Forum Allgemeine Themen Plaudereien Wie wichtig sind Märchen für Kinder?

Plaudereien Wie wichtig sind Märchen für Kinder?

mane
mane
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von mane
als Antwort auf Lissy52 vom 13.12.2017, 19:44:30
Ich denke, dass viele Märchen für Kinder nicht geeignet sind.
Als ich meiner Enkelin  Hänsel und Gretel vorlesen wollte blieben mir schon bald die Worte weg. Eltern , die ihre Kinder in den Wald führen, um sie verhungern zu lassen ? Geht's noch ?
Man darf nicht vergessen, diese Geschichten wurden nicht für Kinder geschrieben. Sie wurden ( als es noch keinen Pc und Fernseher gab, ) unter den Erwachsenen  abends erzählt .

Hallo Lissy,

aus diesem Grund wird das Märchen „Hänsel und Gretel“ auch unter den 30  Dunkelgrimm-Märchen geführt, die für kleine Kinder nicht geeignet sein sollen.
Die Frage, ob dieses Grimms Märchen und weitere zu brutal sind für Kinder, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Es gibt viele Expertenmeinungen dazu.

" In Deutschland seien die Grimm`schen Märchen  nach 1945 für kurze Zeit verboten gewesen. Die Alliierten waren der Meinung, dass Märchen die Nationalsozialisten dazu inspiriert hätten, Gräueltaten zu verursachen“, erklärt  die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Ingrid Tomkowiak.
 In den 70er-Jahren wurden Märchen als Werkzeug schwarzer Pädagogik kritisiert. Während der Heidelberger Märchentage wurde debattiert über Hexen, die kleine Kinder essen, böse Stiefmütter, abgeschnittene Finger und ausgestochene Augen – es komme Böses aus den Märchenbüchern und die uralten Geschichten müssten aus der Kindererziehung verbannt werden.

„Kinder brauchen Märchen“  heißt das Buch des  Psychoanalytikers Bruno Bettelheim, welches 1976 veröffentlicht wurde. Er interpretierte die Volksmärchen der Brüder Grimm psychoanalytisch und hielt sie, trotz aller Grausamkeiten, für sehr wertvoll für Kinder. Das Märchen setze dort ein, wo sich das Kind in seiner „seelischen und emotionalen Existenz befinde“. Deswegen seien Märchen eine wichtige Lebenshilfe, um die chaotischen Spannungen ihres Unterbewussten zu bewältigen, sagte er.
Ich habe ein ausführliches Interview mit Bruno Bettelheim bereits eingestellt und kann mich mit seinen, wie ich finde, ungewöhnlichen Theorien nicht anfreunden. Sie scheinen mir überholt.
Ich bin kein Fan von alten Märchen. Sie sind mir teilweise zu weit hergeholt, zu altmodisch und zu brutal. Es gibt viele moderne Geschichten, die ähnliche Aussagen haben, (z.B. dass das Gute über das Böse siegt),die jedoch wesentlich besser und kindgerechter verpackt sind.

Gruß Mane
olga64
olga64
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von olga64
als Antwort auf mane vom 15.12.2017, 12:51:07

Märchen sind ja nicht nur was für Kinder. Im Endeffekt ist jedes Buch und jeder Film auch ein Märchen, das dann von Erwachsenen gerne konsumiert wird.
Oder manche SChilderungen und Erzählungen von Erwachsenen an Erwachsene, in der realen und auch der virtuellen Welt.
Im Orient gibt es Märchen-Cafés (bzw. Teestuben). Ich war mal in Tanger in so einer Einrichtung und bedaure es bis heute,dass ich nichts verstanden habe.
Auch in Syrien gibt es sie auch während des grausamen Krieges; was für eine gute Idee, damit Menschen auf andere Gedanken kommen und wenn auch nur für kurze Zeit. Olga

mane
mane
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von mane
als Antwort auf olga64 vom 18.12.2017, 16:19:30

Sie haben recht, Olga, auch Erwachsene lieben Märchenhaftes. Die Märchen der Brüder Grimm und auch die Märchen aus 1001 Nacht, waren anfangs für Erwachsene erzählt und später niedergeschrieben worden. Die Originale mit den zum Teil sehr erotischen Geschichten wurden später für Kinder um die erotischen und auch religiösen Komponenten entschärft oder sie wurden ganz weggelassen.
Zu meinem 60. Geburtstag hatten wir als Überraschung für die Gäste einen Märchenerzähler engagiert. Er bereitete uns allen einen unvergessenen Märchenabend bei Kaminfeuer und leckerem Buffet.

Gruß Mane

Anzeige

pippa
pippa
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von pippa
als Antwort auf mane vom 19.12.2017, 10:47:41
Super mane, da wäre ich auch gern dabei gewesen.

