Plaudereien Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von weserstern
dieses Thema ist bestimmt nicht neu hier im ST,
doch es fallen mir, zu dieser Zeit, gerade immer alle Kindheitserinnerungen ein.... ganz besonders, wenn ich an die heutigen Wünsche der zu Beschenkenden denke...
Oh, ich hatte mir natürlich auch schon Gedanken gemacht ... und das "Treiben" in der Vorweihnachtszeit sehr intensiv beobachtet.
IHR AUCH !!!
Gruß weserstern...
doch es fallen mir, zu dieser Zeit, gerade immer alle Kindheitserinnerungen ein.... ganz besonders, wenn ich an die heutigen Wünsche der zu Beschenkenden denke...
Oh, ich hatte mir natürlich auch schon Gedanken gemacht ... und das "Treiben" in der Vorweihnachtszeit sehr intensiv beobachtet.
IHR AUCH !!!
Gruß weserstern...
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von weserstern
Bei uns Kindern ging es ja immer hoch her...
doch zu dieser Zeit.. da waren wir uns einig ...
Warum wurde er Schlüssel vesteckt?.. Das hat uns, als kleine Detektive, keine Ruhe gelassen ..
denn wir hatten ja alle Filme von Kalle Blomquist verfolgt und wandelten auf seinen Spuren ...
Doch gab es noch immer neue Rätsel
weserstern
doch zu dieser Zeit.. da waren wir uns einig ...
Warum wurde er Schlüssel vesteckt?.. Das hat uns, als kleine Detektive, keine Ruhe gelassen ..
denn wir hatten ja alle Filme von Kalle Blomquist verfolgt und wandelten auf seinen Spuren ...
Doch gab es noch immer neue Rätsel
weserstern
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von elfi343
ja ich finde das auch. Ich bin noch ein Kriegskind und ich kann mich gut erinnern, wie bescheiden unsere Weihnachtsgeschenke waren., und wie wir uns über Kleinigkeiten freuen konnten. Habe 3 Enkelkinder. Am Weihnachtsabend türmen sich die Weihnachtspackerl rund um den Christbaum. Verdirbt mir jedes Jahr die Weihnachtsstimmung.
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von samti
Schon viele Jahe her, aber noch gerne erwähntes Thema bei uns. Der Jüngste, ca. 12 Jahre alt, schrieb seinen ellenlangen Wunschzettel mit recht ausgefallenen Ideen. Die haben wir alle längst vergessen. Nicht aber seinen letzten Satz:
"Wenn dir noch etwas einfällt, kannst du mir das auch noch schenken."
Mir ist dann wohl doch etwas eingefallen, denn Tränen gab es keine. Gruß Samti
"Wenn dir noch etwas einfällt, kannst du mir das auch noch schenken."
Mir ist dann wohl doch etwas eingefallen, denn Tränen gab es keine. Gruß Samti
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von Heiner
auch nicht neu hier im ST
Erinnerungen 1
„Ich schau den weißen Wolken nach und fange an zu träumen. Ich schau den weißen Wolken nach und denke, du bist bei mir." Dieser längst vergessene Schlager fiel mir neulich ein, als ich die Wolken betrachtete. Wir tanzten dazu eng umschlungen in der Kneipe oder im Tanzcafé. Wir, das heißt, deine Oma bzw. deren Freudinnnen mit mir oder anderen jungen Männern.
Du, die ihren i-Pod ständig am Körper trägst, kannst dir nicht vorstellen, wie das war, als wir jung waren. Zum Glück habe ich Mitte der 50-er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein bisschen Tagebuch geführt und kann dir daher vieles erzählen, was meinem Gedächtnis längst entfallen wäre.
Wir mussten, wenn wir unsere Lieblingsmusik hören wollten, ausgehen, in die Kneipe, wie gesagt, oder in ein Café. Dort spielte entweder eine Band, eine Gruppe oder Combo, oder es gab eine Jukebox, eine Musikbox. Das war auch eine Art i-Pod, nur zigtausendmal größer als dein MP3-Player. Zuhause war man auf das angewiesen, was aus dem Radio dudelte, Fernseher gab es noch keine bzw. meine Eltern konnten sich keinen leisten. Die Schlager der Woche am Samstagabend oder das Wunschkonzert mit Fred Rauch, das faszinierte uns, und wir saßen direkt vor dem Apparat, um nur ja nichts zu verpassen. „Eine weiße Hochzeitskutsche" und „Ich möcht gern dein Herz klopfen hörn, wir brauchen dazu koa Latärn, wir brauchng koa Kerzerl, koa Licht, wenns Herzerl heimlich bricht (oder hieß es „spricht"?, egal), soggst du dann i hobb di so gärn..." usw.
Ach, war das schön. Oder Bully Buhlan mit „Ick habb mich so an dich jewöhnt, hab mir so sehr an dich jewöhnt. An die Art, wie du beim Küssen deine Augen schließt und mir dennoch, ach, so tief in meine Seele siehst." Das muss eine kompetente Psychotherapeutin gewesen sein, die Dame, die er da besingt. Küsst ihn mit geschlossenen Augen - ojos cerrados - und schaut dabei tief in seine Seele. Eine tolle Behandlung!
Erst 1960, da war ich schon 20 Jahre alt, konnte ich mir einen einfachen Plattenspieler zulegen, den man an an das („den" sagt der Franke) Radio anschließen konnte. Zwei Dutzend schwarze Scheiben, die man immerzu immer wieder auflegte, mehr hatte ich nicht. 1962 kam dann ein Tonbandgerät der Marke Schaub-Lorenz hinzu, ein hölzerner Kasten mit riesigen Spulen. Nun war es möglich, die Favoriten auf Band aufzunehmen oder auch mit Hilfe eines Mikrofons sich über seinen eigenen Gesang zu amüsieren. Was haben wir damit rumgealbert und über uns selber gelacht!
Vorher also: die Musikbox. Ein Automat mit einem Karussell, in dem ca. 100 Schallplatten enthalten waren, Singles. Man musste 20 Pfennig, also zwei Zehnerle (Anm. frühere deutsche Münzeinheit) einwerfen, und dann auf einem Display den Schlager wählen, den man hören wollte. „Steig in das Traumboot der Liebe" mit Caterina Valente oder „Der lachende Vagabund" mit Fred Bertelmann - „die Welt ist groß und bunt, ich bin ein Vagabund, huahaha" oder „Tippitippitippso, beim Calypso wird dann alles wieder gut, ja, das ist mexikanisch."
Manche Musikliebhaber gingen einem auf die Nerven, wenn sie ständig den gleichen blödsinnigen Song wählten. Einer spielte einmal zehnmal hintereinander „Komm zurück zu mir, Smoky." Ich konnte es nicht mehr hören. Bill Haleys „Rock around the clock" oder „I said shake, rattle and roll" und Elvis' „Love me tender, love me dear, never let me go" wählte ich dagegen schon auch manchmal bis zum Abwinken.
Kaum hatte der Automat das Geld geschluckt, fuhr ein mechanischer Arm unter komischen Verrenkungen herunter, suchte in dem sich drehenden Karussell die entsprechende Scheibe („diese Scheibe ist ein Hit, diese Scheibe müsst ihr koofen, eine Scheibe für die Doofen") und legte diese auf den Teller. Zwei große Lautsprecher an den Seiten der bunten Glitzerkisten sorgten für den entsprechenden Ton und die wummernden Bässe und das dazugehörige Kribbeln im Bauch und darunter.
Von dieser Welt weißt du nichts, mein Enkelchen, mein Engelchen, und wenn's dir keiner erzählt, wirst du auch nie etwas davon erfahren. Die alten Schwarten von Geschichtelehrbüchern, die man euch in der Schule vorsetzt, lernmittelfrei und inzwischen subventioniert mit dem Geld deiner Eltern (Büchergeld, das vielleicht auf irgendwelchen Konten verstaubt), strotzen bloß so von Dynastien, Kriegen und Verträgen. Schau lieber ins Internet!
Wenn ich Zeit habe, berichte ich dir demnext mehr aus einer wunderbaren, längst vergangenen Zeit, der Zeit, da „der Großvater die Großmutter nahm".
Erinnerungen 1
„Ich schau den weißen Wolken nach und fange an zu träumen. Ich schau den weißen Wolken nach und denke, du bist bei mir." Dieser längst vergessene Schlager fiel mir neulich ein, als ich die Wolken betrachtete. Wir tanzten dazu eng umschlungen in der Kneipe oder im Tanzcafé. Wir, das heißt, deine Oma bzw. deren Freudinnnen mit mir oder anderen jungen Männern.
