Urlaub auf den Malediven Ich
glaubte damals meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich die
Gewinnbenachrichtigung eines Versandhauses in der Hand hielt, in der mir
mitgeteilt wurde, daß wir eine Reise auf die Malediven gewonnen
hätten. Wir? Unvorstellbar, und doch stand es so in der Benachrichtigung,
schwarz auf weiß. Zunächst
besorgten wir uns Prospektmaterial und informierten uns über die
Malediven. Wir freuten uns über das, was wir auf der Hochglanzfolie zu
sehen bekamen. Kristallklares Wasser war dort zu sehen, weiße
Strände, Sonne und Palmen und fröhliche, braungebrannte Menschen. Wir
waren begeistert über das, was uns erwartete. Am
zweiten Juli 1993 war es dann soweit. Eine Taxe brachte uns zum Hauptbahnhof,
von wo aus wir mit dem Zug nach Frankfurt fahren mußten, weil ab
Frankfurt unser Flieger abging. In
unserer Vorfreude waren wir natürlich viel zu früh auf dem Bahnhof.
Aber es schadete nicht, denn unser Zug stand bereits am Bahnsteig und wartete
auf seine Fahrgäste. Wir stiegen ein und machten es uns bequem. Die
Reisevorbereitungen hatten uns mehr geschlaucht, als wir dachten und so kam es,
daß wir im Zug einschliefen und erst aufwachten, als eine blecherne
Stimme rief: „Sylt. Alles aussteigen, der Zug endet hier.“ „Wo
sind wir?“ fragte meine Frau, „auf Sylt?“ Ich
nickte fassungslos. Auch ein mehrfaches Hinschauen auf das Bahnhofsschild
brachte kein anderes Ergebnis. Dort stand -Sylt-. Das bedeutete, daß wir
in unserer übergroßen Urlaubsfreude in den falschen Zug gestiegen
waren. Wir
wurden nervös. Unsere Gedanken kreisten und wurden immer schneller und
schneller und die Vorschläge, die wir zur Lösung unseres Problems
machten, brachten uns nicht weiter. Im Gegenteil, jeder Vorschlag und
Gegenvorschlag nervte zum Gotterbarmen. Die
letzte Idee hielten wir aber doch fest. Wir riefen auf dem Frankfurter
Flughafen an und erkundigten uns nach einem anderen Flieger, denn unser
mußte von der Zeit her, gerade vom Boden abheben. Die Dame an der
Auskunft bestätigte unseren Verdacht. „Ihr Flieger ist seit ein paar
Minuten in der Luft und der nächste Flug zu den Malediven geht erst morgen
nachmittag.“ Schlagartig
wurde uns klar, daß wir die Nacht auf Sylt verbringen mußten. Nur
wo? Alle Hotels, die wir aufsuchten, waren belegt. Da half auch kein bitten und
betteln. Wie
oft im Leben, wenn man denkt es geht nicht mehr, kommt plötzlich eine
Hilfe her. So war es auch hier. Das Schicksal nahte in Form eines alten,
ärmlich gekleideten Mannes, der uns den Kummer von der Nasenspitze ablas. Er fragte: „Suchen sie ein
Zimmer?“ Überrascht
nickten wir und blickten den Alten erstaunt an. Sollte der ein Zimmer für
uns haben? Er hatte. Es war zwar
nicht komfortabel und bestand aus dem Dachboden seines Häuschens,
aber hatten wir eine andere Wahl? Der
alte Herr lehnte das gebotene Übernachtungsgeld ab, wofür er von
seiner Frau mit schlimmen Schimpfworten bedacht wurde. Die Frau war
unsympathisch. Sie machte den Eindruck, als führe sie etwas im Schilde.
