den Schilderungen über meine Soldatenzeit in Bulgarien habe ich diesen Ort schon einmal erwähnt. Hier wollte Generaloberst Löhr 1943 einen Stab aufbauen, von dem aus ein Türkeifeldzug seinen Anfang nehmen sollte. Als Teile unserer Russlandarmee im Südkaukasus den Elbrus erreicht hatten, sollte aus der Türkei heraus eine Verbindung in Richtung Alexandria und zum Afrikakorps hergestellt werden. Wenn daraus etwas geworden wäre, wären uns die Türken heute auch böse. Nein, es war schon besser so. Zu Boris Zeiten hatten hier in Borovez Minister und hohe Staatsdiener, erfolgreiche Handelsleute und namhafte Künstler ihre Sommer- und Winterquartiere. Minister und hohe Staatsdiener hatten sich auch jetzt wieder hier angesiedelt. Die Handelsleute zumindest waren hier nicht mehr anzutreffen. Statt dessen hatten sich hier einige Touristenhotels aufgetan. In einem dieser Häuser haben wir an diesem Tage ganz ausgezeichnet zu Mittag gespeist. Wo ich das hier so erzähle, fällt mir doch eine kleine Episode ein. Wir machten nach diesem guten Mittagsmahl einen ausgedehnten Waldspaziergang. Unser Auto wussten wir auf dem Hotelparkplatz bestens bewacht und aufgehoben. Also ließen wir uns Zeit. Der Waldweg, auf dem wir uns befanden, führte letztendlich ins Rila-Gebirge. Da, wo eigentlich kein Autoverkehr mehr zugelassen war, hielt ein weißer 'Wartburg' neben uns an. Der Fahrer drehte die Scheibe herunter und fragte uns etwas herrisch, ob wir ein wenig Deutsch verständen. Der uns so ansprach, war ein recht unsympathischer Festgenosse. Deshalb zeigte ich mich recht wortkarg und fragte ihn, um was es ginge. "Ja, sagen Sie, kommt man auf dieser Straße zum Rila-Kloster?" "Jawohl, auf diesem Waldweg kommt man irgendwann zum Rila-Kloster, aber nicht mit dem Auto." "Verdammt noch 'mal, was ist das denn hier für eine Scheiß-Beschilderung!" "Ja, mein Verehrtester, eine so komplette Beschilderung, wie an unserer Zonengrenze, werden Sie hier in Bulgarien nirgendwo finden." Na, das war's denn. Sein umständliches Wendemanöver ließ vermuten, dass dieser weiße Wartburg noch ziemlich neu war. Diese Begegnung brachte uns natürlich das Rila-Kloster wieder in Erinnerung. Da wollten wir ja auch noch hin. Nach den Erfahrungen unseres ersten Versuches haben wir Mami B. nicht wieder eingeladen. Diesen Ausflug starteten wir also gewissermaßen hinter ihrem Rücken. Wir waren nicht allzu früh weggekommen. Schon ehe wir in Rila eintrafen, sahen wir uns nach einer Kneipe um, wo es wohl auch etwas zu essen gebe. Die Kneipe fanden wir. Zu essen gab es an diesem Tage, oder immer, nur 'Küfteta nervosni'. Das sind kleine Hackbällchen, die aber, was ich bis dahin auch nicht wusste, unheimlich scharf mit Paprika gewürzt sind. Jeder von uns hatte drei dieser Küftetas auf seinem Teller, das waren insgesamt also fünfzehn. Unsere drei Kinder haben einmal gekostet und dann die restliche Portion der Mutti zugeschoben. Ich habe meine Hackbällchen wie heiße Kartoffeln heruntergeschlungen. Liesel hat also zwölf dieser Feuersteine tapfer verzehrt. Es gab auch nichts zu trinken, was den Durst hätte löschen können. Außer Rakia, außer Schnaps also, gab es nur noch Likör, der es aber auch in sich hatte. Bulgaren am Nachbartisch spendierten uns, einschließlich der Kinder, eine Runde dieses Getränks. Für die Kinder war das absolut nichts. Da ich heute noch unwegsames Gelände vor mir hatte, durfte ich sowieso keinen Alkohol zu mir nehmen. Liesel putzte auch den Likör weg. Alle Achtung! Die muntere Herrenrunde am Nebentisch bemühte sich offensichtlich, eine Unterhaltung mit uns zu führen. Wir brachten es auch zu einer befriedigenden Verständigung. Dann trat noch ein Herr in diese Runde und setzte sich mit an den Tisch. Von