Du, die ihren i-Pod ständig am Körper trägst, kannst dir nicht vorstellen, wie das war, als wir jung waren. Zum Glück habe ich Mitte der 50-er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein bisschen Tagebuch geführt und kann dir daher vieles erzählen, was meinem Gedächtnis längst entfallen wäre.
Wir mussten, wenn wir unsere Lieblingsmusik hören wollten, ausgehen, in die Kneipe, wie gesagt, oder in ein Café. Dort spielte entweder eine Band, eine Gruppe oder Combo, oder es gab eine Jukebox, eine Musikbox. Das war auch eine Art i-Pod, nur zigtausendmal größer als dein MP3-Player. Zuhause war man auf das angewiesen, was aus dem Radio dudelte, Fernseher gab es noch keine bzw. meine Eltern konnten sich keinen leisten. Die Schlager der Woche am Samstagabend oder das Wunschkonzert mit Fred Rauch, das faszinierte uns, und wir saßen direkt vor dem Apparat, um nur ja nichts zu verpassen. „Eine weiße Hochzeitskutsche" und „Ich möcht gern dein Herz klopfen hörn, wir brauchen dazu koa Latärn, wir brauchng koa Kerzerl, koa Licht, wenns Herzerl heimlich bricht (oder hieß es „spricht"?, egal), soggst du dann i hobb di so gärn..." usw.
Ach, war das schön. Oder Bully Buhlan mit „Ick habb mich so an dich jewöhnt, hab mir so sehr an dich jewöhnt. An die Art, wie du beim Küssen deine Augen schließt und mir dennoch, ach, so tief in meine Seele siehst." Das muss eine kompetente Psychotherapeutin gewesen sein, die Dame, die er da besingt. Küsst ihn mit geschlossenen Augen - ojos cerrados - und schaut dabei tief in seine Seele. Eine tolle Behandlung!
Erst 1960, da war ich schon 20 Jahre alt, konnte ich mir einen einfachen Plattenspieler zulegen, den man an an das („den" sagt der Franke) Radio anschließen konnte. Zwei Dutzend schwarze Scheiben, die man immerzu immer wieder auflegte, mehr hatte ich nicht. 1962 kam dann ein Tonbandgerät der Marke Schaub-Lorenz hinzu, ein hölzerner Kasten mit riesigen Spulen. Nun war es möglich, die Favoriten auf Band aufzunehmen oder auch mit Hilfe eines Mikrofons sich über seinen eigenen Gesang zu amüsieren. Was haben wir damit rumgealbert und über uns selber gelacht!
Vorher also: die Musikbox. Ein Automat mit einem Karussell, in dem ca. 100 Schallplatten enthalten waren, Singles. Man musste 20 Pfennig, also zwei Zehnerle (Anm. frühere deutsche Münzeinheit) einwerfen, und dann auf einem Display den Schlager wählen, den man hören wollte. „Steig in das Traumboot der Liebe" mit Caterina Valente oder „Der lachende Vagabund" mit Fred Bertelmann - „die Welt ist groß und bunt, ich bin ein Vagabund, huahaha" oder „Tippitippitippso, beim Calypso wird dann alles wieder gut, ja, das ist mexikanisch."
Manche Musikliebhaber gingen einem auf die Nerven, wenn sie ständig den gleichen blödsinnigen Song wählten. Einer spielte einmal zehnmal hintereinander „Komm zurück zu mir, Smoky." Ich konnte es nicht mehr hören. Bill Haleys „Rock around the clock" oder „I said shake, rattle and roll" und Elvis' „Love me tender, love me dear, never let me go" wählte ich dagegen schon auch manchmal bis zum Abwinken.
Kaum hatte der Automat das Geld geschluckt, fuhr ein mechanischer Arm unter komischen Verrenkungen herunter, suchte in dem sich drehenden Karussell die entsprechende Scheibe („diese Scheibe ist ein Hit, diese Scheibe müsst ihr koofen, eine Scheibe für die Doofen") und legte diese auf den Teller. Zwei große Lautsprecher an den Seiten der bunten Glitzerkisten sorgten für den entsprechenden Ton und die wummernden Bässe und das dazugehörige Kribbeln im Bauch und darunter.
Von dieser Welt weißt du nichts, mein Enkelchen, mein Engelchen, und wenn's dir keiner erzählt, wirst du auch nie etwas davon erfahren. Die alten Schwarten von Geschichtelehrbüchern, die man euch in der Schule vorsetzt, lernmittelfrei und inzwischen subventioniert mit dem Geld deiner Eltern (Büchergeld, das vielleicht auf irgendwelchen Konten verstaubt), strotzen bloß so von Dynastien, Kriegen und Verträgen. Schau lieber ins Internet!
Wenn ich Zeit habe, berichte ich dir demnext mehr aus einer wunderbaren, längst vergangenen Zeit, der Zeit, da „der Großvater die Großmutter nahm".
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von Heiner
Wie Weihnachten früher war, möchtest Du wissen. Soll ich „schöner" schreiben? Vielleicht erscheint einem in der Erinnerung alles Vergangene schöner. Auf jeden Fall war es ein bisschen anders. Ich lasse einfach mal den Film aus meiner Jugendzeit ablaufen, einprägsame Szenen aus verschiedenen Jahren, zusammengestückelt zu einem Ganzen, geschönt und, zumindest in meinem Kopf, mit Musik untermalt. Vielleicht gelingt es mir, Dich in weihnachtliche Stimmung zu versetzen.
Also: die Adventszeit war häufig kalt und schneelos. Waren die Minusgrade ausreichend, so bildete sich auf den Weihern ums Dorf eine dicke Eisschicht. Immer wieder fuhren wir als Kinder mit den Fahrrädern dorthin, um zu prüfen, ob diese schon trug. Irgendwann gab es nach ein paar Frostnächten eine spiegelglatte, saubere Fläche, vollkommen eben und durchsichtig. Manchmal war ein Karpfen eingefroren und wir versuchten, diesen mit dem Schuh herauszuhacken. Irgendwann wurden dann die Schlittschuhe mitgenommen und am Rand des Weihers angeschnallt. Komplette Sets mit dem Stiefel dran gab es vor 60 Jahren noch nicht. Man musste die stählernen Flitzer, schön scharf hohlgeschliffen, mit einem Inbusschlüssel an die Stiefel schrauben, vorne an der Sohle und hinten am Absatz. Das war umständlich und heikel. Wehe, wenn der alte, oft geerbte Stiefel nicht mehr stabil genug war, dann riss mitten im Schnelllauf der Absatz ab und man drehte eine unfreiwillige Pirouette, an deren Ende man auf dem Hintern saß bzw. schlitterte, ohne Steuer- oder Bremsmöglichkeit. Ließ man den Inbusschlüssel aus Versehen auf dem Eis liegen, so fand man ihn später, wenn man ihn wieder brauchte, ein paar Millimeter ins Eis eingetaucht, eingeschmolzen.
Vergessen wir all das Ungemach. Im Idealfall sausten wir ganze Nachmittage, bis zum frühen Eintritt der Dunkelheit, auf dem Eis herum, spielten Eishockey oder liefen einfach um die Wette. Es gab ein sportliches Ehepaar, das zuweilen tanzte. Da blieb uns der Mund offen. Unheimlich gut schaute das aus, wenn die sich auf dem Eis wiegten, Arm in Arm, er vorwärts, sie rückwärts oder umgekehrt, sich drehten und große Schwünge machten. Die perfekte Harmonie, Zweisamkeit ohne Hubbel und Hindernisse!
Der Stelle, wo der Wasserzulauf war, durfte man sich nicht allzusehr nähern, denn dort wurde das Eis dünner und dünner. Ein verdächtiges Knacken, das manchmal in ein wiederholtes Krachen und Donnern überging, warnte vor der Gefahr. Das Eis bekam plötzlich einen Riss, der sich als Knall über den gesamten Weiher fortpflanzte.
