Soziales Die Lüge
Ich habe schon oft gelogen. In meinem Beruf kommt es oft darauf an, Mut, Motivation und Hoffnung zu verbreiten.
Selbst wenn man also bezweifelt, dass die Aufgabe wirklich zu schaffen ist, ist es sehr Kontraproduktiv diese Zweifel zu äußern.
Hallo Hannes,
Der Arzt sagte meiner Mutter und mir, dass mein Vater nicht mehr lange zu leben habe und meine Mutter wollte dies meinem Vater verschweigen. Als er mich direkt fragte, brachte ich es jedoch nicht übers Herz, ihn zu belügen und habe auf seine Frage, ob es Krebs sei, genickt. Er hatte keinerlei Chance mehr (er starb 2 Wochen nach der Diagnose) und meine Mutter war mir zum Glück nicht böse. Das hätte mich sehr belastet.
Ich wünsche mir, dass man mit mir ebenso verfährt und mich nicht belügt, wenn es einmal so weit ist.
Mane
Hallo Mane,
durch Zufall bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die, wie ich finde, in deinen Thread gut passt:
Zitat:
"Der Wahrheitsladen von Anthony de Mello
Ein Mann durchstreifte die kleinen Gassen der Provinzstadt. Er hatte keine Eile, und deshalb verweilte er einen Moment vor jedem Schaufenster, vor jedem Laden, auf jedem Platz. Als er um die Ecke bog, befand er sich plötzlich vor einem bescheidenen Ladenlokal mit weißer Markise. Interessiert wandte er sich dem Schaufenster zu, näherte sich der Fensterscheibe, um durch das dunkle Glas zu blicken. Drinnen sah er nichts als einen Notenständer, und darauf eine kleine handgeschriebene Karte, auf der stand: Wahrheitsladen.
Der Mann war überrascht. Er hielt es für einen Phantasienamen, konnte sich aber nicht vorstellen, was man dort verkaufte.
Er betrat den Laden, ging auf das Fräulein zu, das sich hinter dem ersten Verkaufstisch befand, und fragte: "Entschuldigen Sie, ist das der Wahrheitsladen?"
"Ja, mein Herr. Welche Art Wahrheit suchen Sie? Die halbe Wahrheit, die relative Wahrheit, die statistische Wahrheit oder die ganze Wahrheit?"
Hier wurde also mit der Wahrheit gehandelt. Er hätte sich nie träumen lassen, dass das möglich wäre. Irgendwo hinzugehen und die Wahrheit einzukaufen war wunderbar.
"Die ganze Wahrheit", antwortete der Mann ohne Zögern.
'Ich bin all die Lügen und Falschheiten leid', dachte er. 'Ich habe die Verallgemeinerungen und Rechtfertigungen satt, die Täuschungen und den Betrug.'
"Die reine Wahrheit", bekräftigte er.
"Sehr wohl, mein Herr. Wenn Sie mir bitte folgen wollen."
Das Fräulein führte den Kunden in einen anderen Bereich, verwies ihn an einen Verkäufer mit mürrischer Miene und sagte: "Der Herr wird Sie bedienen."
Der Verkäufer trat auf ihn zu und wartete darauf, dass der Kunde seinen Wunsch äußerte.
"ich möchte die ganze Wahrheit kaufen."
"Aha. Verzeihen Sie, mein Herr, aber kennen Sie den Preis?"
"Nein, wie teuer ist sie?", fragte er gewohnheitsmäßig, obwohl er bereits wusste, dass er jedweden Preis für die ganze Wahrheit zahlen würde.
"Wenn Sie sie gleich mitnehmen", sagte der Verkäufer, "ist der Preis, dass sie nie wieder in Frieden leben werden."
Ein Schauer lief dem Mann über den Rücken. Nie hätte er gedacht, dass der Preis so hoch sein könnte.
"Vie... Vielen Dank... Entschuldigen Sie... ", stotterte er.
Er machte kehrt und verließ das Geschäft mit gesenktem Blick.
Er war ein bisschen traurig, als ihm bewusst wurde, dass er immer noch nicht bereit war für die absolute Wahrheit, dass er immer noch ein paar Lügen brauchte, bei denen er sich erholen konnte, ein paar Mythen und Schönfärbereien, in die er sich flüchten konnte, ein paar Ausreden, um sich nicht mit sich selbst konfrontieren zu müssen...
'Vielleicht ein andermal', dachte er."
