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Glück

 

Friedgard Seiter
friedgard.seiter@gmx.de

 

 

Es ist beinah eine kitschige Geschichte, aber sie hat mich doch nicht losgelassen: die Sache mit dem großen Glück für die dicke Frau Hanneberg.

 

Sie erinnerte ein bißchen an einen Laubfrosch: aufgedunsen und wabbelig, mit strähnigen, weißblonden Haaren, ewigen Laufmaschen, zipfeligen Röcken. Eine „Schlampe“ eben. Auch die Tochter war ein aufgeschwemmtes Kind, vollgestopft mit Süßigkeiten, aber sie sei sehr gescheit, hieß es.

 

Die Nachbarn munkelten, es sei furchtbar unordentlich in der Wohnung. „Sie müssen mal sehn, was für Gerümpel die auf dem Speicher hat ...“, wie eben Nachbarn so reden. Daß der Mann eine Geliebte hatte, schien allen selbstverständlich - „bei       d e r   Frau!“

 

Die Geliebte war eigentlich derselbe Typ Frau: blond und mollig, aber gepflegt. Sie war seine Kollegin gewesen, hatte sich wegen des Geredes versetzen lassen.

 

Eines Tages wurde die Ehe der Hannebergs geschieden und er heiratete seine Geliebte. Und damit begann das große Glück für Frau Hanneberg.

 

Lange Zeit bekamen wir sie nicht mehr zu Gesicht, hatten sie vergessen, wie das mit ferneren Bekannten so ist.

 

Eines Tages, ich führte gerade unseren Hund Gassi, wurde ich von einer Dame gegrüßt, die mir begegnete. „Wer war denn das? Die kenn ich doch nicht, wieso grüßt die mich?“ Ich führte Hasso zu seinem Lieblingsbaum - auf einmal traf es mich wie ein Blitz: das war die geschiedene Frau Hanneberg!

 

Eine Dame mit einem sehr teuren , weichen Hut, elegantem Kostüm, gepflegter Frisur - was war da geschehen? Ich nahm mir vor, sie anzusprechen, wenn ich sie wieder sehen würde - die Neugier ließ mir keine Ruhe, muß ich gestehen.

 

Gleich am nächsten Tag ergab sich die Gelegenheit, beim Einkaufen in der Stadt. Ich war müdegehetzt, weil ich verzweifelt nach einer bestimmten Pulloverfarbe gesucht hatte, die dies Jahr nicht „in“ war. Ich gönnte mir in meinem Lieblingscafe einen Cappucino - da kam sie herein. Sie sah mich gleich, zögerte ein wenig - ich winkte ihr aufmunternd zu und merkte, daß sie sehr gerne auf meinen Tisch zusteuerte.

 

„Wie geht es Ihnen, Frau Hanneberg, Sie sehen ja blendend aus!“ „Nicht mehr

 

Hanneberg, bitte, ich heiße jetzt Müller. Einfach Müller.“

 

„Oh, Sie sind wieder verheiratet - herzlichen Glückwunsch“, es kam mir wirklich von Herzen, so, wie sie aussah.

 

„Danke, ja, Sie können schon von Glück sprechen“, meinte sie. „Ich bin nur gekommen, um die Wohnung aufzulösen, dann gehe ich zu meinem Mann zurück nach Wiesbaden.“ Es klang sehr stolz und selbstbewußt - nie hatte sie diesen Eindruck auf mich gemacht.

 

Von selbst fing sie an, zu erzählen: “Ich habe ihn im Krankenhaus kennen gelernt. Ich mußte wegen einer Schilddrüsenoperation in die Klinik. Als ich aufstehen durfte, ging ich im Garten des Krankenhauses jeden Tag ein bißchen länger spazieren. Da sprach er mich an. Er war sehr nett und fragte mich aus, wollte alles von mir wissen und hörte sehr aufmerksam zu.

 

Als ich ihm von meiner Scheidung erzählte, fragte er, warum mein Mann mich verlassen hatte. Da erzählte ich ihm, wie es war. Mein Mann war karrierebewußt, das ging ihm über alles. Wir waren zunächst sehr verliebt, dann erwartete ich ein Kind und mein Mann war entsetzt. Er wollte, daß ich es „wegmachen“ lasse, Kinder paßten nicht in seinen Lebensplan. Aber ich habe mich eisern gewehrt dagegen.

 

Von dem Moment an, als das Kind geboren war, hat er mich weitgehend ignoriert. Ich war nur noch Haushälterin und Putzfrau. Er war sehr viel weg, fast jeden Abend eine andere Veranstaltung, Vorträge, Tagungen - oder was er für Ausreden erfand, um nicht daheim sein zu müssen. Erst, als sich herausstellte, daß unsere Tochter hochintelligent war, begann er, sich für sie zu interessieren - aber gleich so stark, daß er sie mir vollkommen entfremdete. Er bestach sie - Sie wissen, wie leicht das bei Kindern ist - mit Reisen, Geschenken, er verwöhnte sie nach Strich und Faden - sie lebt jetzt bei ihm und seiner neuen Frau.

 

Ich war zu gar nichts mehr nütze, es ist Ihnen sicher aufgefallen, daß ich mich nicht mehr gepflegt habe - ich war todunglücklich, am liebsten wäre ich gestorben.

 

Die Schilddrüsenkrankheit war wohl eine Folge meines seelischen Zustandes. Und durch die Operation fing für mich ein vollkommen neues Leben an.

Herr Müller nahm mich, nachdem wir beide entlassen waren, mit zu sich nach Hause. Er ist ziemlich viel älter als ich, aber noch sehr aktiv und unternehmungslustig. Er hat eine schöne Villa in Wiesbaden, er hatte einen eigenen Betrieb, den er übergeben hat und lebt finanziell sorgenfrei. Er heiratete mich schon nach wenigen Wochen und stattete mich vollkommen neu aus. „Schmeiß alles weg“ sagte er, als er meine ollen Klamotten sah.“

 

Sie schwieg und sah mich strahlend an. Eine ganz neue Frau: sie hatte einen Menschen gefunden, der sie achtete und liebte. Sie war glücklich.


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