Setzte starker Schneefall ein, so war es vorbei mit dem spiegelglatten Vergnügen. Manchmal nahmen wir einen Schneeschieber mit und räumten ein bisschen, aber meistens kam ein Warmlufteinbruch dazu und das Eis trug nicht mehr. Nun war Schlittenfahren angesagt. Rodeln sagte bei uns kein Mensch. Der Wirtsbuck und der Geichsenbuck, das waren die Orte, wo sich bei ausreichender Schneehöhe Dutzende von Kindern tummelten. War es kalt genug, so waren die Hänge schon bald vereist und für waghalsige Abfahrten geeignet. Sprungschanzen wurden gebaut, auf denen der Schlitten hochkatapultiert wurde. Wie oft landete man seitlich, schlug hart auf und kippte um, dass der Schnee stob. „Wir fahren mal miteinander", sagte ein älterer Spielgefährte an der Gipfelstation des an der Straße nach Wernsbach gelegenen Wirtsbucks, tat, als ob er sich hinter mich setzte, schubste mich an und stieg aus bzw. ab.
Hui, ging es dahin. Ich freute mich so, dass ich die Hände in die Höhe warf. Dann, an der steilsten Stelle, als der hölzerne Untersatz seine Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, kamen die Buckel, die Höcker und die von uns selber gebaute Sprungschanze Auf stieg der Schlitten wie von einer Feder abgeschnellt, schlug hart auf und war nicht mehr manövrierfähig.
Mein Sturz aufs Eis, mit dem Gesicht voran, bedeutete das Aus für meine schönen vorderen Milchzähne. Auf die Gosche gefallen. Buchstäblich. Die Katastrophe meines jungen Lebens. Meine Eltern, die mich inspizierten wie einen zu kaufenden Gaul, mussten Totalschaden konstatieren. Es war nichts mehr da, nur noch blutige Lücken. „Etz schaust aus wie a alder Großvadder" meinte die Mama.
Apropos Großeltern. In ihrer Stube unten durfte ich am heiligen Abend oder auch schon am Tag davor den Baum schmücken. Dieser war im eigenen Wald geschlagen worden. In einem alten Karton waren die Herrlichkeiten aufbewahrt: silberne, goldene und rote, durch die Bank kitschige, Glaskugeln, Sterne aus Glanzpappe und Lametta, ein Rauschgoldengel für die Baumspitze. Der Ofen bullerte, es duftete nach Plätzchen und Stollen, mitunter auch nach den alten Socken, die der Großvater überm Ofen aufgehängt hatte.
So gut die Geschenke auch versteckt waren, meistens entdeckte ich sie vor dem Fest. An eine schöne Ausgabe des „Robinson Crusoe" kann ich mich erinnern, die mein Vater im Kleiderschrank aufbewahrte und die ich irgendwann fand. Immer wieder öffnete ich das Buch ein bisschen und spitzte hinein und konnte es kaum erwarten, bis es auf dem Gabentisch lag. Auch Märklin-Metallbaukästen gab es mehrmals. Dann hatte ich während der Feiertage zu tun, Lastwagen, Bagger und Kräne zu bauen. Als die Memminger Großmutter, die Mutter meines Vaters, noch rüstig war, kam sie kurz nach dem Krieg mit einem ganz originellen Geschenk an, per Bahn selbstverständlich: mit einem nagelneuen Nachttopf, bis an den Rand mit Plätzchen gefüllt. War das nicht kreativ?
In der Schule probten wir den Quempas für den Kindergottesdienst: „Den die Hirten lobeten sehre uhund die Ehengel noch viel mehre ..."
In einem Vers hieß es dann „Heut' schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis." Ich hatte immer Mühe, mir das Lachen zu verbeißen, weil der Stengel neben mir immer „Sirup" statt „Cherub" sang. Er war es auch, der am Ende der Religionsstunde skandierte „Nun danket alle Gott, etz is der Pfarrer fort."
„Trümmer Schelln", also gewaltige Ohrfeigen gab es einmal vom Großvater, als er uns mit Wunderkerzen ertappte, die damals gerade aufgekommen waren. Diese Funkensprüher faszinierten uns, karzinogener Gestank hin, Gestank her. Auf dem Dachboden waren wir ungestört und es war so schön dunkel. Da konnten wir Kreise beschreiben mit den stricknadelförmigen Gebilden und unser eigenes Feuerwerk machen. In unserer Begeisterung hatten wir nicht den Peter gehört, wie er die Treppe heraufstürmte und auf uns losging. Jedem ein paar Watschen zu verpassen und das Teufelszeug auszutrampeln war eins. „Ihr Bankert, ihr zind't mer noch des Haus uuh!"schrie er.
Am lebhaftesten ist mir von den Raunächten zwischen Weihnachten und dem 6. Januar ein Neujahrsmorgen Mitte der 1950er in Erinnerung. Es war nach einem eiskalten, schneereichen Altjahrabend. Beim Dorfwirt war Tanz. Meine Eltern waren auch dort. Während sie gegen ein Uhr heimgingen, sagte ich, ich bleibe noch ein bisschen. Fünfzehneinhalb war ich genau. Alles, was mit Tanzen und Feiern zu tun hatte, war neu und aufregend. Meine älteren Cousins und Cousinen, meine Onkels und Tanten beschützten mich. Die Zeit verging wie im Flug. Die Kapelle spielte gerade «Die Fischerin vom Bodensee» und ich sang lauthals mit:
„Ein weißer Schwan
ziehet den Kahn
mit der schönen Fischerin
auf dem blauen See dahin."
Das sang ich besonders gern mit der zweiten Stimme, also eine Terz höher als die Melodiestimme. War es die richtige Tonlage und die Kapelle sehr laut, so konnte man so ausgelassen singen, dass man alle Sorgen und schlechten Noten vergaß.
Bei „der schönen Fischerin" kam plötzlich mein Vater hereingestürmt, ging von hinten, so dass ich ihn nicht sehen konnte, auf mich los und haute mir links und rechts seine Spenglers-Pratzen um die Ohren, dass ich fast vom Stuhl flog.
Sofort waren meine Verwandten und andere um mich und bildeten einen Kordon mit viel Geschrei und Abwehrgesten.
„Woss brauchst etz du den Buem do haua, wu der asu brav dohockt? Der hat doch gor nix gmacht!"
Die Filzschlappen meines Vaters, in denen er gekommen war, waren über den ganzen Saal geschlittert und in irgendeiner Bierpfütze unter irgendeinem Tisch gelandet.
Einträchtig stapften wir beide kurz darauf in der stockdunklen Nacht durch den tiefen Schnee. An seiner Stimme hörte ich, dass er weinte. Gut, dass wir einander nicht sehen konnten. Die Scham brachte uns beinahe um, denn er hatte nie zuvor die Hand gegen mich erhoben. Wozu auch, war ich doch immer einer der Brävsten gewesen. „Bua, des hobbi doch net gwollt. Ich woor halt su narrisch, wall mi die Mama su aufgreecht hat. De hat denkt, du liggst irgendwo im Schnää und bisd scho derfruurn. De hat su lang benzt, bisser mi aufgrabbld hobb."
Naja, diese Massage hätte mir wahrscheinlich schon das Leben gerettet, auch noch nach längerem Draußenliegen bei 5 Grad Frost und mit wasweißichwieviel Promille.
Was weiß ein 15-jähriger von den nächtlichen Qualen einer Mutter, die nur einen hat, wenn dessen Bett nachts um drei noch leer und kalt ist. Da gleicht jede Minute einer Stunde Folter.
Also: die Adventszeit war häufig kalt und schneelos. Waren die Minusgrade ausreichend, so bildete sich auf den Weihern ums Dorf eine dicke Eisschicht. Immer wieder fuhren wir als Kinder mit den Fahrrädern dorthin, um zu prüfen, ob diese schon trug. Irgendwann gab es nach ein paar Frostnächten eine spiegelglatte, saubere Fläche, vollkommen eben und durchsichtig. Manchmal war ein Karpfen eingefroren und wir versuchten, diesen mit dem Schuh herauszuhacken. Irgendwann wurden dann die Schlittschuhe mitgenommen und am Rand des Weihers angeschnallt. Komplette Sets mit dem Stiefel dran gab es vor 60 Jahren noch nicht. Man musste die stählernen Flitzer, schön scharf hohlgeschliffen, mit einem Inbusschlüssel an die Stiefel schrauben, vorne an der Sohle und hinten am Absatz. Das war umständlich und heikel. Wehe, wenn der alte, oft geerbte Stiefel nicht mehr stabil genug war, dann riss mitten im Schnelllauf der Absatz ab und man drehte eine unfreiwillige Pirouette, an deren Ende man auf dem Hintern saß bzw. schlitterte, ohne Steuer- oder Bremsmöglichkeit. Ließ man den Inbusschlüssel aus Versehen auf dem Eis liegen, so fand man ihn später, wenn man ihn wieder brauchte, ein paar Millimeter ins Eis eingetaucht, eingeschmolzen.