da an war es mit der etwas mühsam geführten Konversation abrupt zu Ende. Das Rila-Kloster ist nach dem Mönch und Eremiten Ivan von Rila oder Ivan Rilski benannt, der sich im frühen 10.Jhd., kurz nachdem Bulgarien den christlichen Glauben angenommen hatte, hier niederließ. Ivan wurde im Jahre 876 im Dorf Skrino geboren. Um das Jahr 900, nach dem Tode seiner Eltern, zog er meditierend durch die Berge, bis er in die wilde Einsamkeit des Rila-Gebirges kam, wo er zunächst in einer Höhle Unterkunft fand, um hier zwölf Jahre fastend und betend den Weg zu Gott zu suchen. Hirten, die ihn entdeckten, verbreiteten die Kunde von seiner frommen Lebensweise, so daß bald die ersten Pilger die Begegnung mit dem Mönch suchten. Mit der Zeit stießen noch andere Mönche zu ihm, die dann dort, wo sich die Kapelle Sveti Luka befindet, die ersten Klosterbauten errichteten. Die letzten Lebensjahre benutzte Ivan Rilski, um die Lehren seines Mönchtums schriftlich niederzulegen, bis er am 18.August des Jahres 946 starb. Zar Petar ließ die sterbliche Hülle in die Bischofskirche von Sredez, dem heutigen Sofia, überführen. Nach wechselvollen Schicksalen gelangte er später nach Veliko Tarnovo und befindet sich heute wieder im Rila-Kloster. Diese Klosteranlage lässt sich in seiner Schönheit nicht beschreiben. Vergleichbares hat nicht einmal annähernd die Mönchsinsel Athos zu bieten. Das heute älteste Bauwerk dieser Klosteranlage ist der Chreljo-Turm, errichtet im Jahre 1335. Das Kloster ist rundum von hohen Bergen umgeben. Trotzdem liegt es selbst schon in einer Höhe von nahezu 1200 Metern. Die Wandmalereien unter den Außenarkaden der Klosterkirche sind von einer seltenen Farbenpracht. Die goldenen Gloriolen der vielen Heiligen scheinen farbenfrisch, als seien sie aus allerjüngster Zeit. Dabei haben sie trotz Schnee und winterlichem Hochgebirgsklima schon viele Jahrzehnte überstanden. Die Tage in Sofia vergingen viel zu schnell. Nun hieß es Abschied nehmen. Aber Mami wusste, dass wir im nächsten Sommer wiederkommen würden. Im Restaurant 'Budapest' auf der Rakovska hatten wir fürs Abschiedsessen vorsorglich einen Tisch bestellt. Als wir zur Mittagszeit an unseren Tisch geführt wurden, trauten wir unseren Augen kaum. Der ganze Tisch war mit Rosen geschmückt. Nicht, dass da nur Gestecke aufgestellt worden wären. Nein, die blütenweiße Tischdecke war rundum mit zarten Rosengirlanden drapiert. Wir waren aufs höchste verlegen. Mami B. fand dies allerdings für angemessen, jedenfalls, so weit das ihre Person betraf. Sie war die letzten Tage quirlig wie in alten Zeiten. Der Ober machte wohl ein etwas enttäuschtes Gesicht, als wir für uns alle nichts weiter als Mußaká bestellten, Mußaká, weil dies in früheren Zeiten mein Leibgericht war. So bescheiden wir bei der Wahl der Speisen waren, so anspruchsvoll zeigten wir uns bei der Auswahl des ungarischen Weines. Bei diesem Dekorationsaufwand war das ja wohl unvermeidlich. Ich werde nicht vergessen, was der alte Ober zu uns sagte, als wir uns bis zum nächsten Jahr verabschiedeten: "Im nächsten Jahr werde ich nicht mehr hier sein." "Gehen Sie etwa in Pension?" "Wenn Sie es so nennen wollen. Aber in unserem heutigen Bulgarien kann man nur arbeiten oder sterben. Von der Pension kann kein Mensch leben." Dies sagte er laut und deutlich durchs Lokal. Na, was hätte unser NVA-General der letzten Tage dazu gesagt? Mußaká ist übrigens ein
bulgarisches Auflaufgericht, bestehend aus Hackfleisch vom Rind oder Kalb
und Kartoffelscheiben, denen man auch Auberginen zugeben kann. Das
Hackfleisch, mit fein gehacktem Zwiebel, zerriebenen Bohnenkraut und ganz zum Schluss mit etwas Petersilie
vorbraten. Die Kartoffeln werden getrennt angebraten, bez. gedünstet.
