Reise in die Batschka Zur Kirchweih 1988 nach
Batschki Brestovac von Koloman
Stumpfögger E-Mail: kns.rv@t-online.de Meinem Landsmann Diplom
Ingenieur Franz Wesinger, Olching verdanke ich eine besondere Wiederbegegnung.
Im Sommer reiste ich nach Jugoslawien und Ungarn, - 'nach Hause'. Diese Reise
war gewissermaßen eine Wallfahrt zur Kirchweihe in mein Heimatdorf, in
die Südbatschka, ehemals Ungarn, jetzt ein Gebiet in der 'autonomen
Vojvodina' Jugoslawiens. Darüber später noch Näheres. Seit der Rückkehr von
der Kirchweihe bin ich mit meinen Gedanken oft zu Hause. Ich denke an die
Begegnungen mit den Freunden, und beim Zeitunglesen werde ich - wie seit
längerem jedermann - auf die Ereignisse dort hingelenkt: In Jugoslawien
habe ich etwas von der beängstigenden Atmosphäre in der Vojvodina und
im Kosovo verspürt. Otto von Habsburg erinnerte in einem Artikel in der
'Deutschen Tagespost' an das 'Pulverfaß Europas', das die Gebiete in der
Nachbarschaft des Kosovo vor dem Beginn des 1. Weltkrieges schon einmal waren.
Eine Demonstration der Serben war eben in Novi Sad - nur 70 km von zu Hause
entfernt - zu Ende gegangen. Und in Ungarn waren die bewegenden Tagesthemen
überall die Willkür des Diktators Ceausescus, das Schleifen von 8.000
deutschen Dörfern in Rumänien, sowie die Not der ungarischen und
deutschen Flüchtlinge im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet.
Jüngst las ich in der "Schwäbischen Zeitung" ein Interview
mit Ceausescu in Ceausescu-Sprachregelung: Er zerstöre keine Dörfer
sondern gründe agroindustrielle Zentren. Und es gäbe in Rumänien
keine Diskriminierung nach (völkischer) Herkunft. Eine Unverfrorenheit
sondersgleichen! |
Und auch sonst: Wie wenig
Verständnis finde ich in den Medien und in der Öffentlichkeit hierzulande!
Der Publizist Johannes Gross meinte in einer Diskussion über die
ansteigende Zahl von Aussiedlern in eine Frage verkleidet sagen zu müssen:
"Hat wohl jemand an ein Heimkehrrecht der Nachkommen ehemaliger deutscher
Aussiedler in Friedrichsburg im US-Bundesstaat Texas oder Blumenau in Brasilien
gedacht?"
Welch herzloser Zynismus! Und Oskar Lafontaine,
Ministerpräsident des Saarlandes spricht von
"Deutschtümelei": Welch böser Zungenschlag! Welche
entlarvende Ungebildetheit!
Welch geistlose Unwissenheit! |
Die Geschichtsforschung
weiß, wie die Alliierten nach dem 1. Weltkrieg mit Deutschland und mit
der Donaumonarchie verfuhren - also auch mit meinem Heimatgebiet, der Batschka.
Die Donaumonarchie wurde 1919 zerstückelt. Aus ihren Brocken wurden neue
Staaten zusammengefügt, Jugoslawien zum Beispiel aus Serbien, Kroatien,
Slowenien, Bosnien, Makedonien, Montenegro, dem Kosovo und der Herzegowina. Mit
der Batschka wurde so verfahren: Die nördliche Batschka beließ man
bei Ungarn, also ist sie auch jetzt wie eh und je ungarisch. Verwirrend ist die
jüngste Geschichte der südlichen Batschka; in ihr liegt mein
Heimatort Batschki Brestovac (sprich: Batschki Brestowatz) = Bács
Bresztovácz = Szilberek (=Ulmenau). Bis 1919 gehörte sie zu
Ungarn, danach bis zum Balkanfeldzug 1941 zu Jugoslawien, dann bis Oktober 1944
wieder zu Ungarn. Im vorletzten Kriegsjahr des 2. Weltkrieges war sie Front-,
danach russisches Besatzungsgebiet und geriet schließlich unter die
Herrschaft der Tito-Partisanen. Nun gehört sie seit Kriegsende 1945 also
abermals zu Jugoslawien ("Titoslawien"). "Titoslawien". -
Wird die verblassende Autorität des verstorbenen Tito den
Vielvölkerstaat zusammenhalten können?. Wenn ich gefragt werde:
"Woher stammst Du?", stelle ich das folgendermaßen klar:
"Aus Ungarn." Dafür habe ich gute Gründe. Der
unbedeutendste ist der, daß alle meine persönlichen Urkunden in der
ungarischen Zeit ausgefertigt wurden. Gewichtig ist: Meine Großmutter
väterlicherseits, war eine geborene Perky, Ungarin also. Und die
bedeutsamsten Jahre meiner Jugend erlebte ich in der ungarischen Zeit. Die
Batschka gehörte zu Ungarn, als ich 1944 freiwillig als Gebirgsjäger
zur Deutschen Wehrmacht nach Klagenfurt einrückte; - mit meiner
Überzeugung hätte ich niemals in der SS und auch nicht bei der
ungarischen Honvéd dienen wollen. Direkt von der Schulbank weg,
aus der 7. Klasse des Szt. István Gymnasiums in Kalocsa,
führte der Weg in die Jägerkaserne zu den 139-ern. Auf dieser Reise habe ich es
erneut erfahren: Wie eng ist doch der ungarische Kulturkreis mit unserem
mitteleuropäischen verwoben! - Nicht nur durch die gemeinsame
Vergangenheit des 'Königlichen und Kaiserlichen Österreich-Ungarn',
der habsburgischen K.u.K. Donaumonarchie. Dieser bin ich verbunden. Ravensburg
war zeitweilig vorderösterreichisch. Fühle ich mich deshalb hier
besonders wohl, weil sich auch Geist und Lebensart ähneln? Hier lebe ich
seit 1969 und habe das Bildungszentrum St. Konrad mitaufgebaut. Es ist eine
katholische, private Einrichtung vom Kindergarten bis einschließlich
Gymnasium; der juristische Träger ist ein Elternverein. Ich war bis zur
Pensionierung (1984) Rektor der Grund- und Hauptschule mit 900 Schülern
und 54 Lehrern. Die Arbeit hat mir viel Freude bereitet. Vom Auf und Ab meiner
pädagogischen Laufbahn möchte ich hier freilich nicht erzählen. Jetzt daher zurück aus
der Geschichte zur Kirchweihe. In Brestovac wurde die Kirche, ein Bauwerk in
behäbigem Siedlerbarock, gründlich instandgesetzt. Nur die Turmhaube
konnte - trotz Spenden aus Deutschland - nicht neu aufgesetzt werden. Der Blitz
hat diese Zierde zerstört, vorläufig schützt ein bescheidenes
Spitzdach den Turm vor Witterungsschäden. Initiator und Motor der
Renovierung war der bereits genannte Diplomingenieur Franz Wesinger, Olching
bei München, ein Landsmann aus einer Maurer- und Baumeisterdynastie
unseres Dorfes. Wir feierten eine
Pontifikalmesse und nahmen so die Kirche erneut in ihren
bestimmungsgemäßen Gebrauch. Ich traf nach über vierzig Jahren
in Deutschland lebende Landsleute, die ebenso wie ich zur Kirchweihe nach
Brestovac gepilgert waren, darunter meinen Landsmann und Priesterfreund Pauli
Martin. Ich erlebte ökumenischen Geist in besonderer Weise: Der serbische
orthodoxe Protopop Radovan samt seiner Gemeinde nahm am katholischen
Festgottesdienst teil. Wieviel Gewichtiges gäbe es noch zu erzählen! Von ehemals 4.500
katholischen deutschen Brestovacern leben im Dorf heute nur noch zwei. Sie
selbst nannten sich Schwaben und wurden von ihren andersvölkischen
Nachbarn ebenso genannt. Neben seinerzeit 1.000 orthodoxen Serben - also
Einheimischen - wurden 1945 hierher von Tito über 2.000 serbische
"Kolonisten" aus den Bergwelt der Krajina, aus der Lika, umgesiedelt.
Insgesamt ist Brestovac heute von etwa 3.500 Serben und einigen wenigen Kroaten
bewohnt. Wo war unser Friedhof? Hier
hinter dem Maisfeld? Oder eher dort bei der Akazienwildnis? Ich fand noch
nichteinmal die Spur der Friedhofumzäunung und keinen einzigen Grabstein
der einstmals weiten Gräberfelder. Wie ich erst später hörte,
soll es verboten sein, nach dem geschleiften Friedhof zu suchen und ihn zu
betreten. Ehemals reihten sich unzählige Maulbeerbäume, auch Akazien-
und Nußbäume in Doppelalleen in den langen, schnurgeraden in der
Hofkammer in Wien auf dem Reißbrett entworfenen Straßen aneinander.