Vergessen wir all das Ungemach. Im Idealfall sausten wir ganze Nachmittage, bis zum frühen Eintritt der Dunkelheit, auf dem Eis herum, spielten Eishockey oder liefen einfach um die Wette. Es gab ein sportliches Ehepaar, das zuweilen tanzte. Da blieb uns der Mund offen. Unheimlich gut schaute das aus, wenn die sich auf dem Eis wiegten, Arm in Arm, er vorwärts, sie rückwärts oder umgekehrt, sich drehten und große Schwünge machten. Die perfekte Harmonie, Zweisamkeit ohne Hubbel und Hindernisse!
Der Stelle, wo der Wasserzulauf war, durfte man sich nicht allzusehr nähern, denn dort wurde das Eis dünner und dünner. Ein verdächtiges Knacken, das manchmal in ein wiederholtes Krachen und Donnern überging, warnte vor der Gefahr. Das Eis bekam plötzlich einen Riss, der sich als Knall über den gesamten Weiher fortpflanzte.
Setzte starker Schneefall ein, so war es vorbei mit dem spiegelglatten Vergnügen. Manchmal nahmen wir einen Schneeschieber mit und räumten ein bisschen, aber meistens kam ein Warmlufteinbruch dazu und das Eis trug nicht mehr. Nun war Schlittenfahren angesagt. Rodeln sagte bei uns kein Mensch. Der Wirtsbuck und der Geichsenbuck, das waren die Orte, wo sich bei ausreichender Schneehöhe Dutzende von Kindern tummelten. War es kalt genug, so waren die Hänge schon bald vereist und für waghalsige Abfahrten geeignet. Sprungschanzen wurden gebaut, auf denen der Schlitten hochkatapultiert wurde. Wie oft landete man seitlich, schlug hart auf und kippte um, dass der Schnee stob. „Wir fahren mal miteinander", sagte ein älterer Spielgefährte an der Gipfelstation des an der Straße nach Wernsbach gelegenen Wirtsbucks, tat, als ob er sich hinter mich setzte, schubste mich an und stieg aus bzw. ab.
Hui, ging es dahin. Ich freute mich so, dass ich die Hände in die Höhe warf. Dann, an der steilsten Stelle, als der hölzerne Untersatz seine Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, kamen die Buckel, die Höcker und die von uns selber gebaute Sprungschanze Auf stieg der Schlitten wie von einer Feder abgeschnellt, schlug hart auf und war nicht mehr manövrierfähig.
Mein Sturz aufs Eis, mit dem Gesicht voran, bedeutete das Aus für meine schönen vorderen Milchzähne. Auf die Gosche gefallen. Buchstäblich. Die Katastrophe meines jungen Lebens. Meine Eltern, die mich inspizierten wie einen zu kaufenden Gaul, mussten Totalschaden konstatieren. Es war nichts mehr da, nur noch blutige Lücken. „Etz schaust aus wie a alder Großvadder" meinte die Mama.
Apropos Großeltern. In ihrer Stube unten durfte ich am heiligen Abend oder auch schon am Tag davor den Baum schmücken. Dieser war im eigenen Wald geschlagen worden. In einem alten Karton waren die Herrlichkeiten aufbewahrt: silberne, goldene und rote, durch die Bank kitschige, Glaskugeln, Sterne aus Glanzpappe und Lametta, ein Rauschgoldengel für die Baumspitze. Der Ofen bullerte, es duftete nach Plätzchen und Stollen, mitunter auch nach den alten Socken, die der Großvater überm Ofen aufgehängt hatte.
So gut die Geschenke auch versteckt waren, meistens entdeckte ich sie vor dem Fest. An eine schöne Ausgabe des „Robinson Crusoe" kann ich mich erinnern, die mein Vater im Kleiderschrank aufbewahrte und die ich irgendwann fand. Immer wieder öffnete ich das Buch ein bisschen und spitzte hinein und konnte es kaum erwarten, bis es auf dem Gabentisch lag. Auch Märklin-Metallbaukästen gab es mehrmals. Dann hatte ich während der Feiertage zu tun, Lastwagen, Bagger und Kräne zu bauen. Als die Memminger Großmutter, die Mutter meines Vaters, noch rüstig war, kam sie kurz nach dem Krieg mit einem ganz originellen Geschenk an, per Bahn selbstverständlich: mit einem nagelneuen Nachttopf, bis an den Rand mit Plätzchen gefüllt. War das nicht kreativ?
In der Schule probten wir den Quempas für den Kindergottesdienst: „Den die Hirten lobeten sehre uhund die Ehengel noch viel mehre ..."
In einem Vers hieß es dann „Heut' schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis." Ich hatte immer Mühe, mir das Lachen zu verbeißen, weil der Stengel neben mir immer „Sirup" statt „Cherub" sang. Er war es auch, der am Ende der Religionsstunde skandierte „Nun danket alle Gott, etz is der Pfarrer fort."
„Trümmer Schelln", also gewaltige Ohrfeigen gab es einmal vom Großvater, als er uns mit Wunderkerzen ertappte, die damals gerade aufgekommen waren. Diese Funkensprüher faszinierten uns, karzinogener Gestank hin, Gestank her. Auf dem Dachboden waren wir ungestört und es war so schön dunkel. Da konnten wir Kreise beschreiben mit den stricknadelförmigen Gebilden und unser eigenes Feuerwerk machen. In unserer Begeisterung hatten wir nicht den Peter gehört, wie er die Treppe heraufstürmte und auf uns losging. Jedem ein paar Watschen zu verpassen und das Teufelszeug auszutrampeln war eins. „Ihr Bankert, ihr zind't mer noch des Haus uuh!"schrie er.
Am lebhaftesten ist mir von den Raunächten zwischen Weihnachten und dem 6. Januar ein Neujahrsmorgen Mitte der 1950er in Erinnerung. Es war nach einem eiskalten, schneereichen Altjahrabend. Beim Dorfwirt war Tanz. Meine Eltern waren auch dort. Während sie gegen ein Uhr heimgingen, sagte ich, ich bleibe noch ein bisschen. Fünfzehneinhalb war ich genau. Alles, was mit Tanzen und Feiern zu tun hatte, war neu und aufregend. Meine älteren Cousins und Cousinen, meine Onkels und Tanten beschützten mich. Die Zeit verging wie im Flug. Die Kapelle spielte gerade «Die Fischerin vom Bodensee» und ich sang lauthals mit:
„Ein weißer Schwan
ziehet den Kahn
mit der schönen Fischerin
auf dem blauen See dahin."
Das sang ich besonders gern mit der zweiten Stimme, also eine Terz höher als die Melodiestimme. War es die richtige Tonlage und die Kapelle sehr laut, so konnte man so ausgelassen singen, dass man alle Sorgen und schlechten Noten vergaß.
Bei „der schönen Fischerin" kam plötzlich mein Vater hereingestürmt, ging von hinten, so dass ich ihn nicht sehen konnte, auf mich los und haute mir links und rechts seine Spenglers-Pratzen um die Ohren, dass ich fast vom Stuhl flog.
Sofort waren meine Verwandten und andere um mich und bildeten einen Kordon mit viel Geschrei und Abwehrgesten.
„Woss brauchst etz du den Buem do haua, wu der asu brav dohockt? Der hat doch gor nix gmacht!"
Die Filzschlappen meines Vaters, in denen er gekommen war, waren über den ganzen Saal geschlittert und in irgendeiner Bierpfütze unter irgendeinem Tisch gelandet.
Einträchtig stapften wir beide kurz darauf in der stockdunklen Nacht durch den tiefen Schnee. An seiner Stimme hörte ich, dass er weinte. Gut, dass wir einander nicht sehen konnten. Die Scham brachte uns beinahe um, denn er hatte nie zuvor die Hand gegen mich erhoben. Wozu auch, war ich doch immer einer der Brävsten gewesen. „Bua, des hobbi doch net gwollt. Ich woor halt su narrisch, wall mi die Mama su aufgreecht hat. De hat denkt, du liggst irgendwo im Schnää und bisd scho derfruurn. De hat su lang benzt, bisser mi aufgrabbld hobb."
