Religionen-Weltanschauungen Wo ist in Europa der Anstand und die Moral geblieben?

Ich lese hier viel von Moral!
Heute fand ich zur Frage "Woher kommt die Moral?" einen interessanten Artikel, siehe Link:

http://www.sueddeutsche.de/wissen/evolution-woher-kommt-die-moral-1.2794931

Das brachte mich in meinen Überlegungen persönlich weiter!
hzl Gerdd

Lbr Karl (Webmaster),

bitte lösche meinen Link unten zum Text "Woher kommt die Moral" aus Süddeutsche.de.

Ich habe eben erst das Copyright gelesen:



hzl Dank!
Gerdd

Liebe sarahkatja,

ich hoffe, es wird sich erinnert, dass ich persönlich die Gossensprache hasse und als völlig unangemessen im ST ansehe. Ich denke, dass wir deshalb im Großen und Ganzen im Seniorentreff auch noch durchaus lesbare Beiträge haben.

Schaltet man den Fernseher an, der ja bekanntermaßen das Sprachverhalten vieler Menschen prägt, kann man ermessen, wie stark sich der Seniorentreff im Internet noch immer (in meinen Augen "wohltuend") abhebt. Im Fernsehen scheint ein Wettbewerb darüber ausgebrochen zu sein darüber, wer es schaffen könnte das Niveau noch tiefer zu schrauben. Die größten Lacher bei Komödianten kommen dann, wenn sie Tabus brechen. Diese werden inzwischen so oft gebrochen, dass die Suche nach sprachlichen Überspitzungen eine "Kunst" geworden ist.

Für sachliche Diskussion über gesellschaftliche Probleme ist Gossensprache unnütz. Persönlich finde ich es besonders unappetitlich, wenn Gossensprache eingesetzt wird, um andere gesellschaftliche Gruppen zu denunzieren. Du kannst versichert sein, dass mich das anekelt.

Karl

Erlaubt mir als Späteinsteiger in diesen thread diese Ausführungen voll zu unterstreichen. Ich suche ebenfalls Niveau, vor allem bei ST, bei TV-Sendungen sehe ich das ähnlich wie Karl. Vor allem ist es schon beschämend für unseren Kultur-Stand, dass die größten Lacherfolge immer durch die größten Zoten ausgelöst werden.
Auch für mich gilt, dass ich absolut kein prüder Mensch bin, aber Ekel geht bei mir gar nicht.

Lieber Gerdd,

keine Sorge. Eine reine Verlinkung kann doch nur im Sinne der Süddeutschen Zeitung sein. Das ist doch Werbung für sie. Eine Copyrightverletzung würde nur vorliegen, wenn Du den ganzen Artikel kopiert und hier gepostet hättest.

Beste Grüße, Karl

Lieber Gerdd,

ich möchte Dir auch inhaltlich antworten. Der Artikel bei der Süddeutschen Zeitung ist sehr interessant. "Beobachtete Leute sind nette Leute" ist natürlich eine ambivalente Feststellung, die allerdings tatsächlich viel Wahrheit enthält. Ein Gott, der alles sieht, oder heute viel glaubhafter, eine totale digitale Überwachung der Individuen, beeinflusst sicherlich das Verhalten des Einzelnen. Der "soziale Druck" nimmt enorm zu.

Dass moralische "Gesetze" oder besser "Regeln" dem Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft förderlich sind, ist sofort verständlich. Ob die göttliche Supervision des Handelns der Individuen den evolutionären Vorteil der Religiösität bereits hinlänglich beschreibt, glaube ich allerdings nicht.

Der von Dir verlinkte Artikel geht aber auch darüber hinaus. Sehr spannend fand ich folgende These:

Noch weiter gehen Forscher wie der Primatologe Frans de Waal, Direktor des Yerkes National Primate Research Center in Atlanta. Er vertritt seit vielen Jahren in populären Büchern (zuletzt: "Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote", Klett-Cotta, 2015) und in Fachaufsätzen die These, dass sich bereits bei höheren Tieren ein Sinn für Gerechtigkeit findet. Der Startschuss war ein Experiment, das de Waal zusammen mit seiner Kollegin Sara Brosnan bereits 2003 im Wissenschaftsmagazin Nature vorstellten: Jeweils zwei Kapuzineräffchen waren darauf trainiert worden, Spielsteine gegen Gurkenstückchen umzutauschen, was diese auch gern taten. Wenn allerdings einer der Affen statt der Gurken hochbegehrte, süße Weintrauben bekam, weigerte sich der andere, seinen eigenen Stein zu tauschen. Richtig sauer wurde er, wenn der bevorzugte Affe seine Trauben ganz ohne Bezahlung bekam. Dann pfefferte das benachteiligte Tier Gurke und Steine aus dem Käfig. De Waal und Brosnan interpretieren dieses Verhalten als Ausdruck eines verletzten Gerechtigkeitssinnes. Quelle.

