Seniorentreff-Beitraege "Das Ruhrgebiet literarisch..."

anjeli
anjeli
Mitglied

Enigma, deine Geschichten fesseln mich
geschrieben von anjeli
und ich möchte mich bei dir bedanken.
Ja, wir schwimmen auf einer Wellenlänge.Bestimmt weil wir beide im Ruhrpott aufgewachsen
sind und die immer die Augen und Ohren offen gehalten haben. Auch unsere soziale Ein-
stellung läßt unser gemeinsames Level erklären.
Zu den mächtigen Krupps möchte ich sagen, daß sie mit den früheren Großgrundbesitzer
zu vergleichen sind.Ich kann mich erinnern, daß ein Krupp einmal gesagt hat" Ich bin
der Herr auf meinem Grund und Boden und ich werde es immer sein. Ich bin nicht sicher,
ob es Alfried Krupp war und wann er diese Worte gesagt hat. Ich muß nochmal genau re-
cherschieren.


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enigma
enigma
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Das wird wohl so sein, Anjeli......
geschrieben von enigma
als Antwort auf anjeli vom 22.06.2010, 20:56:40
...dass wir ähnlich empfinden, weil “der Pott” nun mal unsere Heimat ist, wir hier aufgewachsen sind und schließlich den beginnenden und mittlerweile zumindest teilweise auch vollzogenen Wandel der Region weg von einer jahrelang die Gegend beherrschenden Monostruktur zum tertiären Sektor miterlebt haben.
Jetzt haben wir fast in jeder Großstadt die riesigen Einkaufszentren, die den Handel kräftig ankurbeln sollen. Schön finde ich die auch nicht immer, aber sie spülen wohl tatsächlich Geld in die Stadtkassen. Das muss auch sein, denn “meine” Stadt ist auch so gut wie pleite.

Neben dem Handel wurden besonders nach der Kohlekrise die Informations- und Kommunikationsindustrie sowie die Umwelttechnik gefördert.


Jetzt aber die dritte - und letzte - Geschichte von Jura Soyfer , wieder aus dem Buch “Im Reich der großen Schlotbarone” aus dem Jahre 1932:

Komm hungern nach Essen!
Jura Soyfer

“Lauter als jede Agitationsrede tönt die Stimme der Arbeitslosenzahlen für das Ruhrgebiet:

In Essen gab es gegen Ende des Jahres 1929 27000 Arbeitslose! 1930 wurden es 60000. 1931 76500 und Mitte 1932 82200. In Duisburg stiegen die Zahlen folgendermaßen: 9300, 25200 50700, 64200.
Und in Düsseldorf 18900, 34000, 53300, 66.000.

In der Schwerindustrie werden die Menschen ruckweise in großen Schubs aus dem Produktionsprozeß geworfen, weil die Einstellung der Aufträge nach Tausenden von Tonnen zählt. Hier wird mit allen Vervollkommnungen der rationalisierten Metallindustrie in Massenproduktion der Hunger produziert.

Die Zahlen sprechen ein eindeutiges Urteil. Wer die Urteilsbegründung näher hören will, frage die Menschen, die hinter den Zahlen stehen. Sie sind in Essen in den Zinskasernen von Segeroth und den Elendsbaracken der Papestraße zu finden. Die Krise hat die Baracken - die natürlich Krupp gehören - geleert und wieder gefüllt; überdick gefüllt, mit hungrigen Kindern, mürrischen Männern und Frauen.
Im Kreise von Familien, die die Papen-Notverordnung verdammt hat, für 5 Mark und 70 Pfennig die Woche zu leben, weil sie “nur” sieben Köpfe zählen, hält man nicht viel von den großen Brotgebern der deutschen Wirtschaft, und auch nicht in den Familien derer, die heute noch Arbeit haben.
Ein beliebiger Krupp-Arbeiter zum Beispiel ist jederzeit bereit, vorzurechnen, um wie viel ihm der Lohn den letzten zwei Jahren gekürzt worden ist! Das Ergebnis lautet: 50 Prozent.

Sie sind sehr lebendig im Ruhrgebiet, die toten Zehntausenderzahlen der Statistiken! Sie stehen nicht nur auf dem Papier, sie stehen in den endlosen Straßen der grenzenlosen Städte, an den Stempelstellen, sie schreiben das Menetekel dieser Gesellschaftsordnung mit grellweißen Lettern an die Wand. Gewiß - heute stellen die Millionen Arbeitslosen nur Nullen im politischen Leben Deutschlands dar. Heute sind die Faktoren aller Berechnungen Herr Papen, Herr Schleicher, Herr Hitler. Aber einmal das Reich der Schlotbarone von unten zu sehen, um zu wissen: das Spiel, in dem Herr Bracht, einst Bürgermeister von Essen, und die Direktoren, die heute in den Verwaltrungspalästen von Essen residieren, so wichtige Rollen spielen, ist nur ein wirrer Spuk.
Die unerbittliche Realität Deutschlands liegt in den Elendsbaracken von Essen, sie werkt in den Zechen, lungert um die Stempelstellen und schuftet an den glühenden Metallströmen des Ruhrgebiets.