Naja, diese Massage hätte mir wahrscheinlich schon das Leben gerettet, auch noch nach längerem Draußenliegen bei 5 Grad Frost und mit wasweißichwieviel Promille.
Was weiß ein 15-jähriger von den nächtlichen Qualen einer Mutter, die nur einen hat, wenn dessen Bett nachts um drei noch leer und kalt ist. Da gleicht jede Minute einer Stunde Folter.
Die „Mutter"
Weißt du, was ein "Worstager" ist, liebe Bettina? Das muss ein Jugendlicher oder eine Jugendliche sein zwischen 14 und 17. So was ähnliches wie ein Teenager. Worst ist der Superlativ von bad und heißt "das Schlechteste, das Schlimmste".
Als ich 1956 so ein Halbstarker war ("Sie küssten und sie schlugen ihn"), da sagten meine Eltern manchmal zu Freunden und Bekannten, wenn sie meine Eskapaden entschuldigen wollten: "Wisst ihr, der ist halt jetzt im schlimmsten Alter".
Bei der Zeitungslektüre erfuhr ich neulich, dass ich nach amerikanischer Lesart jetzt ein Bestager bin, also einer im besten Alter. Nur noch ein Dutzend Jahre etwa, dann gehöre ich zu den Senioren, zu den unwiderruflich Alten. Das sind in Amerika die ab 80.
Die Bestagers, also Leute in meinem Alter, haben, rein statistisch gesehen, das meiste Geld und die meiste Zeit. Sie reisen viel und sind die besten Kunden der Pharmaindustrie, Viagra und so. Nur an Enkeln und Enkelinnen fehlt es ihnen manchmal, am meisten in Deutschland und in Japan. Die japanische Industrie hat jetzt Puppen in Enkelform auf den Markt gebracht, für ca. 45 Euro das Stück. Zehntausend solcher Plastikenkelchen gingen allein in drei Monaten über den Ladentisch. Da sieht man erst, was meine Großmutter, deine Uroma, Geld gespart hat. Die bekam die Enkelchen gratis, eins nach dem anderen. Zwölf Stück und mehrere Urenkel hat sie aufwachsen sehen, was für eine Gnade!
"Großmutter" haben wir als Kinder nie gesagt, den Ausdruck "Oma" kannten wir nicht einmal. Für uns war sie nur die "Mutter". Keine Bezeichnung passt besser. In ihrem Haus lebten zeitweise siebzehn Personen, ohne Streit. Es sei denn, es krachte mal. Danach war Mann (Frau) wieder friedlich. Es gab kein wochenlanges Glotzen oder Schikanieren in der Art "Drehst du dein Radio auf volle Lautstärke mit bayerischer Volksmusik, terrorisiere ich dich mit See you later, allegator, dass die Fensterscheiben klirren." Selbst vor dem Klo auf dem Hof ging es gesittet zu. Da drängte sich keiner vor.
Für alle war die Großmutter die "Mutter", die Mutter fürs ganze Haus, der Dreh- und Mittelpunkt des gesamten Geschehens. Sie hatte den Schlüssel für den "B'hälter", einen halbhohen Schrank mit Drahtgittertüren, hinter denen die köstlich duftenden "Schlotengeli" hingen, die schwarz geräucherten Bratwürste, die lange reichen mussten. Irgendwie gelang es mir einmal, eine zu stibitzen, die ich gleich ohne Brot verzehrte. Ich brauchte nicht einmal Ketchup dazu, von Pommies ganz zu schweigen.
Der Platz der "Mutter" war die Küche, ein düsterer kleiner Raum mit einem riesigen Schlot zum Räuchern von Schinken und Würsten und einem großen eisernen Herd mit mehreren Kochplatten sowie einem Kessel. Das kleine Fenster ging nach Süden, auf den Hinterhof. Rollo war keins dran. An der Wand, an die der Kuhstall grenzte, befand sich ein Trog für die Zubereitung des Schweinefutters. Die Küche, die "Mutter" mit Kopftuch und vielen Röcken übereinander, mit dicken Holzpantoffeln, Herd, Kienspäne, Feuer, Wurstkessel, Räucherschlot, das war für mich alles eins. Sie kochte abwechselnd Brotsuppe, Nudelsuppe, Schweinefleisch mit Kraut, Leberwürste mit Kraut, Ebbirnstopfer alias Kartoffelpuree. Letzteren gab es mit ein paar Blättern Kopfsalat, zerlassenem Schmalz darüber und kleinen gerösteten Speckwürfeln.
Ihre "Baunzeln", in Schweineschmalz gebackene Kartoffelpuffer in Stangenform, waren eine Delikatesse. Schon der Gedanke an den Duft und die schöne braune Kruste lässt mich heute noch die Augen verdrehen. Wäre die Großmutter in jungen Jahren nach Amerika ausgewandert und hätte sich auf "Baunzeln", spezialisiert, "GRANNY's BOUNCELS", ihre Nachfahren hätten heute tausende von Restaurants und zehntausende von Mitarbeitern. Die Amerikaner wären viel gesünder, weil der Hamburger überhaupt keine Chance gehabt hätte. Außerdem ginge es der Umwelt besser, weil es nicht so viel Methangas produzierende Rinder gäbe. Meine Großmutter hätte die Welt retten können, wenn, ja wenn sie ausgewandert wäre. Aber sie blieb in ihrem kleinen, mittelfränkischen Dorf und schenkte dem Großvater, einem kleinen, ewig hustenden Männlein sieben Kinder. Nur sechs überlebten. Eines wurde im zarten Alter aus Versehen von den größeren erdrückt, beim Schlafen, weil eben nicht jedes sein eigenes Bett hatte. Den Schreck am frühen Morgen kann ich mir gut vorstellen, o du guter Welt naa, o Lieberla naa!
Als ich geboren wurde, waren alle ihre Kinder schon erwachsen und bis auf einen Sohn verheiratet, meine Eltern gerade mal fünf Monate. Mama sagte wohl nicht "Ja, ich will" zum Pfarrer, sondern "Nein, ich muss!"
Wenn die "Mutter" nicht kochte, zerstampfte sie Kartoffeln für die Sau. Der Trog stand in der finstersten Ecke der Küche. Wie sie dort ein Leben lang arbeiten konnte, ist mir, der ich es nicht hell genug haben kann, ein Rätsel.
Wenn sie nicht in der Küche war, saß sie in der Wohnstube und strickte. Ihre in Heimarbeit hergestellten Wollstrümpfe waren derb und warm. Sonntags zog sie den besten schwarzen Rock, den sie hatte, über ihre zahlreichen Unterröcke an, dazu eine saubere, frische Bluse, und darüber ein Wolljäcklein, und ging zur Kirche.
Danach saß sie zur Feier des Tages noch am Esstisch und las in einer Bibel mit großer Schrift oder einem Andachtenbuch, das für jeden Sonntag eine ausführliche Predigt enthielt. Dabei bewegte sie die Lippen und fuhr mit dem Finger die Zeilen ab.
Mehr brauchte sie nicht. Keinen Urlaub, keinen Sport, kein Hobby, keinen Verein, kein Radio und kein Fernsehen, keine Pille und keine Kosmetik.
Die Küche und die Wohnstube. Ich kann sie mit keinem anderen Ort in Verbindung bringen, weil sie sonst nirgends irgendwann einmal war. Einmal im Krankenhaus wegen einer Gallenblasenentfernung und ein paarmal zu Besuch bei meiner Mutter, als wir ausgezogen waren. Dort erzählte sie mir bei eingeschaltetem Tonbandgerät aus ihrem Leben. Als junge Bauernmagd in ein paar Nachbardörfern, gedungen, d. h. zur Dienstleistung verpflichtet, ansonsten ansässig nur in dem Dorf, wo sie geboren ist.
Geboren am 10. Juli 1883 um neun Uhr vormittags, der Vater "Gütler". Getauft am 14. Juli um 14 Uhr. Es gibt kein Video und kein Foto. Einzig und allein meine Fantasie hilft mir dabei, mir die winzig kleine Margarete Barbara, die später "Babettla" genannt wurde, vorzustellen auf dem Arm ihrer Taufpatin, der Schwester des Kindsvaters.
