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Soziales Wertezerfall oder Wertewandlung?

carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf luchs35 vom 19.02.2012, 10:28:40
"Meine Frage galt dem Wandel (siehe Anfangsthread). Wir stehen heute anderen Einflüssen gegenüber als in früheren Zeiten, und es ist doch unübersehbar, dass durch die breiteren Informationsmöglichkeiten ganz andere Sichtweisen für den Umgang mit Menschen entstanden sind." luchs35


Hallo luchs, der ST war zeitweise nicht erreichbar und ich konnte Geschriebenes nicht einsetzen. Aber es passt auch zu dem von dir um 10.35 Uhr eingesetzten Text. Ich finde es gut, dass solche Fragen angesprochen werden.


Silh stellte die Frage, wieviele Eltern unter den Diskussionsteilnehmern sind. Ja. Wie viele waren es? So könnte die Frage auch lauten. Bei der Erziehung ist es wie beim Kochen oder beim Fußball. Jeder ist der beste Koch, der beste Fußballtrainer. Der beste Deutschlehrer ist die Mutter, deshalb "Muttersprache". Der Wertewandel wird deshalb als so gravierend ins Feld geführt, weil Erziehung scheitern kann. Die Welt wird immer komplizierter und die Chancenverteilung fürs Leben beginnt in der Grundschule. Die wenigsten machen sich klar, dass Erziehung in einem Bildungssystem, also die Verschulung der Erziehung, etwas geschichtlich Gewordenes ist. Erziehung spielte sich in jeder Generation anders ab, weil es andere Berufsbilder gab oder nur ganz wenige. Der Bauernbub in einem abgelegenen Weiler vor 700 Jahren lernte automatisch den Beruf seines Vaters, indem er hinter dem Pflug her schritt und dem Vater die handwerklichen Fertigkeiten abguckte. Er begann mit zu helfen und zu arbeiten, wenn er dazu fähig war. Heute pflegen wir die Vorstellung von Kinderarbeit. Wir gewähren einen Schonraum, in dem Kinder aufwachsen dürfen, besser: müssen. Alles ist gesetzlich geregelt. Ob immer zum Vorteil der Heranwachsenden sei dahingestellt. Ist die Tätigkeit gut oder schlecht für die Entwicklung meines Kindes zum künftigen Nobelpreisträger, zum künftigen Fußballstar mit Millioneneinkünften im Jahr? Wird auch ja der Lehrplan eingehalten, fragen besorgte Eltern? Als hinge vom Lernen nach Plan allein das künftige Lebensglück und der Erfolg ab.

Das Schreien der Babies. Aha! Wie steht es nun aber mit dem Stillen? Hängt der Erfolg einer Sozialisation nicht auch von dem Gefühl der Geborgenheit und dem Urvertrauen ab, das Karl erwähnte, das durch engen Hautkontakt und Wärme und Stimme vermittelt wird? Ergibt die fehlende weibliche Brust nicht andere aggressivere Charaktere? Wären Hitler, Mussolini, Stalin, Dschinghis-Chan vielleicht andere Menschen geworden, wären sie hinreichender gestillt worden? Wären sie mit mehr Urvertrauen ins Leben gegangen? Eine Menge von (dummen) Fragen. Auf jeden Fall kommen wir trotz des angesprochenen Wertewandels nicht darum herum festzustellen, dass Erziehung heute scheitern kann. Sie scheiterte auch früher sehr häufig, als es noch keinen Begriff der Sozialisation gab und auch nicht der Begriff Wertewandel im Schwange war. Dafür standen Mütter mit 10 oder 15 Kindern in der Küche oder auf dem Feld. 6- 8 der Kinder waren vorzeitig gestorben und werden nicht gezählt. Kinder kamen auf die Welt, wenn die Frau auf dem Feld arbeitete. Sie trug e nach Hause, und die Arbeit ging weiter. Die Mütter- und Kindersterblichkeit war sehr hoch. Die Kinder erzogen sich selber. Wie soll eine Mutter oder ein Vater sich intensiv um jeden einzelnen Balg kümmern können? Im Grunde ist es doch heute nicht anders. Nur die Zahl der Kinder ist geringer. Meist Einzelkinder, und genau da schlägt der pädagogische Hammer mit Wucht zu. Was für ein Fürzchen hier und was für ein Piepser dort hat das Prinzchen von sich gegeben? Wenn die angehenden Stars eingeschult werden, können sie keinen Stift halten und wissen auch nicht mit Schere und Papier umzugehen. Dafür kann sie Schlager mit idiotischen Texten trällern und haben schon einen PC und Fernseher im Zimmer stehen, Zig-Tausende von Bildern gesehen und glauben, dass die Milch vom Supermarkt erzeugt wird und alle Hasen aus Schokolade sind.

