Forum Finanzen & Wirtschaft Wirtschaftsthemen Grass: Das Parlament als Filiale der Börse

Wirtschaftsthemen Grass: Das Parlament als Filiale der Börse

longtime
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Grass: Das Parlament als Filiale der Börse
geschrieben von longtime
Die Zeit am 8. Mai 2005:

Damals las der Schriftsteller Günter Grass der Nation die Leviten, die sein Parlament zu einer Filiale der Börse habe verkommen lassen.

"Was ist aus der uns vor sechzig Jahren geschenkten Freiheit geworden, zahlt sie sich nur noch als Börsengewinn aus? Unser höchstes Verfassungsgut schützt nicht mit Vorrang die bürgerlichen Rechte, ist vielmehr zu Niedrigpreisen verschleudert worden, auf dass es, dem neoliberalen Zeitgeist genehm, vor allem der sich 'frei' nennenden Marktwirtschaft dienlich wird. Doch dieser zum Fetisch gewordene Schummelbegriff verdeckt nur mühsam das asoziale Verhalten der Banken, Industrieverbände und Börsenspekulanten. Wir alle sind Zeugen, wenn weltweit Kapital vernichtet wird, wenn so genannte feindliche und freundliche Übernahmen Tausende Arbeitsplätze vernichten, wenn die bloße Ankündigung von Rationalisierungsmaßnahmen als Entlassung von Arbeitern und Angestellten die Kurse steigen lässt und dies reflexhaft als hinzunehmender Preis für 'das Leben in Freiheit' gewertet wird."

Grass forderte, der Bundestag brauche eine Bannmeile , nicht um sich vor dem Volk, sondern vor Lobbyisten schützen.

S. den ZEIT-Artikel:


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longtime
adam
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Re: Grass: Das Parlament als Filiale der Börse
geschrieben von adam
als Antwort auf longtime vom 13.10.2008, 17:33:48
Der Lobbyismus ist den Demokraten schon lange ein Dorn im Auge. Aber wie sollen Parlamentarier eine Lobby in Schach halten oder über Aufsichtsräte und Kontrollgremien wirkungsvoll kontrollieren, von der sie sich nach der politischen Karriere eine lukrative Anstellung versprechen? Selbst ein Bundeskanzler hat vorgemacht, wie es funktioniert.

Die Finanzkrise bietet die Gelegenheit, sich gegen die Lobby zu wehren. Joschka Fischer sprach sinngemäß davon, daß ein Regieren gegen die Börse unmöglich sein, aber man kann, wenn es sein muß! Und es muß sein, wenn die Finanzwelt so dumm ist, sich den Ast abzusägen, auf dem sie selber und mit ihr die gesamte Weltwirtschaft sitzt. Dabei wird es keinem Staat gelingen, der Finanzwelt moralische Grundsätze beizubringen. Geld kennt keine Moral, es untergräbt sie.
Aber der demokratische Parlamentarismus kann den Banken die ganz einfache Logik aufzwingen, daß mit Wetten an der Börse oder dem Weiterschleusen von überschuldeten Krediten kein seriöses Geld verdient werden kann. Günter Grass spricht vom "radikaldemokratischen Zwang", den der Parlamentarismus ausüben kann und den muß dieser jetzt ausüben. Der Staat muß die Banken zurück zur Seriosität zwingen, indem er die Finanzwelt lehrt, daß sie nicht Alleineigner des Wirtschaftsgutes Geld ist. Daß dies sein muß, ist schlimm genug. Es ist so, als müsse man einem Chirurgen beibringen, daß ihm das Leben seines Patienten nicht gehört.
Wenn also der Staat den Banken mit Finanzspritzen auf das Grundkapital oder mit Bürgschaften für Kredite helfen muß, müssen als Gegenleistungen dauerhafte, gesetzliche Grenzen und Kontrollen akzeptiert werden.

Weiterhin müssen den Vorständen empfindliche Strafen drohen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Man stelle sich vor: Der Geldfluß kam zum Erliegen, weil die Banken sich gegenseitig nicht mehr über den Weg trauten. Das kann nur aussagen, daß Banken eigenes Geschäftsgebaren auf andere Banken projeziert haben und kann deshalb nur Unseriosität, ja kriminelle Energie bedeuten. Deshalb müssen die demokratischen Staaten durch Gesetze die vielgepriesene freie Marktwirtschaft wieder an eine soziale Marktwirtschaft heranführen. Umsonst wird das in der Finanzkrise nicht zu haben sein und deshalb wurden im Bundeshaushalt 20 Mrd. € einkalkuliert. Wenn es (mit Glück) dabei bleibt, sollte es uns das wert sein.

Beobachten wir, wie es weitergeht bei Banken und Börse. Der derzeitige, euphorische Aufwärtstrend sollte uns keine Sicherheit vorgaukeln, denn jetzt bürgt der Staat. Das kann Vertrauen unter den Banken wieder aufbauen, aber auch dazu verführen, einfach so weiterzumachen wie bisher. Noch sitzen die Leute in den Schaltzentralen der Finanzwelt, die in die Krise geführt haben.

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adam
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Re: Grass: Das Parlament als Filiale der Börse
geschrieben von longtime
als Antwort auf adam vom 14.10.2008, 11:05:20
Der WAZ-Karikaturist NEL zeigt, dass der Bürger "bürgen" soll, wie die abhängigen Politiker es sich haben vorschreiben lassen von der Aktienmafia:

Der Bürger als Bürge


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