Seniorentreff-Beitraege "Das Ruhrgebiet literarisch..."
Hallo Enigma,
ich lese die Geschichte des Pfarrers und meine, daß der Tod zum Leben gehört.
Beim Leichenschmaus spürte man auch ein wenig Fröhlichkeit, auch das ist für mich
normal. Wann ist der Tod zum Tabuthema geworden ist, ich kann es nicht genau sagen.
Als ich ca. 8 oder 9 Jahre alt war, ist in der Nachbarschaft ein Kleinkind gestorben.
Meine Mutter hat der Familie einen Beileidsbesuch abgestattet. Ich bin mit gegangen.
Das Kind war zu Hause aufgebahrt. Es lag friedlich schlafend in einem großen Wäschekorb.
Für mich war es selbstverständlich das tote Kind anzusehen.Ich hatte keinerlei Ängste.
Es waren Kerzen angezündet, es wurde gesungen und gebetet. Ich habe meine Mutter noch
mehrere Male bei Beileidsbesuchen begleitet. Gruß anjeli
ich lese die Geschichte des Pfarrers und meine, daß der Tod zum Leben gehört.
Beim Leichenschmaus spürte man auch ein wenig Fröhlichkeit, auch das ist für mich
normal. Wann ist der Tod zum Tabuthema geworden ist, ich kann es nicht genau sagen.
Als ich ca. 8 oder 9 Jahre alt war, ist in der Nachbarschaft ein Kleinkind gestorben.
Meine Mutter hat der Familie einen Beileidsbesuch abgestattet. Ich bin mit gegangen.
Das Kind war zu Hause aufgebahrt. Es lag friedlich schlafend in einem großen Wäschekorb.
Für mich war es selbstverständlich das tote Kind anzusehen.Ich hatte keinerlei Ängste.
Es waren Kerzen angezündet, es wurde gesungen und gebetet. Ich habe meine Mutter noch
mehrere Male bei Beileidsbesuchen begleitet. Gruß anjeli
Hallo Anjeli....
Das ist auch für mich der Kernsatz, dass der Tod zum Leben gehört und wir das Wissen darum nicht verdrängen sollten.
Und das zeigt der Autor mit dieser Geschichte nach meinem Empfinden sehr schön.
Da wird Abschied genommen und durch das gemeinsame Essen und die dabei aufkommende Fröhlichkeit und das gemeinsame Reden die Verbindung zum “normalen Leben” wieder hergestellt.
Besonders hat mich der Satz des achtzigjährige Witwers berührt, als er sagte, dass er seiner Frau in ihrer sanften Todesstunde gelobt habe, dass er, da sie doch nicht mehr zu ihm käme, recht bald zu ihr kommen wolle.
Da ist kein Aufbegehren, sondern das Wissen um die baldige Erfüllung auch seines Lebens.
Aber jetzt komme ich im nächsten Beitrag auf ein ganz anderes Thema, wieder mal auf die sozialen Probleme der Kumpel und die Versuche zu deren Bewältigung durch Solidarisierung und Organisation.
Da geht es um eine Kurzgeschichte, die aber nicht kurz genug ist, um sie hier anzufügen, von einem Schriftsteller Rudolf Braune aus 1927.
Dieser Autor war mir auch bisher völlig unbekannt.
Aber mehr über ihn und seine Geschichte im nächsten Beitrag!.
Gruß von Enigma
Das ist auch für mich der Kernsatz, dass der Tod zum Leben gehört und wir das Wissen darum nicht verdrängen sollten.
Und das zeigt der Autor mit dieser Geschichte nach meinem Empfinden sehr schön.
Da wird Abschied genommen und durch das gemeinsame Essen und die dabei aufkommende Fröhlichkeit und das gemeinsame Reden die Verbindung zum “normalen Leben” wieder hergestellt.
Besonders hat mich der Satz des achtzigjährige Witwers berührt, als er sagte, dass er seiner Frau in ihrer sanften Todesstunde gelobt habe, dass er, da sie doch nicht mehr zu ihm käme, recht bald zu ihr kommen wolle.
Da ist kein Aufbegehren, sondern das Wissen um die baldige Erfüllung auch seines Lebens.
Aber jetzt komme ich im nächsten Beitrag auf ein ganz anderes Thema, wieder mal auf die sozialen Probleme der Kumpel und die Versuche zu deren Bewältigung durch Solidarisierung und Organisation.
Da geht es um eine Kurzgeschichte, die aber nicht kurz genug ist, um sie hier anzufügen, von einem Schriftsteller Rudolf Braune aus 1927.
Dieser Autor war mir auch bisher völlig unbekannt.
Aber mehr über ihn und seine Geschichte im nächsten Beitrag!.
Gruß von Enigma
Hallo Engima,
freue mich schon auf deine Kurzgeschichte, bin schon richtig gespannt.
Laß uns nicht zu lange warten.
Gruß anjeli
freue mich schon auf deine Kurzgeschichte, bin schon richtig gespannt.
Laß uns nicht zu lange warten.
Gruß anjeli
Hallo Anjeli.
Ich habe heute Morgen schon versucht, diese Geschichte einzustellen, aber es gelang mir nicht.
Trotz mehrmaliger Versuche sie abzusenden, erschien sie nicht. Den Grund kenne ich nicht, klappte einfach nicht.
Dann habe ich eine Freundin halb auf dem Lande besucht.
Und nun ein erneuter Versuch.
Da bin ich gespannt, ob es jetzt klappt.
Rudolf Braune
Ruhrkumpel
(1927)
"Abends kam ich aus Aachen herüber. Ein kleiner Bahnhof, Station zwischen Köln und Unna.. Trostloser Regen rieselt durch die schwarze Nacht. Die hier fremd sind, frösteln bei der Ankunft! Andern ist es sicher geliebtes Land, an allen öden Brandmauern Erlebnisse, der Grubenrauch Erinnerung, damals und da und: Heimat. Keine Häuser mit warmem Licht in der Nähe, nichts Anheimelndes. Ziemlich nahe schlägt eine Feuerlohe aus der Nacht. Hochöfen. Aber die Distanz ist schwer zu schätzen. Dort muß das Nest sein. Ich stapfe los. Links und rechts an der Straße stehen dunkle Holzzäune. Nur ihre Umrisse sind sichtbar, ich kann sie mir bei Tageslicht nicht anders vorstellen als entsetzlich schmutzig und trostlos. Ich richte mich nach dem Feuerschein, der in regelmäßigen Abständen aufzuckt. Links große dunkle Fabrikgebäude, ein Hund schlägt an.
Hier steht ein Stück des I.G. Farben-Trusts. Vertikalaufbau; unten auf der Straße die Kumpels, oben wandert der Feuerschein der Hochöfen über den Horizont, beides für dieselben Aktionäre.
