Religionen-Weltanschauungen Islamismus vs. Islam

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Islamismus vs. Islam
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Ich hätte das Thema auch 'Gleichsetzen gilt nicht' oder 'Wider die furchtbaren Vereinfacher' oder 'Gegen Fundamentalisten jeder Couleur' nennen können. - Folgenden aktuellen Telepolis-Artikel halte ich für lesenswert:

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Wolfgang |
adam
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von adam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 01.03.2010, 10:50:08

Ein interessantes Thema, das Du auch "Die Wiege der Kultur" hättest nennen können. Einerseits finde ich es aus der wirklichen Geschichte heraus als unverantwortlich, daß noch heute in den Schulen gelehrt wird, die Ursprünge der Kultur (es wird nicht unbedingt Wert auf das "westlich" gelegt) kämen aus dem antiken Griechenland.
Andererseits kann ich der Aussage nicht zustimmen, daß sich der Orient erst mit der Entstehung des Islam vom Okzident abgesondert hat. Die Gründe liegen meines Erachtens weiter zurück (Alexander d.G.) und sind vielfältiger.

Das auszuarbeiten erfordert eine Zeit, die mir im Moment leider fehlt. Aber es gibt sicher Diskutanten, die sich hier Mühe geben werden.

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adam

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carlos1
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 01.03.2010, 10:50:08
Hallo Wolfgang,
ein interessanter Text. Du hättest ihn eigentlich unter historischen Ereignissen einstellen sollen oder Geistesgeschichte/Philosophie.

Ich habe den eingestellten Link überfloge, und finde, dass das Vorhaben eine Weltgeschichte aus islamischer Sicht darzustellen unseren Vorstellungen von Selbstbestimmung und eigener Identität entspricht. Jeder Kulturkreis sucht in der Begegnung mit anderen seine eigene Identität zu definieren. Dabei muss aber vorausgesetzt werden, dass die Darstellung der Geschichte anderer Kulturkreise, von denen man sich abheben will, angemessen dargestellt wird. Im Link sind aber schon bei einfachen Fakten auf den ersten Blick Abweichungen von unseren Vorstellungen zu entdecken, die wie ich meine, von westlicher Seite durchaus besser begründet sind. Eine Weltgeschichte aus westlicher Sicht sollte nicht aus der Sicht jener Zeitgenossen gesehen werden, die ihre eigene Geschichte nicht kennen.

Weiter: Adam weist in diesem Zusammenhang auf den Eurozentrismus in der Geschichte hin.

„Einerseits finde ich es aus der wirklichen Geschichte heraus als unverantwortlich, dass noch heute in den Schulen gelehrt wird, die Ursprünge der Kultur (es wird nicht unbedingt Wert auf das "westlich" gelegt) kämen aus dem antiken Griechenland.“ Adam


Erlaube mir bitte einige Korrekturen anzubringen, adam. Vielleicht geben Schüler Fakten falsch wieder oder Lehrer wissen es nicht genau. Die Geschichte der europäischen Kultur, das was wir „Abendländische Kultur“ nennen, hat ihren Ursprung in Griechenland. Die Wiege der Kultur überhaupt liegt aber nicht in Griechenland. Die Griechen haben viel aus ihrer Kultur von anderen Völkern übernommen.

Die potamischen Hochkulturen Ägyptens, Mesopotamiens, Chinas, des Indusgebietes sind allesamt älter als die griechische Kultur. Griechenland übernahm viel von anderen Kulturen. Sogar der Name Europa stammt aus dem Vorderen Orient. Die syrische Fürstentochter Europa wurde von Zeus, der sich in einen Stier verwandelt hatte nach Kreta entführt. Der Name Europa ist also asiatischen Ursprungs. Der Mythos der Europa weist auf die uralten Beziehu8ngen unserer Kulturen hin. Die Minoer auf Kreta wiederum vermittelten asiatische Kultur weiter an die Griechen.