Aus Franken ist sie nie hinausgekommen, nicht einmal aus ihrem Landkreis. Vereinzelte Male war sie mit dem Zug in der Kreisstadt, um sich mit ihrer ältesten Tochter zu treffen. Dort schätzte sie ein Café in der Stadtmitte wegen des guten Gebäcks.
Gebäck, das war überhaupt ihre Leidenschaft. Zum Bäcker musste ich und zehn Nusshörnchen holen oder zehn Maultaschen. Neun davon verschwanden, nachdem ich in Naturalien entlohnt worden war, in den unergründlichen Tiefen ihrer vielen, übereinander getragenen Röcke und wurden nach und nach heimlich verspeist, bevor sie zerbröselten.
Alles, was sie aß, musste weich sein wegen der fehlenden Zähne, schon mit 60, im best age. Das gäb' eine Gaudi, wenn die Bestager heute alle so rumlaufen müssten. Vielleicht schafft's ja die Gesundheizministerin noch.
Für sie jedenfalls war eine Zahnprothese finanziell nicht drin. So aß sie von den Riesenlaiben Brot, die sie buk, nur das Innere, das Weiche. Die Rinde wurde sauber abgeschnitten und in der Esstischschublade gelagert. Daran erlabte ich mich ab und zu. Auch der Großvater mümmelte mitunter drauf rum. Die schöne, dunkelbraune Brotkruste war unser Kaugummi. Dabei stillte sie auch noch den Hunger.
Was die "Mutter" nicht mochte, war Gaaßmilch, Ziegenmilch. Schon bei dem Gedanken daran schüttelte sie sich. Ich hatte als Kind vier Ziegen, zwei alte und zwei junge, und trank die körperwarme Ziegenmilch frisch vom Euter weg. Das war für meine Radtouren - im zarten Alter von 10 fuhr ich mit meinem Vater an zwei Tagen, mit einem Gang, bis ins Allgäu, um die Memminger Großmutter zu besuchen - jedenfalls besser als das Zeug, was der Jaksche und seine Radfahrerkollegen eingenommen haben. Im Gegensatz zu Testoteron, von dem mein Körper ab dem 14. Lebensjahr selber genug produzierte, so dass ich es mir nicht einspritzen lassen musste wie die armen Radsportler, hatte die Ziegenmilch auch noch den Vorteil, dass sie friedlich macht und nicht aggressiv.
Bis in die fünfziger Jahre hinein war meine Mama in der Wohnstube der Mutter so gut wie zuhause. Also lagerte sie auch einmal ein Stück Kuchen, das sie mit Geißmilch gebacken hatte, in der Lade der Großeltern. Die Großmutter aß davon und auch einer ihrer Söhne, und da sie nicht wussten, wie dieser zubereitet war, fanden beide auch noch Gefallen daran. "Wer hat denn den guten Kuchen gebacken?" fragte mein Onkel. "Mensch, war der gut!" Und die "Mutter": "Ja, der woor arch guet!" Ich weiß nicht mehr, wer ihnen die Schreckensbotschaft überbrachte. Jedenfalls hat sie es überlebt, ca. 14 Jahre.
Die Wohnstube hatte vier Fenster, zwei nach Westen und zwei nach Norden, und ragte weit in die Hauptverkehrsstraße hinein. Das war kein Problem, denn es gab kaum Kraftfahrzeuge. Allerdings kann ich mich auch nicht erinnern, dass ein Fenster häufig offen gewesen wäre. Selbst im Sommer lüftete man nur sporadisch, z. B. wenn man stöberte, d. h. die Bude auf den Kopf stellte. Das Stöberfieber brach im ganzen Haus regelmäßig aus, wenn die Frühjahrssonne wärmte.
In der Stube vor den Fenstern waren hölzerne Bänke, auf denen ich gerne kniete, das Kinn auf dem Fenstersims in beide Hände gestützt, um das Geschehen auf der Straße oder in der Grünanlage gegenüber zu beobachten. Es gab immer etwas zu sehen. Mindestens jede Viertelstunde kam ein Fuhrwerk vorbei. Die grünen Bäume im Sommer, die tief verschneite Straße im Winter, es war ein wunderschönes Bild, ein einziges Programm, aber vollauf genügend. Nicht im Traum wäre es meinem Großvater, der sich manchmal zu mir gesellte, oder mir eingefallen, zu zappen. Wir genossen es, Zeit und Langeweile zu haben.
Non, je ne regrette rien.
Heute hat man tausende von verrückten, schrillen, brutalen Bildern im Kopf, und das jeden Tag, bis weit in die Nacht hinein! Das kann nicht gut gehen.
In einem Erinnerungsfetzen sehe ich ein paar junge Mädchen, wahrscheinlich Schülerinnen des Gymnasiums, die erst verwundert auf das Fenster schauten und dann in prustendes Lachen ausbrachen, wahrscheinlich weil der Großvater an jenem Tag nicht rasiert war und sich dadurch seltsam abhob von dem Milchgesicht neben ihm.
Hinter uns am Tisch saßen die strickende "Mutter" und ihre ledige Schwester, die Lena, emsig an ihrer Handnähmaschine kurbelnd. Die Tante Lena hatte keinen Ernährer und musste für sich selber sorgen. Und für ihren Buben, bis dieser auf eigenen Füßen stand. Im ersten Weltkrieg war ihr Liebster "gefallen", wodurch die Hochzeit ausfiel. Danach wollte sie keinen mehr und wurde frömmer und frömmer. Die Predigt des Pfarrers wurde interpretiert oder es gab News mit Kommentaren und Glossen aus der Gemeinde. Die große Uhr an der Wand tickte, mahnend und beruhigend zugleich. Dieses Ticken machte Sinn. Heute ist nirgends etwas davon zu hören, dass die Zeit verrinnt, unwiderruflich. Wir haben sie ja auch längst totgeschlagen. Es gibt keine Zeit mehr. Jeder, den man fragt, sagt, er habe keine. "Hab keine Zeit" allenthalben. Ja, du lieber Gott, wer hat denn eine? Überall Fehlanzeige. Dabei ist es so einfach. Man braucht sie sich nur zu nehmen. Sie kostet nichts.
Falsch, sagt der Macher, "Zeit ist Geld".
Weißt du, was ein "Worstager" ist, liebe Bettina? Das muss ein Jugendlicher oder eine Jugendliche sein zwischen 14 und 17. So was ähnliches wie ein Teenager. Worst ist der Superlativ von bad und heißt "das Schlechteste, das Schlimmste".
Als ich 1956 so ein Halbstarker war ("Sie küssten und sie schlugen ihn"), da sagten meine Eltern manchmal zu Freunden und Bekannten, wenn sie meine Eskapaden entschuldigen wollten: "Wisst ihr, der ist halt jetzt im schlimmsten Alter".
Bei der Zeitungslektüre erfuhr ich neulich, dass ich nach amerikanischer Lesart jetzt ein Bestager bin, also einer im besten Alter. Nur noch ein Dutzend Jahre etwa, dann gehöre ich zu den Senioren, zu den unwiderruflich Alten. Das sind in Amerika die ab 80.
Die Bestagers, also Leute in meinem Alter, haben, rein statistisch gesehen, das meiste Geld und die meiste Zeit. Sie reisen viel und sind die besten Kunden der Pharmaindustrie, Viagra und so. Nur an Enkeln und Enkelinnen fehlt es ihnen manchmal, am meisten in Deutschland und in Japan. Die japanische Industrie hat jetzt Puppen in Enkelform auf den Markt gebracht, für ca. 45 Euro das Stück. Zehntausend solcher Plastikenkelchen gingen allein in drei Monaten über den Ladentisch. Da sieht man erst, was meine Großmutter, deine Uroma, Geld gespart hat. Die bekam die Enkelchen gratis, eins nach dem anderen. Zwölf Stück und mehrere Urenkel hat sie aufwachsen sehen, was für eine Gnade!
"Großmutter" haben wir als Kinder nie gesagt, den Ausdruck "Oma" kannten wir nicht einmal. Für uns war sie nur die "Mutter". Keine Bezeichnung passt besser. In ihrem Haus lebten zeitweise siebzehn Personen, ohne Streit. Es sei denn, es krachte mal. Danach war Mann (Frau) wieder friedlich. Es gab kein wochenlanges Glotzen oder Schikanieren in der Art "Drehst du dein Radio auf volle Lautstärke mit bayerischer Volksmusik, terrorisiere ich dich mit See you later, allegator, dass die Fensterscheiben klirren." Selbst vor dem Klo auf dem Hof ging es gesittet zu. Da drängte sich keiner vor.
