Aus: Dela Risse Meiningsen im Wandel der Zeit Zwangsarbeiter im Dorf von Dela Risse Schon bald nach dem Überfall
„Hitler-Deutschlands“ auf Polen 1939 mußten polnische
Kriegsgefangene in der deutschen Industrie und in der Landwirtschaft arbeiten.
Zivile Angehörige der polnischen Bevölkerung wurden anfangs
freiwillig angeworben, während später massive Gewalt angewendet
wurde. Oft umstellte man Kinos, Straßenbahnen wurden angehalten, oder die
Menschen einfach von der Straße weg ins „Großdeutsche Reich“
verschleppt. Die meisten arbeitsfähigen polnischen Frauen und Männer
wurden zur Arbeit in Deutschland gezwungen. 1944 arbeiteten im
„Großdeutschen Reich“ 7,8 Millionen ausländische
Zivilarbeiter und Kriegsgefangene. Dieses Heer ausgebeuteter Menschen
ermöglichte es Deutschland überhaupt erst, den „totalen
Krieg“ bis zum bitteren Ende durchzuführen[1].
Die deportierten zivilen Arbeitskräfte kamen in Westfalen
übergangsweise erst einmal in Verteilungslager. Von da aus wurden sie den
Kreisen, Ortsbehörden und dann den Bauern zugeteilt. Von September 1939 an waren die
Polizeibehörden dafür verantwortlich, daß sich die deutsche
Bevölkerung von den deportierten Zwangsarbeitern fernhielt[2].
Auf dem Land wurden diese Vorschriften aber nicht immer streng eingehalten.
Einen getrennten Mittagstisch hat es jedoch zwangsläufig gegeben, aus
Angst vor Kontrollen und Bespitzelungen. Um der freundlichen Behandlung einen
Riegel vorzuschieben, traten 1940 im deutschen Reich die berüchtigten
„Polenerlasse“ in Kraft. Nun durften die Zwangsarbeiter weder ein
deutsches Geschäft betreten, noch eine Kneipe oder eine Kirche aufsuchen.
An der Kleidung trugen polnischen Zwangsarbeiter jetzt, damit sie als
„Fremdrassige“ erkennbar waren, deutlich sichtbar aufgenäht
ein lila „P“ auf gelbem Grund. Dabei erging es den Arbeitern in der
Landwirtschaft noch vergleichsweise gut. Sie lebten auf den Höfen, hatten
zu essen, während die Zwangsarbeiter in der Industrie in Lagern
zusammengepfercht wurden und bittere Not leiden mußten. Viele von ihnen
konnten nur unter schwersten Bedingungen in Zechen und der
Rüstungsindustrie vegetieren. Natürlich wurden in der Landwirtschaft
die Zwangsarbeiter nicht immer gleich gut behandelt. Auf einem der Höfe im
Dorf hat es einen Verwalter gegeben, der die polnischen Arbeiter mit einem
Pistolenschuß durchs Schlüsselloch geweckt haben soll. Es
müssen auch Gewaltanwendungen gegen Polen vorgekommen sein. Wenn man sich
das schwere Schicksal dieser Menschen vergegenwärtigt, überrascht es nicht,
daß die Arbeitsmoral nicht immer die beste war. Eines Tages hatten die Polen bei
ihren Arbeiten auf dem Feld ein Flugblatt in französischer Sprache
gefunden. Es muß 1943 im Herbst gewesen sein, weil der Wortlaut etwa so
war: ‚So wie die Blätter jetzt in dieser Jahreszeit, wird das
„Großdeutsche Reich“ ebenso bald fallen! Dann wird der Krieg
auch für Euch siegreich beendet sein.‘ Den Fund brachten sie ihrem
deutschen Chef. „Deutschland bald kaputt“, sagten sie. Sicherlich
schöpften sie jetzt größere Hoffnung, ihre Heimat bald wiederzusehen.