Die griechische Kultur stand in der Bronzezeit in einem engen Handelsaustausch mit dem Orient. Knotenpunkte des Handels waren Kreta und die Küsten Kleinasiens, vor allem Troja, das strategisch günstig am Hellespont lag und den Handel mit Erzen und anderen Produkten aus den Gebieten Südrußlands (Kaukasus) und Asiens kontrollierte. Die Ilias Homers (um 800 v. Chr. Lebte Homer) geht von poetischen Gründen aus – dem Raub der schönen Helena - für den trojanischen Krieg (vermutlich ca. 1150 oder 1130 v. Chr.). Tatsächlich waren es eher politische und wirtschaftliche Gründe und keine Frauengeschichten, wie Homer uns glauben machen will, die die vereinten Kräfte der Griechen gen Troja ziehen ließen, um es zu zerstören. Eberhard Zangger, ein deutscher Archäologe vertritt diese These. Troja stand wiederum in einem engen Austauschverhältnis mit dem Orient, den Gebieten Südrusslands und Asiens. Dieser Austausch beschränkte sich nicht auf Waren allein. Kybele, die mutterrechtliche Göttin aus Kleinasien, lebte im Götterkult (Dionysoskult) der Griechen weiter. Das griechische Alphabet ist dem phönikischen nachgebildet, das sich wiederum aus der ägyptischen Hieroglyphenschrift entwickelt hatte. Die Kulturen der Bonzezeit und Eisenzeit standen untereinander in regem Handelsaustausch. In einem keltischen Fürstengrab (500 v.Chr) in der Nähe von Hochdorf (Mittlerer Neckarraum) wurden Grabbeigaben aus dem Mittelmeerraum gefunden.


„Andererseits kann ich der Aussage nicht zustimmen, dass sich der Orient erst mit der Entstehung des Islam vom Okzident abgesondert hat. Die Gründe liegen meines Erachtens weiter zurück (Alexander d. G.) und sind vielfältiger.“ Adam



Die kulturelle Einheit des Mittelmeerraumes wurde durch die Eroberungen des Islam in Nordafrika, welches Teil des römischen Reiches war, zerstört. Die Auffassung, dass der Islam in der Tradition der alten Hochkultur Mesopotamiens , des Perserreiches, der Sassaniden etc. steht (s. Link) ist eine unhistorische Konstruktion.


„Aber dann entdeckte der Westen die Seemacht und die Technik, verbreitete sich auf dem ganzen Globus und beherrschte alle anderen Kulturen, auch die islamischen.“ S. Link



Die Entwicklung der westlichen Seefahrtstechnik ermöglichte es Portugal und Spanien den arabischen Riegel zu knacken, der die Europäer beim einträglichen Handel mit Indien und den Gewürzinseln blockierte. Die Portugiesen wählten den Seeweg nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung, um der arabische nblockade zu entgehen. Kolumbus wählte im Auftrag der spanischen Krone die Westroute nach Indien und entdeckte dabei Amerika. Bis an sein Lebensende war er aber der Meinung er habe Indien auf der Westroute erreicht. Ohne den islamischen Sperrriegel im Mittelmeerraum und Vorderen Orient wäre Amerika nicht von Kolumbus entdeckt worden.


„Die Tatsache, dass muslimische Philosophen des frühen Kalifats die ersten waren, die sich einer wissenschaftlichen Weltsicht näherten, lässt einige der Möglichkeiten der islamischen Kultur für fortschrittliche Gedanken erkennen.“ S. Link


Dem Islam ist es zu danken, dass die Schriften des Aristoteles bewahrt und wieder im christlichen Europa Eingang fanden. Dem Aristoteles wiederum ist der wissenschaftliche Ansatz zu danken, von dem im Link die Rede ist. Europa hat von diesem Austausch profitiert, ebenso von den Begegnungen in der Zeit der Kreuzzüge. Für uns selbstverständliche zivilisatorische Errungenschaften des Alltagslebens in Europa sind damals aus dem Orient übernommen werden.