Vor mir taucht ein Mann auf. Ich grüße, er bleibt stehen.
“Verzeihung, ist da unten die Siedlung?”
“Wo wollen Sie hin?”
Das aufflammende Streichholz beleuchtet den Kopf des Arbeiters. Offenes, schmutziges Hemd, er kommt wohl gerade von der Schicht. Das Gesicht darüber ist unbeweglich. Ich suche im Notizblock den Zettel, da hat mir einer die Adresse aufgeschrieben, sehr undeutlich und verwischt.
Bergenheim oder Borgerheim. Schließlich stellt es sich heraus, dass der Name: Bergmannsheim heißen soll und ich gerade in der verkehrten Richtung gegangen bin. Ich muss denselben Weg zurück, vor mir im Dunkeln flammen jetzt keine Hochöfen, der Nachtwind wandert über das unsichtbare Essenmeer und vermischt sich mit Wolken von Kohlenstaub und Rauch. Das Wasser quietscht in meinen Schuhen. Vor Jahren haben wir uns hier unten mit den Soldaten des Generals Watter herumgeschlagen. Dann fingen wir wieder von vorn an. Die Kumpels in den entlegensten Kaffs bekommen regelmäßig ihr Material, arbeiten selbständig und selbstlos, erstatten Bericht in kindlichen, unorthographischen Handschriften. Jetzt fordern sie Referenten an. Für Kurse. Sie wünschen Schulung, Grundwissen, Verbindung mit den Genossen draußen.
Das Ledigenheim liegt in einer kleinen Mulde. Im Eßsaal sitzen fünfzig oder sechzig Arbeiter, rauchen kurze Pfeifen. Wie ich eintrete, sehen einen Moment alle Gesichter auf, ernst, gespannt, überlegend, dann gehen die Gruppengespräche weiter. Schon zehn Uhr. Ich muß mich beeilen. Es ist bald Schichtwechsel. Hier wird durchgearbeitet. In der Grube gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht.
Ein Junge mit hellen Aufen und einer tiefen Stimme, auf der Kohlenstaub vieler Schichten liegt, eröffnet den Abend. Wie schwer ist es, an diese müden Menschen heranzukommen. Sie sehen aufmerksam und gespannt herüber. Die Gespräche verstummen. Nur das monotone Flackern der Gaslampe begleitet meine Worte. China, englischer Bergarbeiterstreik, dann die innerdeutsche Lage, Tarifkündigungen, Wirtschaftskämpfe, Trustbildung, Rationalisierung, Vorbereitung der Betriebsrätewahlen.
Sie überlegen nicht lange, sofort melden sich vier zum Wort. Ich muß scharf aufpassen, ihr theoretisches Niveau ist erstaunlich hoch, sie spüren allen neuen Ereignissen nach.
Um was geht der Konflikt U.S.A.-Mexiko-Nikaragua? Panamakanal oder Erölquellen? Ich staune erst, warum diese Frage hartnäckig von allen wieder gestellt wird. Ich sollte den Grund noch erfahren. Es ist Etwas, an das ich nie gedacht hätte.
Dann werden sie persönlicher, rücken aus der Reserve heraus, berichten von ihren Tageskämpfen. Diese Siedlung ist erst vor kurzer Zeit entstanden. Falls alle sind in den Nachkriegsjahren zugezogen: Norddeutsche, Waldenburger, Sachsen. Einige, die wegen politischer Delikte in die Illegalität gehen mußten. Ihre Familien sind meist weit von hier, in anderen Städten, monatelang sind sie von ihren Kindern getrennt. Was macht die Frau in der Zwischenzheit? Ihre Münder werden schmal. Alle durch die Kämpfe der letzten Jahre hindurchgegangen: sicher, zäh, trotzig, hartnäckig, die Elite der Partei. Ein baumlanger Kerl erzählt: ”Ich hatte einen guten Stollen, bequeme Arbeit, sechs Mark fünfzig pro Tag. Dann sollten wir Überstunden machen. Die Partei gab die Parole aus: Verweigert die Überstunden. Da kam der Obersteiger zu mir: “Wollen Sie oder wollen Sie nicht?” Ich lehnte ab. Beim nächsten Schichtwechsel bekam ich einen Stollen, wo ich bis zum Bauch im Wasser stand.” Er erzählt die Geschichte ohne einen Vorwurf gegen die Parole der Überstundenverweigerung. Von dieser stillen, selbstverständlichen Pflichterfüllung hört man draußen nichts. Ein Anderer: “Vor drei Wochen haben wir es beim Schichtwechsel zum ersten Mal bemerkt: Die Tragbalken unten neigten sich. Es müssen irgendwo Bruchstellen sein. Wir haben zwar schon das Gelände abgesucht, aber noch nichts gefunden. Unsre Zelle schrieb in der Arbeiterkorrespondenz der Zeitung darüber. Darauf sind drei der Kumpel, die in diesem Stollen arbeiten, wegen Arbeitsmangel entlassen worden” Wenn da unten aus dem Knistern eine Katastrophe werden wird, setzt der Landtag eine Untersuchungskommission ein. Nach Monaten kommt der Bericht: “Ein Verschulden trifft die Hüttendirektion nicht.”
Noch kann der Kumpel leben . So: von der Hand in den Mund. Aber die Sozialversicherung wird abgebaut, die Altersversicherung, Unfallrente, Krankenunterstützung. Ihr Nominallohn ist der Gleiche geblieben. Und was müssen sie jetzt leisten? Alle arbeiten im Akkord! Vor einigen Monaten erschienen zwei Ingenieure, ein exaktes Zählsystem wurde eingerichtet: Die Stoppuhr der Fabriken oben. Die Grubenbarone können sich zu ihren technischen Beratern gratulieren: kein Risiko, aber zwei Chancen. Natürlich an erster Stelle die steigende Profitkurve, aber außerdem ein Keil in die Front der Arbeitnehmer. Die Lohntüte ist das Zensurbuch des Kumpels. Wir waren früher auch auf den Klassenersten neidisch.
Der Junge mit den hellen Augen schließt die Diskussion:” Ich muß noch etwas hinzufügen, damit Du im Schlußwort darauf eingehst. Wir haben hier manchmal eine Stimmung, selbst unter guten Genossen: Lieber weniger Lohn, als dieses raffinierte Auspumpen. Wenn wir aus der Grube rauskommen, dann sind wir fertig.”