Auch in Meiningsen war es auf den
Höfen nur deshalb möglich, die Arbeit im Stall und auf dem Feld von
1939-1945 zu schaffen, weil polnische und russische verschleppte Arbeiter und
Kriegsgefangene mithalfen, denn meistens waren die Bauern zum Kriegsdienst
einberufen, oft führten die Frauen den landwirtschaftlichen Betrieb
allein. Nur einige der Fremdarbeiter waren mit landwirtschaftlichen Arbeiten
vertraut, auf dem Rienhof arbeiteten außer Luzek, Joseph, Stanislav,
Marie und Mattka auch ein 14jähriger Oberschüler (siehe auch
Briefwechsel). Aus alten Kassenbüchern geht hervor, daß die
Zwangsarbeiter monatlich mit dreißig Mark entlohnt wurden. Ein
gravierendes Problem war die Auszahlung der Lohnrückstände, welche
die britische Militärregierung in der Provinz Westfalen 1945 anordnete.
Die Polizeidienststellen waren zu dieser Zeit aufgefordert, alle Zwangsarbeiter
namentlich zu erfassen[3].
Auf dem Hof Karl C. waren drei
Zwangsarbeiter untergebracht. Frau L. B., geb. C erinnert sich besonders an den
Ukrainer Frantek. Er hatte einmal einen Brief in die Heimat geschrieben, dabei
unvorsichtige abfällige Äußerungen gemacht. Sie wurden durch
Briefkontrolle bekannt, und die Folge war eine Verhaftung durch die Polizei und
Überführung nach Hamm ins Gefängnis. In allen Gefängnissen
wurden die Inhaftierten in den sogenannten Gefangenenbüchern namentlich
erfaßt. Im Falle Hamm gehörten dazu auch die Zwangsarbeiter aus den
durchziehenden Bahntransporten. Darüber soll es heute noch Unterlagen im
Staatsarchiv Münster geben. Die Zwangsarbeiter machten 1942 in Hamm 60%
der Festgenommenen aus. Der Ukrainer Frantek war ein
tüchtiger Arbeiter gewesen und fehlte der Bäuerin nach seiner
Verhaftung sehr. Es bestand in solchen Fällen die Möglichkeit, diese
Situation den Behörden deutlich zu machen und zu reklamieren. So durfte
Frantek nach Meiningsen zurückkommen. Damit bewahrte man den Inhaftierten
vor weiteren Repressalien. In Hamm wurde Frantek von Frau C. abgeholt, und wie
es zu dieser Zeit ständig passierte, gab es Fliegeralarm. Wie schon vorher
erwähnt, durfte nur die deutsche Bäuerin einen Luftschutzkeller in
Hamm aufsuchen, der jedoch für Zwangsarbeiter verboten war. Einem polnischen Zwangsarbeiter
Stanislav auf dem Hof C. erging es noch schlimmer als dem Ukrainer Frantek. Er
hatte versucht zu flüchten, war jedoch bei Bielefeld aufgegriffen worden
und in ein Straflager verbracht worden. In einem erbärmlichen Zustand ist
auch dieser Zwangsarbeiter nach Wochen auf den Hof C. zurückgekommen.
Leichenblaß, mit kahlem Schädel, hat er über seine
zwischenzeitlichen Erlebnisse nicht berichten mögen. Nach dem Krieg hat
sich jedoch gerade zwischen diesem Mann und der Familie C. ein herzlicher
Briefwechsel entwickelt. Ein ehemaliger Zwangsarbeiter hat
sich 1991, als er um eine Arbeitsbescheinigung für seine Rentenunterlagen
bat, bei der Nachfolgegeneration seines damaligen Arbeitgebers auf dem Rienhof
gemeldet. Es handelte sich um St. T., einen 14jährigen Gymnasiasten, der
von 1940-1945 in Deutschland leben mußte. Er wurde von den Bewohnern des
Hofes liebevoll „Kleinusch“ genannt. An dieser Stelle soll nicht
versäumt werden, Einblick in den daraus entstandenen Briefwechsel zu
geben.