Die eingestellten Texte sind zu umfangreich, Wolfgang, um sie in einem Zug zu bewältigen. Die Geschichte zeigt uns aber schon in einer knappen Übersicht, dass ein kulturelles Austauschverhältnis sinnvoller ist als Radikalismus. Wir sollten wachsam sein, aber nicht in jedem Muslim einen Islamisten sehen. In einer klein gewordenen Welt müssen wir lernen andere Kulturen zu verstehen und uns in andere Denkweisen einzufühlen.

c.

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adam
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von adam
als Antwort auf carlos1 vom 01.03.2010, 23:03:52
In einer klein gewordenen Welt müssen wir lernen andere Kulturen zu verstehen und uns in andere Denkweisen einzufühlen.

c.



Das ist natürlich richtig und solange es um Kultur geht und auf gegenseitiger Basis stattfindet, können wir den Karl Martell ja zu Hause lassen.

--

adam

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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 02.03.2010, 08:51:34
Ich möchte mich hier carlos anschließen. Dass Griechenland als Wurzel der Kultur bezeichnet würde, ist mir neu; aber dass die griechische Antike, die zu einem guten Teil auch auf außereuropäischen Boden stattfand die Basis des abendländischen Denkens, der Philosophie, der Naturwissenschaft und der Aufklärung darstellt, scheint mir nun doch zu gut begründet, um hier eine berechtigte Revision einzufordern.

Hier geht es zu einer sehr interessanten Leseprobe aus dem Buch von ANSARY, der in seinem Buch "Die unbekannte Welt - Globalgeschichte aus islamischer Sicht" (Campus-Verlag) die Sicht aus islamischen Verständnis heraus darstellt.

Das Interview mit ihm in Teleopolis ist von Wolfgang verlinkt worden. Dort gibt es auch weiterführende Links zu seinem Buch.

Ansary versucht dem eurozentrischen Geschichtsmodell eine Alternative gegenüberzustellen.

Mit dem Islam und dem Westen stehen zwei gewaltige Welten nebeneinander,
doch es ist bemerkenswert, wie wenig sie einander zur Kenntnis genommen
haben. Wenn der Islam und der Westen zwei Menschen wären, dann
würden wir vermutlich Symptome der Verdrängung diagnostizieren und
uns fragen, ob zwischen beiden etwas vorgefallen sein könnte, ob sie vielleicht
früher einmal ein Liebespaar waren. Ich kann mir eine weit weniger
reißerische Erklärung vorstellen: Über lange Zeiträume hinweg verhielten
sich der Westen und das islamische Kernland wie zwei unterschiedliche Universen.
Jedes war mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, jedes hielt
sich selbst für den Mittelpunkt der Weltgeschichte, jedes lebte nach seiner
eigenen Erzählung. Erst im 17. Jahrhundert begannen diese beiden Erzählungen,
einander zu überschneiden. An diesem Punkt musste eine der beiden
Erzählungen Platz machen, denn sie standen in Konkurrenz zueinander.
Und da der Westen mächtiger war, siegte seine Erzählung und unterdrückte
die andere.
Doch damit endete die verdrängte Geschichte keineswegs. Denn diese
andere Erzählung blieb unter der Oberfläche bis heute erhalten, wie eine
Art gegenläufige Unterströmung. Wenn wir uns die Konfliktgebiete der
Welt ansehen – Kaschmir, den Iran, Tschetschenien, den Balkan, Israel und
Palästina oder den Irak –, dann sehen wir die Grenzen eines Gebildes, das
zwar von den Landkarten verschwunden ist, das sich aber heftig gegen seine
endgültige Auslöschung aufbäumt.
Das ist die Geschichte, die ich auf den folgenden Seiten erzählen möchte.
Geschichte im Sinne von Erzählung, denn dieses Buch ist kein Schulbuch
und keine wissenschaftliche Abhandlung. Es ist eher das, was ich Ihnen in
einem Café erzählen würde, wenn Sie mich fragen würden, was es denn mit
dieser parallelen Weltgeschichte auf sich hat
.


