Die HasenfalleEine Tierfabel für Kinder und solche, die es gerne noch wären. Georg Segessenmann(autorseges@yetnet.ch) "Hoppeldipoppel, hoppeldipoppel, heut' geh' ich durch den Wald im Galoppel, Galoppel!" So tönte es lustig durch den Forst. Der lustige Sänger war ein eben der Mutterbrust entwöhnter, kleiner Hase. Er durfte heute zum ersten Mal ganz allein durch den Wald hoppeln, weil seine Mutter im Sinne hatte, das alte, ausgefranste Nest wieder einmal in Ordnung zu bringen. Und dabei hätte sie der kleine Hoppel nur gestört mit seiner ewigen Fragerei über die Waldbewohner, die Gräser, die Bäume und den Wind. "Hoppeldipoppel, hoppeldi...hei, was soll denn das....?" Mitten in seinem Singen hörte Hoppel abrubt auf, weil nämlich der weiche Waldboden plötzlich unter seinen Pfoten nachgab und er in eine tiefe Grube stürzte. Mit ihm fielen dürre Äste und Gräser hinunter. Unsanft schlug Hoppel unten auf. Der Kopf und die Beine schmerzten ihn. Benommen blieb er ganz erstarrt liegen. Dieses starre Daliegen hatte ihm seine Mutter beigebracht. In einer Gefahr, hatte sie ihn gelehrt, gibt es nur zwei Sachen, die es zu tun gibt: entweder sich tot stellen, oder wie der Wirbelwind davon sausen. Aber Mutter hatte ihm leider nicht beigebracht, was zu tun sei, wenn man in eine tiefe Grube fällt, aus der man aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt. Aber wie hätte sie ihm auch einen Rat geben können, wenn sie selber in ihrem Leben gar noch nie in eine solche Situation gekommen war? Da lag also unser Hoppel. Die Augen hatte er ganz fest geschlossen, wie es ihn Mutter gelehrt hatte. Langsam getraute er sich, sie zu öffnen. Zuerst blinzelte er nur. Aber plötzlich riss er sie vor Schreck auf, als er sah, in welch misslicher Lage er sich befand. Vorsichtig begann er seine Beine zu strecken, um zu sehen, ob sie wohl noch alle heil geblieben waren. Gottlob, sie hatten weiter keinen Schaden davogetragen, als dass sie ihn ein wenig schmerzten. Er schaute sich um. Nichts als dunkle, braune Erdmauern waren zu sehen. Er schaute nach oben und sah durch die Äste der Bäume den blauen Himmel. Verzweiflung drückte ihm fast sein kleines Herzchen ab. Er begann zu wimmern. Immer lauter. Dann schrie er so laut er konnte nach Mutter. Aber diese hörte natürlich nichts, denn sie war viel zu weit entfernt. Hingegen hörte ihn ein anderes Waldwesen. Es war ein grosser, brauner, zottiger, alter Bär, der sich in der Nähe unter einer riesigen Eiche zum Schlafen hingelegt hatte. Nun spitzte er seine ausgefransten Wuschelohren. Hatte da nicht jemand geschrien? Er wurde munter. War ihm vielleicht endlich wieder ein kleines Waldtier in die Falle gegangen? Er stand auf, reckte und streckte sich. Dann gähnte er so laut, dass die Vögel, die in den Bäumen nach Futter suchten, erschrocken davonflatterten. Dann schüttelte er seinen zottigen Pelz und machte sich gemächlich auf die Pfoten. Als er zum Rand der Grube kam, guckte er neugierig hinunter. Seine Augen mussten sich zuerst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann aber sah er das kleine Häschen und er musste laut lachen. Das war doch ein allerliebstes Spielzeugchen, das ihm da in seine Falle gefallen war. Als er sich von seinem Lachen erholt hatte, fragte er scheinheilig: "Ja was machst denn du da unten, du niedliches, kleines Wuschelchen?" "Ich bin in die Grube gefallen", tönte es ganz zittrig von unten herauf. "Kannst du mir bitte heraus helfen, bitte, bitte?" Der Bär lachte dröhnend. Dann sagte er hinterhältig: "Natürlich kann ich dir heraushelfen. Ich habe dir ja schliesslich auch hineingeholfen, haha. Aber dann bist du mein Spielzeug ein paar Wochen lang, bis du mir verleidet bist. Du musst nämlich wissen, dass ich diese Grube gegraben habe, nur mit dem einzigen Grund, dass mir hin und wieder so ein kleines Tierchen wie du hineinfällt, damit ich etwas zum Spielen habe. Das Leben ist ja sonst sooo langweilig." Zu Tode erschrocken blickte Hoppel in die Augen des alten Bären, welche sich mit den letzten Worten immer mehr zu bösen Schlitzen verwandelt hatten. Wenn ihm doch nur jemand zu Hilfe käme, dachte er. Aber, wer hätte es denn schon mit dem grimmigen, alten Zottelbären im Wald aufnehmen können? Sicher hatten alle anderen kleinen Tiere genau so viel Angst wie der kleine Hoppel. "Bitte, bitte lieber Herr Bär", versuchte es der kleine Hase nochmals. "Meine Mutter wartet auf mich und wenn ich mich verpäte, dass gibt sie mir ein paar hinter meine Löffel. Ich muss sofort heim zu meiner Mutter. Bitte, bitte." "Nichts da," erwiderte der Bär. "Ich gehe jetzt nur schnell die Leiter holen, die ich meinem Bruder ausgeliehen habe. In einer Stunde bin ich wieder zurück. Dann hole ich dich zwar heraus. Aber nicht