Schlußwort. Rechts an der Tür, unter einem katholischen Muttergottesbild ist schon einer eingenickt. Sein Kopf hebt und senkt sich über den dunklen Unterarmen. Der Rauch hängt dick unter der Lampe und ballt sich zu monströsen Gestalten, Vampyre, die über den Millionen deutschen Industriesoldaten hocken und die letzte Kraft heraussaugen. Nicht einmal die Kraft zu herzhaftem Lachen ist übrig geblieben. Nicht erst seit gestern und heute sitzen die toten Nebel über ihnen, nicht erst seit der “Rationalisierung”, auch nicht seit dem 9. November. Vorher war: Verdun, Somme, der Kemmel, Chemin des Dames. Worüber soll ein Bergarbeiterkind lachen?
Ich will nun gern am Schluß etwas Lustiges sagen, etwas Freudiges, Abschließendes. “Genossen, Ihr seid aber sehr unvorsichtig, kennt mich noch nicht, laßt mich sprechen, erzählt mir intime Dinge aus Eurer Zelle und habt nicht einmal meinen Parteiausweis verlangt.” Der Lange von vorhin kommt näher: “Für solche Fälle sind wir vorbereitet. Wir haben Dich schon auf Herz und Nieren geprüft. Mexiko....”
Ich wurde blaß. “Das war eine Frage, wo die Partei nur eine Antwort hat; hättest du da versagt, dann wärst du nicht heil aus der Versammlung herausgekommen....” Es lacht keiner.
Aber wenn ich schon wollte, ich kann nicht: ich denke an die seminaristische Methode, die ich manchmal verwende, Proleten durch eine falsche Fragestellung aus der Rserve zu locken...
Allein taste ich mich durch die stockdunkle Nacht zum Bahnhof zurück, einer kleinen Station zwischen Köln und Unna. Zwei Züge rollen hohl in weiter Ferne. Oder vielleicht ein Gewitter....
Wie stehen eigentlich heute I.G. Farben?”
Mehr über den Autor dieser Geschichte, Rudolf Braune , der mir bisher unbekannt war - she. Linktipp!
Gruß von Enigma
Ich habe heute Morgen schon versucht, diese Geschichte einzustellen, aber es gelang mir nicht.
Trotz mehrmaliger Versuche sie abzusenden, erschien sie nicht. Den Grund kenne ich nicht, klappte einfach nicht.
Dann habe ich eine Freundin halb auf dem Lande besucht.
Und nun ein erneuter Versuch.
Da bin ich gespannt, ob es jetzt klappt.
Rudolf Braune
Ruhrkumpel
(1927)
"Abends kam ich aus Aachen herüber. Ein kleiner Bahnhof, Station zwischen Köln und Unna.. Trostloser Regen rieselt durch die schwarze Nacht. Die hier fremd sind, frösteln bei der Ankunft! Andern ist es sicher geliebtes Land, an allen öden Brandmauern Erlebnisse, der Grubenrauch Erinnerung, damals und da und: Heimat. Keine Häuser mit warmem Licht in der Nähe, nichts Anheimelndes. Ziemlich nahe schlägt eine Feuerlohe aus der Nacht. Hochöfen. Aber die Distanz ist schwer zu schätzen. Dort muß das Nest sein. Ich stapfe los. Links und rechts an der Straße stehen dunkle Holzzäune. Nur ihre Umrisse sind sichtbar, ich kann sie mir bei Tageslicht nicht anders vorstellen als entsetzlich schmutzig und trostlos. Ich richte mich nach dem Feuerschein, der in regelmäßigen Abständen aufzuckt. Links große dunkle Fabrikgebäude, ein Hund schlägt an.
Hier steht ein Stück des I.G. Farben-Trusts. Vertikalaufbau; unten auf der Straße die Kumpels, oben wandert der Feuerschein der Hochöfen über den Horizont, beides für dieselben Aktionäre.
Vor mir taucht ein Mann auf. Ich grüße, er bleibt stehen.
“Verzeihung, ist da unten die Siedlung?”
“Wo wollen Sie hin?”
Das aufflammende Streichholz beleuchtet den Kopf des Arbeiters. Offenes, schmutziges Hemd, er kommt wohl gerade von der Schicht. Das Gesicht darüber ist unbeweglich. Ich suche im Notizblock den Zettel, da hat mir einer die Adresse aufgeschrieben, sehr undeutlich und verwischt.
Bergenheim oder Borgerheim. Schließlich stellt es sich heraus, dass der Name: Bergmannsheim heißen soll und ich gerade in der verkehrten Richtung gegangen bin. Ich muss denselben Weg zurück, vor mir im Dunkeln flammen jetzt keine Hochöfen, der Nachtwind wandert über das unsichtbare Essenmeer und vermischt sich mit Wolken von Kohlenstaub und Rauch. Das Wasser quietscht in meinen Schuhen. Vor Jahren haben wir uns hier unten mit den Soldaten des Generals Watter herumgeschlagen. Dann fingen wir wieder von vorn an. Die Kumpels in den entlegensten Kaffs bekommen regelmäßig ihr Material, arbeiten selbständig und selbstlos, erstatten Bericht in kindlichen, unorthographischen Handschriften. Jetzt fordern sie Referenten an. Für Kurse. Sie wünschen Schulung, Grundwissen, Verbindung mit den Genossen draußen.
Das Ledigenheim liegt in einer kleinen Mulde. Im Eßsaal sitzen fünfzig oder sechzig Arbeiter, rauchen kurze Pfeifen. Wie ich eintrete, sehen einen Moment alle Gesichter auf, ernst, gespannt, überlegend, dann gehen die Gruppengespräche weiter. Schon zehn Uhr. Ich muß mich beeilen. Es ist bald Schichtwechsel. Hier wird durchgearbeitet. In der Grube gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht.
Ein Junge mit hellen Aufen und einer tiefen Stimme, auf der Kohlenstaub vieler Schichten liegt, eröffnet den Abend. Wie schwer ist es, an diese müden Menschen heranzukommen. Sie sehen aufmerksam und gespannt herüber. Die Gespräche verstummen. Nur das monotone Flackern der Gaslampe begleitet meine Worte. China, englischer Bergarbeiterstreik, dann die innerdeutsche Lage, Tarifkündigungen, Wirtschaftskämpfe, Trustbildung, Rationalisierung, Vorbereitung der Betriebsrätewahlen.
Sie überlegen nicht lange, sofort melden sich vier zum Wort. Ich muß scharf aufpassen, ihr theoretisches Niveau ist erstaunlich hoch, sie spüren allen neuen Ereignissen nach.
Um was geht der Konflikt U.S.A.-Mexiko-Nikaragua? Panamakanal oder Erölquellen? Ich staune erst, warum diese Frage hartnäckig von allen wieder gestellt wird. Ich sollte den Grund noch erfahren. Es ist Etwas, an das ich nie gedacht hätte.