Das heißt, dass noch viele Bücher geschrieben werden müssen, ... auch über die Methodik historischer Untersuchungen, damit es nicht bei einem Entweder-oder und bei zwei parallelen Weltgeschichten bleibt. Obwohl für das gegenseitige Verstehen unabdingsbar handelt es sich doch nur um einen kleinen Schritt der Aufarbeitung der Vergangenheit (inklusive des beidseitigen Verhältnisses zur osmanischen Türkei, wie ich der Leseprobe entnehme).

Zur gewählten Übrschrift dieses Threads und dem aus dem Interview mit ANSARY entnommenen Zitat:

Frage:
Sie beschreiben auch die Entwicklungen im Islam und innerhalb der sogenannten Reformbewegungen bei den Wahhabiten und Anhänger von Dschama ad-Din al-Afghani. Heute werden sie in den Medien als "Islamisten" bezeichnet. Was sind Islamisten? Welchen ideologischen Hintergrund haben sie? Und gibt es Unterschiede zwischen Islamisten?

Tamim Ansary:
Der Begriff des Islamismus bezieht sich normalerweise auf revolutionäre Radikale, für die die frühe muslimische Gemeinschaft ein utopisches politisches Modell für die Zukunft darstellt. In dieser vorgeschlagenen Utopie soll es keinen weltlichen Bereich und keine Trennung zwischen Staat und Kirche geben. Die Scharia soll das Landesgesetz sein. Praktisch sind Islamisten, wie ich denke, oft Antiimperialisten, die glauben, dass islamische Metaphern und Vorstellungen sowie islamische Rhetorik und Sprache wirksame Mittel sind, um politischen Widerstand bei den Muslimen gegen ausländische Herrschaft herzustellen und zu organisieren.

Ziemlich oft können Islamisten ihre Ideologie auf viele Jahre, sogar Jahrhunderte herrschende Missstände wie Armut, Unterentwicklung und tief verwurzelte soziale Ungerechtigkeiten projizieren. Die Kommunisten hatten dieselben Missstände ausgebeutet, um zu versuchen, revolutionäre sozialistische Bewegungen gegen den kapitalistischen Imperialismus aufzubauen. Aber die Sprache des Marxismus erreicht viele der Muslime nicht, die am meisten unter der sozialen Ungerechtigkeit leiden, weil sie meist zu den ärmsten, überwiegend auf dem Land lebenden, traditionellsten und religiösesten Menschen in den muslimischen Ländern gehören.

Da ihr Leben bereits von Religion geprägt wird, klingt die religiöse Sprache der Islamisten und die Vorstellung einer Gesellschaft ohne weltlichen Bereich, in der das religiöse Gesetz das einzige ist, nicht alarmierend, wie dies für viele Menschen im Westen der Fall ist. Der Islamismus stellt auch einen Rahmen bereit, in dem entfremdete und enteignete Muslime im Westen das Gefühl einer souveränen Identität und Sinnhaftigkeit finden können.

Es gibt, wie ich sagen würde, Unterschiede zwischen verschiedenen islamistischen Gruppen und verschiedenen Strömungen innerhalb des Islamismus, aber das ist zu kompliziert, um das hier auseinander legen zu können. Im Allgemeinen ist es jedoch meiner Meinung nach wichtig, zwischen dem Islamismus, der eine politische Bewegung ist, und dem Islam zu unterscheiden, der ein zivilisatorischer Zeitgeist ist und sich durch die Geschichte bewegt
.

Frage:
In Ihrem Buch "West of Kabul, East of New York" sagen Sie, dass militante Islamisten normalerweise niemals traditionelles islamisches Leben kennen gelernt haben und versuchen, etwas wieder zu erschaffen, was sie nicht erfahren haben. Was meinen Sie damit?