Für alle war die Großmutter die "Mutter", die Mutter fürs ganze Haus, der Dreh- und Mittelpunkt des gesamten Geschehens. Sie hatte den Schlüssel für den "B'hälter", einen halbhohen Schrank mit Drahtgittertüren, hinter denen die köstlich duftenden "Schlotengeli" hingen, die schwarz geräucherten Bratwürste, die lange reichen mussten. Irgendwie gelang es mir einmal, eine zu stibitzen, die ich gleich ohne Brot verzehrte. Ich brauchte nicht einmal Ketchup dazu, von Pommies ganz zu schweigen.
Der Platz der "Mutter" war die Küche, ein düsterer kleiner Raum mit einem riesigen Schlot zum Räuchern von Schinken und Würsten und einem großen eisernen Herd mit mehreren Kochplatten sowie einem Kessel. Das kleine Fenster ging nach Süden, auf den Hinterhof. Rollo war keins dran. An der Wand, an die der Kuhstall grenzte, befand sich ein Trog für die Zubereitung des Schweinefutters. Die Küche, die "Mutter" mit Kopftuch und vielen Röcken übereinander, mit dicken Holzpantoffeln, Herd, Kienspäne, Feuer, Wurstkessel, Räucherschlot, das war für mich alles eins. Sie kochte abwechselnd Brotsuppe, Nudelsuppe, Schweinefleisch mit Kraut, Leberwürste mit Kraut, Ebbirnstopfer alias Kartoffelpuree. Letzteren gab es mit ein paar Blättern Kopfsalat, zerlassenem Schmalz darüber und kleinen gerösteten Speckwürfeln.
Ihre "Baunzeln", in Schweineschmalz gebackene Kartoffelpuffer in Stangenform, waren eine Delikatesse. Schon der Gedanke an den Duft und die schöne braune Kruste lässt mich heute noch die Augen verdrehen. Wäre die Großmutter in jungen Jahren nach Amerika ausgewandert und hätte sich auf "Baunzeln", spezialisiert, "GRANNY's BOUNCELS", ihre Nachfahren hätten heute tausende von Restaurants und zehntausende von Mitarbeitern. Die Amerikaner wären viel gesünder, weil der Hamburger überhaupt keine Chance gehabt hätte. Außerdem ginge es der Umwelt besser, weil es nicht so viel Methangas produzierende Rinder gäbe. Meine Großmutter hätte die Welt retten können, wenn, ja wenn sie ausgewandert wäre. Aber sie blieb in ihrem kleinen, mittelfränkischen Dorf und schenkte dem Großvater, einem kleinen, ewig hustenden Männlein sieben Kinder. Nur sechs überlebten. Eines wurde im zarten Alter aus Versehen von den größeren erdrückt, beim Schlafen, weil eben nicht jedes sein eigenes Bett hatte. Den Schreck am frühen Morgen kann ich mir gut vorstellen, o du guter Welt naa, o Lieberla naa!
Als ich geboren wurde, waren alle ihre Kinder schon erwachsen und bis auf einen Sohn verheiratet, meine Eltern gerade mal fünf Monate. Mama sagte wohl nicht "Ja, ich will" zum Pfarrer, sondern "Nein, ich muss!"
Wenn die "Mutter" nicht kochte, zerstampfte sie Kartoffeln für die Sau. Der Trog stand in der finstersten Ecke der Küche. Wie sie dort ein Leben lang arbeiten konnte, ist mir, der ich es nicht hell genug haben kann, ein Rätsel.
Wenn sie nicht in der Küche war, saß sie in der Wohnstube und strickte. Ihre in Heimarbeit hergestellten Wollstrümpfe waren derb und warm. Sonntags zog sie den besten schwarzen Rock, den sie hatte, über ihre zahlreichen Unterröcke an, dazu eine saubere, frische Bluse, und darüber ein Wolljäcklein, und ging zur Kirche.
Danach saß sie zur Feier des Tages noch am Esstisch und las in einer Bibel mit großer Schrift oder einem Andachtenbuch, das für jeden Sonntag eine ausführliche Predigt enthielt. Dabei bewegte sie die Lippen und fuhr mit dem Finger die Zeilen ab.
Mehr brauchte sie nicht. Keinen Urlaub, keinen Sport, kein Hobby, keinen Verein, kein Radio und kein Fernsehen, keine Pille und keine Kosmetik.
Die Küche und die Wohnstube. Ich kann sie mit keinem anderen Ort in Verbindung bringen, weil sie sonst nirgends irgendwann einmal war. Einmal im Krankenhaus wegen einer Gallenblasenentfernung und ein paarmal zu Besuch bei meiner Mutter, als wir ausgezogen waren. Dort erzählte sie mir bei eingeschaltetem Tonbandgerät aus ihrem Leben. Als junge Bauernmagd in ein paar Nachbardörfern, gedungen, d. h. zur Dienstleistung verpflichtet, ansonsten ansässig nur in dem Dorf, wo sie geboren ist.
Geboren am 10. Juli 1883 um neun Uhr vormittags, der Vater "Gütler". Getauft am 14. Juli um 14 Uhr. Es gibt kein Video und kein Foto. Einzig und allein meine Fantasie hilft mir dabei, mir die winzig kleine Margarete Barbara, die später "Babettla" genannt wurde, vorzustellen auf dem Arm ihrer Taufpatin, der Schwester des Kindsvaters.
Aus Franken ist sie nie hinausgekommen, nicht einmal aus ihrem Landkreis. Vereinzelte Male war sie mit dem Zug in der Kreisstadt, um sich mit ihrer ältesten Tochter zu treffen. Dort schätzte sie ein Café in der Stadtmitte wegen des guten Gebäcks.
Gebäck, das war überhaupt ihre Leidenschaft. Zum Bäcker musste ich und zehn Nusshörnchen holen oder zehn Maultaschen. Neun davon verschwanden, nachdem ich in Naturalien entlohnt worden war, in den unergründlichen Tiefen ihrer vielen, übereinander getragenen Röcke und wurden nach und nach heimlich verspeist, bevor sie zerbröselten.
Alles, was sie aß, musste weich sein wegen der fehlenden Zähne, schon mit 60, im best age. Das gäb' eine Gaudi, wenn die Bestager heute alle so rumlaufen müssten. Vielleicht schafft's ja die Gesundheizministerin noch.
Für sie jedenfalls war eine Zahnprothese finanziell nicht drin. So aß sie von den Riesenlaiben Brot, die sie buk, nur das Innere, das Weiche. Die Rinde wurde sauber abgeschnitten und in der Esstischschublade gelagert. Daran erlabte ich mich ab und zu. Auch der Großvater mümmelte mitunter drauf rum. Die schöne, dunkelbraune Brotkruste war unser Kaugummi. Dabei stillte sie auch noch den Hunger.
Was die "Mutter" nicht mochte, war Gaaßmilch, Ziegenmilch. Schon bei dem Gedanken daran schüttelte sie sich. Ich hatte als Kind vier Ziegen, zwei alte und zwei junge, und trank die körperwarme Ziegenmilch frisch vom Euter weg. Das war für meine Radtouren - im zarten Alter von 10 fuhr ich mit meinem Vater an zwei Tagen, mit einem Gang, bis ins Allgäu, um die Memminger Großmutter zu besuchen - jedenfalls besser als das Zeug, was der Jaksche und seine Radfahrerkollegen eingenommen haben. Im Gegensatz zu Testoteron, von dem mein Körper ab dem 14. Lebensjahr selber genug produzierte, so dass ich es mir nicht einspritzen lassen musste wie die armen Radsportler, hatte die Ziegenmilch auch noch den Vorteil, dass sie friedlich macht und nicht aggressiv.
Bis in die fünfziger Jahre hinein war meine Mama in der Wohnstube der Mutter so gut wie zuhause. Also lagerte sie auch einmal ein Stück Kuchen, das sie mit Geißmilch gebacken hatte, in der Lade der Großeltern. Die Großmutter aß davon und auch einer ihrer Söhne, und da sie nicht wussten, wie dieser zubereitet war, fanden beide auch noch Gefallen daran. "Wer hat denn den guten Kuchen gebacken?" fragte mein Onkel. "Mensch, war der gut!" Und die "Mutter": "Ja, der woor arch guet!" Ich weiß nicht mehr, wer ihnen die Schreckensbotschaft überbrachte. Jedenfalls hat sie es überlebt, ca. 14 Jahre.