Der Spuk wird sehr schnell verfliegen, wenn die Wirklichkeit einst ihre Rechte fordern wird.”


Gruß von Enigma



smokie
smokie
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Die Papen-Notverordnung
geschrieben von smokie
ist schon spannend: Damals war es die Papen-Notverordnung, heute ist es Hartz 4. Und das zentrale Thema dieser Problematik scheint völlig aus dem Blickfeld geraten, also die Tatsache, dass es die Arbeiter sind, die mit ihren Haenden den Reichtum schaffen, und dann doch keinen gerechten Anteil daran erhalten.
Erstaunlich, wie diese alten Aufsaetze heute noch nachdenklich machen und irgendwie auch deprimierend.
Lg von smokie

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enigma
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Re: Die Papen-Notverordnung
geschrieben von enigma
als Antwort auf smokie vom 23.06.2010, 23:52:28
Ja, Smokie,

die zurzeit geplanten Sparmaßnahmen lassen ja auch wirklich den Schluss zu, dass die gegenwärtig Privilegierten ziemlich ungeschoren davonkommen und im Gegensatz dazu die Armen reichlich geschröpft werden sollen.
Aber ich möchte trotz allem die Hoffnung nicht aufgeben, dass diese Situation veränderbar ist.

Enigma

Heute möchte ich ein Gedicht von Heinrich Kämpchen einstellen, das auch vertont wurde:

„Den tapferen Frauen

Nach dem schweren, harten Ringen
Müssen wir ein Loblied singen,
Auf die wacker'n Bergmannsfrauen,
Die da ohne Furcht und Grauen
In den schlimmen Kampfestagen
Alle Opfer halfen tragen.

Statt zu weinen und zu jammern,
Und ans Bitten sich zu klammern,
Haben sie mit Heldenmute
Sich begeistert für das Gute,
Für die Knappen im Gefechte,
Sprachen Hohn den feigen Knechte.

Wie die Weiber der Germanen,
Standen sie zu unseren Fahnen,
Ließen sich nicht schrecken, irren
Und durch Gleißnerworte kirren -
Nein, sie führten noch die Schwachen,
Halfen mahnen, halfen wachen.

Darum Ehre diesen Frauen,
Die mit uns die Zukunft bauen,
Unsere Kindern schon es lehren,
Sich des Druckes zu erwehren,
Und, will man sie niederringen,
Sieg durch Taten zu erzwingen.

Ist der Kampf auch jetzt beendet,
Niemand weiß wie es sich wendet,
Was für Wolken nun sich ballen,
Wie die Würfel wieder fallen,
Doch, mag's brauen oder blauen,
Hoch die Bergarbeiterfrauen."

Heinrich Kämpchen



smokie
smokie
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Hallo Enigma !
geschrieben von smokie
Nochmals danke dafür, dass Du diese Auszüge hier einstellst. Das Büchlein habe ich schon auf meine Einkaufsliste für den naechsten Heimaturlaub gesetzt - bin total begeistert.
Lg smokie
enigma
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Danke, Smokie...
geschrieben von enigma
als Antwort auf smokie vom 28.06.2010, 00:19:10
Ich lese gerne in dem Bändchen.

Ein Gedicht von Klabund passt auch zu unserem Ruhrpott-Thema, vor allem zur vergangenen Situation:


"Proleten

Sieben Kinder in der Stube
Und dazu ein Aftermieter,
Hausen wir in feuchter Grube,
Und der blaue Tag - o sieht er
Uns, verbirgt er sein Gesicht.
Gebt uns Licht, gebt uns Licht!

Büsse Weib die Ehe, büsse.
Wie wir einst uns selig wähnten -
Sehn wir jetzt nur noch die Füsse
Der an uns Vorübergehnden ...
Keiner, der mal stehen bliebe ...
Gebt uns Liebe, gebt uns Liebe!

Mancher schläft auf nacktem Brette.
Unsre Älteste, die Katze,
Schnurrt dafür in einem Bette
Mit dem Mieter, ihrem Schatze.
Die Moral ist für den Spatz ...
Gebt uns Platz, gebt uns Platz!

In dem Sausen der Maschinen,
In dem Fauchen der Fabrik,
Wo sind Berg und Reh und Bienen
Und der Sterne Goldmusik?
Unser Ohr ist längst verstopft .. ,
Hämmer klopft, Hämmer klopft!

