Plaudereien Wie weit kann sich ein Mensch zurückerinnern?

Gillian,
ich sehe mich in einem unfreundlichen Raum in einem weißen Gitterbettchen liegen. Auch erinnere ich mich daran, wie eine Hand mit schwarzem Ärmel nach mir greift. Heute noch spüre ich einen ängstlichen Schauer, wenn ich an diese Szene denke.
Inzwischen weiß ich, dass ich noch kein Jahr alt war, als ich mit Verdacht auf Hirnhautentzündung ins Krankenhaus gebracht werden musste. Etwa zwei Monate war ich dort. Die Eltern durften mich nicht besuchen. Es waren grauenhafte Zeiten für Kinder, die im Krankenhaus sein mussten. Der schwarze Ärmel, den ich heute noch vor mir sehe, kann nur von einer Ordensschwester gewesen sein, die damals in Krankenhäusern in der Pflege tätig waren.
Liebe Grüße, Libussa

oh doch, manche können sich wirklich so weit zurück erinnern. Zuerst sind es nur Fragmente, nichts zusammenhängendes - dann werden (je älter man wird) die Erinnerungen lückenloser.
Meine allererste Erinnerung habe ich als erwachsener Mensch meiner Mutter erzählt. Ich lag in einem Korb und genau gegenüber hing eine ganz besondere Uhr an der Wand. Ich konnte sie beschreiben. Davon existiert kein Bild - keine Erzählung wies auf diese Uhr hin. Das nächste an was ich mich erinnern kann ist eine Begebenheit, bei der ich auch Angst hatte. Mein Po war noch viel zu schwer für mich (ich trug noch eine Windel, muss wohl knapp ein Jahr alt gewesen sein), um auf eine schwarze Couch krabbeln zu können. Diese Couch hatte auf dem schwarzen Grund rote kleine Blümchen. In einer Ecke sass eine für mich damals uralte Frau, sie half mir auf die Couch, indem sie meinen Po anhob und mich so auf die Couch beförderte. Ich setzte mich zuerst neben sie, aber dann (und das sehe ich noch heute vor mir) sah ich einen sehr dürren, ganz weissen Arm. Der hat mich erschreckt, diese weisse Farbe, das Dünne.....ich rutschte in die Ecke der Couch. Später erfuhr ich dass diese Verwandte kurz darauf gestorben ist.
Ebenso beschrieb ich meiner Mutter (damals war ich dann schon fast 50 Jahre) ein Gebäude - weil ich es in meiner Erinnerung verzweifelt suchte und nie finden konnte. Und so gibt es noch so einige "Bilder in meinem Kopf". Vielleicht sind manche Erinnerungen auch nur so stark ausgeprägt weil ich als Kind (auch bereits als Kleinkind) sehr häufig Wohnorte, Bezugspersonen usw. wechseln musste.

(...) Vielleicht sind manche Erinnerungen auch nur so stark ausgeprägt weil ich als Kind (auch bereits als Kleinkind) sehr häufig Wohnorte, Bezugspersonen usw. wechseln musste.

War bei mir auch so - also der häufige Wechsel. Wir sind sehr oft umgezogen.

ich war ca 2 1/2, als ich zur beobachtung ins krankenhaus sollte.

meine eltern gaukelten mir vor, ich käme in einen kindergarten, was ich damals

wohl gerne wollte.

im krankenhaus angekommen, wurde mir schnell klar, weil es "komisch" roch, daß

das kein kindergarten sein konnte!

noch heute denke ich mit schaudern an diese lüge zurück, weil ich natürlich im

krankenhaus total unglücklich wurde.

....... wahrscheinlich erinnert man sich nur an besonders negative ereignisse?

oder sind es die erzählungen der erwachsenen, die sich einprägen -
und man denkt, es sind erinnerungen, die man selbst hat?

Ich weiß noch als zwei oder dreijähriger saß ich bei meiner Mutter auf dem Schoß und fürchtete mich vor den Teer - Streifen welche neben der Ofenpfeife des Brikettsofen die Wand herunterliefen.

Ich fragte was ist das, als Antwort bekam ich von meiner Mutter Zuckerrüben - Aufstrisch für das Butterbrot (Melasse)

Das war auch eine von den Ursachen, wo ich mir vornahm, meinen Kinder in der Erziehung immer eine normale Antwort auf Fragen zu geben.

Phil.

Ich muß so 4 Jahre alt gewesen sein und ging in den Kindergarten. Meine Mutter brachte mich dort immer hin. Aber ich wollte selbständig sein und allein gehen, was ich ihr mitteilte. Sie schien das zu akzeptieren, ich stellte aber fest, dass sie hinter mir hergelaufen war. Da blieb ich stehen und wollte keinen Schritt mehr weitergehen. Sie meinte, die Kinder wären aber sehr traurig, wenn ich nicht käme. Nach längerem Hin und Her entschloss ich mich, weiterzugehen. Ich kann mich noch genau an diese Situation erinnern, ich sehe den Weg mit Häusern und Bäumen real vor mir. Meine Mutter erzählte diesen Vorfall der Ordensschwester, die den Kindergarten leitete. Sie soll ihr gesagt haben, ja, das Mädchen weiß, was sie will. Sie tuen gut daran, sie Freiheit spüren zu lassen. Meine Mutter hat das wohl beherzigt. Ich habe auch in meiner Jugend keinen Zwang verspürt. lifong2007

Da muss was dran sein, Gillian.