Ich war vorgestern mal wieder in der Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck, Libretto Adelheid Wette.

Vom ersten Ton an war ich wieder das 5-jährige Kind, das seine allererste Oper erlebte, und ich war auch wieder genauso verzaubert. Genau wie mit 5 Jahren registrierte ich den grausamen Inhalt nicht, denn zum Schluss waren ja alle Kinder erlöst.

Allerdings hat A. Wette die Reime für das Libretto einigermaßen Kind gerecht gehalten und Brigitte Fassbaender (früher großartige, von mir geliebte Sängerin) gestaltete die  Inszenierung mit einem gewissen Augenzwinkern, in dem sie Gretels Cleverness  unterstrich.

Wenn mir in meiner Kindheit alles so wenig geschadet hätte wie das Lesen von Märchen, hätte ich gewiss einleichteres Leben gehabt.
Pippa
youngster
youngster
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von youngster
als Antwort auf mane vom 19.12.2017, 10:47:41

Ja liebe Mane,

ich habe gerade erst mal in das Hörbuch reingehört und werde es sicherlich noch weiter anhören. Danke für das zeigen des Videos. Ich muss dazu sagen, dass ich mir bisher noch nie ein Hörbuch angehört habe und das nun eine ganz neue Erfahrung für mich ist.

Sehr interessant fand ich die Bemerkung von Olga und nun die Bestätigung durch dich dass es wirklich Märchen für Erwachsene zu geben scheint.

Also nochmals danke für das Märchen - Video und eine gute Zeit.

Gruß youngster

olga64
olga64
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von olga64
als Antwort auf pippa vom 19.12.2017, 11:13:22
 
Vom ersten Ton an war ich wieder das 5-jährige Kind, das seine allererste Oper erlebte, und ich war auch wieder genauso verzaubert.

Wenn mir in meiner Kindheit alles so wenig geschadet hätte wie das Lesen von Märchen, hätte ich gewiss einleichteres Leben gehabt.
Pippa
Auch bei mir war Hänsel und Gretel die erste Oper, die ich in München Anfang der 50er Jahre sehen durfte. Mein Vater war ein grosser Opernliebhaber; leider folgten nach Hänsel und Gretel einige Wagner-Opern von unendlicher Länge und Schwere, die dann bei mir lange, lange Zeit die Lust an Opern verkümmern liessen.
Später entdeckte ich dann aber Puccini, Verdi usw. und alles wurde wieder gut.

Ihr letzter Satz macht mich nachdenklich, Pippa. Sehr selten sind doch die Kindheit oder deren Erlebnisse verantwortlich dafür, ob das weitere Leben leicht oder schwierig wird. Die Kindheit ist doch der kleinste Anteil an der Dauer eines Menschenlebens  und kann nur eine Basis darstellen, wovon man sich dann aber als ERwachsener selbst befreien kann und auch soll, wenn das gelegte Konzept nicht mehr in die eigene, gewählte Lebensform passt. .
Ich denke, ob mein Leben als gut oder leicht zu beurteilen ist, hing immer z.B. mit  der richtigen Wahl zusammen: Partnerwahl, Berufswahl, ob Kinder oder nicht, Wahl des Wohnortes, politischer und auch religiöser Einstellung usw. Es gibt ja im Leben meistens  zwei oder mehr Möglichkeiten, für die "man" sich entscheiden kann und irgendwann kommen auch persönliche Erfahrungen hinzu. Auch wenn man dann mal die falsche Wahl getroffen hatte, ist es oft korrigierbar.
Ob mir persönlich Märchen in meiner Persönlichkeitsbildung schadeten? Ich denke nicht, weil ich mich frühzeitig von den früheren erziehungstechnischen Forderungen (und den Drohungen,die in den Märchen dargestellt werden) freigemacht habe, wenn ich einsah, dass sie so wichtig für mein Leben nicht sind, wie es damalige Erwachsene immer gepredigt hatten. Olga

Anzeige

schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf olga64 vom 19.12.2017, 17:52:05

Die Jahre der Kindheit scheinen uns zwar im Nachhinein kurz. Aber damals schienen sie uns manchmal unheimlich lang.