Und so kriechen unsre Tage
Ekle Würmer durch den Keller,
Und wir hungern, und wir klagen
Nie: schon pfeift die Lunge greller;
Schmeisst die Schwindsucht uns in Scherben ...
Lasst uns sterben, lasst uns sterben!"


Klabund (1890 - 1928)




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enigma
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"Die Ehre der Krupps"... ;-)
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 29.06.2010, 07:46:07
Im Ruhr.Buch findet sich auch ein Auszug, genannt “Die Ehre der Krupps” aus dem Buch “Das malerische und romantische Westphalen” von Levin Schücking und F. Freiligrath.
Dieses Buch kenne ich nicht. Levin Schücking war mir bisher eigentlich nur durch seine Beziehung zu Annette von Droste-Hülshoff bekannt.

Wie anders als die später oft sehr kritischen Stimmen zu der wachsenden Industrialisierung mit ihren sozialen Folgeerscheinungen klingt da noch die fast schwärmerisch anmutende Bewunderung des Herrn Krupp, seiner Waffenschmiede und seiner industriellen und auch privaten Besitztümer bis hin zu dem Satz, dass bei solchen Schöpfungen auch die Industrie poetisch wird.

Aber der Zeitpunkt der Betrachtung liegt ja auch mehr als 125 Jahre zurück.


Levin Schücking (1814-1883)
Die Ehre der Krupps*
(1872)

“Essen selbst ist eine häßliche Stadt, der nur die vor ihren Thoren liegenden villenartigen Häuser reicher Industriellen einen Schmuck geben. Sie ist so schwarz vom Kohlenstaub wie London von seinem Nebelqualm. Der Bergbau auf Kohlen, dessen Mittelpunkt Essen ist, wird schon um 1317 erwähnt, von 1663 an läßt sich in den Urkunden des städtischen Archivs seine Entwicklung verfolgen; von der Einführung der Dampfmaschinen an beginnt sein riesenhafter Aufschwung, den schon die Schiffbarmachung der Ruhr wesentlich gefördert hatte, eine Unternehmung, welche, unmittelbar nach dem siebenjährigen Kriege von einem Schullehrer und Berggeschworenen J.G. Möser in Blankenstein angeregt und betrieben, im Jahre 1780 zur Beschiffung der Ruhr mit Kohlennachen bis Hardenstein gelangte und dann mit zäher westphälischer Ausdauer viele Jahre hindurch fortgesetzt, endlich durch die energische Theilnahme des Oberpräsidenten v. Vincke vollendet und durchgeführt wurde.
Ist aber die Ausbeutung des Kohlenreichthums der Gegend um Essen zu riesenhaftem Aufschwunge gediehen, noch riesenhafter erscheint uns die Ausbeutung der Maschinenkräfte, welche mit dieser Kohle genährt werden - in dem weltberühmten Industrie-Colosseum, welches an der Westseite von Essen liegt, in der größten aller Fabriken, welche menschliche Betriebsamkeit geschaffen hat - in dieser merkwürdigen Anstalt, wo wie im Mittelalter sich das Handwerk mit der Kunst, so heute die Fabrication sich auf`s engste mit der Wissenschaft verbindet und verschmilzt.
Wir brauchen den Namen des Schöpfers dieser Anstalt nicht zu nennen, die Welt kennt ihn; aber wir wollen ihn nennen, um einmal in diesem Buche, in welchem so viel die Rede gewesen von den alten Kaisern und ihrer oft so melancholischen Herrlichkeit, auch die frohe Herrlichkeit unsres neuen glorreichen Kaisers und seines Kanzlers erwähnen zu können und zu sagen, wo man die großen Namen von 1870 und 1871 nennt, da muß man auch den Namen Krupp`s nennen; des Mannes, dessen Energie, Ausdauer und Scharfsinn es gelang, jene Waffen von Alles zerschmetternder Wirkung zu schaffen, welche die beispiellose Heeresrüstung unseres Volkes so glänzend vervollständigten.