Tamim Ansary:
In diesem Buch bezog ich mich vor allem auf die Taliban, die in Afghanistan von 1996 bis 2001 herrschten. Ich wollte zeigen, dass die Masse der Taliban-Kämpfer afghanische Jugendliche waren, die in Flüchtlingslagern an der pakistanischen Grenze aufgewachsen waren. Sie haben niemals das traditionelle Leben des alten Afghanistan vor Mitte der 1960er Jahre erlebt, als das Land noch relativ friedlich war.

Das alte Afghanistan war eine reichhaltige und differenzierte Gesellschaft. Die Jungen in den Lagern wuchsen in einer harten und einfachen Umwelt auf, ohne Lehrer, Verwandten, festen Verwandtschaftssystemen, ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Ort oder der Geschichte der Vorfahren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Taliban tatsächlich "militante Extremisten" nennen würde. Die arabischen Revolutionäre und andere ausländische Dschihadisten, die damals in Afghanistan operierten (und dies noch immer tun) und die diese Jungen ausbeuteten, waren militante Extremisten. Aber viele der Taliban damals (und heute) gleichen viel eher konservativen lokalen Menschen, die wild entschlossen sind, ihre Welt von Außenseitern zu reinigen, wozu auch die Regierung in Kabul gehört, die zwar afghanisch war, aber für sie dennoch ausländisch



Jede verfälschende Simplifizierung ist schlimm; vor allem wenn die Frage gestellt wird "Cui bono".

Nachtrag zum Verständnis des letzten Satzes: Es ist unseriös, diese Charakterisierung der radikalen, islamistischen Talibans auf alle Islamisten, die ihre Vorstellung einer Gesellschaft, in der allein (islamisches) Gottesrecht herrscht und die durch Gewalt erreicht werden soll, zu übertragen. Eine Verharmlosung der Gefahr, die dadurch für die mit viel Blut erkämpfte Trennung von Staat und Religion entsteht, kann sehr gefährlich sein.
.....jedenfalls für diejenigen, die in der Aufklärung einen wesentlichen und begründenden Wert "unserer" Gesellschaftsordnung sehen.


carlos1
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 01.03.2010, 10:50:08
„Mit dem Islam und dem Westen stehen zwei gewaltige Welten nebeneinander,
doch es ist bemerkenswert, wie wenig sie einander zur Kenntnis genommen
haben. Zitat bei Ansary

"Über lange Zeiträume hinweg verhielten sich der Westen und das islamische Kernland wie zwei unterschiedliche Universen. Jedes war mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, jedes hielt sich selbst für den Mittelpunkt der Weltgeschichte, jedes lebte nach seiner eigenen Erzählung. Erst im 17. Jahrhundert begannen diese beiden Erzählungen,
einander zu überschneiden. Zitat bei Ansary (Globalgeschichte aus islamischer Sicht" (Campus-Verlag) die Sicht aus islamischem Verständnis heraus darstellt. Verfasser Ansary)“


@ wolfgang
Die Ausdrücke „islamische Sicht“ oder „islamisches Verständnis“ bei Ansary weisen auf Empfindungen hin, auf Emotionen, Wahrnehmungen Einzelner, aber nicht unbedingt auf Quellen, Fakten, Zeugnisse aus Architektur, Kunst, Literatur einer 1300 Jahre alten Vergangenheit, die zu einer umfassenden Geschichtsdarstellung gehören. Die der Zahl nach nicht allzu zahlreichen Quellen, das Fehlen einer systematisch betriebenen Historiographie im Islambereich haben dazu beigetragen. Claude Cahen, Professor für orientalische Sprachen und Geschichte des Orients an der Sorbonne schrieb in dem von ihm herausgegebenen Band 14 der Fischer Weltgeschichte als Erklärung:


„Der Historiker schuldet dem Leser den Hinweis, dass bei dem heutigen Stand der Dinge von der islamischen Geschichte kein so vollständiges Bild wie von der europäischen gegeben werden kann. Zunächst fehlen uns, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für den Nahen Osten die Quellen, welche die Archive für die Geschichte des europäischen Mittelalters liefern, und eine noch so reiche Literatur kann keinen vollen Ersatz bieten. Hinzu kommt, dass die historische Forschung für den Orient gegenüber der geschichtlichen Erschließung des Okzidents aus zwei Gründen um ein Jahrhundert zurück ist. ….“



Claude Cahen schreibt weiter:

„Die neue Kultur, die aus diesen Eroberungen (gemeint sind die arabischen Eroberungen und die daraus hervorgegangenen Reiche der Umaiyaden und Abbasiden etc ) hervorging, zählte zu den glänzendsten und sollte in mancher Hinsicht zur Erzieherin des Abendlandes werden, nachdem sie selbst einen großen Teil des antiken Erbes in sich aufgenommen und mit neuem Leben erfüllt hatte. Seit 13 Jahrhunderten ist die islamische Geschichte im Krieg wie im Frieden unaufhörlich mit der westlich-europäischen verbunden, unsere Kulturen sind auf demselben ursprünglichen Grund gewachsen und wenn das, was wir daraus gemacht haben, schließlich weit auseinander gegangen ist, so kann ein Vergleich uns nur helfen, un gegenseitig besser zu verstehen.“ Fischer Weltgeschichte, Bd. 14 S. 7f


Die arabischen Reiche vom 7. bis 13. Jahrhundert (Umaiyden, Abbasiden) sollten in unserem Islambild von dem Osmanischen Reich getrennt werden. Unser heutiges Bild vom Islam wird stark von dem Osmanischen Reich und seinem Niedergang geprägt. Wirtschaft und Gesellschaft unter den Umaiyaden und Abbasiden zeigen einen anderen Islam als das Osmanische Reich. Die Stellung der Frau, die von uns als Kritik oft vorangestellt wird, muss für die Jahrhunderte unmittelbar nach den Eroberungen des Islam differenzierter gesehen werden. Die Polygamie gab es in allen nichtchristlichen Gesellschaften des Vorderen Orients. Sie war entgegen einer heute weit verbreiteten Anschauung, dem Islam ebenso wenig eigentümlich, wie die halbklösterliche Einsperrung der Frau.


Als charakteristisch für die frühe islamische Gesellschaft im Ganzen ist die Tatsache zu sehen, dass zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft keine vermittelnde Körperschaft tritt. So jedenfalls die juristische Theorie, aber auch weitgehend die geübte Praxis. Es gab keine ständische Ordnung wie im mittelalterlichen und absolutistischen Europa, damit auch keine Hierarchie. In Byzanz hatte es solche Hierarchien gegeben. Eine Rangabstufung lief dem Islam zuwider, der keinen Adel kannte, nur die Gemeinschaft der Gläubigen. Eine Ausnahme machte nur die Angehörigen der Familie des Propheten, deren Angehörige ein besonderes Ansehen genossen. Der Begriff Adel wäre hier angebracht. Allerdings verlor sich diese Anschauung mehr und mehr, da die Abkömmlinge des Propheten bald in die Hunderte gingen und immer weiter zunahmen. Ausgenommen waren auch die Sklaven. Im Übrigen gilt im Islam nicht unsere Periodisierung mit Mittelalter und Neuzeit. In den Staaten des klassischen Islam existierten also keine sozialen Unterschiede des Standes, fremd sind ihm auch diskriminierende volkstumsmäßige Unterscheidungen. Es gab jedoch die konfessionellen Spaltungen und Schranken. Denen hatte das Gesetz Geltung zu verschaffen. Nichtsdestotrotz ließen die Staaten des klassischen Islam den anderen Bekenntnissen Raum zur Entfaltung und gaben ihnen Schutz. Voraussetzung dafür war die Anerkennung der Oberhoheit des islamischen Herrschers. Dafür genossen die anderen Bekenntnisse (Sekten ausgenommen) Protektion. Diese Haltung war politisch gewollt und hatte ihren Grund in den Mehrheitsverhältnissen. Es machte keinen Sinn die Mehrheit der Andersgläubigen zu verfolgen. Theologisch gesehen wurden Judentum und Christentum zudem nicht als Feinde gesehen; sie hatten gewissermaßen Anteil an der göttlichen Offenbarung.