Hernach werden Fleisch und Kartoffeln so in eine Auflaufform gegeben, dass man
zuunterst mit Kartoffeln beginnt und obenauf auch wieder mit Kartoffeln
abschließt. Darüber kommt dann noch eine Lage Tomatenscheiben
Das ganze wird etwa eine halbe Stunde im Backofen geschmort. Ganz zum Schluss
wird eine Bechamel-Soße darüber gegossen, die man eben stocken
lässt. Gewürzt wird nur mit Salz, Paprikapulver (der
schönen Farbe wegen) und schwarzem Pfeffer. Damit wäre auch dieses Geheimnis gelüftet. Mami B. haben wir zurück in die '11.August' gebracht. Wir verabschiedeten uns in ihrer Wohnung. Warum sollte man uns dabei zuschauen. Mami wusste, dass wir übers Jahr wieder auf der Matte ständen. Trotzdem blieben die Tränen nicht aus. Besonders Ursula weinte, wie wir das noch nie erlebt hatten. Und Klaus? - Er schenkte seiner neuen, wunderbaren Oma, sein Transistorradio und seinen noch sozusagen neuen Daunenschlafsack als Zudecke für ihr erbärmliches Nachtlager. Günter, zu jener Zeit noch arg besitzlos, hatte nichts zu verschenken, außer seiner Sympathie und Bewunderung für diese großartige neue ‘Oma’. Jetzt wurde es aber auch allerhöchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machten. Wir wollten an diesem Tage noch bis Cuprija, das waren noch 50 km über Alexinac hinaus. Insgesamt also etwa 250 km. Und jetzt hatten wir schon frühen Nachmittag. Unser Vorteil war, dass wir nun an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze die Uhren wieder eine Stunde zurückstellen konnten. So gewann man Zeit. Die Grenzabfertigung an der bulgarischen Grenze hatte natürlich wieder Ostblockniveau. Sehr wichtig war wohl, dass man die Umtauschbelege der Wechselstuben dabei hatte. Wenn es um Devisen ging, verstanden die hier alle keinen Spaß. Nachdem man sich dann auch noch den Inhalt des Kofferraums angeschaut hatte, erhielten wir die Pässe zurück, in denen inzwischen der Ausreisestempel angebracht war. Jugoslawischerseits wollte man von uns überhaupt nichts. Pass am Fenster hinaus, Einreisestempel, Pass zurück und weiter ging’s. Im Motel von Cuprija war so gut wie nichts los. Diese Absteige ist aber auch eine recht unscheinbare Angelegenheit. Wer hier Quartier macht, hat unter Garantie die Absicht, die naheliegenden Klöster Ravanica und Manasija aufzusuchen. Mit dieser Vermutung lag man bei uns auch genau richtig. Es wurde allmählich dunkel, als wir an der Rezeption erschienen. Der Motelverwalter war ein junger, kleinwüchsiger Mann, der uns überaus freundlich empfing. Ein junger Bursche stand schon in den Startlöchern, um unser Gepäck aufs Zimmer zu bringen. Was unser Sturmgepäck betraf, war das nicht viel. Liesel richtete zusammen mit Ursula auf den Zimmern gleich alles für die Nacht, während Klaus und Günter die Bedienungsanleitung einer überaus überflüssigen Musikbox im Gästeraum studierten. Zum Glück taten sich da Probleme auf, so dass es noch für eine Weile ruhig blieb. Immer wenn ich meinen Fahrdienst hinter mich gebracht hatte, drängte es mich zu einem Slivoviz. Nun ja, wenn man schon einmal da unten war. Also machte ich die Getränkebestellung: Für mich Slivoviz und Bier, beides kalt, wenn's geht, Zitrone Natur, Coca-Cola und Mineralwasser auf Abruf. Alles kein Problem. Und da oben, die schöne, runde Flasche mit Slivoviz, die möchte ich kaufen, als Reiseproviant. "Verraten Sie mir aber jetzt einmal, wo Sie unsere serbokroatische