Plaudereien Wer begreift schon Menschen?
Ich hab es mir schon lange zur Gewohnheit gemacht, von Zeit zu Zeit mein Leben noch einmal bruchstückweise vor meinem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen. Dabei fällt mir immer häufiger auf, dass ich offenbar, trotz meiner jungen Jahre, doch schon ganz schön tüdelich werde. D.h. das Gedächtnis lässt nach, weil der Kopf immer mehr abflaut. Aber so ist das wull, wenn man so Asbach-uralt ist wie ich.
Wie viel und wie intensiv ich auch grübele, kann ich mir nicht in Erinnerung rufen, ob ich im Jahr 1908 Dozent an der Hamburger Uni oder ob ich Lumpensammler war. Von einem Standpunkt aus gesehen ist die Frage nicht so entscheidend, weil das damals gleichwertige Statusberufe waren. Allerdings nur falls man selbstständiger Lumpensammler war!! Einfacher Lumpensammlergeselle oder Lumpensammlerlehrling – nein, das gildete damals nicht. Das hatte nicht denselben Wert wie das Akademische.
Aber trotzdem: Ich will das einfach wissen. Ich will Klarheit über mein Leben haben, damit ich später mal im Fegefeuer Rede und Antwort stehen kann. Nicht dass die mir da Taten eintrichtern, die ich gar nicht begangen habe. Deswegen will ich doch nicht als alter Tüdelpott ins Fegefeuer.
Gerade gestern dachte ich für einen Augenblick, ich hätte die Antwort gefunden. Denn ich hatte auf meinem Dachboden ein altes Fotoalbum hervorgekramt. Und in dem fand ich eine Fotographie von mir aus dem Jahre 1908. Ich stehe voller Stolz neben meinem auf Hochglanz geputzten Lumpensammlerauto (einem Tempo) mit der rechten Hand zärtlich auf seinem Dach. „Na siehste Emil“, sagte ich zu mir, „da hast du ja endlich die Antwort auf deine Frage.“ Aber dann!!! Nur wer weiß, wie sich das Aufwachen aus einem herrlichen Traum anfühlt, kann mir verstehen. So ein böses Erwachen aber auch! Jetzt erst sah ich nümlich den Hintergrund auf dem Foto, der mir bis dahin, weil ich mich ganz auf den Vordergrund konzentriert hatte, entgangen war. Im Hintergrund sieht man klar und deutlich die Hamburger Uni!
Also war ich nicht schlauer als vorher. Bin ich mit dem Lumpensammlerauto zu einer Vorlesung gefahren? Oder hab ich bei die Uni Lumpen oder Schrott abgeholt? Im ersten Fall wäre ich Angestellter, im zweiten Fall aber sogar diplomierter Lumpensammler und Schrotthändler gewesen.
Ich finde mir langsam damit ab, dass ich die Frage nie werde lösen können. Aber als Entschädigung kam mir eine andere liebe, zeitweilig entlaufene, Erinnerung zurück ins Gedächtnis. Die Lise, in die ich mir doch damals verliebt hatte. Um gleich von Anfang an einen guten Eindruck auf sie zu machen, wollte ich ganz groß mit ihr ausgehen, und dabei nicht auf den Pfennig schauen, wie ich es heute, wo ich jeden Tag knickeriger werde, immer tue.
Na ja, sie hat schon große Augen gemacht, als ich mit meinem Lumpensammlertempo um die Ecke gebogen kam. Auch meine Lumpensammlerberufskleidung mit lotteriger Berufshose und brauner Berufsschirmmütze hat sie etwas skeptisch unter die Lupe genommen. Aber eingestiegen ist sie trotzdem. Schon nach zehn Metern hielt ich an und sie sagte: „Warum hältst du denn hier, Emil? Hier ist doch gar nichts.“ Und ob da was war.
Ich führte sie galant, wie es sich für einen Gentleman gehört, in die Imbissbude. Dort verspeisten wir je eine Bockwurst.
Mit Senf.
Und wir teilten uns bruderschwesterlich eine Limonade.
Natürlich brachte ich die Lise auch wieder nach Hause. Mit Abschiedskuss und allem. Das gehörte sich damals nümlich so.
Aus einem mir unerfindlichen Grund ist die Lise danach nicht wieder mit mir ausgegangen. Na, ich sag mir immer: Menschen wird man nie richtig begreifen.