Aus: Jorge Bucay; Komm, ich erzähl dir eine Geschichte; 2005; S. 255-257
Gruß
Roxanna
durch Zufall bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die, wie ich finde, in deinen Thread gut passt:
Zitat:
"Der Wahrheitsladen von Anthony de Mello
Ein Mann durchstreifte die kleinen Gassen der Provinzstadt. Er hatte keine Eile, und deshalb verweilte er einen Moment vor jedem Schaufenster, vor jedem Laden, auf jedem Platz. Als er um die Ecke bog, befand er sich plötzlich vor einem bescheidenen Ladenlokal mit weißer Markise. Interessiert wandte er sich dem Schaufenster zu, näherte sich der Fensterscheibe, um durch das dunkle Glas zu blicken. Drinnen sah er nichts als einen Notenständer, und darauf eine kleine handgeschriebene Karte, auf der stand: Wahrheitsladen.
Der Mann war überrascht. Er hielt es für einen Phantasienamen, konnte sich aber nicht vorstellen, was man dort verkaufte.
Er betrat den Laden, ging auf das Fräulein zu, das sich hinter dem ersten Verkaufstisch befand, und fragte: "Entschuldigen Sie, ist das der Wahrheitsladen?"
"Ja, mein Herr. Welche Art Wahrheit suchen Sie? Die halbe Wahrheit, die relative Wahrheit, die statistische Wahrheit oder die ganze Wahrheit?"
Hier wurde also mit der Wahrheit gehandelt. Er hätte sich nie träumen lassen, dass das möglich wäre. Irgendwo hinzugehen und die Wahrheit einzukaufen war wunderbar.
"Die ganze Wahrheit", antwortete der Mann ohne Zögern.
'Ich bin all die Lügen und Falschheiten leid', dachte er. 'Ich habe die Verallgemeinerungen und Rechtfertigungen satt, die Täuschungen und den Betrug.'
"Die reine Wahrheit", bekräftigte er.
"Sehr wohl, mein Herr. Wenn Sie mir bitte folgen wollen."
Das Fräulein führte den Kunden in einen anderen Bereich, verwies ihn an einen Verkäufer mit mürrischer Miene und sagte: "Der Herr wird Sie bedienen."
Der Verkäufer trat auf ihn zu und wartete darauf, dass der Kunde seinen Wunsch äußerte.
"ich möchte die ganze Wahrheit kaufen."
"Aha. Verzeihen Sie, mein Herr, aber kennen Sie den Preis?"
"Nein, wie teuer ist sie?", fragte er gewohnheitsmäßig, obwohl er bereits wusste, dass er jedweden Preis für die ganze Wahrheit zahlen würde.
"Wenn Sie sie gleich mitnehmen", sagte der Verkäufer, "ist der Preis, dass sie nie wieder in Frieden leben werden."
Ein Schauer lief dem Mann über den Rücken. Nie hätte er gedacht, dass der Preis so hoch sein könnte.
"Vie... Vielen Dank... Entschuldigen Sie... ", stotterte er.
Er machte kehrt und verließ das Geschäft mit gesenktem Blick.
Er war ein bisschen traurig, als ihm bewusst wurde, dass er immer noch nicht bereit war für die absolute Wahrheit, dass er immer noch ein paar Lügen brauchte, bei denen er sich erholen konnte, ein paar Mythen und Schönfärbereien, in die er sich flüchten konnte, ein paar Ausreden, um sich nicht mit sich selbst konfrontieren zu müssen...
'Vielleicht ein andermal', dachte er."
Aus: Jorge Bucay; Komm, ich erzähl dir eine Geschichte; 2005; S. 255-257
Gruß
Roxanna
Eine sehr bezeichnende Geschichte, Roxana!
Dazu passt auch, was ich heute morgen in meiner frz. Zeitschrift "l' Express" las: Die Wahrheit so sagen, wie wir sie wahrnehmen = Dire la vérité telle que nous la voyons (J.J. Servan-Schreiber)
Gruss Val
Dazu passt auch, was ich heute morgen in meiner frz. Zeitschrift "l' Express" las: Die Wahrheit so sagen, wie wir sie wahrnehmen = Dire la vérité telle que nous la voyons (J.J. Servan-Schreiber)
Gruss Val
Hallo mane
ich bin kein Arzt.
Ich habe viele Jahre für eine kirchliche Stiftung gearbeitet.
Nach Katastrophen ging es um den Aufbau von Behinderten- Einrichtungen, Waisenhäusern und Wohngruppen für Jugendliche.