Sprache gelernt haben." "Sie schmeicheln mir mein Lieber." "Wollen Sie es mir nicht verraten?" "Mein Gott, warum denn nicht. Ich war zwischen 1945 und Ende 1948 hier bei Euch eingesperrt. Und das fand ich gar nicht gut. Deshalb möchte ich auch nicht viel darüber reden. Können Sie mir das wenigstens nachempfinden?" "Darf ich fragen, wo Sie gefangengehalten wurden?" "Ich hatte Zeit genug, mir mehrere Eurer Lager anzuschauen. Das strapaziöseste war jedenfalls das Zuchthaus Sremska Mitrovica. Das war wirklich ein Knast mit vier Sternen." "Aber ich bitte Sie, und da können Sie noch so locker drüber reden?" "Sie wollten es doch wissen, oder? - Und wie ist das jetzt mit dieser schönen runden Flasche da oben auf dem Regal." "Diese Flasche verkaufe ich Ihnen nicht. Wie viel Liter wollen Sie denn haben?" "Na, wenn Sie mich so fragen, fangen wir gleich bei fünf Liter an. Ich will ja auch zu Hause noch weiterleben." "Den Jungen, der eben Ihr Gepäck nach oben gebracht hat, den werde ich heute Abend noch in den Ort schicken. Da wird er die fünf Liter Slivoviz für Sie einkaufen. So bekommen Sie ihn für den halben Preis." "Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mir sehr sympathisch sind?" "Lassen Sie es dabei. Ich schäme mich dafür, dass man Ihnen dies damals angetan hat." An jenem Abend haben wir gespeist, wie kaum einmal zuvor. Ich war mir sicher, dass der Chef der Küche besondere Anweisungen gegeben hatte. Als wir am nächsten Morgen an unser Auto kamen, war es frisch gewaschen und gewienert. Jetzt übertrieben sie es aber. Der junge Bursche grinste, als ich ihn fragte, ob er schon so fleißig gewesen sei. Nun ja, dafür hatte man ja seine Dinare, um so etwas zu regulieren. Aber verlangt hat er nichts. Eigentlich sollte man ja dieses Motel Cuprija an alle ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, die hierzulande eingesessen haben, weiterempfehlen. Aber das würde wohl für den braven Motelverwalter das Ende seiner bescheidenen Laufbahn bedeuten. Also lassen wir's. Wir haben es tatsächlich geschafft, schon um acht Uhr in der Früh loszufahren. Bis zu unserem ersten Ziel waren es nur zehn Kilometer: Das Kloster Ravanica. Das in den jugoslawischen Volksliedern am meisten besungene Morava-Kloster, wurde 1381, von Zar Lasar gestiftet, erbaut. Acht Jahre später, 1389, wurden die sterblichen Überreste des Zaren Lasar, der in der Schlacht auf dem Amselfeld gefallen war, nach Ravanica gebracht. Heute befinden sie sich in der Patriarchenkirche in Belgrad. Die fünfkuppelige Himmelfahrtskirche hat zahlreiche Flachreliefs aus Stein, Terrakottaverzierungen und außerordentlich schöne Ornamente. Unter den Fresken sind besonders die Porträts des Fürsten Lasar und seiner Gemahlin, der Fürstin Milica, und der 'Einzug in Jerusalem' erwähnenswert. An einem kleinen Kiosk haben wir uns Dias von einigen Freskenmalereien gekauft und auch eine kleine Broschüre, mit der wir uns dann zu Hause noch beschäftigen wollten. Nach einer weiteren Fahrtstunde erreichten wir bei dem Dorf Despotovac das Festungskloster Manasija. Die heute mit ihren elf Türmen noch sehr gut erhaltene Festungsanlage ist eine Stiftung des Despoten Stefan Lasarovic und wurde zwischen 1407 und '18 erbaut. In dem von gewaltigen Wehrtürmen umgebenen Kloster war die berühmte Morava-Schule untergebracht. Die Fresken im Inneren der Klosterkirche gehören zu den schönsten