Die Blätter der Maulbeere waren das einzige Futter der Seidenraupe, die
unabdingbare Voraussetzung also für die Seidenraupenzucht. Kein einziger
Maulbeerbaum steht mehr! Fremde junge Bäume wachsen jetzt daher -
Obstbäume. Da waren die Felder, wo auf endlosen Flächen Hanf zur
Fasergewinnung für vielerlei Zwecke reifte; es müßte danach
riechen. Das Werg, ein Abfallerzeugnis des Hanfes, ist weltweit auch heute noch
immer ein unersetzliches Abdichtungsmittel an Fugenstellen von Wasserleitungsrohren.
Jeder Flaschner führt es bei sich mit. Doch wird das 'weiße Gold'
der Batschka überhaupt noch angebaut? Wenn ja, dann wo? Oder fehlen in den
Kolchosen die Kenntnisse und die Energie für den anspruchsvollen
Hanfanbau? Alle drei Artesiebrunnen, die von Mesner-bácsi, dem frommen
Juden, "dem Nathan dem Weisen von Brestovac" errichtet worden waren,
sind dem Erdboden gleichgemacht. Nach dem Willen 'Nathans' schütteten die
Handpumpen damals gesundes, weiches Wasser für alle Dorfbewohner, gleich
ob Deutsche oder Serben, die davon haben wollten. Und erstmals waren Nikolaus,
mein ältester Sohn und Margarete, eine meiner fünf Töchter, und
ihr Mann Marc mit mir zu Hause. Meinen Geburtsort kannten sie bisher nur aus
Erzählungen. Auf der Rückfahrt wählte ich einen Reiseweg, der über Budapest führte.
Seit 1944 habe ich erstmals wieder ungarischen
Boden betreten. Nach dem Krieg wollte ich 1967 nach Ungarn. Mir war - trotz
gültigem Visum - in Hegyeshalom die Einreise verweigert worden. Warum? War
ich ihnen früher als Gymnasiast zu deutsch und zu katholisch? - Hatten sie
etwa eine schwarze Liste unerwünschter Personen; stand ich deswegen darin?
- Oder war es wegen meines Priesterschwagers, der mitreiste? Denn zeitweilig
ließen die Grenzer keine Pfarrer nach Ungarn einreisen. Danach wollte ich
eigentlich nie mehr nach Ungarn, so bestürzt war ich. Aber dort leben gute
Freunde. Wahrlich, diesmal konnte ich
die Grenzkontrolle in Tompa passieren. Kannst Du Dir denken, was ich da
fühlte? Zuerst habe ich den Geburtsort meiner Großmutter, Baja am
östlichen Donauufer, aufgesucht. Hier sind meine Mutter und meine
Schwester im Oktober 1944 mit dem Flüchtlingstreck auf der Flucht vor dem
herannahenden russischen Heer und den Partisanenhorden durchgezogen, um weiter
nördlich die noch unzerstörte Donaubrücke in
Dunaföldvár gen Westen nach Transdanubien zu passieren. In
Baja habe ich meinen guten Studienfreund Müller Paul (alias Paul Kornauer)
aus Kernei getroffen. Ein Jahr davor bin ich ihm viel zu kurz am Grab unseres
Freundes Norbert Amann begegnet. Und jetzt nach 44 Jahren, seit wir damals
voneinandergerissen wurden, hatten wir uns viel, sehr viel zu erzählen.
Wir knüpften an die guten Tage unserer Jugendzeit und Freundschaft im
Paulinum zu Subotica (Mariatheresiopel) an. Bald aber sprachen wir über die
Leidenszeiten, als wir am serbischen Gymnasium verächtlich 'schwaba!'