Wenn man in scheinbar aussichtslosen Situationen Menschen dazu bringen will, um eine bessere Zukunft zu kämpfen. Mitarbeiter motivieren muss, auch mal gegen Windmühlenflügel zu kämpfen, muss man Zuversicht verbreiten, auch wenn man abends allein im Zimmer verzweifelt ist. Am Morgen gehst du lächelnd raus, denn du weißt, dass alle verzweifelt sind und auf dich warten, damit du ihnen sagst, das die Aufgabe lösbar ist und wir es schaffen.
Wenn du da deine Wahrheit sagst, kannst du gleich aufhören, denn Hoffnung ist das Einzige, was Menschen zu Höchstleistungen antreibt und Mut und Motivation zum Kämpfen gibt.
ich bin kein Arzt.
Ich habe viele Jahre für eine kirchliche Stiftung gearbeitet.
Nach Katastrophen ging es um den Aufbau von Behinderten- Einrichtungen, Waisenhäusern und Wohngruppen für Jugendliche.
Wenn man in scheinbar aussichtslosen Situationen Menschen dazu bringen will, um eine bessere Zukunft zu kämpfen. Mitarbeiter motivieren muss, auch mal gegen Windmühlenflügel zu kämpfen, muss man Zuversicht verbreiten, auch wenn man abends allein im Zimmer verzweifelt ist. Am Morgen gehst du lächelnd raus, denn du weißt, dass alle verzweifelt sind und auf dich warten, damit du ihnen sagst, das die Aufgabe lösbar ist und wir es schaffen.
Wenn du da deine Wahrheit sagst, kannst du gleich aufhören, denn Hoffnung ist das Einzige, was Menschen zu Höchstleistungen antreibt und Mut und Motivation zum Kämpfen gibt.
mane, du bist auf meiner Wellenlänge, hast auch vom Baum der Erkenntnis gegessen.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, da hätte man viel zu tun und zu beachten.
Sollen wir noch einen Apfel gemeinsam essen?
Meine Version vom "Baum der Erkenntnis":
Als der Mensch noch ein Tier war, da war er glücklich; er lebte in den Tag hinein, füllte seinen Magen mit den Dingen, die auf der Erde wuchsen, kopulierte mit seinen Rudelpartnerinnen - und war zufrieden und glücklich.
Dann begann der Mensch zu denken: Er sah, dass Rudelgenossen, die regungslos auf der Erde lagen, nicht mehr atmeten. Und er merkte, dass sie tot waren.
Und da begann er zu überlegen: "Könnte das mir vielleicht auch eines Tages passieren, dass ich regungslos auf dem Boden liege, nicht mehr atme, also tot bin - und von Aasfressern aufgefressen werde?"
Und als der Mensch diese Frage widerstrebend mit "ja" beantwortete, wusste er, dass er vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte - und fortan in Angst vor dem Tode leben müsse - weil er eben kein Tier mehr sei, sondern ein denkender Mensch!
Hallo Mane,
...
"Ja, mein Herr. Welche Art Wahrheit suchen Sie? Die halbe Wahrheit, die relative Wahrheit, die statistische Wahrheit oder die ganze Wahrheit?"
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"Die ganze Wahrheit", antwortete der Mann ohne Zögern.
'Ich bin all die Lügen und Falschheiten leid', dachte er. 'Ich habe die Verallgemeinerungen und Rechtfertigungen satt, die Täuschungen und den Betrug.'
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"Wenn Sie sie gleich mitnehmen", sagte der Verkäufer, "ist der Preis, dass sie nie wieder in Frieden leben werden."
Ein Schauer lief dem Mann über den Rücken.
Er machte kehrt und verließ das Geschäft mit gesenktem Blick.
Er war ein bisschen traurig, als ihm bewusst wurde, dass er immer noch nicht bereit war für die absolute Wahrheit, dass er immer noch ein paar Lügen brauchte, bei denen er sich erholen konnte, ein paar Mythen und Schönfärbereien, in die er sich flüchten konnte, ein paar Ausreden, um sich nicht mit sich selbst konfrontieren zu müssen...
'Vielleicht ein andermal', dachte er."
Gruß
Roxanna
Liebe Roxanna,
ich freue mich, dass du diese passende Geschichte eingestellt hast, die vieles von dem erzählt, was in diesem Thread zur Sprache kam. Eines ist neu - die Erklärung, dass auch gelogen wird "um sich nicht mit sich selbst konfrontieren zu müssen".
