Georg von Signau, alias G. Segessenmann
Der gestohlene Stern. Ein WeihnachtsmärchenKaspar, Melchior und Balthasar waren schon seit Tagen auf der mühsamen Reise zum Christkind. Eines der Kamele war schwer beladen mit Gold, Weihrauch und Myrrhe, das zweite mit Datteln und Fladenbroten und das dritte mit Wasser. Jeden Tag, den sie dem goldenen Stern folgten, dachten die drei Könige, aber auch die drei Kamele, es möge doch heute der letzte Tag der Reise sein und sie würden endlich das Christkind in der Krippe im Stall zu Bethlehem finden. Aber jeden Abend, wenn die Sonne anfing hinter den vielen Sandhügeln zu verschwinden, machte der Stern einen kleinen Rundflug über ihnen, um einen geeigneten Platz zum Schlafen für die drei Menschen mit ihren Tieren zu finden, und stand dann mucksmäuschenstill über der gefundenen Stelle. Aber nicht nur die drei Könige sahen den goldenen Stern am Himmel. Auch ein Räuber, der die Sandwüste seit Jahren unsicher machte, sah ihn und es gelüstete ihn, das goldene Prachtstück vom Himmel herunter zu holen um es auf dem Basar für teures Geld dem Meistbietenden zu verkaufen. Aber wie er auch studierte, es fiel ihm kein tauglicher Plan ein. So schlich er denn auf seinem Esel drei Tage hinter den drei Königen her. Er dachte, irgendeinmal würde der Stern gewiss müde vom ewigen Schweben und würde vom Himmel herunterkommen, um sich im warmen Sande auszuruhen. Aber der Stern tat ihm diesen Gefallen nicht. Einmal kam die kleine Karawane an eine Oase, wo eine lustige Schar Kinder sich damit vergnügte, ihre aus Ziegenleder gebauten Drachen im Wind fliegen zu lassen. Da kam dem Räuber eine Idee: Er wartete auf die Nacht, schlich sich in die Oase und stahl einen der grössten Drachen vom Dache einer Lehmhütte, wo ihn eines der Kinder zum Trocknen hingelegt hatte, weil er ihm beim Spielen in den kleinen See gefallen war. Dann befestigte der Räuber einen Korb so unter dem Drachen, dass die offene Stelle nach unten zeigte. Am nächsten Tag folgte der Räuber wieder den Heiligen Drei Königen. Als sie Mittagsrast machten und dabei einschliefen, liess der Räuber den Drachen steigen und ihn genau über dem goldenen Stern so fallen, dass dieser im Korb gefangen war. Schnell zog der Räuber den Drachen herunter, steckte den Stern in einen Schlauch aus Ziegenhaut und begab sich auf den langen Marsch zum Markt. Als die Könige erwachten, schauten sie wie gewohnt zum Himmel um ihren Führer zu begrüssen. Aber kein Stern war mehr am Himmel zu sehen. Da wurden die Könige sehr traurig und setzten sich weinend um ein Lagerfeuer um zu beraten. Endlich kam einer auf die Idee, man müsse halt im Kreise herum zu suchen beginnen, denn es könnte ja sein, dass der Stern heruntergefallen sei und sich verletzt habe. So suchten sie denn in immer grösseren Kreisen die Wüste ab. Endlich sahen sie eine goldene Sternschnuppe. Sie wussten sofort, dass diese nur von ihrem Stern abgefallen sein könne. Nun sahen sie auch die Spur, die der Räuber mit seinem Esel hinterlassen hatte und folgten ihm in aller Eile, denn die Spur führte nicht nach Bethlehem, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Endlich sahen sie in der Ferne eine Gestalt auf einem Esel, die diesen mit einem dicken Stecken zu grösster Eile antrieb. Aber ihre Kamele waren viel schneller als der Esel. Als sie den Räuber beinahe eingeholt hatten, verteilten sie sich: Kaspar zog nach links, Melchior nach rechts und Balthasar folgte der Spur weiter. Als der Räuber sah, dass er links und rechts von den Königen überholt wurde, trieb er den Esel noch schneller an. Aber Kaspar und Melchior ritten immer enger und alle drei kreisten den Räuber ein. Dieser sah, dass er verloren hatte. Er tat zuers,t als ob er ein friedlicher Händler sei, der seine Waren im Sack zum Markt bringe. Aber die drei Könige sahen ein kurzes Stücklein vom goldenen Schweif aus dem Sack hängen. Sie zogen ihre Schwerter und drohten, sie würden den Räuber blau und grün schlagen, wenn er nicht augenblicklich ihrem Stern die Freiheit wiedergebe. Der Räuber hatte keine andere Wahl als zu gehorchen. Er öffnete den Sack und der Stern flog in einer Spirale hinauf zum Himmel, wo er vor lauter Freude einen Lufttanz machte. Die drei Könige aber wussten, dass sie bereits genug Zeit verloren hatten und verzichteten nach kurzer Beratung, den Räuber zu bestrafen. In aller Eile machten sie sich daran, ihren Weg nach Bethlehem wieder zu finden. Sie kamen eben in dem Moment dort an, als die Engelschöre ihr "Halleluja" zu singen begannen. Dezember 1996, Georg von Signau, alias G. Segessenmann |