In der Kindheit haben wir jeden Tag Neues gelernt und erlebt. Aber das Neue wurde, je länger wir leb(t)en, wiederholter.

mane
mane
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von mane
als Antwort auf pippa vom 19.12.2017, 11:13:22
Wenn mir in meiner Kindheit alles so wenig geschadet hätte wie das Lesen von Märchen, hätte ich gewiss einleichteres Leben gehabt.
Pippa
Liebe Pippa,

ich erinnere mich an "das Kind", das gerade mal 5 Jahre alt war, als es mit der Mutter aus der Heimat fliehen musste und dabei den Schüssen, die aus den Tieffliegern abgeschossen wurden, ausgesetzt war. Das verfolgte das Kind lange in seinen Träumen. Es hat dir gut getan, deine Erlebnisse niederzuschreiben und dich ein Stück weit davon zu befreien.
Mane







 
Mitglied_69e81d4
Mitglied_69e81d4
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf mane vom 19.12.2017, 23:14:58

Liebe Mane, ich möchte zu deinem Beitrag an Pippa einmal ein Buch empfehlen, das ich dank Margit hier im ST entdeckt habe: 'Die vergessene Generation- die Kriegskinder brechen ihr Schweigen' von Sabine Bode. In deinem Thread geht es ja ursprünglich über Märchen. Ich forsche gerade in meinem Bücherreagel nach einem Buch, das die Archetypen erklärt, die sich in Märchen repräsentieren. Darüber später mehr. 

Ich glaube aber auch, dass es Schlimmeres gibt, als die Grimmschen Märchen als Kind erzählt zu bekommen. Gerade die Kriegskinder haben Traumata zurückbehalten, die sich  in ihrem Leben nachhaltig auswirken (laut den Forschungen von Sabine Bode) , selbst wenn sie mutig als Erwachsene beschliessen, dass sie bestimmen möchten, wie ihr Leben aussehen soll -  und wie sie sich fühlen möchten. - Bei diesem Buch habe ich verstehen können, welche Traumata zurückbleiben, grade bei Kindern, die z.B. Bombenangriffe erlebt haben -  in einem Alter, an das sie sich aktiv nicht erinnern können weil sie jünger als 3 oder vier Jahre waren. - 

Ich bin ein Nachkriegskind, über 'uns' gibt es auch ein Buch von Sabine Bode, das sich mit  der Generation der Kinder von Eltern beschäftigt, die die Nazizeit erlebt, mitgemacht oder irgendwie durchlebt haben. Titel: 'Die Nachkriegskinder und ihre Soldatenväter'. Da geht es um das Schweigen der Eltern (nicht nur über die eventuelle Nazizugehörigkeit), sondern auch über traumatische Nachwirkungen der Kriegserlebnisse der Eltern - '' und die unbeantworteten Fragen der Kinder. 

Beide Bücher haben mir sehr geholfen und den Zugang eröffnet zu einem Verständnis und einer Gefühlsebene, welche sich mir ohne die Recherchen von Sabine Bode nicht so einfach hatten eröffnen können. 

Es ist Threadüberschretend, ich weiss, dass ich das hier schreibe. Aber beim Lesen deines Beitrags, war es mir wichtig, auf diese Bücher hinzuweisen. Ich werde demnächst auch noch das dritte Buch von Sabine Bode lesen über die Kriegsenkel. Falls es mir nicht zu nahe geht, versuche ich zu berichten. Einstweilen wäre ich dankbar über einen Austausch in persönliche Nachrichten... von den Menschen, die sich über diese Bücher mit mir austauschen möchten. Vieles ist ja zu persönlich, um darüber ganz öffentlich zu berichten. Ein grosser Dank, Margit, dir: für diese Bücher


Und Danke für die vielfältigen Themen, die du, Mane, zu Zeit im ST eröffnest. Liebe Grüsse von der Tine

 

mane
mane
Mitglied

RE: Wie wichtig sind Märchen für Kinder?
geschrieben von mane
als Antwort auf youngster vom 19.12.2017, 12:19:18
Ja liebe Mane,

ich habe gerade erst mal in das Hörbuch reingehört und werde es sicherlich noch weiter anhören. Danke für das zeigen des Videos. Ich muss dazu sagen, dass ich mir bisher noch nie ein Hörbuch angehört habe und das nun eine ganz neue Erfahrung für mich ist.

Sehr interessant fand ich die Bemerkung von Olga und nun die Bestätigung durch dich dass es wirklich Märchen für Erwachsene zu geben scheint.

Also nochmals danke für das Märchen - Video und eine gute Zeit.

Gruß youngster
Lieber youngster,

ich freue mich über deine freundlichen Worte und wünsche auch dir eine schöne Weihnachtszeit.
Ja, das Internet ist eine Fundgrube an schönen und nachdenklich machenden Geschichten, auch in Hörbuchform. Folgende habe ich bereits im Adwents- und Weihnachtsthread eingestellt und möchte sie  auch hier zeigen:

Das Märchen vom Auszug aller Ausländer wurde 1991 von Helmut Wöllenstein angesichts der wachsenden Ausländerfeindlichkeit verfasst. An der Aktualität des Textes hat sich bis heute nichts geändert.
Mane
 

Anzeige