Pokern Friedgard Seiter Ich
wußte nicht, wie ich mit der Situation klar kommen sollte. Du hattest
mich verwirrt
durch Dein widersprüchliches Verhalten. Wo lag die Wahrheit? Es trieb mich
um. Und dann kam die Hilfe: es war einer jener Träume, die die Klarheit
der Wirklichkeit haben: Wir
saßen über Eck am Tisch in einem kleinen Restaurant. Am anderen Ende
zwei ältere Damen, die Dich wohlgefällig musterten und die Du
durchaus als Publikum mit einbezogst. Der Klavierspieler klimperte Schlager aus
den Fünfzigern - es mußte seine beste Zeit gewesen sein. Sei nicht
so feige, sagtest Du, es hat doch Spaß gemacht damals. Sei nicht
nachtragend. Du weißt, ich habe Dir nie etwas vorgemacht. Ich habe Dir
ge- sagt: für mich ist es ein Spiel, ein Glücksspiel. Wie Pokern,
Siebzehn und Vier. Man muß etwas setzen, das erhöht den Reiz. Sinnlos,
Dir zu erklären, daß es für mich kein Spiel ist, sondern
tägliches Brot. Unser tägliches Brot - das man bricht und austeilt
und ißt und das doch nie weniger wird. Das sättigt, indem man es
verschenkt. Du
würdest es nie verstehen. Du verstehst alles, was mit Zahlen zu tun hat.
Mit Messen und Wägen, mit Berechnen und Bezahlen. Das schreibst Du mit
kleinen Ziffern und Buchstaben in Deine Bücher und glaubst, Du habest
damit Dein ganzes Leben Schwarz auf Weiß. Deshalb
bist Du ein guter Spieler. Weil Du so gut rechnen kannst, den Zufall
einkalkulieren, die Reaktion des Gegners - mit Hilfe statistischer Erfahrung -
vorausahnen. Aber auch
ich bin ein guter Spieler, sonst hättest Du mich nicht herausgefor- dert.
Denn es ist langweilig, immer nur zu gewinnen. Ich pokere gar nicht schlecht.
Da ich eine Frau bin, verstehe ich mich auf die Taktik des Bluffens. So habe ich
mich damals wider besseres Wissen auf das Kräftemessen eingelassen. Ich
hatte Hunger, und Hunger macht waghalsig. Du
weißt, daß ich mit vollem Einsatz spielte. Ich setzte alles, was
ich hatte. Es war ein reizvoller Kampf. Und schließlich konnte ich sogar
einen kleinen Gewinn
einstreichen. Nicht viel, aber genug, dachte ich, um einmal wieder richtig satt
zu werden. Nahm den
Gewinn nach Hause, besah ihn bei Licht: Es war
Falschgeld, was Du mir angedreht hattest. Deshalb,
verstehst Du, deshalb spiele ich nicht mehr mit Dir. Nie mehr. Hier bin
ich erwacht und jetzt sehe ich klar, denn es war einer jener Träume, die
Wegweiser in die Wirklichkeit sind. |