Dann werden sie persönlicher, rücken aus der Reserve heraus, berichten von ihren Tageskämpfen. Diese Siedlung ist erst vor kurzer Zeit entstanden. Falls alle sind in den Nachkriegsjahren zugezogen: Norddeutsche, Waldenburger, Sachsen. Einige, die wegen politischer Delikte in die Illegalität gehen mußten. Ihre Familien sind meist weit von hier, in anderen Städten, monatelang sind sie von ihren Kindern getrennt. Was macht die Frau in der Zwischenzheit? Ihre Münder werden schmal. Alle durch die Kämpfe der letzten Jahre hindurchgegangen: sicher, zäh, trotzig, hartnäckig, die Elite der Partei. Ein baumlanger Kerl erzählt: ”Ich hatte einen guten Stollen, bequeme Arbeit, sechs Mark fünfzig pro Tag. Dann sollten wir Überstunden machen. Die Partei gab die Parole aus: Verweigert die Überstunden. Da kam der Obersteiger zu mir: “Wollen Sie oder wollen Sie nicht?” Ich lehnte ab. Beim nächsten Schichtwechsel bekam ich einen Stollen, wo ich bis zum Bauch im Wasser stand.” Er erzählt die Geschichte ohne einen Vorwurf gegen die Parole der Überstundenverweigerung. Von dieser stillen, selbstverständlichen Pflichterfüllung hört man draußen nichts. Ein Anderer: “Vor drei Wochen haben wir es beim Schichtwechsel zum ersten Mal bemerkt: Die Tragbalken unten neigten sich. Es müssen irgendwo Bruchstellen sein. Wir haben zwar schon das Gelände abgesucht, aber noch nichts gefunden. Unsre Zelle schrieb in der Arbeiterkorrespondenz der Zeitung darüber. Darauf sind drei der Kumpel, die in diesem Stollen arbeiten, wegen Arbeitsmangel entlassen worden” Wenn da unten aus dem Knistern eine Katastrophe werden wird, setzt der Landtag eine Untersuchungskommission ein. Nach Monaten kommt der Bericht: “Ein Verschulden trifft die Hüttendirektion nicht.”
Noch kann der Kumpel leben . So: von der Hand in den Mund. Aber die Sozialversicherung wird abgebaut, die Altersversicherung, Unfallrente, Krankenunterstützung. Ihr Nominallohn ist der Gleiche geblieben. Und was müssen sie jetzt leisten? Alle arbeiten im Akkord! Vor einigen Monaten erschienen zwei Ingenieure, ein exaktes Zählsystem wurde eingerichtet: Die Stoppuhr der Fabriken oben. Die Grubenbarone können sich zu ihren technischen Beratern gratulieren: kein Risiko, aber zwei Chancen. Natürlich an erster Stelle die steigende Profitkurve, aber außerdem ein Keil in die Front der Arbeitnehmer. Die Lohntüte ist das Zensurbuch des Kumpels. Wir waren früher auch auf den Klassenersten neidisch.
Der Junge mit den hellen Augen schließt die Diskussion:” Ich muß noch etwas hinzufügen, damit Du im Schlußwort darauf eingehst. Wir haben hier manchmal eine Stimmung, selbst unter guten Genossen: Lieber weniger Lohn, als dieses raffinierte Auspumpen. Wenn wir aus der Grube rauskommen, dann sind wir fertig.”
Schlußwort. Rechts an der Tür, unter einem katholischen Muttergottesbild ist schon einer eingenickt. Sein Kopf hebt und senkt sich über den dunklen Unterarmen. Der Rauch hängt dick unter der Lampe und ballt sich zu monströsen Gestalten, Vampyre, die über den Millionen deutschen Industriesoldaten hocken und die letzte Kraft heraussaugen. Nicht einmal die Kraft zu herzhaftem Lachen ist übrig geblieben. Nicht erst seit gestern und heute sitzen die toten Nebel über ihnen, nicht erst seit der “Rationalisierung”, auch nicht seit dem 9. November. Vorher war: Verdun, Somme, der Kemmel, Chemin des Dames. Worüber soll ein Bergarbeiterkind lachen?
Ich will nun gern am Schluß etwas Lustiges sagen, etwas Freudiges, Abschließendes. “Genossen, Ihr seid aber sehr unvorsichtig, kennt mich noch nicht, laßt mich sprechen, erzählt mir intime Dinge aus Eurer Zelle und habt nicht einmal meinen Parteiausweis verlangt.” Der Lange von vorhin kommt näher: “Für solche Fälle sind wir vorbereitet. Wir haben Dich schon auf Herz und Nieren geprüft. Mexiko....”
Ich wurde blaß. “Das war eine Frage, wo die Partei nur eine Antwort hat; hättest du da versagt, dann wärst du nicht heil aus der Versammlung herausgekommen....” Es lacht keiner.
Aber wenn ich schon wollte, ich kann nicht: ich denke an die seminaristische Methode, die ich manchmal verwende, Proleten durch eine falsche Fragestellung aus der Rserve zu locken...
Allein taste ich mich durch die stockdunkle Nacht zum Bahnhof zurück, einer kleinen Station zwischen Köln und Unna. Zwei Züge rollen hohl in weiter Ferne. Oder vielleicht ein Gewitter....
Wie stehen eigentlich heute I.G. Farben?”
Mehr über den Autor dieser Geschichte, Rudolf Braune , der mir bisher unbekannt war - she. Linktipp!
Gruß von Enigma
Von Rudolf Braune hatte ich auch noch nie etwas gehört. Lohnt sich aber bestimmt, wenn möglich, noch mehr von ihm zu lesen. Zumal manche der beschriebenen Probleme durchaus (wieder) aktuell sind.
Lg smokie
Lg smokie
Ja, Smokie,
die Situation ist heute wieder ähnlich.
Und obwohl die Arbeitnehmer heute wesentlich besser organisiert sind, fragt sich doch, ob in einer Zeit zunehmender Rationalisierungen und Sparmaßnahmen der Schutz wesentlich besser greifen kann.
Heute möchte ich den österreichischen politischen Autor Jura Soyfer vorstellen, der im Alter von 26 Jahren im KZ Buchenwald an Typhus starb.
Es geht es um 3 kleine Geschichten, die mit der Region “Ruhrgebiet” zu tun haben.
Mit der ersten Geschichte möchte ich heute anfangen und die zwei weiteren in kommenden Beiträgen anbieten.
Zunächst also Nr. 1:
Jura Soyfer
Im Reich der deutschen Schlotbarone (1932)
“Nur hundertfünfzig Kilometer von hier entfernt rauscht der Atlantische Ozean. Das zeigt die Landkarte, aber man ist wenig geneigt, der Landkarte Glauben zu schenken. Hundert Kilometer nördlich erstrecken sich die Weideflächen Oldenburgs. Aber das satte Grün der Wiesen scheint hier ebenso um Welten entrückt zu sein wie die salzige Luft der Nordsee.
