Dämmerstunde
von Patrizia Bendel
E-Mail
Der eigentümliche Reiz
dieser Zeitspanne zwischen Tag und Nacht begleitet mich seit meiner Kindheit.
Klirrender Frost zauberte Eisblumen an unsere Fenster. Im alten Küchenherd
mühte sich das Feuer beharrlich, Wärme in den Raum abzugeben. Auf dem
Herd summte das Wasser im blank geputzten
Schiff, und unter der leicht gerußten Decke trockneten an
Schnüren hutzlige Apfelringe.
Oben auf dem altertümlichen
Küchenschrank lag unsere Katze, unbewusst auf Distanz bedacht. Für
Fremde musste dieser Platz ungewöhnlich erscheinen, und von uns wagte es
niemand, ihn ihr streitig zu machen. Sie war schon alt und hatte sich einige,
von uns nie angetastete, Gewohnheitsrechte erstritten. Mit meiner
Großmutter verstand sie sich ohne Worte. Beide verbreiteten Behaglichkeit,
die Katze durch ihr sanftes Schnurren und meine Oma durch ihre bloße
Anwesenheit.
Waren wir als Kinder krank und glühten im Fieber, hatte sie
kühle Hände und erfrischenden Himbeersaft. In meiner Erinnerung am
tiefsten eingegraben hat sich die eigentümliche Stimmung in der
Adventszeit. Wenn verstohlen der Duft frisch gebackener Plätzchen durch
die Räume zog, wenn im Ofen Tannenzweige knisternd verbrannten und ihren
harzigen Geruch verströmten, wenn am selbst gebundenen Adventskranz die
Kerzen angezündet wurden und sich draußen die Dunkelheit
unaufhaltsam ausbreitete, dann kam die schönste Stunde des Tages.
Die
Arbeiten waren beendet und wir erlagen, immer wieder aufs Neue, dem Zauber
dieser Stunde, der Stunde unserer Oma. Wir aßen mit Begeisterung etwas zu
dunkel geratene Plätzchen, hörten gespannt ihren
Kindheitserinnerungen zu oder sangen mit Inbrunst: “Schneeflöckchen
- Weißröckchen” bis sich der Himmel erbarmte und zarte Flocken
herab rieseln ließ.
Vergeblich habe ich in
späteren Jahren versucht, diesen Zauber wieder zu finden, ihm noch einmal
zu erliegen. Er war unwiederbringlich vorbei. Unsere Zeit ist nicht
ausgerichtet auf Gefühle, sondern auf Ehrgeiz und Geld. Von beiden hatte
meine Oma nur das Nötigste...
Wenn ich heute die
Möglichkeit habe, mich in der Vorweihnachtszeit zurückzuziehen und
bei Kerzenschein dem schwinden Licht nachzuschauen, sehe ich sie manchmal auf
ihrem Samtsofa sitzen und unsere Katze streicheln, und dann streift mich wie
ein Hauch:
“Der Zauber
einer Dämmerstunde.”