Manchmal ist es sinnvoll, unseren "Keller" (Unterbewusstsein) zu entrümpeln. Dort ist vieles verstaut, mit dem wir uns nicht befassen wollen - was aber unser Leben weiter beeinflusst.
Liebe Grüße,
Mane
Hallo Val,
zu deinem Satz "die Wahrheit so sagen, wie wir sie wahrnehmen", füge ich noch hinzu: und zu dem stehen, was wir als richtig erkannt haben bzw. den Mut aufzubringen, ehrlich zu sein.
Mane
Hallo Hannes,
du hast recht, ein Mensch, der keine Hoffnung mehr hat, hat aufgegeben. Anderen Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen und somit Kräfte freizusetzen aus einer scheinbar ausweglosen Situation herauszukommen, kann sehr hilfreich sein.
Du schreibst aber, dass du schon oft gelogen hast, um Menschen zu motivieren. Ich kann verstehen, dass du dabei manchmal deine eigenen Zweifel verschwiegen hast, um die Leute nicht zu demotivieren - frage mich aber, ob es redlich ist, einer Hoffnung durch eine Lüge Nahrung zu geben? Was ist, wenn das Vorhaben nicht gelingt und man eingestehen muss, dass es doch keine Hoffnung gibt?
Mane
du hast recht, ein Mensch, der keine Hoffnung mehr hat, hat aufgegeben. Anderen Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen und somit Kräfte freizusetzen aus einer scheinbar ausweglosen Situation herauszukommen, kann sehr hilfreich sein.
Du schreibst aber, dass du schon oft gelogen hast, um Menschen zu motivieren. Ich kann verstehen, dass du dabei manchmal deine eigenen Zweifel verschwiegen hast, um die Leute nicht zu demotivieren - frage mich aber, ob es redlich ist, einer Hoffnung durch eine Lüge Nahrung zu geben? Was ist, wenn das Vorhaben nicht gelingt und man eingestehen muss, dass es doch keine Hoffnung gibt?
Mane
Liebe Roxanna,
mane hat es schon vorweggenommen: Ich finde deine Geschichte auch sehr passend, weil sie unterstreicht, war wir hier besprochen haben.
Danke dafür.
Liebe Grüße,
Federstrich
mane hat es schon vorweggenommen: Ich finde deine Geschichte auch sehr passend, weil sie unterstreicht, war wir hier besprochen haben.
Danke dafür.
Liebe Grüße,
Federstrich
Ich komme gerade aus Düsseldorf, wo wir in der Tonhalle ein Konzert von Herman van Veen besucht haben. Er ist einer der wahrhaftigsten Künstler, den ich kenne. Es war wie immer, sehr schön - ich schwanke bei seinen Auftritten immer zwischen Lachen und Weinen.
Hier ist ein Lied, welches er heute ( gestern) Abend gesungen hat - es passt in den Thread. Leider gibt es dies nicht auf youtube.
Mehr davon ist hier zu lesen:
Kleines Lied
Gruß Mane
Hier ist ein Lied, welches er heute ( gestern) Abend gesungen hat - es passt in den Thread. Leider gibt es dies nicht auf youtube.
Lüg mich bitte nicht an
nicht über was Großes, nicht über was Andres
lieber hör ich das Vernichtendste
als dass Du lügst
denn das ist noch vernichtender
Mehr davon ist hier zu lesen:
Kleines Lied
Gruß Mane
Liebe Mane,
das Lied ist wirklich wie gemacht für diesen Thread. Ich mag die Lieder Hermann van Veens auch sehr. Schade, dass er uns hier unten im Süden so selten besucht. Ich weiß gar nicht, wann er das letzte Mal hier ein Konzert gegeben hat. Vielleicht kannst du als langjähriger Fan mal ein gutes Wort für uns einlegen .
Lüge ist ein großes, wichtiges und vielschichtiges Thema für uns Menschen.
Liebe Grüße
Roxanna
das Lied ist wirklich wie gemacht für diesen Thread. Ich mag die Lieder Hermann van Veens auch sehr. Schade, dass er uns hier unten im Süden so selten besucht. Ich weiß gar nicht, wann er das letzte Mal hier ein Konzert gegeben hat. Vielleicht kannst du als langjähriger Fan mal ein gutes Wort für uns einlegen .
Lüge ist ein großes, wichtiges und vielschichtiges Thema für uns Menschen.
Liebe Grüße
Roxanna