aller Klöster an der Morava. Wir sind mit den Kindern auf einen dieser Türme gestiegen und hatten von hier einen weiten Blick über das Land. Ein Bauer, der zu unseren Füßen mit Pferd und Pflug sein Feld bestellte, sah aus wie ein kleines Spielzeuggespann. Allzu lange aufhalten durften wir uns auch hier nicht, denn wir hatten noch einen weiten Weg vor uns. Aber die Exkursion hatte sich gelohnt. Um die Mittagszeit wollten wir eigentlich in Belgrad sein, aber da waren wir wohl doch etwas zu optimistisch. Statt dessen haben wir uns am Nachmittag mit Kaffee und Kuchen begnügt, nachdem wir uns vorher noch die alte Festung Kalemegdan angeschaut hatten. Es herrschte um diese Zeit wieder eine Hitze, die kaum auszuhalten war. Dieses Kaffee-Restaurant am Opernplatz, dem 'Platz der Republik', war nach dem Kriege genau an der Stelle errichtet worden, wo ich mich während der Straßenkämpfe im Oktober 1944 eine ganze Woche lang mit Russen, Mongolen und Tito-Partisanen herumgeschlagen hatte. Irgendwie hatte ich jetzt den Eindruck, dass mir damals die Entfernungen, zum Opernhaus etwa, oder an dessen Ecke zur 'Franzusca', von wo aus uns all die Tage eine russische Pak attackierte, dass mir diese Entfernungen damals viel weiter vorgekommen waren. Ich glaube, die Angst bewirkt mitunter im Bewusstsein des Bedrängten wohltuende optische Sinnestäuschungen. Immerhin war es für mich eine interessante Erfahrung zu sehen, was an der Stelle unseres großen Zitterns nach dem Kriege entstanden war. Etwa auf der Höhe von Zupanja mussten wir eine Tankstelle anfahren. So entdeckten wir das dahinterliegende Motel eigentlich nur durch Zufall. Die Unterkünfte waren in einem nichtssagenden Zweckbau untergebracht. Das Restaurant wirkte da schon wesentlich einladender. Nicht nur das Restaurant, erst recht die Speisekarte. Und alles, was auf ihr angeboten wurde, gab es auch tatsächlich: Wildspezialitäten vom Reh, vom Hirsch und von der wilden Sau, Wildschweinkeule mit feiner Rahmsoße, Kartoffel-Kroketten und Preiselbeer-Birnen, na, das war doch genau das, was wir immer irgendwo einmal essen wollten. Diese Ankündigung hörte sich nicht nur sehr gut an, das servierte Wildgericht war auch von ganz ausgezeichneter Qualität. Dieses Urteil hat mein Schätzchen ausgesprochen, die eine Försterstochter ist. Uns Unkundigen hat es immerhin ganz hervorragend gemundet. Zu diesem Motel gehörte auch eine Campinganlage. Auf ihr befanden sich Miethäuschen, die in großen, strohbedachten Fässern untergebracht waren. Wir haben sie uns angeschaut und fanden sie, auch was die Innenausstattung betraf, originell und pieksauber. Hier würden wir ganz sicher auf irgendeiner späteren Tour einmal übernachten. Jetzt hatten wir nun einmal in diesem tristen Bettensilo gebucht. Dabei wollten wir es für die eine Nacht auch belassen. Unsere schlechte Erinnerung an dieses Motel: Schnaken, unvorstellbar viele Schnaken. Das hatte natürlich seinen Grund. Dieses Motel lag direkt an dem Flüßchen Spašva und nannte sich deshalb auch so. Die Spašva wirkte wie ein still ruhender See. Die Wasseroberfläche war überwiegend mit grünen Wasserpflanzen oder vom Laub der Uferbäume bedeckt. Das Wasser bewegte sich träge unter dieser grünen Abdeckung. Na, wenn es da keine Schnaken gegeben hätte, wäre mit dem Wasser etwas nicht in Ordnung. Natürlich wussten wir uns gegen diese Schnakenplage zu wehren. Die Chemie machte