Mit ihrer Hakennase, dem Buckel und dem ungepflegtem Äußeren, sah sie
aus wie eine Hexe aus dem Märchenbuch. Sie kicherte hämisch hinter
uns her, als wir die knarrenden Stufen der Bodentreppe hochstiegen. So
sachlich und nüchtern ich den Hexengeschichten gegenüberstehe, so
wurde mir hier doch etwas mulmig. Meiner Frau ging es ebenso. Sie hielt sich
krampfhaft an meinem Ellenbogen fest. „Reiß dich zusammen,“
schalt ich mich, „was soll die Alte uns schon tun?“ Als
hätte der Alte unsere Gedanken erraten, beruhigte er uns. „Achten
Sie nicht auf meine Frau, die spukt immer Gift und Galle, die kann gar nicht
anders.“ Er
war rührend um uns besorgt. Immer wieder fragte er: „Haben sie alles
oder brauchen sie noch etwas?“ Ja,
zu essen hätten wir gerne etwas gehabt, aber, als wir bei unserer Ankunft, die
Bitte um Brot und Wurst vortrugen, schlug sie die Küchentür vor
unserer Nase zu. Ich meine, daß die Ablehnung deutlich genug war. Von ihr
hatten wir also nichts zu erwarten. Es blieb uns nichts anderes übrig, als
hungrig ins Bett zu gehen. Die
Betten, die unmittelbar unter einem Dachfenster standen, waren bequemer, als es
im Moment aussah. Sie rochen zwar ein wenig muffig, aber wir waren so
müde, daß uns der Muffelgeruch
nicht störte. Es dauerte auch nicht lange und wir schliefen ein. Mitten
in der Nacht weckte mich ein Geräusch. Es scharrte und knackte, als ob ein
Tier, vielleicht eine Katze oder ein Marder, sich irgendwo zu schaffen machte.
Licht konnte ich keines anmachen, weil die einzige Lampe kaputt und traurig an
ihrem Stromkabel hing. Die Taschenlampe, mit der uns der Alte hinauf
begleitete, hatte er wieder mitgenommen. Die
Geräusche wurden lauter. Im fahlen Mondlicht gaukelte mir meine Phantasie
Gnomen und Geister vor, die geräuschvoll über den Dachboden tobten. „Mistgeister!“
Fluchte ich und sprang auf um dem, wer es auch immer war, den Garaus zu machen.
Wenn meine Frau ihre Finger nicht in meine Handgelenke gekrallt hätte,
wäre ich wahrscheinlich mit einem Riesensprung quer durch den Raum
gesegelt und hätte dem Gegner schon gezeigt, daß er mit uns nicht
machen kann, was er will. Aber nun, nachdem meine Frau mich so unerwartet
festhielt, gelang mir nur mehr ein lauer Überschlag, dessen Endergebnis
mein aufschlagender Kopf auf der Bettkante war. Ab da hörte ich nicht nur
Geräusche, sondern sah auch noch jede Menge Sterne. „Was
turnst du bloß im Bett herum?!“ Fragte meine Frau.
„Kümmere dich lieber um den, der die Treppe hochkommt.“ Nun
hörte ich auch in aller Deutlichkeit das Knarren der Treppenstufen. Wer
kam da. Die Alte? Schlagartig wurde es mir klar, daß es ein Fehler war,
schlafen zu gehen, nachdem die Alte so hämisch hinter uns her gekichert
hatte. „Komm nur,“ flüsterte ich und ballte die Hände zu
Fäuste, „ich werde dich schon gebührend empfangen.“ Leise
knarrend schwenkte die Bodenluke nach oben. Die knochige Hand, die die Luke
öffnete, tauchte im diffusen Licht auf. Der Kegel einer Taschenlampe, die
er in der anderen Hand trug, tanzte an den Dachpfannen entlang und dann tauchte
ein Kopf mit ungeordneten, weißen Haaren auf. Der Kopf drehte sich zu uns
und wir erkannten den netten Alten. Was
mir aber gar nicht gefiel war, daß er ein langes Messer quer im Munde
trug und auf das Bett meiner Frau zuging. „Meine Güte,“ dachte
ich, „sollte der etwa vorhaben uns...“ Weiter kam ich mit meinen
Gedanken nicht, denn meine Frau, die dem Alten bisher mit aufgerissenen Augen
