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Pokern

Friedgard Seiter
friedgard.seiter@gmx.de.

 

Ich wußte nicht, wie ich mit der Situation klar kommen sollte. Du hattest mich verwirrt durch Dein widersprüchliches Verhalten. Wo lag die Wahrheit? Es trieb mich um. Und dann kam die Hilfe: es war einer jener Träume, die die Klarheit der Wirklichkeit haben: Wir saßen über Eck am Tisch in einem kleinen Restaurant. Am anderen Ende zwei ältere Damen, die Dich wohlgefällig musterten und die Du durchaus als Publikum mit einbezogst. Der Klavierspieler klimperte Schlager aus den Fünfzigern - es mußte seine beste Zeit gewesen sein.


Sei nicht so feige, sagtest Du, es hat doch Spaß gemacht damals. Sei nicht nachtragend. Du weißt, ich habe Dir nie etwas vorgemacht. Ich habe Dir ge- sagt: für mich ist es ein Spiel, ein Glücksspiel. Wie Pokern, Siebzehn und Vier. Man muß etwas setzen, das erhöht den Reiz. Sinnlos, Dir zu erklären, daß es für mich kein Spiel ist, sondern tägliches Brot. Unser tägliches Brot - das man bricht und austeilt und ißt und das doch nie weniger wird. Das sättigt, indem man es verschenkt. Du würdest es nie verstehen. Du verstehst alles, was mit Zahlen zu tun hat. Mit Messen und Wägen, mit Berechnen und Bezahlen. Das schreibst Du mit kleinen Ziffern und Buchstaben in Deine Bücher und glaubst, Du habest damit Dein ganzes Leben Schwarz auf Weiß. Deshalb bist Du ein guter Spieler. Weil Du so gut rechnen kannst, den Zufall einkalkulieren, die Reaktion des Gegners - mit Hilfe statistischer Erfahrung - vorausahnen.


Aber auch ich bin ein guter Spieler, sonst hättest Du mich nicht herausgefor- dert. Denn es ist langweilig, immer nur zu gewinnen. Ich pokere gar nicht schlecht. Da ich eine Frau bin, verstehe ich mich auf die Taktik des Bluffens. So habe ich mich damals wider besseres Wissen auf das Kräftemessen eingelassen. Ich hatte Hunger, und Hunger macht waghalsig. Du weißt, daß ich mit vollem Einsatz spielte. Ich setzte alles, was ich hatte. Es war ein reizvoller Kampf. Und schließlich konnte ich sogar einen kleinen Gewinn einstreichen. Nicht viel, aber genug, dachte ich, um einmal wieder richtig satt zu werden. Nahm den Gewinn nach Hause, besah ihn bei Licht: Es war Falschgeld, was Du mir angedreht hattest. Deshalb, verstehst Du, deshalb spiele ich nicht mehr mit Dir. Nie mehr. Hier bin ich erwacht und jetzt sehe ich klar, denn es war einer jener Träume, die Wegweiser in die Wirklichkeit sind.


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