Wie viel und wie intensiv ich auch grübele, kann ich mir nicht in Erinnerung rufen, ob ich im Jahr 1908 Dozent an der Hamburger Uni oder ob ich Lumpensammler war. Von einem Standpunkt aus gesehen ist die Frage nicht so entscheidend, weil das damals gleichwertige Statusberufe waren. Allerdings nur falls man selbstständiger Lumpensammler war!! Einfacher Lumpensammlergeselle oder Lumpensammlerlehrling – nein, das gildete damals nicht. Das hatte nicht denselben Wert wie das Akademische.
Aber trotzdem: Ich will das einfach wissen. Ich will Klarheit über mein Leben haben, damit ich später mal im Fegefeuer Rede und Antwort stehen kann. Nicht dass die mir da Taten eintrichtern, die ich gar nicht begangen habe. Deswegen will ich doch nicht als alter Tüdelpott ins Fegefeuer.
Gerade gestern dachte ich für einen Augenblick, ich hätte die Antwort gefunden. Denn ich hatte auf meinem Dachboden ein altes Fotoalbum hervorgekramt. Und in dem fand ich eine Fotographie von mir aus dem Jahre 1908. Ich stehe voller Stolz neben meinem auf Hochglanz geputzten Lumpensammlerauto (einem Tempo) mit der rechten Hand zärtlich auf seinem Dach. „Na siehste Emil“, sagte ich zu mir, „da hast du ja endlich die Antwort auf deine Frage.“ Aber dann!!! Nur wer weiß, wie sich das Aufwachen aus einem herrlichen Traum anfühlt, kann mir verstehen. So ein böses Erwachen aber auch! Jetzt erst sah ich nümlich den Hintergrund auf dem Foto, der mir bis dahin, weil ich mich ganz auf den Vordergrund konzentriert hatte, entgangen war. Im Hintergrund sieht man klar und deutlich die Hamburger Uni!
Also war ich nicht schlauer als vorher. Bin ich mit dem Lumpensammlerauto zu einer Vorlesung gefahren? Oder hab ich bei die Uni Lumpen oder Schrott abgeholt? Im ersten Fall wäre ich Angestellter, im zweiten Fall aber sogar diplomierter Lumpensammler und Schrotthändler gewesen.
Ich finde mir langsam damit ab, dass ich die Frage nie werde lösen können. Aber als Entschädigung kam mir eine andere liebe, zeitweilig entlaufene, Erinnerung zurück ins Gedächtnis. Die Lise, in die ich mir doch damals verliebt hatte. Um gleich von Anfang an einen guten Eindruck auf sie zu machen, wollte ich ganz groß mit ihr ausgehen, und dabei nicht auf den Pfennig schauen, wie ich es heute, wo ich jeden Tag knickeriger werde, immer tue.
Na ja, sie hat schon große Augen gemacht, als ich mit meinem Lumpensammlertempo um die Ecke gebogen kam. Auch meine Lumpensammlerberufskleidung mit lotteriger Berufshose und brauner Berufsschirmmütze hat sie etwas skeptisch unter die Lupe genommen. Aber eingestiegen ist sie trotzdem. Schon nach zehn Metern hielt ich an und sie sagte: „Warum hältst du denn hier, Emil? Hier ist doch gar nichts.“ Und ob da was war.
Ich führte sie galant, wie es sich für einen Gentleman gehört, in die Imbissbude. Dort verspeisten wir je eine Bockwurst.
Mit Senf.
Und wir teilten uns bruderschwesterlich eine Limonade.
Natürlich brachte ich die Lise auch wieder nach Hause. Mit Abschiedskuss und allem. Das gehörte sich damals nümlich so.
Aus einem mir unerfindlichen Grund ist die Lise danach nicht wieder mit mir ausgegangen. Na, ich sag mir immer: Menschen wird man nie richtig begreifen.
Ach Emil, Dein Kramen in der Vergangenheit - einfach herrlich.
Du hast mich froh gemacht - suchte gerade heute morgen in meinem Gedächtnis nach einem Ereignis und dazugehörigen Wort und kann es partout nicht finden.
Jetzt bin ich getröstet und die Lise? da hast Du bestimmt nettere Partnerinnen gefunden.
Vera, dein Fan.