Die Soziologen haben in Untersuchungen festgestellt, dass der Einfluss der Peer-Group auf Jugendliche viel entscheidender sei als der der Eltern. Kinder und Jugendliche sehen und hören in erster Linie auf das, was andere Jugendliche tun. Der Einfluss der Eltern ist eher gering. So war es früher in der Großfamilie auch. Wertewandel?

silhouette
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von silhouette
als Antwort auf hugo vom 19.02.2012, 10:33:23
Hugo,
mir ist gleich nach der Wende, in 2 Familien von neuen Freunden in Dresden bzw. Berlin-Ost aufgefallen, dass dort noch bis in die damaligen Schüler- und Studentengeneration hinein genau die "Werte" erfolgreich weitergegeben worden waren, um die es hier geht. Das hat mich sehr beeindruckt.

Ist wohl mit den Bananen g* nach und nach verschütt gegangen. Im Westen schon lange vorher, eine Jahreszahl habe ich genannt, stellvertretend für die Epoche.
Wolle55
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von Wolle55
Werte ?

MUSS man diese denn haben oder erhalten?

Engen sie uns nicht sogar ein in unserer Weiterentwicklung?

Wären die "Werte" Anno 1585 noch dieselben wie die heutigen, stünden wir noch gaffend vor Scheiterhaufen und beklatschten die Hexenverbrennungen.


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silhouette
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von silhouette
als Antwort auf carlos1 vom 19.02.2012, 12:15:35


Die Soziologen haben in Untersuchungen festgestellt, dass der Einfluss der Peer-Group auf Jugendliche viel entscheidender sei als der der Eltern. Kinder und Jugendliche sehen und hören in erster Linie auf das, was andere Jugendliche tun. Der Einfluss der Eltern ist eher gering. So war es früher in der Großfamilie auch. Wertewandel?

Oh ja! Und die Peer-Group hat eben auch ihre Leithammel und Wortführer und dgl. Und diese haben ihre ersten Impulse zuhause bekommen. Beispiel: eine befreundete Nachbarin hat in ihrer Studienarbeit als Pädadogik-Studentin herausgefunden, dass in den ländlichen Gemeinden hier in der Gegend, in denen der Anteil von Kindern aus "höher gebildeten" Elternhäusern überdurchschnittlich hoch ist, das Leistungsniveau der GESAMTEN Schüler der Grundschulklassen ebenfalls überdurchschnittlich hoch ist. Die betreffenden Gemeinden sind der bevorzugte Wohnort von Anhörigen einer großen Forschungseinrichtung und Universität. Die vielzitierten Arbeiterkinder gibt es dort genauso. Sie werden von den anderen einfach "mitgezogen".
sonja47
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von sonja47
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.02.2012, 01:24:33
Zitat von @mart1

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind wesentlich besser als sie so oft in den Medien und von vielen Alten dargestellt werden, die ihre eigene Jugend schon längst geschönt haben. Da ist sehr viel Selbstbetrug dabei....auch bei der Beurteilung, ob Werte zerfallen. Können Werte zerfallen? Sieht man doch oft nur den Betrug des Nachbarn und des Politikers, das eigene kostenschonende Verhalten wird dagegen unter einem positiven Vorzeichen gesehen. Aber war das nicht schon im alten Griechenland so?
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mart1
da gehe ich mit Dir einig!

Leider hört mann das in jeder Generation dass die jeweils nachkommende Generation sich schlechter benehme, ein regelrechtes runter kapiteln der jeweiligen Jungen, was doch
niemals stimmen kann.

Und wie mich dieses Geschwätz in den öffentlichen Verkehrsmittel ärgert, doch dagegen zu sprechen fördert in
den verurteilenden Menschen nur eine imense Wut!

Es ist anmassend vom totalen Wertezerfall aller Jugendlichen zu sprechen, die Mehrheit von der natürlich in den Medien nichts berichtet wird, haben eine sehr gute Umgangsform.

Sonja


Mitglied_81b4260
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf sonja47 vom 19.02.2012, 12:38:15
Sonja,

Ich mag mich nicht wieder in eine fruchtlose Diskussion verwickeln lassen.

Aber du kannst hier sehr viel kluge Dinge auf 15 leicht lesbaren Seiten nachlesen.

"Werte" lassen sich doch zurückführen auf "Wertschätzung" der anderen Person.
Wertschätzung der anderen Person ist nur möglich, wenn ich mich selbst wertschätze.

"Wenn du dich selbst annimmst, kannst du andere annehmen und wirst von anderen angenommen."
Und das hat sehr viel mit den Einstellungen zu tun, die hinter Erziehungsmethoden stecken.

Ordnung um der Ordnung willen zu erzwingen? Pünktlichkeit um der Pünktlichkeit willen zu erzwingen? Höflichkeit um der Höflichkeit willen zu erzwingen? ....Gehorsam um des Gehorsams willen zu erzwingen ?....
Ja, das gelingt schon!

Die Methoden dazu sind bekannt. - Sie wurden "Schwarze Pädagogik" genannt und sind im Erziehungsratgeber der J.Harrer zu finden.

