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                          Der erste Whiskey.

                         "..... the damned war is over .... for youÉ.." - Nur ein Kriegserlebnis.

Morgens um halb fünf wurden sie geweckt. "Ist doch noch dunkel draußen ...". Irgendetwas Wichtiges sollte erkundet werden. "Wer hat sich denn das ausgedacht?" Erst mal rein in die Klamotten. "Wo sind meine Stiefel, verdammt?" In der Wachstube brannte Licht. Da lag eine Armbanduhr. Er griff nach ihr, nahm sie im Vorübergehen mit, einfach so. Schließlich würden sie ja in ein paar Stunden wieder zurück sein. Halt - der Stahlhelm - nur nicht vergessen. Draußen dann Befehlsempfang. Sie sollten Patrouille gehen und hatten keine Ahnung, wie das ablaufen sollte. Dann wurde abgezählt - ja, es stimmte - sie waren acht und zogen los.

Thüringen. Zwischen Gotha und Erfurt. Nasskalt. Es nieselte. Ihre Sturmgewehre 44 hatten sie ein paar Tage vorher aus den Holzkisten ausgepackt. Neu, noch in ölpapier eingewickelt. Sie sahen aus, als wenn sie einfach aus Blech gestanzt waren. Ausprobiert hatten sie sie am Vortag durch Zielen auf alte Schuhe.  Sie hatten sie an die kahlen äste der Bäume einer Obstplantage gehängt. Dann hatten sie angelegt, gezielt und hier und da auch getroffen. Einfach so. Sie mussten sich ja erst mal dran gewöhnen. Witzchen hatten sie gemacht und gelacht. Aber sie waren froh, daß sie ihre alten, schweren Karabiner 98 K hatten abgeben können.

Im ersten Dorf schien bis auf einige Hähne noch alles zu schlafen. Langsam wurde es hell. In dem zweiten Dorf hingen überall weiße Laken, Handtücher und Unterröcke aus den Fenstern. Man hatte gehört, die Amerikaner kämen. Da wollte man doch möglichst gleich sagen, dass kein Widerstand zu erwarten sei. Auf einem Hof hackte jemand Holz. Sie fragten, wo denn hier der Bürgermeister zu finden sei. "Ich bin«s selbst," meinte der Mann. Noch im Unterhemd, die rutschenden Hosenträger immer wieder hochziehend. Nackte, behaarte Arme hatte er. "Guten Morgen". Was sollten sie auch anderes sagen. Einer meinte: "Wir sollen sie erschießen" – "Warum?" – "Weil da überall das weiße Zeug hängen raushängt". Er haute die Axt in den Hackklotz, wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase, steckte die Hände in die Hosentaschen und sah sie der Reihe nach an. "Na, denn mal los". Sie schauten sich an, waren erstaunt - und wußten auf einmal nicht, was sie machen sollten.

Ja, klar, so lautete ihr Befehl: >Wenn in einem Dorf weiße Tücher hängen, sofort den Bürgermeister erschießen.< Wie sollten sie es nur anstellen? Einfach einen holzhackenden Dorf-Bürgermeister erschießen? Befehl ist Befehl. Aber hier und jetzt? Irgendwie einigten sie sich mit ihm darauf, dass einer von ihnen den alten Mann zum Befehlsstand zurückbegleiten sollte. Sie blinzelten sich gegenseitig zu. Vielleicht verständigten sich die beiden dann unterwegs, der Weg war lang. Außerdem war ihnen kalt. Irgendwann später habe sie es dann erfahren, dass der Bürgermeister bei einem der Dorfbewohner dem jungen Soldaten Zivilkleider und einen Strohsack in seiner Scheune gegeben hatte.

Dann ging«s weiter. Plötzlich hörten sie einen Flieger. Vielleicht war es schon zehn Uhr oder später. Der Vormittag war trübe, bedeckt, feucht. Dann sahen sie ihn auch. Ein amerikanischer Aufklärer. Er flog so niedrig, dass sie den Piloten sehen konnten. Der beugte sich sogar aus der Kabine. Sie standen einfach da und blickten nach oben. An ihre neuen Sturmgewehre dachten sie nicht. Die hatten sie umgehängt und sahen dem Flieger nach. Keiner von ihnen dachte seltsamerweise daran, die Dinger auszuprobieren.

Sie marschierten weiter. Und erzählten. Von dem gerade Erlebten. Und lachten wohl auch über die "lahme Ente". So nannte man die ratternden amerikanischen Aufklärer. Sahen aus wie die "Fieseler Störche". Dann kamen sie auf eine kleine Anhöhe. Der begleitende Unteroffizier meinte, sie sollten wohl besser kriechen, um festzustellen, was von dort oben zu sehen sei. Als sie oben waren, sahen sie Zelte, Jeeps, Panzer und sehr viele Amerikaner. Ein geschäftiges Hin und Her. Auch Feldküchen dampften dort schon. Sie krochen durch den nassen Acker wieder zurück. Kaum in der Talsohle angekommen, standen sie auf und klopften sich den Dreck aus der Uniform. Mehr sollten sie ja eigentlich nicht. Nur feststellen, ob und wie viel Amerikaner dort waren. Froh, dies nun gesehen zu haben, freuten sie sich auf einen warmen Kaffee. Also zurück.