Im Ruhrgebiet, vom deutschen Volk “Kohlenpott” genannt, sind Rasenflächen Überbleibsel einer Natur, die längst nichts mehr zu suchen hat unter Fördertürmen und Werkwohnungen, unter Schutthalden, Kohlenseilbahnen und Kokereien.
Viele Schlote gab es hier und viele Kirchtürme; aus demselben braunroten Backsteinmaterial gebaut, vom selben Kohlenruß geschwärzt, sehen Kirchen und Fabriken einander ähnlich. Die Fabrikschornsteine sind
allgegenwärtig.
Überall, wo Häuserlücken einen freieren Ausblick erlauben, sieht man sie den Horizont beherrschen. Sie ragen über die Häuserdächer ins Straßenbild, sie wachsen dir, wenn du um eine Sraßenecke biegst, unvermutet entgegen, rauchend oder ohne Rauch.
Die Straßen sind ohne Ende, weil die Städte ohne Grenzen sind. Der Fahrdamm verbreitert sich, nackte Häuserhinterfronten zeigen sich, von Wahlparolen bemalt; zwischen ihnen drängen sich ein Dutzend elender Schrebergärten; dann beginnen gleich wieder geschlossene Fassaden beiderseits der wiederum eingeengten Chaussee - hier hat Gelsenkirchen geendet und Essen begonnen.
So sieht in Gelsenkirchen die Oberwelt aus. Ihr Boden aber ist bis auf achthundert Meter tief unterwühlt. In Hunderten von Schächten schuften laufend, hackend, knieend, auf Rücken und Seite liegend Tausende von Kumpels unter steter Bedrohung durch Steinschlag und giftige Gase. Daß sie bei der Arbeit Gesundheit und Leben ständig aufs Spiel setzen, spricht die Statistik ganz deutlich aus; sie erweist, dass von je fünf Bergleuten im Ruhrgebiet einer einmal Opfer eines Unfalls war.
So sieht die Unterwelt im Ruhrgebiet aus. Denn wenn auch, wie die katholischen Pfarrer in den rußgeschwärzten Kirchen dieses Reviers frommen Bergleuten und ihren Frauen predigen, die Felder Oldenburgs und das Wasser der Nordsee vom Herrgott erschaffen wurden - die Schöpfer der Welt zwischen Dortmund und Duisburg thronen nicht auf Wolken, sondern auf Aktienpaketen.”
Die Geschichten stammen aus dem Buch “Im Reich der deutschen Schlotbarone” und wurden von Horst Jarka bei Deuticke im Paul Zsolnay-Verlag 2002 in Wien herausgegeben.
Sie wurden aber in das von mir erwähnte Ruhr.Buch aufgenommen.
Nicht nur der Inhalt dieser Geschichte, sondern auch der Stil von Jura Soyfer gefällt mir ausgesprochen gut.
Mir erscheint er sprachlich für die damalige Zeit außerordentlich modern. Nach seinen Beschreibungen kann ich mir die Bilder dazu vorstellen.
Mehr über den Schriftsteller - Linktipp!
Gruß von Enigma
die Situation ist heute wieder ähnlich.
Und obwohl die Arbeitnehmer heute wesentlich besser organisiert sind, fragt sich doch, ob in einer Zeit zunehmender Rationalisierungen und Sparmaßnahmen der Schutz wesentlich besser greifen kann.
Heute möchte ich den österreichischen politischen Autor Jura Soyfer vorstellen, der im Alter von 26 Jahren im KZ Buchenwald an Typhus starb.
Es geht es um 3 kleine Geschichten, die mit der Region “Ruhrgebiet” zu tun haben.
Mit der ersten Geschichte möchte ich heute anfangen und die zwei weiteren in kommenden Beiträgen anbieten.
Zunächst also Nr. 1:
Jura Soyfer
Im Reich der deutschen Schlotbarone (1932)
“Nur hundertfünfzig Kilometer von hier entfernt rauscht der Atlantische Ozean. Das zeigt die Landkarte, aber man ist wenig geneigt, der Landkarte Glauben zu schenken. Hundert Kilometer nördlich erstrecken sich die Weideflächen Oldenburgs. Aber das satte Grün der Wiesen scheint hier ebenso um Welten entrückt zu sein wie die salzige Luft der Nordsee.
Im Ruhrgebiet, vom deutschen Volk “Kohlenpott” genannt, sind Rasenflächen Überbleibsel einer Natur, die längst nichts mehr zu suchen hat unter Fördertürmen und Werkwohnungen, unter Schutthalden, Kohlenseilbahnen und Kokereien.
Viele Schlote gab es hier und viele Kirchtürme; aus demselben braunroten Backsteinmaterial gebaut, vom selben Kohlenruß geschwärzt, sehen Kirchen und Fabriken einander ähnlich. Die Fabrikschornsteine sind
allgegenwärtig.
Überall, wo Häuserlücken einen freieren Ausblick erlauben, sieht man sie den Horizont beherrschen. Sie ragen über die Häuserdächer ins Straßenbild, sie wachsen dir, wenn du um eine Sraßenecke biegst, unvermutet entgegen, rauchend oder ohne Rauch.
Die Straßen sind ohne Ende, weil die Städte ohne Grenzen sind. Der Fahrdamm verbreitert sich, nackte Häuserhinterfronten zeigen sich, von Wahlparolen bemalt; zwischen ihnen drängen sich ein Dutzend elender Schrebergärten; dann beginnen gleich wieder geschlossene Fassaden beiderseits der wiederum eingeengten Chaussee - hier hat Gelsenkirchen geendet und Essen begonnen.
So sieht in Gelsenkirchen die Oberwelt aus. Ihr Boden aber ist bis auf achthundert Meter tief unterwühlt. In Hunderten von Schächten schuften laufend, hackend, knieend, auf Rücken und Seite liegend Tausende von Kumpels unter steter Bedrohung durch Steinschlag und giftige Gase. Daß sie bei der Arbeit Gesundheit und Leben ständig aufs Spiel setzen, spricht die Statistik ganz deutlich aus; sie erweist, dass von je fünf Bergleuten im Ruhrgebiet einer einmal Opfer eines Unfalls war.
So sieht die Unterwelt im Ruhrgebiet aus. Denn wenn auch, wie die katholischen Pfarrer in den rußgeschwärzten Kirchen dieses Reviers frommen Bergleuten und ihren Frauen predigen, die Felder Oldenburgs und das Wasser der Nordsee vom Herrgott erschaffen wurden - die Schöpfer der Welt zwischen Dortmund und Duisburg thronen nicht auf Wolken, sondern auf Aktienpaketen.”
Die Geschichten stammen aus dem Buch “Im Reich der deutschen Schlotbarone” und wurden von Horst Jarka bei Deuticke im Paul Zsolnay-Verlag 2002 in Wien herausgegeben.