Du hast mich froh gemacht - suchte gerade heute morgen in meinem Gedächtnis nach einem Ereignis und dazugehörigen Wort und kann es partout nicht finden.
Jetzt bin ich getröstet und die Lise? da hast Du bestimmt nettere Partnerinnen gefunden.
Vera, dein Fan.
Re: Wer begreift schon Menschen?
Tja Emil, sich zu erinnern ist eine recht mühselige Beschäftigung.
Woran erinnert man sich? - warum nur an eines und nicht an alles andere?
Woran erinnert man sich? - warum nur an eines und nicht an alles andere?
Da hast Du wahrscheinlich Recht, Vera. Nu ist es hier ins Forum allerdings verboten, Leute anzumotzen. Aber ich finde, wenn es sich um Personen handelt, die gerade nicht anwesend sind: über die müsste man doch büschen tratschen dürfen. Jedenfalls: Von diesem Grundsatz ausgehend posaune ich es in alle Welt: Büschen komisch war die Lise. Wie soll man sich sonst erklären, dass sie sich ihre Männer lieber aus die Kneipe holte als vom Schrottplatz? Aber damit hab ich schon fasst zuviel verraten, so dass jetzt eisernes Schweigen angesagt ist.
Wenn man das mal genau bedenkt. So eine doofe Nuss. Paar Jahre später geht sie bei und heiratet den Wilhelm vom Nachbarhof. Einen ganz ungehobelten Klotz. Natürlich haben sie sich in die Dorfkneipe getroffen. Und denn beide auch noch wuchtig besäuselt. Aber ein Jahr später hat sie sich wieder scheiden lassen. Das war, der hat doch so schwer gesoffen. Na, ich sag nichts mehr. Kein weiteres Wort kommt über meine Lippen.
Aber wenn man da mal genau über nachdenkt. Ich kannte den Kerl seit 25 Jahren, habe ihn aber nicht ein einiges Mal nüchtern gesehen.
Sowas gehört sich nicht. So ein Lotterleben, mein ich. Man kübelt nicht solche gewaltigen Mengen in sich rein, dass man niemals nüchtern wird. Außer man hat einen Haschmich. Denn vielleicht schon ehrer mal.
Wenn man das mal genau bedenkt. So eine doofe Nuss. Paar Jahre später geht sie bei und heiratet den Wilhelm vom Nachbarhof. Einen ganz ungehobelten Klotz. Natürlich haben sie sich in die Dorfkneipe getroffen. Und denn beide auch noch wuchtig besäuselt. Aber ein Jahr später hat sie sich wieder scheiden lassen. Das war, der hat doch so schwer gesoffen. Na, ich sag nichts mehr. Kein weiteres Wort kommt über meine Lippen.
Aber wenn man da mal genau über nachdenkt. Ich kannte den Kerl seit 25 Jahren, habe ihn aber nicht ein einiges Mal nüchtern gesehen.
Sowas gehört sich nicht. So ein Lotterleben, mein ich. Man kübelt nicht solche gewaltigen Mengen in sich rein, dass man niemals nüchtern wird. Außer man hat einen Haschmich. Denn vielleicht schon ehrer mal.
Ich glaube nicht, dass es eine Form der Erinnerung gibt, die vor langem Erlebtes einfach "realistisch" wiederspiegelt. Jede Erinnerung ist eine Neuauflage, d.h. etwas, was das Gehirn bearbeitet und neu interpretiert hat. Vielleicht sind vereinzelte Erinnerungsfetzen hier eine Ausnahme. Aber darüber hinaus ist jede Erinnerung eine nach bestimmten Mustern erzeugte Neuinterpretation des Gehirns. Vielleicht bedeutet das sogar, dass je deutlicher eine Erinnerung ist, desto falscher ist sie auch.
Aber darüber hinaus ist jede Erinnerung eine nach bestimmten Mustern erzeugte Neuinterpretation des Gehirns. Vielleicht bedeutet das sogar, dass je deutlicher eine Erinnerung ist, desto falscher ist sie auch.
...da kann ich zustimmen, denn ich denke, so war es bei mir schon ganz oft. Allerdings bemerkte ich dabei auch, dass nach dieser "Neu-Interpretation" diese Erinnerung anschließend nicht mehr abrufbar ist oder wenn, nicht mehr sehr deutlich.
So quasi...noch einmal aufbereitet und begutachtet und dann ab ins hinterste Eck...