Adam erwähnt Karl Martell, den Hausmeier der Merowingerkönige, der 732 bei Tours und Poitiers die Araber besiegt hat. Es war wohl keine allzu gewaltige Schlacht, die er schlug, vielmehr die Scharmützel einigerarabischen Scharen, die einen Raubzug (arabischer Begriff Razzia) unternahmen in Richtung Tours unternahmen (Kloster des Heileigen Martin) mit den fränkischen Truppen. Das Treffen wurde erst in neuerer Zeit als weltgeschichtlich bedeutsam bewertet. Eine völlige Besetzung des christlichen Westeuropa hätte für die Araber keinen Sinn gemacht, da das Gebiet wirtschaftlich und zivilisatorische unterentwickelt und klimatisch für sie nicht attraktiv war.


Die Erinnerung und Aufarbeitung der Vergangenheit als Richtschnur für die Gegenwart, die Besinnung auf die Größe vergangener Epochen hat in Europa der Renaissance zu einem neuen Denken geführt. Inwieweit diese Vorstellung auf den Bereich des Islam übertragbar ist, lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Feststellbar ist, dass die Islamisten nicht die Mehrheit der Muslime repräsentieren.

c.

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adam
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von adam
als Antwort auf carlos1 vom 05.03.2010, 12:26:30
Feststellbar ist, dass die Islamisten nicht die Mehrheit der Muslime repräsentieren.


Leider sehen wir uns aber nicht dem toleranten Islam gegenüber, wie er sich bis 1300 gab und auch die Kulturen außerhalb seines Wirkungskreises positiv beeinflußte, sondern den heutigen islamistischen Bewegungen und da besonders aus der arabischen Welt und dem mittleren Osten.

Dort ist der Islamismus auf dem Vormarsch, regiert im Iran und ich höre aus der großen Welt des Islam keine ernsthaften Gegenstimmen, die zur Mäßigung aufrufen. Staaten wie Saudi Arabien stellen sich den Islamisten nur insoweit entgegen, wie es zur Sicherung des eigenen Machterhalts notwendig ist. Der Terror gegen den Westen wird nicht nur geduldet, sondern unterstützt.

Was bringt also das Wissen, daß die Islamisten nicht die Mehrheit stellen, ihren Einpeitschungen aber immer öfter der Jubel der islamischen Bevölkerung entgegenklingt? Mich erinnert es manchmal an die Massensuggestion von Veranstaltungen zur Nazizeit. Und da wollte nach der Katastrophe plötzlich keiner mehr gejubelt haben.

Die ausbleibenden Reaktionen der gemäßigten Muslim vermitteln eine Abwartetaktik, wer letztendlich die Oberhand gewinnt.

--

adam

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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 01.03.2010, 10:50:08
Westlicherseits wird häufig versucht, den Islam mit dem Islamismus gleichzusetzen, oder ihm, dem Islam, eine Affinität zum Islamismus zu unterstellen. Das ist die Masche der furchtbaren Vereinfacher. Da kann eine Fatwa nach der anderen gegen den Terror ausgesprochen werden... Bis zu den furchtbaren Vereinfachern dringt das nicht durch. - Tahi al-Kari hat unlängst Tacheles geredet: "Terrorismus ist Terrorismus, Gewalt ist Gewalt, und diese hat keinen Platz in den Lehren des Islam." - so al-Kadri (vgl. Linktipp).

Das war nicht die erste Fatwa dieser Art.