Ich erinnere mich leider, muss ich wohl sagen, an einen dunklen Keller voller ängstlicher Frauen, die immer laut aufschrieen, wenn in der Nähe eine Bombe einschlug.
Auch an das Schaukeln kann ich mich bis heute erinnern.
Wilhelmshaven, meine Heimatstadt, ist nämlich auf Pfählen gebaut, was wegen der Gezeiten notwendig ist.

Bunker gab es erst, als ich schon laufen konnte. Auch an die erinnere ich mich, vor allem an die Hin- und Rückwege.

Als ich ca drei Jahre alt war, wurden wir nach Thüringen evakuiert und dort durfte ich für ein Jahr den Kindergarten besuchen. Alles, was ich dieser Zeit lernte, habe ich nie mehr vergessen. Das war meine glücklichste Zeit.

Das Ende des Krieges habe ich dann in einem Erdloch mitten in Ostfriesland erlebt.
Die Front war in unmittelbarer Nähe, und dass ich bis heute extrem lärmempfindlich bin, kann sich vielleicht jeder vorstellen.

Pippa

Während des 2 Weltkriegs war ich 2-3 Jährige. Ich erinnere mich deutlich auf die erste Bombe, wo unsere Fenster Gläser in der Küche zerbrachen, meine Mutter hielte mich auf Arm....

Russische Soldaten
wohnten in unserem Haus, daran erinnere mich ganz deutlich, und wenn ich erzählte als erwachsene einige Szenarien, wie meine Mutter jede morgens müsste für die Soldaten kochen gehen, und wie ein große Angst hatte.....staunten alle. Auf Bunker, wo wir sehr oft Tagelang uns versteckt haben das steht vor meinen Augen immer noch......
Meine kleine Kätzchen verschwand in Bunker und ich weinte bittere Tränen, alle Menschen---glaube waren bis Hundert Personen haben versucht die Kätzchen finden....
...und ich war gezwungen in Bunker Pferdefleisch essen,war ganz rote Fleisch, pfuj....

Diese Erlebnisse prägen mein ganzes Leben. Ich wäre fähig auch jetzt so leben ohne Strom und ohne die ganze Eleganz und Verwöhntheit......
..und ich sah auf großen Wiesen / befand sich vor unserem Haus/ die Stalin Raketen und Bomben, inzwischen auch fliegende Teller....obwohl ich und wir alle damals hatten NULL Ahnung über außerirdische Intelligenz.....
Kann ich mich DEUTLICH erinnern ohne Witz,.....ich sagte für mein vor Angst zitternden Großvater......"die Teller sind hier wieder", aber ich könnte noch nicht deutlich sprechen.
Beim Sirenen heulen sagte ich "Ligadó" das heißt ungarisch Riado---also mein Grovater befestigte mich auf Brust mit Riemen und auf vieren brachte mich zum Bunker. Überall fielen Granaten und warf auf uns geschossen.......wir hatten Glück,viele anderen nicht.

Nasti

Es waren grauenhafte Zeiten für Kinder, die im Krankenhaus sein mussten.

@ libussa, du sprichst mir aus der Seele. Noch heute gehen mir die Gedanken nicht aus dem Kopf, wieviel Seelen da einen Schaden bekommen haben. In dem Kinderkrankenhaus in dem ich gearbeitet habe war das bis 1966 noch so,die Eltern durften nur heimlich durch einen Spalt ins Krankenzimmer schaun.
Es gab ein riesen Geschrei, als Besuchszeiten eingeführt wurden, von wegen Ansteckungsgefahr usw.
Natürlich war man als Schwester zum Ende der Besuchszeit gefordert.
Ohne Besuchszeiten haben die Kinder ja irgendwann aufgehört zu weinen, ja und "rosa Brillen", sprich Stimmungsaufheller
wurden fleißig verabreicht. Da haben, um aus den Nähkästchen zu plaudern, wir Schwestern auch schon mal zugegriffen.

Um auf das Thema zu kommen.

Ich habe weit zurückliegend nur negative Erlebnisse im Gedächtnis eingebrannt, denen ich erst lernen mußte mich zu stellen.

So habe ich in Zeiten wo ich einfach vor allem weglaufen möchte, folgende Situation vor Augen.

Mein Vater leitete damals eine kleine Gärtnerei wo wir auch wohnten.Er trug schwarze Stiefel und Stiefelhosen.
Ich trotte hinter ihm einen langen Gartenweg hinterher und er schlug im Arbeisraum brutal mit einem Gartenschlauch auf mich ein.
Anschließend ließ er mich da einfach liegen.
Hinter der Gärtnerei lag ein weites Feld über das man zur nächsten Ortschaft kommen konnte.
In dem Moment wo ich beschloss abzuhauen kam er mich abzuholen.

Ich weiß nicht mal was ich da "verbrochen" hatte, und auch nicht wie alt ich war,
vom Gefühl her nicht größer als die Beinhöhe meines Vaters.

zeitlose