LG mart


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Mitglied_81b4260
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf luchs35 vom 19.02.2012, 10:28:40
"Meine Frage galt dem Wandel (siehe Anfangsthread). Wir stehen heute anderen Einflüssen gegenüber als in früheren Zeiten, und es ist doch unübersehbar, dass durch die breiteren Informationsmöglichkeiten ganz andere Sichtweisen für den Umgang mit Menschen entstanden sind."

geschrieben von luchs


Auch zur Betrachtung des "Wertewandels" gibt es in meinem oben angeführten Link interessante Einsichten.

....Dostojewski mutmaßte bereits, dass dann, wenn Gott nicht existiere, alles erlaubt sei.
Er meinte damit: Wenn der Ursprung unserer moralischen Regeln nicht mehr existiere,
dann hätten die moralischen Regeln ihre Geltungsbasis verloren. Wir hätten es dann
mit einem Werteverfall oder gar einem Werteverlust zu tun....


im Link geht es weiter!
luchs35
luchs35
Mitglied

Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von luchs35
Ich möchte jetzt mal nicht auf die einzelnen Beiträge eingehen, das Thema ist schwierig, das war mir bewusst. Deshalb versuche ich es einmal anders anzugehen:

Mit dem Begriff "Werte" begann man sich erst vor etwa 100 Jahren auseinanderzusetzen, aber über Wertevorstellungen stritten sich schon von jeher auch die großen Philosophen seit Platon und Aristoteles bis in die heutige Zeit, ohne einen Konsens zu finden.
Die Auseinandersetzungen zeigen auch gleichzeitig ein großes Spektrum von Aufassungen und Einordnungen, angepasst an das Zusammenleben in den jerweiligen Zeitabschnitten, die dem Zusammmenleben der Menschen eine Form gaben.

Und sicher hängt auch der teilweise Wertewandel mit dem Fortschritt der letzten Jahrzehnte zusammen. Noch nie war seit der Erfindung des Rades dieser Fortschritt in einem solchen Tempo verlaufen wie wir es erleben. Was für unsere Großeltern noch galt, ist heute nur noch zum Teil gültig. Hinter dem Fortschritt in allen Bereichen unseres Lebens hinkt aber die ethische Orientierung oder die überlieferten Wertevorstellungen weit hinterher .

Rücksichtnahme, Dankbarkeit, Ehrfurcht , Verantwortungsgefühl , Menschenliebe blieben weitgehend zurück. Wir beklagen, dass unsere Welt kälter geworden ist, dass es immer schwieriger wird, sich auf sich selbst zu besinnen und trauern mitunter Zeiten nach, die ganz und gar nicht so rosig waren, aber in denen viele Wertorietierungen noch Gültigkeit hatten. Unbestritten auch, dass Werte wie Gehorsamkeit, Treue, Ehre von der Politik zu gerne benutzt wurden, um sie für eigene Zwecke zu missbrauchen - wie auch die Zwangswerte der Religionen.

Was also sind überhaupt ethische Werte, die in unsere Zeit passen, die Orientierung und Lebenshilfe vermitteln , die nicht nur zum Eigennutzen benützt werden und die wir als "Lebenskrückstock" unseren Kindern und Enkeln weitergeben können ?

Luchs
Mitglied_81b4260
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Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf luchs35 vom 19.02.2012, 15:00:38
Luchs, hast du den angeführten Link gelesen?
[i]Wir beklagen, dass unsere Welt kälter geworden ist,

Ich kann das nicht feststellen und ich beklage mich daher nicht über eine "kältere" Welt, was auch immer du darunter verstehst.

dass es immer schwieriger wird, sich auf sich selbst zu besinnen
Ob ich mich auf mich selbst besinne, liegt einzig und allein bei mir. Nein, mit zunehmendem Alter und vielen neuen Erkenntnissen fällt es mir wesentlich leichter als früher.


und trauern mitunter Zeiten nach, die ganz und gar nicht so rosig waren, aber in denen viele Wertorietierungen noch Gültigkeit hatten.



Ich trauere nicht den Zeiten nach, die ich kenne, einer Nachkriegszeit, die angefüllt war mit Scheinheiligkeit, Deckedarüberziehen, patriachalischen Denkweisen.[/indent]

Liebe Luchs, ich kann den allgemeinen Klagen über den Werteverfall so nicht zustimmen.

LG mart
pippa
pippa
Mitglied

Re: Wertezerfall oder Wertewandlung?
geschrieben von pippa
Einen Wertezerfall kann auch nicht sehen, eher eine Wertewandlung, ja sogar eine Aufwertung so mancher Werte.

Gab es denn schon jemals so viele Menschen, die mit Hingabe Umwelt und Natur schützen? Natürlich noch nicht genug, aber ich glaube, es werden immer mehr.

Wann hat man jemals das von den Vorfahren Geschaffene so hoch geachtet, dass man sogar Ämter geschaffen hat (Denkmalpflege)?

Noch nie war das Bestreben, etwas erhalten zu wollen so groß wie heute.
Sicher gibt es noch viele andere Beispiele.

Den Untergang der Werte haben ältere Menschen in jeder Generation beklagt, aber außer in der Barbarei des sog. dritten Reiches, kann ich das nicht erkennen.


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