Meiningsen, den 10.01.1991 „Lieber Herr T, als ich gestern, nach längerer Abwesenheit, Ihren
Brief las, wurde für mich schlagartig die Erinnerung an eine schlimme Zeit
lebendig. Natürlich habe ich nie vergessen, daß Sie
damals als Jüngster neben Luzek, Josef, Marianne und Mattka den Betrieb
auf unserem Hof, wenn auch unfreiwillig, aufrecht erhalten haben. Ich entsinne mich eines schmalen Gymnasiasten, noch ein
halbes Jahr jünger als ich selbst, den man aus seiner gewohnten
städtischen Umgebung herausgerissen hatte und der hier allgemein nur
„Kleinus“ gerufen wurde. Ich glaube, in diesem Namen schwang
weniger Spott als Mitleid für den tapferen Jungen mit. Aber ich glaube, es gab auch Kollegen, die es schlechter
getroffen hatten als bei „Dr. C. R.“. Ich war mehrmals dabei, wie
mein Vater, der viel Mitgefühl für Ihr schweres Schicksal empfand,
immer wieder von seinen deutschen Angestellten verlangt hat, für eine
menschenwürdige Behandlung zu sorgen - trotz Verbots durch die
allgegenwärtige Nazipartei. So wurde, den Kriegsumständen entsprechend, für
ausreichende Verpflegung gesorgt und manches Kleidungsstück aus unserer
Familie landete bei den Polen in Meiningsen. Dabei hatte mein Vater schon im November 1938 schwere
Differenzen mit den Nazis gehabt, unter anderem, weil er sich als
Gefängnisarzt schützend vor inhaftierte kranke Juden gestellt hatte.
Dafür mußte er selbst einige Tage in Untersuchungshaft verbringen. Wie er mir später erzählt hat,- ich war zu der
Zeit schwerverwundet in russischer Kriegsgefangenschaft - versuchte der brutale
Verwalter B.P. während des allgemeinen Zusammenbruchs der Ordnung, seinen
Chef bei den Russen als Menschenschinder und Kriegsverbrecher zu denunzieren,
um sich selbst den Hof anzueignen. Für einen Mann, der schon seinen
eigenen Vater wegen Abhörens feindlicher Sender angezeigt hatte, eigentlich
nichts Besonderes. Doch für meinen Vater entstand eine kritische
Situation. In diesen Tagen war ein Menschenleben nicht viel wert und
nur der günstigen Aussage der polnischen Arbeiter hatte der Dr. R. es zu
verdanken, daß man ihn nicht einfach „umgelegt“ hat. Ich glaube, Ende der fünfziger Jahre besuchten uns
Luzek und Marianne, die meine Großmutter damals bis zum Tode gepflegt
hat. Die beiden waren 1945 nicht nach Polen zurückgekehrt, inzwischen
verheiratet und arbeiteten zu der Zeit bei den Engländern. (...) Ich freue
mich, daß ich Ihnen mit der gewünschten Bescheinigung etwas helfen
kann, empfinde es jedoch als nur schwachen Trost im Hinblick an das Ihnen
angetane Unrecht. ... Sollten Sie den Wunsch und die Möglichkeit haben,
einmal die Bundesrepublik Deutschland zu besuchen, sind Sie bei uns herzlich
willkommen. Mit freundlichen Grüßen und guten
Wünschen vor allem auch für die
Erhaltung des Friedens, D.
R.“ „Lieber Herr R.! den 10.02.91 Meinen herzlichen Dank für die Bescheinigung Euer
Brief hat mir sehr viel Freude bereitet. Ich bin beim lesen des Briefes wieder
der "Kleinusch" geworden. Ja, es ist wahr, dass es eine schlimme Zeit
für alle war. Ha, aber jetzt ist alles wieder anderes geworden. Wir sind
älter geworden haben Kinder, Enkelkinder und zuletzt sind wir Rentner. Das
ganze Leben läuft zu schnell von Stapel. Gern würde ich Euch mal besuchen. Meine Jungzeit
habe ich doch in dieser Umgebung verbracht. Mit meine Gedanken weilte ich oft
mal in M. Ich kann nur Gutes sagen. Viele meine Freunde, die auch auf
Zwangsarbeit waren, hatten es sehr schwer. Im Augenblick kann von meiner Reise nichts werden. Meine
Frau ist krank und ist zur Zeit an die Wohnung gebunden. Sie hat eine
Zuckerkrankheit, mit den Herzen und Blutkreislaufkrankheiten kann sie kaum von
Hause gehen. Wenn es mal besser wird, so würde ich gerne Euch besuchen. Nochmals herzlichen Dank und alles Gute wünsche ich