Sie wurden aber in das von mir erwähnte Ruhr.Buch aufgenommen.
Nicht nur der Inhalt dieser Geschichte, sondern auch der Stil von Jura Soyfer gefällt mir ausgesprochen gut.
Mir erscheint er sprachlich für die damalige Zeit außerordentlich modern. Nach seinen Beschreibungen kann ich mir die Bilder dazu vorstellen.
Mehr über den Schriftsteller - Linktipp!
Gruß von Enigma
Rudolf Braune war 20 Jahre alt, als er diese Geschichte schrieb. Erstaunlich für mich,
wie ein junger Mann, selbst noch in der körperlichen und geistigen Entwicklung, so
eindruckvoll geschrieben hat.
Bedauerlicherweise ist er beim Schwimmen im Rhein im Jahre 1932 ertrunken. Er ist nur
25 Jahre alt geworden. Wir hätten noch viel effektives von ihm lesen können. Leider hat
das Schicksal eine andere Planung vorgesehen.
Beeindruckt hat mich in seiner Geschichte, daß er gesagt hat:"Ich muß scharf aufpassen,
ihr theoretisches Niveau ist erstaunlich hoch". Für mich ein indiz, daß es auch in der
Arbeiterschicht kluge Köpfe immer gab. Doch die sozialen Verhältnisse haben es kaum nich
gelassen, daß ein Proletarier studierte.Es gab noch keinen zweiten Bildungsweg.
Die Kumpel waren ausgepumpt, bis auf den letzten Tropfen. Typisch für diese Zeit.
wie ein junger Mann, selbst noch in der körperlichen und geistigen Entwicklung, so
eindruckvoll geschrieben hat.
Bedauerlicherweise ist er beim Schwimmen im Rhein im Jahre 1932 ertrunken. Er ist nur
25 Jahre alt geworden. Wir hätten noch viel effektives von ihm lesen können. Leider hat
das Schicksal eine andere Planung vorgesehen.
Beeindruckt hat mich in seiner Geschichte, daß er gesagt hat:"Ich muß scharf aufpassen,
ihr theoretisches Niveau ist erstaunlich hoch". Für mich ein indiz, daß es auch in der
Arbeiterschicht kluge Köpfe immer gab. Doch die sozialen Verhältnisse haben es kaum nich
gelassen, daß ein Proletarier studierte.Es gab noch keinen zweiten Bildungsweg.
Die Kumpel waren ausgepumpt, bis auf den letzten Tropfen. Typisch für diese Zeit.
Kommentar 2
Es gab damals ein Betriebsrätegesetz von 1920. Eine der wichtigen Errungenschaften der
Arbeitnehmerschaft. Aber das war erst der Durchbruch zu unserer heutigen Betriebsver-
fassung.
Viele Paralellen von damals zu heute sind sichtbar. Von der Hand in den Mund leben
auch heute noch sehr viele Menschen. Die Kluft zwischen reich und arm wieder immer tiefer
Der Mittelstand driftet in das Niedriglohnsegment ab.
Und funktionieren die Arbeiter nicht so, wie gewünscht, werden sie freigesetzt.
Wird die Parole "Proletarier aller Länder vereinigt euch" wieder auferstehen - oder
wird sie für immer schlummern.
Es gab damals ein Betriebsrätegesetz von 1920. Eine der wichtigen Errungenschaften der
Arbeitnehmerschaft. Aber das war erst der Durchbruch zu unserer heutigen Betriebsver-
fassung.
Viele Paralellen von damals zu heute sind sichtbar. Von der Hand in den Mund leben
auch heute noch sehr viele Menschen. Die Kluft zwischen reich und arm wieder immer tiefer
Der Mittelstand driftet in das Niedriglohnsegment ab.
Und funktionieren die Arbeiter nicht so, wie gewünscht, werden sie freigesetzt.
Wird die Parole "Proletarier aller Länder vereinigt euch" wieder auferstehen - oder
wird sie für immer schlummern.
Was hat sich verändert, stellt man früher und heute gegenüber.
Doch wohl nicht die Ziele Gewinnmaximierung um jeden Preis, ausgebremst durch unsere
Arbeitsschutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften. Jetzt werden die Ziele durch
Rationalisierungsmaßnahmen erreicht, zu Lasten der Arbeiterschaft.
Das Kapital regiert die Welt. Auch damals haben die Fugger mitbestimmt, wer denn König
wird. Ihre soziale Ader haben sie gehabt mit der Errichtung der Fuggerei. Oder wollten
sie den Arbeiter binden, wie Karl Marx den doppelt freien Lohnarbeiter beschrieben hat.
Aber wollen wir den Kommunismus? Ich auf keinen Fall. Ich will die soziale Marktwirt-
schaft, haben wir sie verloren? Wie sehen unsere Schulgebäude aus. In welchem.... Zustand
sind teilweise unsere STraßen. Ist der Rückschritt in vergangene Zeiten schon programmiert? Befinden wir uns auf den Weg in die Vergangenheit?
Doch wohl nicht die Ziele Gewinnmaximierung um jeden Preis, ausgebremst durch unsere
Arbeitsschutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften. Jetzt werden die Ziele durch
Rationalisierungsmaßnahmen erreicht, zu Lasten der Arbeiterschaft.
Das Kapital regiert die Welt. Auch damals haben die Fugger mitbestimmt, wer denn König
wird. Ihre soziale Ader haben sie gehabt mit der Errichtung der Fuggerei. Oder wollten
sie den Arbeiter binden, wie Karl Marx den doppelt freien Lohnarbeiter beschrieben hat.
Aber wollen wir den Kommunismus? Ich auf keinen Fall. Ich will die soziale Marktwirt-
schaft, haben wir sie verloren? Wie sehen unsere Schulgebäude aus. In welchem.... Zustand
sind teilweise unsere STraßen. Ist der Rückschritt in vergangene Zeiten schon programmiert? Befinden wir uns auf den Weg in die Vergangenheit?
... und auch Dein Erstaunen darüber, dass ein so junger Mann wie Rudolf Braune einen so großen Überblick über die sozialpolitischen Verhältnisse seiner Zeit haben und auch die Situation und das Verhalten von Menschen so genau erkennen und einordnen konnte.
Bei ihm hatte ich den gleichen Gedankengang, wie Du ihn geäußert hast, nämlich die Frage, was wir noch alles von ihm hätten erwarten können.
Aber nun zur zweiten kurzen Geschichte von Jura Soyferáus aus dem Jahre 1932:
In der Residenz der großen Brotgeber
Jura Soyfer
“Ein altes Histörchen berichtet von einem Deutschen, der nach Amsterdam kam, sich angesichts jedes schönen Gebäudes und großen Schiffes nach dem Besitzer erkundigte und, als er immer wieder die Antwort “Kannitverstan” erhielt, in Bewunderung über die ungeheure Macht dieses Herrn geriet.