Danke nochmal für den interessanten Link, Karl

Lbr Karl, liebe Leser(innen),

mir gehen beim Lesen des Artikels (SZ) gerade folgende Gedanken durch den Kopf:

Um mal das Wort „Dressur“ zu vermeiden – es kommt mir zu einseitig vor im Hinblick auf überwiegende Fremdeinwirkung, möchte ich das Wort „Präparation“ verwenden.

Auf die große Präparation „Evolution“ will ich im Moment auch nicht eingehen. Ich denke an unbewußte und bewußte Präparation (Eltern, Kindheit, Schulzeit, Gruppe, Gesellschaft usw usw.) für mein Leben und innerhalb meines kurzen gelebten Menschenlebens.

Da fällt mir in dem Artikel der Versuch ins Auge, wo es um Spendenbereitschaft geht. Je nachdem mit welchen Wörtern die Probanten vorher „gefüttert“ wurden, fiel die Spendenbereitschaft mal größer und mal kleiner aus.

[Nebenbei bemerkt, ich stimme der Meinung des Biophilosophen Eckart Voland von der Universität Gießen zu, der meint: „Die Menschen haben aber schon immer Moral gebraucht, um in Gruppen miteinander auszukommen.“]

Zurück zu meinen „Dressur“-Gedanken.
Ich lese gerade einen Artikel in unserer Tageszeitung (vom Oktober!) wo eine Frau Johanna Jakobs über unserer „Erinnerungsdepot“ schreibt.

Sie fragt, warum es Dinge gibt, die wir schnell vergessen, während anderes ein Leben lang gespeichert bleibt?

Jetzt komme ich wieder zurück auf das Thema des threads, dem Zerfall der Moral.
Wie wurde die Moral in uns „präpariert“?

Im Erinnerungsdepot gibt es zwei Möglichkeiten (nach Michael Hüll, dem Leiter der Sektion Gerontopsychiatrie an der Universitätsklinik Freiburg):
a) der Hippocampus
… ein „Lagerverwalter“, der den Speicherraum der Hirnrinde verwaltet
(Beim Sprachenlernen z.B.wird der Lagerverwalter aktiv, solange wir ihn immer wieder rufen. Ist er nicht mehr aktiviert, vergessen wir die Wörter, obwohl sie nicht gelöscht sind.)

b) beim Motorischen Lernen (z.B. Fahrradfahren) wird der Hippocampus nicht gebraucht und die Verbindungen bleiben trotzdem ein Leben lang erhalten (Hüll).

Ist das bei der Moral vielleicht ähnlich?
Ist sie in uns präpariert wie ein Sprachschatz (den wir nicht gebrauchen) oder durch fortlaufendes moralisches Tun (Handeln)?

Wir könnten sie vergessen haben, wie ein an Demenz Erkrankter Namen und Begriffe nicht mehr findet oder entspricht sie einem gelernten Tanz? - zum Beispiel können Alzheimerpatienten immer noch tanzen.

Ich kann mir vorstellen, daß wir die Moral als fortwährenden Tanz (Tun!) betrachten und sie nicht im Depot des Hippocampus vergessen sollten (Zerfall nicht, aber auf Anhieb nicht mehr auffindbar!).

Hzl Gerdd

Hallo Gerdd,

Biologen suchen nach den Wurzeln der Moral in der Evolution, während Entwicklungspsychologen versuchen herauszufinden, ob Moral angeboren oder nur ein Produkt von Erziehung und sozialem Druck, oder wie Du schreibst: Präparation/Dressur, ist.

Moralische Denk- und Verhaltensweisen sind z.T. altersabhängig und werden z.B. während der Pubertät noch einmal auf den Kopf gestellt.
Einigkeit besteht meistens in der "Goldenen Regel" als Moralprinzip. Sie ist seit langem in fast allen Kulturen zu finden: "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu." Ansonsten pflegen andere Länder meist auch andere Sitten und haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was ethisch akzeptabel ist.
In multikulturellen Gesellschaften ist es eine große Herausforderung, die unterschiedlichen Moralvorstellungen zu tolerieren. Immer ist das nicht möglich - sind doch manche Sitten, in unseren Augen recht fragwürdig oder auch umgekehrt, u.a. kommen manche nicht mit unserem "lockeren" Umgang mit der Sexualität zurecht.