Die Wohnstube hatte vier Fenster, zwei nach Westen und zwei nach Norden, und ragte weit in die Hauptverkehrsstraße hinein. Das war kein Problem, denn es gab kaum Kraftfahrzeuge. Allerdings kann ich mich auch nicht erinnern, dass ein Fenster häufig offen gewesen wäre. Selbst im Sommer lüftete man nur sporadisch, z. B. wenn man stöberte, d. h. die Bude auf den Kopf stellte. Das Stöberfieber brach im ganzen Haus regelmäßig aus, wenn die Frühjahrssonne wärmte.
In der Stube vor den Fenstern waren hölzerne Bänke, auf denen ich gerne kniete, das Kinn auf dem Fenstersims in beide Hände gestützt, um das Geschehen auf der Straße oder in der Grünanlage gegenüber zu beobachten. Es gab immer etwas zu sehen. Mindestens jede Viertelstunde kam ein Fuhrwerk vorbei. Die grünen Bäume im Sommer, die tief verschneite Straße im Winter, es war ein wunderschönes Bild, ein einziges Programm, aber vollauf genügend. Nicht im Traum wäre es meinem Großvater, der sich manchmal zu mir gesellte, oder mir eingefallen, zu zappen. Wir genossen es, Zeit und Langeweile zu haben.
Non, je ne regrette rien.
Heute hat man tausende von verrückten, schrillen, brutalen Bildern im Kopf, und das jeden Tag, bis weit in die Nacht hinein! Das kann nicht gut gehen.
In einem Erinnerungsfetzen sehe ich ein paar junge Mädchen, wahrscheinlich Schülerinnen des Gymnasiums, die erst verwundert auf das Fenster schauten und dann in prustendes Lachen ausbrachen, wahrscheinlich weil der Großvater an jenem Tag nicht rasiert war und sich dadurch seltsam abhob von dem Milchgesicht neben ihm.
Hinter uns am Tisch saßen die strickende "Mutter" und ihre ledige Schwester, die Lena, emsig an ihrer Handnähmaschine kurbelnd. Die Tante Lena hatte keinen Ernährer und musste für sich selber sorgen. Und für ihren Buben, bis dieser auf eigenen Füßen stand. Im ersten Weltkrieg war ihr Liebster "gefallen", wodurch die Hochzeit ausfiel. Danach wollte sie keinen mehr und wurde frömmer und frömmer. Die Predigt des Pfarrers wurde interpretiert oder es gab News mit Kommentaren und Glossen aus der Gemeinde. Die große Uhr an der Wand tickte, mahnend und beruhigend zugleich. Dieses Ticken machte Sinn. Heute ist nirgends etwas davon zu hören, dass die Zeit verrinnt, unwiderruflich. Wir haben sie ja auch längst totgeschlagen. Es gibt keine Zeit mehr. Jeder, den man fragt, sagt, er habe keine. "Hab keine Zeit" allenthalben. Ja, du lieber Gott, wer hat denn eine? Überall Fehlanzeige. Dabei ist es so einfach. Man braucht sie sich nur zu nehmen. Sie kostet nichts.
Falsch, sagt der Macher, "Zeit ist Geld".
Re: Erinnerungen an die Weihnacht --- Wunschzettel --- und noch vieles mehr --
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Lieber Weserstern.
die Zeiten ändern sich. Man behält alles in guter Erinnerung, das Schlechte wird verdrängt. Gut ist es so!
Alles ist in Bewegung:
Haben wir noch von den alten Zeiten und unserem Holzspielzeug gesprochen, unseren bescheidenen Weihnachtwünschen, von Gebäck und gutem Essen geschwärmt, so schwärmen die 40 jährigen vom guten alten "Commondore 64" und die 20 jährigen von ihrer Sammlung der "Überraschungseier"
Ich denke, wir lieben alle dieses schöne Weihnachtsfest auf die aktuelle Zeit angepasst. In paar Jahren sind Handy, Gameboy und Tablet-Pc nur noch romantische Erinnerung.
Übrigens: Habe heute gerade gelesen, dass auch der Nickolaus-Stiefel recht teuer geworden ist. Ja, je weniger Kinder umso wertvoller die Geschenke für die wenigen. Ob´s gut ist? Ich wage keine Antwort!
Viele liebe Grüße und allen Lesern hier im Forum einen schönen 2. Advent.
Ali22
die Zeiten ändern sich. Man behält alles in guter Erinnerung, das Schlechte wird verdrängt. Gut ist es so!
Alles ist in Bewegung:
Haben wir noch von den alten Zeiten und unserem Holzspielzeug gesprochen, unseren bescheidenen Weihnachtwünschen, von Gebäck und gutem Essen geschwärmt, so schwärmen die 40 jährigen vom guten alten "Commondore 64" und die 20 jährigen von ihrer Sammlung der "Überraschungseier"
Ich denke, wir lieben alle dieses schöne Weihnachtsfest auf die aktuelle Zeit angepasst. In paar Jahren sind Handy, Gameboy und Tablet-Pc nur noch romantische Erinnerung.
Übrigens: Habe heute gerade gelesen, dass auch der Nickolaus-Stiefel recht teuer geworden ist. Ja, je weniger Kinder umso wertvoller die Geschenke für die wenigen. Ob´s gut ist? Ich wage keine Antwort!
Viele liebe Grüße und allen Lesern hier im Forum einen schönen 2. Advent.
Ali22
Weserstern hatte sich ihre Threaderöffnung weihnachtlich gedacht, und ich bekam bei deinen 3 langen Antworten erstmal einen Schreck !
Aber dann fing ich an zu lesen ... und es lohnte sich! Und Weihnachten war im zweiten Teil ja auch dabei.
Gewöhnlich möchte ich beim Lesen hier nicht x-mal scrollen, doch diesmal konnte ich gar nicht aufhören, so sehr erinnerte mich einiges, was du schriebst, auch an meine Kindheit und Jugend!
Ich habe auch einiges aus meinem Leben aufgeschrieben für meine Nachkommen, aber erst als bei einem Treffen so einige Fragen aufkamen und ich merkte, dass sie sich dafür interessierten.
Gerade Foristen in unserem Alter (die Über-Siebziger ) werden in deinen Ausführungen Parallelen zu ihrem eigenen Leben finden.
Danke, Heiner, ich bin richtig begeistert von deinem Bericht, und belohne ihn mit dem hier sprichwörtlichen "Lächeln" !
LG v. G.
Aber dann fing ich an zu lesen ... und es lohnte sich! Und Weihnachten war im zweiten Teil ja auch dabei.
Gewöhnlich möchte ich beim Lesen hier nicht x-mal scrollen, doch diesmal konnte ich gar nicht aufhören, so sehr erinnerte mich einiges, was du schriebst, auch an meine Kindheit und Jugend!
Ich habe auch einiges aus meinem Leben aufgeschrieben für meine Nachkommen, aber erst als bei einem Treffen so einige Fragen aufkamen und ich merkte, dass sie sich dafür interessierten.
Gerade Foristen in unserem Alter (die Über-Siebziger ) werden in deinen Ausführungen Parallelen zu ihrem eigenen Leben finden.
Danke, Heiner, ich bin richtig begeistert von deinem Bericht, und belohne ihn mit dem hier sprichwörtlichen "Lächeln" !
LG v. G.
Aber dann fing ich an zu lesen ... und es lohnte sich! Und Weihnachten war im zweiten Teil ja auch dabei.
Gewöhnlich möchte ich beim Lesen hier nicht x-mal scrollen, doch diesmal konnte ich gar nicht aufhören, so sehr erinnerte mich einiges, was du schriebst, auch an meine Kindheit und Jugend!
Gerade Foristen in unserem Alter (die Über-Siebziger ) werden in deinen Ausführungen Parallelen zu ihrem eigenen Leben finden.
Danke, Heiner, ich bin richtig begeistert von deinem Bericht, und belohne ihn mit dem hier sprichwörtlichen "Lächeln" !
LG v. G.
Ich bin zwar noch nicht in " Eurem Alter", aber ich habe die "Erinnerungen " mit Spannung und Freude gelesen...
es gibt sogar einige Dinge,.. die auch ich als Jugendliche erlebt habe
Lieben Gruß weserstern