Dann jedoch erfuhr er, daß “´Kannitverstan”” der holländische Ausdruck für “Ich verstehe nicht” ist, die stereotype Antwort also, die ihm die Amsterdamer auf seine in deutscher Sprache gestellten Fragen gegeben hatten.
Wer nach Essen kommt, hat sehr bald einen großmächtigen Herrn Kannitverstan entdeckt, dem fast alles gehört, was da kraucht und raucht. Aber dieser Kannitverstan entpuppt sich nicht als ein Wahngebilde. Nein, er sitzt leibhaftig in der Villa Hügel bei Essen, wenn er nicht gemeinsam mit Herrn Vögler von den Vereinigten Stahlwerken, als Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen Industrie, Besprechungen mit dem Reichskanzler v. Papen über die Aufteilung des großen Kuchens Deutschland zwischen Kraut- und Schlotbaronen abhält.
Friedrich Krupp v. Bohlen und Halbach hieß einst bloß von Bohlen, heiratete aber im Jahre 1906 die Tochter des alten Stahlmagnaten Krupp, die er als Gesandtschaftssekretär im Vatikan kennengelernt hatte, und wurde durch diese gute Partie mit einem Schlage zum “schaffenden Kapitalisten”, zum großen “schöpferischen Wirtschaftsführer", von der Art, wie sie von den Nazi in allen Tönen besungen werden. Herr v. Bohlen erhielt damals von Kaiser Wilhelm, der später der Taufpate zweier seiner Söhne wurde, die Erlaubnis, sich Krupp v. Bohlen zu nennen; mit Fräulein Berta Krupp und den Gußstahlfabriken ihres Vaters hatte er ein gut Stück Einfluß auf Deutschlands Politik mitbekommen; er hat sich in die Führung der “Waffenschmiede Deutschlands” (so hießen die Krupp-Werke früher), wie seine Verbindungen während des Krieges mit der französischen Schwerindustrie beweisen, gut eingearbeitet; auch ist er sich, wie seine Spenden für Hitler zeigen, bis heute seiner vaterländischen Pflichten bewußt geblieben.
Die Stadt Essen, die im vorigen Jahrhundert ganz und gar eine Siedlung von Krupps Gnaden war, deren Bevölkerung noch im Jahre 1909 zu fünfzig Prozent in unmittelbarer Abhängigkeit von den Kruppwerken bestand, wird heute, obwohl sie sich inzwischen auch auf Handel und Verkehr umgestellt hat, als siebentgrößte Stadt Deutschlands von Ost bis West noch immer von Krupp beherrscht. Wem gehören die ungeheuren Fabrikkomplexe, die sich, wie kaum in einer andern Fabrikgroßstadt zu finden ist, mit ihrem Maschinengedröhn und Schlotrauch bis fast in das Zentrum der Stadt erstrecken? Sie gehören Krupp. Dort hat er während des Krieges die Mordwaffen Kaiser Wilhelms gießen und schmieden lassen. 115.000 Menschen arbeiteten damals in diesen Betrieben. Heute sind es nur noch 22.300; ist es verwunderlich, dass Herr Krupp mit Sehnsucht an die glorreiche Zeit des Gußstahlbades zurückdenkt? Und wem gehört das riesige Hüttenwerk am Rhein-Herne-Kanal? Krupp. Wem gehört des größte deutsche Schmiedepreßwerk mit seinen 15000 -Tonnen-Pressen? Hier schafft Krupp neue Metallegierungen, nie rottenden Stahl. Wem gehört dieser Konsumverein? Krupp. Er besitzt 46 Prozent der Essener Konsumvereine. Diese Anstalt für Erzeugung von Stahlgebissen? Gehört Krupp. Diese Zeitschrift? Heißt “Kruppsche Monatshefte”. Es gibt außerdem noch die “Kruppschen Mitteilungen”. Wem gehört das große, prächtige Haus, vor dem das Denkmal steht, schief gegenüber jenem turmgekrönten Gebäude? Es ist die Zentrale der Kruppschen Konsumvereine; das turmgekrönte Gebäude ist der Verwaltungssitz der Kruppschen Werke; und das Denkmal stellt Alfred Krupp dar. Krupp ist überall.
Doch er ist nicht der einzige Große dieser rußgeschwärzten Welt, der in Essen residiert. Die mächtigsten Truste und Sydikate des Ruhrreviers haben ihre Zentralen in Essen, dem Mittelpunkt des rheinisch-westfälischen Industriegebietes, errichtet. Hier ist der Sitz der Ruhrgas AG, der Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, das die gesamte Ruhrkohle vertrustet hat. Der “Verein für bergbauliche Interessen", die großmächtige Arbeitgeberorganisation, sitzt in dieser Stadt. Auf den Schreibtischen ihrer superklugen und hochbezahlten Syndici werden die Schlachtpläne für die Generalangriffe gegen die Rechte der Arbeiter ausgearbeitet.
Im Ruhrgebiet ist das Kapital so stark konzentriert, daß 1929 auf sechs von 5244 Betrieben allein 65 Prozent Produktion entfielen; etwa 60 % der Bevölkerung leben von ihrer Beschäftigung in der Industrie, im Bergbau und in der Eisen- und Metallgewinnung, das heißt in direkter Abhängigkeit von jenen wenigen mächtigen Direktoren und Aktionärsgruppen. Wie erfüllen die “schaffenden Kapitalisten” im Hauptindustriegebiet Deutschlands ihre Pflicht als Arbeit- und Brotgeber von Millionen?"
Nun, wir Senioren wissen, zum Teil aus eigener Anschauung, wie es weiterging nach den dreißiger Jahren bis heute, wir wissen, was mit der Familie Krupp geschah.
Seit damals sind Veränderungen eingetreten.
Aber - wie hat Anjeli geschrieben: "Die Ziele (Anmerkung: der Besitzenden, der Kapaitalseigner) haben sich nicht verändert."
Jawohl, gestern wie heute ging und geht es da um Gewinnmaximierung.
Liebe Anjeli, ich hoffe und wünsche sehr, dass wir uns nicht auf dem (Rück)-Weg in die Vergangenheit befinden. Dafür lohnt es sich auch heute noch zu kämpfen.
Somit sind auch die Arbeitnehmerorganisationen noch von ebenso großer Bedeutung wie vor fünfzig und mehr Jahren.
Gruß von Enigma
Bei ihm hatte ich den gleichen Gedankengang, wie Du ihn geäußert hast, nämlich die Frage, was wir noch alles von ihm hätten erwarten können.
