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Eistorte

 

Edgar Schulz

 

 

Am Verkaufstresen der Konditorei, in der vornehmsten Gegend der Stadt, hatte sich eine lange Schlange gebildet. Elegant gekleidete Damen warteten neben feinen, mit dezenten Anzügen bekleideten Herren darauf, von der Bedienung nach den Wünschen gefragt zu werden. Nervös tänzelten die Frauen nach links und dann wieder nach rechts und schauten sich die Auslagen mit den Kuchen an. Gleichzeitig warfen sie strenge Blicke in die hintere Reihe, daß ja nicht eine der dort Wartenden auf die Idee käme, vorzudrängeln.

 

Eine alte Frau fiel  auf. Sie trug einen schlichten, grauen Wollrock, der ungebügelt und geflickt, lustlos an ihrem Körper hing. Der Pullover, den sie trug machte nicht den Eindruck, als daß ihm Nadel und Faden noch einmal zu neuem, heilem Glanz verhelfen könnten. Die Haare hingen der Frau fettig und strähnig bis auf die Schulter.

 

Sie wartete geduldig, bescheiden, mit gesenktem Kopf, in der Schlange und nahm an dem nervösen Hin- und hergewoge nicht teil. Ab und zu, wenn es ein paar Zentimeter weiter ging, warf sie einen Blick auf die Auslagen und verglich die Preise mit dem Inhalt ihrer Faust, in der sich vermutlich ihr Geld befand. Sie hörte freundlich lächelnd zu, wenn die Damen vor ihr, ihre Bestellungen aufgaben. „Ein Stück davon und zwei Stück hiervon.“ sagten sie und zeigten mit dem Finger auf die schönsten Kuchenstücke und Kekse, die mit Schokolade überzogen, jeden Gaumen geschmeichelt hätten. „Sehr wohl die Dame, aber gern der Herr.“ dienerten die Bedienungen und beeilten sich, die Wünsche der Kundschaft auszuführen.

 

„Was ist denn, wollen sie nichts bestellen?!“ wurde die geduldig wartende, alte Frau forsch gefragt, als sie gerade mit der Hand über die Augen fuhr und ein paar müde Falten glättete.

 

„Oh doch,“ antwortete die alte Frau leise und schaute die Bedienung an, „meine Tochter kommt heute nach langer Zeit zu Besuch und da möchte ich es ihr schön machen und ihr ein Stück Torte spendieren.“ Die alte Frau geriet ins träumen. Ein glücklicher Ausdruck erschien in ihren Augen und die Mundwinkel gingen zu einem Lächeln nach oben. „Ich möchte bitte zwei Stückchen Torte haben.“ bat sie und schaute die Bedienung an. „Und wenn  sie haben, bitte mit Nuß und Marzipan.“

 

Spöttisch erheitert lachte die Bedienung auf. „Glauben sie wirklich, daß wir an einem solchen Tag wie heute noch Torte haben? Nein, da suchen sie sich mal was anderes aus.“ Ungeduldig blickte sie die alte Frau an und zog die Augenbrauen hoch. Die Augen folgten. Zischend sog sie die Luft durch die Zähne und pustete sie schnaubend durch die Nase wieder heraus.

 

„Ach ja,“ bemerkte die Bedienung, sich herablassend erinnernd, „wir haben noch Eistorte. Wenn sie die wollen?“

 

„Ja,“ sagte die alte Frau und nickte bestätigend mit dem Kopf, „die nehme ich.“ Und sie legte ihre Faust auf den Tresen, wo sie sie mit einem ängstlich, fragenden Blick öffnete und eine Menge Kleingeld freigab. „Bitte zählen sie nach, ob es für die Eistorte reicht.“

 

Es reichte. Sie bekam sogar einen Groschen zurück. Glücklich nahm sie ihr kleines Kuchenpaket und sagte im Weggehen zur Verkäuferin: „Und daß die Torte noch gefroren ist, ist halb so schlimm, denn bis ich zu Hause bin, ist sie sicherlich aufgetaut.“

 

Die Bedienung antwortete ungeduldig: „Ja, ja.“ Und wandte sich der nächsten Dame zu.


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