Euch, viel Gesundheit, denn das ist doch das Wichtigste. Mit freundlichen Grüssen Euer "Kleinusch" St. T.“ Ein
dunkles Kapitel unserer Dorfgeschichte begann in der Endzeit des Krieges und
als Soest von Amerikanern besetzt wurde. Man hatte die bedauernswerten
menschlichen Wracks, die Zwangsarbeiter, die hungernd in Lagern
zusammengepfercht, in Gruben und Fabriken geschuftet hatten, südlich des
Hellwegs in Richtung Osten getrieben. Auf den Höfen wurde dabei Station
gemacht. Wie Frau L. B., geb. C. sich erinnert, wurden in ihrer Hofscheune
ausgehungerte Zwangsarbeiter vorübergehend untergebracht, von Wachmannschaften
kontrolliert und unter Verschluß gehalten. In der Waschküche kochte
ein Koch im Viehtopf eine dünne Suppe, die geschundenen Menschen
mußten im Gänsemarsch antreten, um in ihren mitgebrachten
Gefäßen eine kleine, magere Stärkung zu erhalten. Als der Krieg hier im Raum beendet
war, zogen sich diese ausgehungerten Massen, inzwischen freigelassen, vor der
russischen Front nach Westen zurück, um nicht ihren Landsleuten in die
Finger zu fallen. Sie wären sonst als Kollaborateure in russischen
Zwangslagern interniert worden. So zogen die ausgemergelten Gestalten den Weg
zurück nach Westen, ausgehungert, voller Haß auf die deutschen
Unterdrücker. In sinnloser Zerstörungswut plünderten,
zerstörten und schlachteten sie alles, was auf den Höfen vorhanden
war. Am Ende lebte oft kein Huhn, kein Vieh mehr im Dorf, alles Eßbare
wurde von den nach Hunderten zählenden ehemaligen Zwangsarbeitern
verschlungen, Steinkrüge und Geschirr mutwillig zerschlagen, die Betten
aufgeschlitzt, eben alles zerstört, was möglich war. Hier zeigte sich
wieder einmal, daß der Krieg die niedrigsten Instinkte des Menschen
freisetzt, vor allem, wenn Rache angesagt ist für Unterdrückung,
Hunger und Not. Ein Menschenleben war in diesen
Wochen nichts wert. Verschiedentlich sind in dieser schlimmen Zeit in den
Dörfern Bauern wegen Nichtigkeiten erschossen worden. Oft waren es die
ehemaligen Zwangsarbeiter auf den Höfen, die ihrer Familie zur Hilfe kamen
und sie vor Gewalt zu schützen versuchten. Die Besatzungsmacht sah diesem
Treiben vorerst tatenlos zu. Auch als man die sogenannten DPs (Displaced
Persons) in Lagern zusammenfaßte und von der UNRRA, einer
Hilfsorganisation der UN, die nicht deutsche Flüchtlinge
unterstützte, versorgen ließ, hörten die Plünderungen
nicht gänzlich auf. Nach dem Abzug der Amerikaner
versuchte die englische Militärpolizei die Übergriffe zu verhindern.
Sie kam jedoch oft zu spät, deshalb bildeten auch die Meiningser eine
unbewaffnete Bürgerwehr, um sich zu schützen. Oft flüchteten die Dorfbewohner
vor den Marodeuren, wenn sie von dem Signalhorn der Wehr gewarnt wurden, voller
Angst um ihr Leben in die Meiningser Feldmark. Der Schwefer Pastor J. hatte
schon während des Krieges auf den Höfen eine gewisse Betreuung der
Fremdarbeiter übernommen. Wegen seiner Sprachkenntnisse war er der richtige
Mann, für Ausgleich und Verständigung zwischen Bauern und
Fremdarbeitern zu werben. Es muß vielleicht noch einmal deutlich gemacht
werden, daß die plündernden, marodierenden Fremdarbeiter auf den
Höfen fast immer die ausgehungerten, geschundenen, in Lagern gehaltenen
Fremdarbeiter aus Gruben und Industrie waren. Manch älterer Dorfbewohner wird
an diese schlimme Zeit mit Schaudern zurückdenken. Möge uns der
Friede erhalten bleiben, um vor solchen Zeiten sicher zu sein. [1] Gisbert Strotdrees, Wie Sklaven aus ihrer Heimat deportiert. In: Soester Anzeiger 24.03.00. [2] Wilfried Reininghaus, Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Westfalen 1939-1945. Quellen des Staatsarchivs Münster. In: Der Archivar, Sg. 53 (2000), S. 114-121. [3] Wilfried Reininghaus, Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Westfalen 1939-1945. Quellen des Staatsarchivs Münster. In: Der Archivar, Sg. 53 (2000), S. 114-121. |