Kaum waren sie ein paar hundert Meter weg, hörten sie Panzerketten.  Und dann wurde auch auf sie geschossen: Dort auf der Anhöhe, von wo sie gerade gekommen waren, stand ein Panzer, ein Sherman. Wuchtig und drohend - und schiessend. So schnell hatten sie ohne Befehl noch nie gelegen. Sie lagen im Dreck, Gesicht zum Panzer, Stahlhelm verrutscht. Die Hände in die Erde verkrampft. Dann kamen die Gedanken an Zuhause, Schweiß brach aus und auch die Angst, dazu Herzklopfen. Während rechts und links die Garben des schweren Maschinengewehrs kleine Fontänen aufwarfen. Dann das Schielen nach den Seiten. Schon wieder verrutschte der Helm. Scheiße. Sie waren mit acht Mann losgezogen. Einer blieb beim Bürgermeister. Was machen die anderen? Ein Moment war Ruhe. Wie um alles in der Welt konnte Stille so schrecklich sein? Einer von Ihnen fand den Mut. Er stand auf - hob die Hände. Noch wurde nicht wieder geschossen. Vielleicht dachte der eine oder andere von ihnen "Auch aufstehen?" Vielleicht war der Gedanke sogar beruhigend. Dann stand noch einer auf. Zitterte. Klopfte sich den Dreck von der Uniform und rückte den Stahlhelm wieder zurecht, hob die Hände. Jetzt standen sie alle.

Auf der Anhöhe stieg ein Ami aus dem Panzer. Er sah irgendwie unwirklich aus. Uniform, rotes Cowboy-Halstuch, Panzerhelm mit Belüftungs-Löchern drin, Lederhandschuhe, Pistole mehr hinten als an der Seite. Sie sahen zum ersten Mal "einen Feind". Aber der grinste und winkte. Plötzlich jedoch schwenkte das Rohr des Maschinengewehres wieder. Der Panzer begann erneut zu schießen. Jetzt gingen sie nicht mehr, sie rannten auf den schiessenden Sherman zu. Immer die Hände in die Höhe haltend. Fast stolpernd.

Aber jetzt meinte der Panzer offensichtlich nicht die sechs, die mit erhobenen Händen, hechelnd wie Hunde, auf den Panzer zustürzten. Sie hatten nicht bemerkt, daß einer von ihnen zurücklaufen wollte. Der Panzer fuhr rasselnd an. Immer dieses Kettengeklirr. Das Geräusch würde wohl niemand von ihnen vergessen. Holte den Laufenden ein. Wieder stieg einer der Amis aus, brüllte laut irgend etwas wie "...crauts..." und "....you damned fucked ...." und vieles mehr. Er war wütend. Schlug den Deutschen, ohrfeigte ihn, gab ihm Fußtritte und jagte ihn zu den übrigen zurück. Der Panzer hinterher. Währenddessen standen die anderen betroffen da, keine Waffen mehr, auch ihre Stahlhelme mußten sie wegwerfen. Und das Lederzeug. Die Amerikaner machten ihnen klar, dass sie durch den Aufklärer von ihnen wussten. Und genau wieviel sie waren. Sie lachten, als sie hörten, daß man ihren Nah-Aufklärer "lahme Ente" nannte. Und sie sagten, dass sie alle hätten "abknallen" können. Sie waren ja auch lebende Schießscheiben gewesen. Und weil sie absichtlich dazwischen und nicht direkt gezielt, sie geschont hatten, hatten sie ihren Zorn auf den, der zurück wollte, auf ihre Weise abgelassen. Die Deutschen standen betreten da, atmeten aber doch auf - sie lebten noch. Was wollte der "Ausreißer" eigentlich? Sie fragten ihn. Er wollte zurück. Meldung machen von ihrer Gefangenschaft. Sie schüttelten den Kopf, nannten ihn "Idiot". Hatte er doch sie alle gefährdet.

Jetzt standen die GIs um sie herum. Einer hatte die Armbanduhr entdeckt. Es war eine Fliegeruhr aus der Wachstube. Er riss sie dem Deutschen vom Arm, betrachtete sie, staunte. "Sorry, ... butÉ
", er machte eine Pause und meinte dann "I need this watch, I like it". Der Arm blutete. Er stieg in den Panzer, brachte Verbandszeug. "Because I hav«nt - look here...". Und er zeigte seinen leeren Arm. Grinste verlegen. Band sich dann die Uhr um. Betrachtete sie, sichtlich stolz. Dann kletterte wieder in den Panzer, brachte eine Feldflasche und ein paar Blechnäpfe. Auch die anderen GIs kamen. Es waren vier. Sahen aus wie eine Mischung aus Cowboys und Südstaatler, wie Abenteurer. Mit ihren seltsamen Panzerhelmen, die große Löcher hatten. Einer goss ein. Die Deutschen standen da, tranken und mussten husten. Es war Whiskey. Ungewohnt neu, und stark. Er lief heiß ihre trockenen Kehlen herunter. Ihr Schulenglisch half ihnen nur wenig weiter. Die Amis lachten, sahen sie an und machten Witze über die verschmutzten Uniformen. Ihr ärger schien völlig verflogen. "Ihr habt«s gut, für euch ist die Krieg-Scheiße aus, wir müssen weitermachen". Das hatten sie verstanden: "...for you", sie zeigten auf die Deutschen "... this war-shit is over .... ".

Es war der siebente April 1945. Alle waren sie Offiziersanwärter, in ein paar Wochen wären sie Leutnants gewesen. Sie waren nur erst 18 Jahre alt, der Unteroffizier 21. Und die amerikanischen Soldaten? Eben noch hatten sie auf >die Feinde< geschossen, jetzt standen sie da und tranken Whiskey miteinander. Wie er schmeckte - es war für die jungen Deutschen der erste Whiskey ihres Lebens - wie er damals schmeckte haben sie sicher vergessen. Aber erinnert haben sie sich sicher noch lange. An den Whiskey, aber auch an einen amerikanischen
Sherman-Panzer und seine Besatzung. Einer von den Deutschen wird wohl eine Narbe am linken Handgelenk behalten haben.



 

 


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