genannt wurden. Am ungarischen Gymniasium mußten wir uns die Beschimpfung
'büdös sváb' gefallen lassen. Und wenn wir in den
Ferien in unsere schwäbischen Heimatdörfer nach Hause kamen,
verleumdeten, be-schimpften und bedrohten uns Kulturbundler als
Volksverräter, denn sie nannten uns die "Schwarzen" und somit
waren wir von ihnen verfehmt. Natürlich lasen wir nicht ihre
nationalsozialistische "Die Wespe". Unser Sprachrohr war der katholische
"Jugendruf". - Selbst eine lange Nacht reichte nicht aus, auch nur
einen Teil der wichtigsten Begebenheiten seit damals auszutauschen. Ich
möchte meinen Freund bald wiedersehen dürfen. Auch von neueren Büchern
über die Batschka sprachen wir. Eines wurde von Pauls Kerneier
Landsmännin Müller-Wlossak über die Leidenszeit der Deutschen in
jugoslawischen Todeslagern und Gefängnissen der Nachkriegszeit
geschrieben. Ein anderes ist ein graphischer Zyklus von Sebastian Leicht und
zeigt die Batschka so, wie ich sie immer - selbst mit geschlossenen Augen -
gesehen und eben wieder von neuem erfahren habe. Was mich tags darauf
überraschte, war dies: eine knapp über zwanzig Jahre junge Frau
jährige grüßte die ältere Dame des Hauses mit
"Küß die Hand"! Und dem Maler auf dem Gerüst an der
Donaufassade des Hotels wurde ein Gutenmorgengruß zugerufen, dabei wurde
er mit "Herr" und seinem Namen angeredet. Mir fuhr blitzartig die
Frage in den Sinn: "Was hör ich da? Wo bin ich denn?" Und die
Antwort dazu stellte sich augenblicklich ein: "Doch nicht in einem
kommunistischen Land! Sonst müßte der Zuruf doch heißen
"Genosse Soundso". Die 45 Jahre Diktatur haben die Menschen dieses
Landes Gottseidank nicht umzukrempeln vermocht! Natürlich konnte ich jetzt
nicht ahnen, daß Ungarn schon ein knappes Jahr später wieder ein
freies Land sein würde. Hatten nicht sowjetische Panzer das Streben nach
Freiheit, das sich das ungarische Volk 1956 mit Waffengewalt erkämpfen
wollte, in wenigen Tagen zunichte gemacht? Aus Baja fuhr ich in meinen
ehemaligen Studienort Kalocsa. Dort begegnete ich im erzbischöflichen
Palais ebenfalls einem Studienfreund, Monsignore Dombay Ernö; inzwischen
ist er erzbischöflicher Sekretär. Wie ein Bruder wurde ich von ihm
empfangen. Er führte mich durch die Gemächer des Palais, dabei erfuhr
ich viel aus der Geschichte dieser bedeut-samen Erzdiözese Kalocsa, meiner
Heimatdiözese, manches was ich vergessen hatte, und manches, was ich nicht
gewußt hatte. Und natürlich kam auch die Situation der Diözese
und der Kirche in der Gegenwart zur Sprache. Die Zweitschriften aller
Kirchenbücher von Brestovac sind dort im Archiv erhalten. Wenige Tage zuvor war ein
neuerrichtetes Denkmal des Heiligen König Stefan, Szt.
István király, auf dem Platz vor dem Palais
enthüllt worden. Mein Gymnasium heißt immer noch Szt.
István Gimnázium - trotz der politischen
Verhältnisse und dem sozialistischen, volks"demokratischen"
Regierungssystem. Richtig. Die staatlichen Behörden interessieren sich
lebhaft für geschichtliche Werte. Ihre geschäftige Aufmerksamkeit
gilt freilich nicht dem Geist, aus dem heraus Bauwerke, Gedenkstätten oder
Denkmäler geschaffen wurden, sie gilt nur der kulturellen Bedeutsamkeit,
der musealen Denkmalpflege. Davon geben aufwendige Bronzetafeln Zeugnis: am
Dom, an Kirchen, an der ehemaligen Theologischen Hochschule, am Kleinen
Seminar, am Jesuitenkolleg, am Szt. István
Gimnázium und sonstwo. Nur noch die Stationen der
Rückreise will ich erwähnen: Budapest, Györ, Wien, Salzburg -
und dann genug von der Fahrt! Das Grab mit den sieben Stumpfögger-Kreuzen
in der Nähe des Domes auf dem Friedhof bei St. Peter in Salzburg ist die
Ruhestätte meiner Vorfahren. Daran wollte ich selbstverständlich
nicht vorbeifahren. Ich suchte es zu einem Gebet und kurzen Gedenken auf. Schon
einige Zeit bin ich von der Kirchweihe zurück, mit meinen Gedanken aber
bin ich oft zu Hause. Ich denke an vertraute Orte, an die Begegnungen mit
Freunden, an das weite Land: Ich möchte es bald wiedersehen. KNS - Für einen Studienfreund aus Baden-Württemberg,
(veröffentlicht im "Donautal Magazin" Nummer 47, Jahrgang 13,
vom 1. April 1989) schrieb ich diesen Bericht von meiner Reise vom 18. - 27.
August 1988 in die Batschka. Erstfassung als Brief: Ravensburg, den 26. Oktober
1988, zum Zeitungsbericht umgestaltet am 6. Januar 1989. |