Die Fabrik Krupps ist 1827 gegründet; ihr erster großer Erfolg in der ihr damals noch eigenen Kunst, große Stahlblöcke durch Guß herzustellen, wurde 1851 erzielt oder wenigstens bekannt.; damals sandte sie zu einer Ausstellung nach London einen Block von 45 Centnern; heute werden von ihr Blöcke von tausenden von Centnern hergestellt. Das erste Geschütz aus Gußstahl, einen gezogenen Dreipfünder, brachte Krupp 1846 nach Berlin; das 1867 in Paris ausgestellte Riesengeschütz wiegt tausend Centner.. Tausend Morgen nimmt auch die Oberfläche des Etablissements ein, mit fast drei Meilen Eisenbahnsträngen zur inneren Verbindung, mit 15 Telegraphen-Büreaus; der jährlich ausgezahlte Lohn an die mehr als 10000 Arbeiter beträgt drei Millionen Thaler; für die Schulen, die Krankenanstalten, die Pensionen derer, die 25 Jahre lang ihm ihre Kräfte widmeten, sorgt der Fabrikherr auf`s Ausgiebigste. Es ist ein eigenes Polizeicorps und eine Feuerlöschcompagnie militairisch organisirt; ein Stallmeister befehligt die Roßschalke und die Menge der wirklichen Pferde, die nötig bleiben außerdem imaginären 6000 Pferden, mit deren Kraft die Dampfmaschinen die Räder schwingen, die Kurbeln drehen, die Feuer schüren, die ungeheuren Dampfhämmer von nie dagewesener Schweere auf und nieder stampfen lassen.
Der Dampfmaschinen sind 160, die täglich ihre 14000 Scheffel Kohlen verzehren; der Gesamtwerth der Jahresproduktion soll 12000000 Thaler sein; und alle diese Verhältnisse sind in fortwährender rascher Fortentwicklung und Ausdehnung begriffen und wachsen so durch ihre Riesenhaftigkeit in unser Gebiet, das des Romantischen hinüber, denn bei solchen Schöpfungen wird auch die Industrie poetisch und wird es namentlich dann, wenn auf ihren Grundlagen Schloßbauten und Parkanlagen entstehen, so zaubergärtenhaft wie der neue Wohnsitz Krupps weiter unten an der Ruhr, zu Bredenei bei Werden.”

De Ehre der Krupps*
In: Levin Schücking und F.Freiligrath:
Das malerische und romantische Westphalen. Paderborn, 1977


Enigma
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"Tod an der Ruhr" - ein historischer Kriminalroman...
geschrieben von enigma
Nach einem gestrigen Besuch in “meiner” Buchhandlung habe ich mir erneut ein Buch mitgenommen, und zwar diesmal einen sogenannten “Historischen Kriminalroman”.

Er heißt “Tod an der Ruhr” und wurde geschrieben von dem gebürtigen Oberhausener
Peter Kersken,
der heute in der Eifel lebt.

Obwohl ich keine ausgesprochene Krimi-Leserin bin, hat es mich doch gereizt zu erfahren, was der Autor sich als spannende Handlung im Jahre 1866 ausgedacht hat.

Aber mehr über den Inhalt des Krimis hier:

Na, da bin ich gespannt, was der Polizeidiener Martin Grottkamp da herausfinden wird.

Gruß von Enigma
anjeli
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Hallo Enigma
geschrieben von anjeli
hört sich gut an, schon alleine der Titel sagt doch einiges aus.
Vielen Dank für den Tipp.
Auf jeden Fall werde ich mit das Buch kaufen, auch wenn ich nicht die Krimiliebhaberin
bin.
Das, was ich im Vorspann gelesen habe, paßt ja auch in unsere Zeit. Nur die Cholera
müßte durch Vogelgrippe oder Schweinegrippe ersetzt werden.

Gruß anjeli/ulla
enigma
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Ruhrgebietssprache :-)
geschrieben von enigma
Es gibt eine schöne Seite über die Ruhrgebietssprache, die, wie schon die Überschrift unmissverständlich mitteilt, "Nix wie Höhepunkte" anbietet.

In der Leiste rechts auf der Seite kann man Rat und Hilfe zu einigen offenen Fragen erhalten.

Besonders einige „Literarische Beispiele“, die uns wahrscheinlich anders bekannt sind, haben,in Ruhrgebietssprache übersetzt, sprachlich auch was für sich.

Auszugsweise ein Beispiel von Max und Moritz im Kohlenpott (Ausschnitt Schote 4) von Jott Wolf:

Schote 4
„Wollz später ma en Lärri machen,
Musse bimmsen viele Sachen.
Wollze ma en Daimler fahrn,
Musse orntlich Bildung ham.
Is dat ABC dich fremd,
Hasse immer kurzet Hemd.
Hass kein duftet Käseblatt,
Krisse Knete niemals satt.
Denn dat Lesen und dat Pinnen
Brauchse, um echt wat zu bringen.
Dat sowat tiptop geschah,
Dafür war den Lämpel da.
Max und Moritz, schwer auf Zack,
Konnten den dafür nich ab.
Remmidemmers und Schaluppen
Tun en Pauker gern ein zuppen.“ (...)
geschrieben von Jott Wolf



Weiterlesen hier:

Der gesamte Text ist auch schön illustriert und als Buch erhältlich,


Viel Spaß mit und auf der Seite wünscht Enigma

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