Aber nun zur zweiten kurzen Geschichte von Jura Soyferáus aus dem Jahre 1932:
In der Residenz der großen Brotgeber
Jura Soyfer
“Ein altes Histörchen berichtet von einem Deutschen, der nach Amsterdam kam, sich angesichts jedes schönen Gebäudes und großen Schiffes nach dem Besitzer erkundigte und, als er immer wieder die Antwort “Kannitverstan” erhielt, in Bewunderung über die ungeheure Macht dieses Herrn geriet.
Dann jedoch erfuhr er, daß “´Kannitverstan”” der holländische Ausdruck für “Ich verstehe nicht” ist, die stereotype Antwort also, die ihm die Amsterdamer auf seine in deutscher Sprache gestellten Fragen gegeben hatten.
Wer nach Essen kommt, hat sehr bald einen großmächtigen Herrn Kannitverstan entdeckt, dem fast alles gehört, was da kraucht und raucht. Aber dieser Kannitverstan entpuppt sich nicht als ein Wahngebilde. Nein, er sitzt leibhaftig in der Villa Hügel bei Essen, wenn er nicht gemeinsam mit Herrn Vögler von den Vereinigten Stahlwerken, als Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen Industrie, Besprechungen mit dem Reichskanzler v. Papen über die Aufteilung des großen Kuchens Deutschland zwischen Kraut- und Schlotbaronen abhält.
Friedrich Krupp v. Bohlen und Halbach hieß einst bloß von Bohlen, heiratete aber im Jahre 1906 die Tochter des alten Stahlmagnaten Krupp, die er als Gesandtschaftssekretär im Vatikan kennengelernt hatte, und wurde durch diese gute Partie mit einem Schlage zum “schaffenden Kapitalisten”, zum großen “schöpferischen Wirtschaftsführer", von der Art, wie sie von den Nazi in allen Tönen besungen werden. Herr v. Bohlen erhielt damals von Kaiser Wilhelm, der später der Taufpate zweier seiner Söhne wurde, die Erlaubnis, sich Krupp v. Bohlen zu nennen; mit Fräulein Berta Krupp und den Gußstahlfabriken ihres Vaters hatte er ein gut Stück Einfluß auf Deutschlands Politik mitbekommen; er hat sich in die Führung der “Waffenschmiede Deutschlands” (so hießen die Krupp-Werke früher), wie seine Verbindungen während des Krieges mit der französischen Schwerindustrie beweisen, gut eingearbeitet; auch ist er sich, wie seine Spenden für Hitler zeigen, bis heute seiner vaterländischen Pflichten bewußt geblieben.
Die Stadt Essen, die im vorigen Jahrhundert ganz und gar eine Siedlung von Krupps Gnaden war, deren Bevölkerung noch im Jahre 1909 zu fünfzig Prozent in unmittelbarer Abhängigkeit von den Kruppwerken bestand, wird heute, obwohl sie sich inzwischen auch auf Handel und Verkehr umgestellt hat, als siebentgrößte Stadt Deutschlands von Ost bis West noch immer von Krupp beherrscht. Wem gehören die ungeheuren Fabrikkomplexe, die sich, wie kaum in einer andern Fabrikgroßstadt zu finden ist, mit ihrem Maschinengedröhn und Schlotrauch bis fast in das Zentrum der Stadt erstrecken? Sie gehören Krupp. Dort hat er während des Krieges die Mordwaffen Kaiser Wilhelms gießen und schmieden lassen. 115.000 Menschen arbeiteten damals in diesen Betrieben. Heute sind es nur noch 22.300; ist es verwunderlich, dass Herr Krupp mit Sehnsucht an die glorreiche Zeit des Gußstahlbades zurückdenkt? Und wem gehört das riesige Hüttenwerk am Rhein-Herne-Kanal? Krupp. Wem gehört des größte deutsche Schmiedepreßwerk mit seinen 15000 -Tonnen-Pressen? Hier schafft Krupp neue Metallegierungen, nie rottenden Stahl. Wem gehört dieser Konsumverein? Krupp. Er besitzt 46 Prozent der Essener Konsumvereine. Diese Anstalt für Erzeugung von Stahlgebissen? Gehört Krupp. Diese Zeitschrift? Heißt “Kruppsche Monatshefte”. Es gibt außerdem noch die “Kruppschen Mitteilungen”. Wem gehört das große, prächtige Haus, vor dem das Denkmal steht, schief gegenüber jenem turmgekrönten Gebäude? Es ist die Zentrale der Kruppschen Konsumvereine; das turmgekrönte Gebäude ist der Verwaltungssitz der Kruppschen Werke; und das Denkmal stellt Alfred Krupp dar. Krupp ist überall.
Doch er ist nicht der einzige Große dieser rußgeschwärzten Welt, der in Essen residiert. Die mächtigsten Truste und Sydikate des Ruhrreviers haben ihre Zentralen in Essen, dem Mittelpunkt des rheinisch-westfälischen Industriegebietes, errichtet. Hier ist der Sitz der Ruhrgas AG, der Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, das die gesamte Ruhrkohle vertrustet hat. Der “Verein für bergbauliche Interessen", die großmächtige Arbeitgeberorganisation, sitzt in dieser Stadt. Auf den Schreibtischen ihrer superklugen und hochbezahlten Syndici werden die Schlachtpläne für die Generalangriffe gegen die Rechte der Arbeiter ausgearbeitet.
Im Ruhrgebiet ist das Kapital so stark konzentriert, daß 1929 auf sechs von 5244 Betrieben allein 65 Prozent Produktion entfielen; etwa 60 % der Bevölkerung leben von ihrer Beschäftigung in der Industrie, im Bergbau und in der Eisen- und Metallgewinnung, das heißt in direkter Abhängigkeit von jenen wenigen mächtigen Direktoren und Aktionärsgruppen. Wie erfüllen die “schaffenden Kapitalisten” im Hauptindustriegebiet Deutschlands ihre Pflicht als Arbeit- und Brotgeber von Millionen?"
Nun, wir Senioren wissen, zum Teil aus eigener Anschauung, wie es weiterging nach den dreißiger Jahren bis heute, wir wissen, was mit der Familie Krupp geschah.
Seit damals sind Veränderungen eingetreten.
Aber - wie hat Anjeli geschrieben: "Die Ziele (Anmerkung: der Besitzenden, der Kapaitalseigner) haben sich nicht verändert."
Jawohl, gestern wie heute ging und geht es da um Gewinnmaximierung.
Liebe Anjeli, ich hoffe und wünsche sehr, dass wir uns nicht auf dem (Rück)-Weg in die Vergangenheit befinden. Dafür lohnt es sich auch heute noch zu kämpfen.
Somit sind auch die Arbeitnehmerorganisationen noch von ebenso großer Bedeutung wie vor fünfzig und mehr Jahren.
Gruß von Enigma