bevor ich dir ein hübsches, kleines Halsband angelegt habe, damit du mir nicht entwischen kannst. Also, bis dann!" Der Bär entfernte sich schwerfällig. Als Hoppel ihn nicht mehr schnauben hörte, begann er lauter als vorher um Hilfe zu schreien. Als er schon ganz heiser war, sah er plötzlich eine spitze Schnauze am Grubenrand. "He, was machst du denn für einen Lärm?", fragte die Schnauze, die sich dann als zu einem Dachs gehörend entpuppte. "Bist du etwa hinunter gefallen?" "Ja, das bin ich", antwortete Hoppel weinend. "Der Bär hat diese Falle gegraben und er will mich als Spielzeug an eine lange Leine legen, damit ich ihm nicht entwischen kann." "Soso, so hat sich der Herr Bär das also ausgedacht." Der Dachs brummte etwas vor sich hin, das Hoppel nicht verstand. "Jaja, man hört da so allerlei böses von dem alten Griesgram. Da muss man doch einmal etwas dagegen unternehmen. Also pass auf. Hat der Bär etwas gesagt, wie lange er dich noch hier unten lassen will?" "In einer Stunde sei er wieder hier, hat er gesagt, weil er so lange brauche, um bei seinem Bruder die Leiter zu holen." "Naja, das sollte reichen", sagte der Dachs. Er schaute nochmals abschätzend in die Grube. Dann ging er ein paar Schritte zurück und begann schräg nach unten zur Grube einen Gang zu graben. In knapp einer halben Stunde kam er genau auf dem Grund der Grube bei Hoppel an. Der kleine Hase war erleichtert und wollte blitzschnell durch den schräg nach oben führenden Gang entwischen. Aber der Dachs liess ihn nicht durch sondern sagte: "Nun wollen wir dem alten Bösewicht aber eins auswischen. Du bleibst hier unten und wartest, bis er fast bei dir unten ist. Dann kannst du immer noch abhauen. Schliesslich habe ich dir ja auch geholfen. Nun kannst auch du mir helfen, dass ich mich mal wieder so richtig freuen kann!" Der kleine Hase hatte zwar eine unheimliche Angst, das könnte noch schief gehen. Aber der Dachs verstand es, ihn zu beruhigen und das Spiel mitzumachen. Der Dachs verschwand wieder durch den Gang. Oben angelangt verdeckte er diesen mit einigen Ästen und sammelte die in der Nähe herumliegenden Kieselsteine, die er zum Grubenrand brachte. Höchste Zeit, denn schon hörte er den Bären laut schnaubend daherkommen. Der Dachs versteckte sich hinter einem Baum und wartete. Als der Bär zur Grube kam, musste er sich zuerst einen Augenblick verschnaufen. Dann aber schaute er hinunter, ob der kleine Hase noch da wäre. Als er sich davon überzeugt hatte, liess er die Leiter vorsichtig in die Grube gleiten. Langsam stieg er rückwärts in die Tiefe. Als der Kopf auch noch verschwand, kam der Dachs geschwind daher gerannt und gab der Leiter einen Schubs, dass sie auf die andere Seite der Grube fiel. Der Bär plumpste hinunter. "Jetzt schnell, Hoppel, nichts wie los!", rief der Dachs in die Grube hinunter. Aber Hoppel hatte gar nicht so lange gewartet. Sobald er den Bären in die Grube steigen sah, rannte er durch den schrägen Gang nach oben und sah gerade noch, wie der Dachs die Leiter aus der Grube zog. "He, was soll denn das?" rief der Bär von unten herauf. "Du kennst doch sicher das Sprichwort, 'wer anderen eine Grube gräbt, der fällt selber hinein', oder? Jetzt bist du halt der, der selber hineingefallen ist, hahaha", lachte der Dachs. Komm her, Hoppel, wir wollen dem alten Bösewicht sein Fell gerben." Beide nahmen von den Steinen, die der Dachs für diesen Zweck bereit gelegt hatte und warfen sie dem Bären auf den Kopf. Dieser hielt seine Hände schützend darüber und suchte fieberhaft Schutz in der Grube. Schliesslich fand er den Gang, den der Dachs gegraben hatte und wollte sich hineinzwängen. Aber das Loch war gerade gross genug, seinen Kopf vor den herunterprasselnden Steinen zu schützen. "Hört auf, hört doch endlich auf, ich habe euch ja schliesslich auch nichts zu leide getan!" rief er durch den schrägen Gang. Weil keine Steine mehr vorhanden waren, mussten die beiden sowieso mit dem Bombardement aufhören. Der Dachs begann zu verhandeln: "Wenn du versprichst, dass du die Grube zuschüttest, keine neue mehr gräbst und auch überhaupt die anderen Tiere im Wald zufrieden lässt, dann wollen wir Gnade vor Recht ergehen lassen und dich herauslassen. Bist du einverstanden, Bär?" Zähneknirschend musste dieser wohl oder übel auf die Forderungen eingehen. Hoch und heilig versprach er den beiden, er werde nie mehr ein Tier fangen oder plagen, solange er lebe. Als er es auch noch geschworen hatte, liessen sich seine beiden Verhandlungspartner erweichen und der Dachs liess die Leiter in die Grube hinunter plumpsen. Dann aber verschwanden sie so schnell sie konnten aus dem Bereich des Bären. Konnte man diesem denn trauen, dass er sich an die Abmachung hielt, wenn er wieder oben war? |