Es gibt keine islamische Kirche (so, wie es etwa eine katholische Kirche gibt oder einige zusammengeschlossene evangelische Kirchen). Im Gegenteil: Der Islam ist dermaßen vielgestaltig und fließt in ungezählten mäandernden Strömungen und mündet eben nicht in einem einzigen breiten Strom. Nur wenige Muslime haben etwas mit Islamismus oder gar mit islamistisch begründetem Terror zu tun.

Wer den Islam schmäht, ihm Gewalt anhängt, ihn in eine Ecke mit dem Islamismus stellt, betreibt das Geschäft der Islamisten. Der will den Krieg der Kulturen und scheißt auf den so dringend benötigten Dialog.

--
Wolfgang
Karl
Karl
Administrator

Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von Karl
als Antwort auf adam vom 05.03.2010, 13:05:35
@ adam,

wenn man die Gemäßigten nicht zur Kenntnis nehmen will, begeht man m. E. einen sehr großen Fehler. In unserer Presse finden die bizarren und lautstarken Töne Gehör. Die Presse wirkt als Verstärker der Hasstiraden, während Aufrufe zur Mäßigung und zum Friedenhalten keine Schlagzeilen produzieren. Dieses Verhalten der Presse erzeugt dann bei vielen den Eindruck, den Du zu haben scheinst, dass der Islam als Ganzes eine Gefahr darstelle. Das führt dann zum Erfolg von fremdenfeindlichen Parteien (s. Niederlande), was wiederum das Klima anheizt usw. Eine Spirale ist in Gang gekommen und am Ende muss sich die Minderheit fürchten.

Die Presse hätte eigentlich eine andere Aufgabe. Sie müsste differenzieren und aufklären, so wie Wolfgang das im vorgehenden Beitrag getan hat. Dann könnten die Hassprediger (auf beiden Seiten!) isoliert werden und der Integration durch Dialog eine Chance gegeben werden. Karl
adam
adam
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Re: Islamismus vs. Islam
geschrieben von adam
als Antwort auf Karl vom 05.03.2010, 21:44:37
@karl,

mein Beitrag war eine Antwort auf carlos1, der fast nur über den toleranten Islam bis zum 13. Jahrhundert schreibt und dann lapidar bemerkt, daß die Islamisten nicht in der Mehrheit sind. Das weiß ich auch und habe kein Problem mit dem Islam.

Aber die Zeiten des Harun al Raschid sind vorbei und wir haben es nun mal mit Islamisten, ja mit islamistischen Staaten zu tun. Die darf man nicht verharmlosen. Wolfgangs Meinung kann für mich ganz bestimmt nicht maßgeblich sein, da er meiner Ansicht nach selber den Islam mißbraucht, um Stimmung gegen das westliche System zu machen. Er stellt sich nicht schützend vor den Glauben, sondern prügelt nur auf die ein, die ihn nicht haben und sich im okzidentalen Gefüge wohl fühlen. Das ist doch offensichtlich und ich bin sicher nicht der einzige, der das gemerkt hat

Ich verdamme nicht den Regen, warne aber vor dem vergifteten Rinnsal am Straßenrand. Der Islamismus ist so ein Rinnsal und er ist gefährlich. Und so wenig wie der harmlose Regen das Rinnsal ungefährlich machen kann, so wenig kann man den Muslim, der nichts mit Terror zu tun haben will, als Entschuldigung für Islamisten anführen, die bewiesen haben, daß sie dem Westen Schlimmes wollen.

Nochmal: Ich habe nicht das geringste gegen den Islam. Im Gegenteil, ich habe hier im Forum dafür geschrieben, daß wir unsere Muslim in Deutschland unter den Schirm des Grundgesetzes holen müssen, um sie so vor islamistischen Einflüssen zu schützen.

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adam

PS: Wir haben den Terror der RAF auch nicht damit entschuldigt, daß es eine gesetzestreue Linke gibt.

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