es möglich. Beim Anblick dieses Wasserlaufs kamen mir natürlich gleich recht trübe Erinnerungen in den Sinn. 1945 musste ich über einen ähnlichen Flusslauf, es war die Bošut, als Kriegsgefangener eine Eisenbahnbrücke bauen. Die Schnakenplage, mit der wir uns damals dort auseinander zu setzen hatten, hatte zur Folge, dass ich Jahre später eine ‘Malaria tertiana’ mit nach Hause brachte. An meinem Arbeitsplatz bei der Kölner Firma 4711 habe ich in den Folgejahren noch zwei Malariaanfälle bekommen. Der Betriebsarzt und nicht zuletzt mein Schätzchen werden wohl ihr Möglichstes dazu beigetragen haben, dass es einen dritten Anfall nicht mehr gegeben hat. Weiter ging’s. Für den nächsten Tag hatten wir einen Abstecher in die Ortschaften zwischen Auto-Put und Donau geplant, da, wo ich auf dem Rückzug der Jahre 1944/45 nicht minder haarsträubende Erlebnisse hatte. Wir haben uns schon zeitig in der Früh auf den Weg gemacht, denn noch wussten wir sehr wenig; wussten nicht wo und was wir vorfinden würden und hatten auch keine Vorstellung von dem Zustand der Straßen, wenn man sie als solche bezeichnen durfte. Unser Vorhaben hatte also wieder einmal eindeutigen Expeditionscharakter. Erste Zielvorstellung war der Ort Lovas. Merkwürdigerweise war er auf keiner Karte ausgewiesen. Hatten die Russen etwa dieses Dorf damals total flachgelegt? Existierte dieses Lovas also gar nicht mehr? Na, wir würden sehen. Auf dem Weg über Nijemci nach Orolik überquerten wir zweimal das Flüsschen Bošut. Dieser Name war mir noch sehr vertraut, musste ich doch 1945 zwischen Vinkovci und Privlaka als Kriegsgefangener eine Eisenbahnbrücke über dieses Flüsschen bauen helfen. Aber da wollten wir ja auch noch hin. Die Wege, auf denen wir uns in Richtung Lovas voranbewegten, konnte man nicht als Straßen bezeichnen. Das waren unbefestigte Wirtschaftswege, auf die sich vielleicht noch nie ein Auto verirrt hatte. Aber wir wollten ja nach Lovas. Unsere Wege waren wegen der tiefen Radspuren, die von den schmalen Wagenrädern der Pferdewagen herrührten, kaum befahrbar. Zudem stand in diesen Fahrspuren Regenwasser, so dass man nicht einmal feststellen konnte, wie tief sie waren. Ich habe mir die rechte Fahrspur zwischen die Räder genommen und bin gewissermaßen auf Stelzen gefahren. Es hätte mir nichts entgegenkommen dürfen. Eigentlich war auch kaum damit zu rechnen. Es gab dieses Lovas tatsächlich noch. Aber nach 23 Jahren war da für mich nichts mehr wiederzuerkennen. Unter dem Ortsschild stehend, erklärte ich meiner Frau und meinen Kindern, dass ich hier im April des Jahres 1945, in einer Heereseinheit, die überwiegend aus Zuchthäuslern bestand, meine letzten Siegeshoffnungen in den Wind geschrieben habe. Weiter ging’s nach Vinkovci. Dieses Mal aber nicht zu Fuß, und Angst hatte ich nur noch um mein schönes Auto. Aber das hat’s auch überlebt. In Vinkovci haben wir zuerst den Kirchplatz angefahren. Links davon befand sich hinter einem großen Tor das Stadtgefängnis. Was ich dort 1945 so erlebte, kann man in meinen Erzählungen nachlesen, die ich mit ‘Pik Bube’ überschrieben habe. Pik Bube, das ist der ‘Schwarze Peter’, wie sich auch das Kartenspiel nennt. Wer während des Spiels auf diesem Pik Buben sitzen bleibt, hat die Partie verloren. Genau so habe ich mich damals gefühlt. Am Ortsausgang befindet sich ein ehemaliges Silo für Frachtgüter der Eisenbahn. In diesem Schuppen