Ich erinnere mich, dass Du ebenfalls das Buch "Jenseits von Gut und Böse" von Michael Schmidt-Salomon gelesen hast. Dieser stellt die provokante These auf, dass wir ohne Moral die besseren Menschen wären. Unsere Gehirne seien über Jahrhunderte hinweg auf der Basis von "Schuld und Sühne" und "Gut und Böse" programmiert worden und unser Verhältnis zur Welt würde sich verbessern, wenn wir unsere "altbackenen Moralvorstellungen" endlich aufgeben würden.
Gruß Mane

Ich erinnere mich, dass Du ebenfalls das Buch "Jenseits von Gut und Böse" von Michael Schmidt-Salomon gelesen hast. Dieser stellt die provokante These auf, dass wir ohne Moral die besseren Menschen wären. Unsere Gehirne seien über Jahrhunderte hinweg auf der Basis von "Schuld und Sühne" und "Gut und Böse" programmiert worden und unser Verhältnis zur Welt würde sich verbessern, wenn wir unsere "altbackenen Moralvorstellungen" endlich aufgeben würden.

Liebe Mane,

ich komme nochmal auf Schmidt-Salomon zurück bzw. sein Buch „Gut und Böse, warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind“.

Man muß da doch genauer hinsehen und stellt dann fest, daß Schmidt-Salomon unterscheidet zwischen Moral und Ethik. Auf diese Begriffe war er aber schon in seinem Buch „Manifest des evolutionären Humanismus“ eingegangen.

Zwei unterschiedliche Beurteilungen einer Handlungsweise machen den Unterschied von Moral und Ethik deutlich.

Man kann sagen:
„Peter ist gut, Paul ist böse!“
oder
„Peter hat die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und sich fair verhalten; Pauls Verhalten war dagegen hochgradig unfair.“
(Wer das Buch besitzt, kann die Zusammenfassung lesen in den Seiten 197 bis 200.)

P.S.: Der Deutsche Bundestag hat zurecht eine Ethikkommission und keine Moralkommission.

Hier in diesem thread wird meiner Meinung nach sehr oft moralisch argumentiert und nicht ethisch!
Eine Überschrift „Ethik?“ statt „Moral?“ hätte vielleicht zu sachlicheren Argumenten geführt?

Hzl Gruß!
Gerd

Lieber Gerd,

es ist gut, dass Du den Unterschied von Moral und Ethik ansprichst - da wird zu wenig differenziert.
Es ist sinnvoller, sich der Ethik entsprechend, in der Situation Gedanken zu machen, mit welchen positiven oder negativen Konsequenzen eine Entscheidung verbunden wäre und ob sie fair oder unfair wäre, als einer in Büchern (Bibel, Koran u.a.) festgelegten Moral zu folgen. Der Abschied von den moralischen Vorstellungen, was Gut und was Böse ist, heißt nicht, sich von ethischen Prinzipien zu verabschieden.

Ich habe mir die von Dir angegebenen Seiten angeschaut und finde fogende Passage bezeichnend, wo Michael Schmidt-Salomon schreibt:

"Diese Differenz von ethischer und moralischer Argumentation hat weitreichende Konsequenzen für das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl auf dem Gebiet der Sexualität. Aus ethischer Perspektive (Beurteilungskriterium: fair/unfair) ist es vollkommen irrelevant, ob ein Mensch homosexuelle Partnerschaften pflegt, .... Aus moralischer Perspektive jedoch (gut/böse) werden diese Handlungen häufig als besonders verwerflich eingestuft und, sofern Moralisten die erforderliche Macht dazu haben, auch rigoros unterbunden. Nicht ohne Grund sind homosexuelle Handlungen auch heute noch in jenen Ländern, in denen zwanghafte Moralisten (also die Frömmsten der Frommen) das Sagen haben, mit der Todesstrafe belegt."
Gruß Mane

Dieser Vortrag von Frans de Waal hat deutsche Untertitel, wenn man ihn auf Youtube direkt ansieht. Dafür hier klicken. Die Videos, die er zeigt, sind sehr spannend.



Aus der Beschreibung auf Youtube: "Mitgefühl, Kooperation, Fairness und Reziprozität – sich um das Wohlergehen anderer zu sorgen scheint eine sehr menschliche Eigenschaft zu sein. Aber Frans de Waal zeigt einige überraschende Videos von Verhaltenstests mit Primaten und anderen Säugetieren, die zeigen, wie viele dieser Eigenschaften wir mit ihnen teilen."

Karl