entgegen sah, verschwand unter der Bettdecke und schrie fürchterlich um
Hilfe. Fieberhaft
überlegte ich, womit ich den Alten abwehren könnte. Mein Blick fiel
auf das Kopfkissen. Ich nahm es und holte zum abwehrenden Schlag aus. Bevor
ich aber zuschlagen konnte, reagierte der Alte. „Meine Güte,“
flüsterte er empört und beugte sich mit dem Messer in der Hand
über meine Frau, „seien sie doch still, sonst wird meine Alte erst
wach. Wollen sie das?“ „Na,
das wird ja immer schöner,“ dachte ich, „der bringt uns um und
denkt daran, daß die Nachtruhe seiner Frau nicht durch unser
Todesgeschrei gestört wird.“ „Ist
gut,“ stotterte ich, und hob beruhigend die Hände, „legen sie
nur das Messer weg, meine Frau
wird nicht mehr schreien!“ „Warum
sollte ich das Messer weglegen,“ staunte der Alte und sah mich an,
„das Messer brauche ich doch noch.“ „Okay,“
versuchte ich die Situation zu entschärfen, „sie bekommen unser Geld
und alles was sie wollen, nur, bitte, töten sie uns nicht.“ „Quatsch!“
Zürnte der Alte. „Ich will sie nicht töten, ich will nur eine
Wurst abschneiden, die am Balken über dem Bett ihrer Frau hängt. Sie
haben doch Hunger, nicht? Und sie haben doch von meiner Alten nichts zu essen
bekommen, oder? Nun, ich will ihnen was zu essen geben.“ Tatsächlich
stieg er auf die Leiter, die neben dem Bett meiner Frau stand und griff mit
beiden Händen in die Dunkelheit und hielt nach einem kurzem Schnitt, mit
dem Messer, eine Mettwurst in der Hand. Er reichte sie mir. Verschwörerisch
legte er den Zeigefinger über die Lippen und bat: „Nichts meiner
Alten erzählen.“ Nun
hatten wir also zu essen. Die Wurst roch würzig nach Rauch und unter
anderen Umständen hätten wir sie bestimmt mit mehr Appetit gegessen,
aber nach diesem Schrecken schmeckte sie einfach nicht. Wir
lagen lange wach, bis uns dann der Humor irgendwann einholte und wir über
unsere Ängste lachen konnten. Nur in dem folgenden Traum, da blieb die
Angst, da kam sie aus dem verborgenen hoch. Ich träumte von einer Schule,
in der alte Leute zu Mörder ausgebildet werden und wo die Schüler
ständig mit einem Messer im Mund herumlaufen. Auch das hämische
Gesicht der Alten tauchte auf. Sie wedelte mit einer Mettwurst und jedesmal,
wenn ich zugriff, verschwand die Wurst im Nichts. Ein anderer Traum bescherte
mir Katzen und Mäuse, die auf dem Boden umher jagten und Hände
tauchten im diffusen Mondlicht am Fußende des Bettes meiner Frau auf und
wollten uns erschrecken. Plötzlich
wurde mir bewußt, daß der letzte Traumteil Wirklichkeit war. Am
Fußende meiner Frau tauchte tatsächlich eine Hand auf. Die Hand
wedelte mal nach links und mal nach recht und manchmal verhielt sie sich ganz
ruhig. Ich fragte mich, ob der Alte es tatsächlich wagen würde, uns
mit dummen Scherzen wachhalten zu wollen. „Aber nicht mit mir.“
Schwor ich. Ich griff vorsichtig, bemüht kein Geräusch zu machen,
nach dem Reisewecker, der neben mir auf dem Fußboden stand und warf ihn
mit kraftvollem Schwung auf die Hand des Alten und traf sogar. Sofort
verschwand die Hand unter der Decke meiner Frau und tauchte als Fuß neben
meinem Gesicht auf. „Aua,
aua,“ stöhnte meine Frau, „schau doch mal schnell nach, warum
mir der Fuß wehtut.“ Ich
muß gestehen, daß mich dieser Wurf, obwohl er ein exzellenter
Treffer war, ein Schmuckstück und ein zwar nicht zu kleines, kostete. Seit
damals weiß ich, daß ich sogar im Mondlicht treffend werfen kann. Der
Rest des Urlaubs verlief in aller Ruhe. Naja, Spannung hatten wir in der einen
Nacht ja auch genug gehabt. |