habe ich das Kriegsende, die deutsche Kapitulation also, erlebt. Während sich die Tito-Partisanen damals die allergrößte Mühe gaben, uns zu versichern, dass Hitler nun ‘kapuut’ sei, unternahm der Ortspfarrer wohl etwas Sinnvolleres, indem er eine regelrechte Prozession zu unserem Silo auf den Weg brachte, um uns mit den Lebensmittelspenden der Ortsbewohner zu zeigen, dass auch für uns die Welt noch nicht untergegangen war. An Privlaka sind wir nur vorbeigefahren. Eigentlich schade, denn hier hätte ich ganz sicher so einiges wiedergefunden. Die Zeit drängte. Irgendwann später einmal wollten wir uns hier etwas genauer umsehen und auch nach der Eisenbahnbrücke schauen, die wir damals gebaut haben. Sie war zwar nicht so monströs wie die ‘Brücke am Kwai’, aber von der Holzkonstruktion her ihr sehr ähnlich. Wir sind nie wieder nach Privlaka gekommen. Dieses Privlaka lässt sich übrigens ins Deutsche übersetzen. Da hieße das ‘Vor der Eisenbahn’. Wir sind zurück zur Auto-Put und haben uns in das Motel ‘Slavonski Brod’ einquartiert. Auch hierzu gäbe es ja wieder mancherlei zu erzählen; zum Beispiel, dass ich mir hier damals im Lazarett eine neue Brille besorgen konnte. Als ich dann hernach zu meiner Einheit nach Vinkovci zurück wollte, erfuhr ich, dass meine Nachrichtenkameraden alle durch einen Artillerievolltreffer ums Leben gekommen waren. Seit dieser Zeit bin ich meinem Schicksal dankbar, dass es mich mit einer verkrümmten Hornhaut ins feindliche Leben entlassen hat. Am nächsten Morgen ging es schon wieder zeitig auf die Marterstrecke, die sich so heimtückisch 'Auto-Put' nennt, weil es am Ende nicht selten Auto-kaputt bedeutet. Von Slavonski Brod sind wir wieder ein kurzes Stück zurück, um dann gleich nach links abzubiegen, über Podvinje, in bekanntes, aber immer noch recht unwegsames Gelände. In Ruševo kannte man uns ja inzwischen. Man freute sich allenthalben über unser Erscheinen. Für die gute Mariza, die damals für eine würdige Bestattung der getöteten Soldaten gesorgt hatte, brachten wir Geschenke mit: warme Sachen für den Winter und natürlich Kaffee. Der Dorfbewohner, dem ich im Jahr zuvor die Schafschermesser besorgt hatte, wollte uns wieder über Nacht dort behalten, aber diesmal ließen wir uns nicht mehr becircen. Dafür war mir die treusorgende Oma, die mich die ganze Nacht über immer wieder mit jenem gewaltigen Plumeau zudeckte, noch in zu wacher Erinnerung. Übernachten wollten wir wieder in Bregana, wo es uns auf der Hinfahrt so gut gefallen hatte. Auch erinnerten wir uns an ein Restaurant, welches wir im Ort entdeckt hatten. Es nannte sich 'Zur schwarzen Sau'. Das ließ wieder auf Wildspezialitäten schließen, und so war es denn auch. Wo dies nun unsere letzte warme Mahlzeit in Jugoslawien sein würde, waren wir nicht knauserig. Unser nächstes Tagesziel war dann schon Lienz in Österreich. Ja, tags darauf ging’s dann zurück nach Köln. Dann waren auch noch unsere drei Großen und Rolf in Den Helder abzuholen. Das war hin und zurück noch eine anstrengende Fahrt. Na, jedenfalls hatten wir diesmal ein tadelloses Auto. In Den Helder fanden wir ein munteres Völkchen vor. Auch ihnen hatte es in den vergangenen Wochen ausgezeichnet gefallen. Bis zum nächsten Jahr wollte unser Bernd aber den Führerschein machen. Dann würden wir den nächsten Balkantrip allesamt mit zwei Wagen unternehmen. Wir freuten uns jetzt schon darauf. ** |