Forum Allgemeine Themen Plaudereien Das tägliche Einerlei

Plaudereien Das tägliche Einerlei

Mareike
Mareike
Mitglied

Das tägliche Einerlei
geschrieben von Mareike

Dieser Tage fand ich beim Surfen folgenden Artikel:  Wilhelm Schmid - Philosophie des familiären Alltags

Ich werde Einiges daraus zusammenfassen:

Alle kennen Alltag, aber nicht alle wollen etwas von ihm wissen. Die „schöne Höhe des
Gefühls“ steht in krassem Gegensatz zur „Kerkerhaft des Alltags“, schrieb einer, der in
besonderem Maße darunter litt (Hermann Hesse, Der Steppenwolf, 1955, 105).

Wird auf die pragmatische Einrichtung des Alltags verzichtet, regiert mit wachsenden
Konflikten der Ärger. Der ist zwar alltäglich unvermeidlich, aber wenn er allein dominiert,
wird daraus Abneigung, bis alles endet .....


Ja, da kann ich vollmundig zustimmen.
Allerdings nicht im Blick auf meine familiäre Situation. Da haben wir zum Glück das richtige Maß zwischen Nähe und Distanz geschaffen. Meine Familie gibt Halt ohne einzuengen.

Die Liebe,
auch die familiäre Liebe, gelingt nicht jeden Tag, der Alltag aber stellt den Rahmen dafür bereit, dass das gemeinsame Leben auch dann weitergeht, wenn die Zuneigung für eine Weile pausiert.“

Es könnte sich lohnen darüber nachzudenken.
Auch mit dem Blick auf die ST-Familie.

Damit es Alltag geben kann, ist zunächst die Organisation des Ortes erforderlich, der zum
räumlichen Bezugspunkt wird.

Ein Ambiente für die Fülle des Lebens, in dem nicht nur das Wohlgefühl Platz hat, sondern auch das Unwohlsein, nicht nur die Liebe, auch der Streit, nicht nur das Zusammensein, auch der Rückzug voneinander, nicht nur das Spektakel, auch der graue Alltag, nicht nur das kraftvolle Leben, auch das Kranksein, letztlich auch das Älterwerden mit all seinen Gebrechen, die es mit sich bringen kann.

Wird den Alltagsfragen die erforderliche Beachtung geschenkt, öffnet sich der Freiraum, in dem sich Zuwendung und Zuneigung entfalten können. Am ehesten dann, wenn man sich auf die Pragmatik des Alltags einlässt, mit gebührender Aufmerksamkeit auf das „Kleinste und Alltäglichste“, das man gerne als banal abtut, das für das Gelingen der Beziehung jedoch entscheidend ist.

Welche Regeln sollen gelten, welche Ausnahmen sind möglich?
Wer legt fest, wie dies und jenes gehandhabt wird?

Nicht zu vernachlässigen: Die immer neue Ausbalancierung der Macht in allen Teilbereichen und im Ganzen ist für das Gelingen jeder Beziehung von Bedeutung. (Seite 7 und 8 Klick)

Es geht nicht darum, sich wechselseitig zu überwachen, sondern aufeinander aufmerksam zu sein.
Alle wollen gesehen werden und Verständnis bei Anderen finden.

Das in den Alltag einzubauen, macht stark.

Herzliche Grüße
Mareike


 

 

Mareike
Mareike
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Mareike vom 25.07.2024, 13:47:56

Ich freue mich den Wilhelm Schmid entdeckt zu haben.
Kleine Texte für zwischendurch.

Z B: Von den Freuden des Älterwerdens

Zitat:

"Carpe diem, genieße den Tag – jetzt ist die Zeit dafür da, auf diese Weise zu leben, die ein halbes Leben lang nur ein Traum war. Aber ich bin damit einverstanden, dass die Formel nicht heißt: Genieße jeden Tag. Denn es gibt ungenießbare Tage, an denen die Zipperlein und Gebrechen spürbarer werden, die nun mal ein Teil des Älterwerdens sind. Auch die ungenießbaren Tage sind für etwas gut: Sie machen die genießbaren wertvoller."

Syka
Syka
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Syka
als Antwort auf Mareike vom 25.07.2024, 18:28:52

Wilhelm Schmid ist ab und zu am Freitag Abend im SWR Nachtcafé und kommentiert sehr kompetent und einfühlsam Berichte der Gäste. Ich mag ihn sehr.


Anzeige

Mareike
Mareike
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Syka vom 25.07.2024, 18:36:28

Schmid war von 1998 bis 2007 philosophischer Seelsorger am Spital Affoltern am Albis bei Zürich.
Aus einem Spiegel-Interview :

" SPIEGEL: Sie haben jahrelang als philosophischer Seelsorger in Krankenhäusern gearbeitet. Was kann die Philosophie, was die Psychologie nicht besser kann?

Schmid: Das habe ich mich auch gefragt. Und ich hielt es zunächst für eine Schnapsidee der Ärzte, die mich um Hilfe gebeten hatten. Ein Psychotherapeut kennt sich mit Gefühlen aus, ich mich überhaupt nicht. Aber ich kenne mich mit Gedanken aus. Und um die ging es! Das Interesse der Patienten war enorm, und es blieb enorm, jahrelang. Das hat mich so erstaunt, dass ich die Patienten gefragt habe: Was bringt Ihnen das? Und ich hörte ein ums andere Mal dieselbe Antwort: geistige Nahrung, interessante Gedanken. Die Patienten mochten, dass ich nicht nach Problemen in ihrer Kindheit bohre, dass ich ihnen auch keinen Rat gebe, sondern einfach ein guter Gesprächspartner bin, der sie zu Gedanken inspiriert. Schon Sokrates hat seine philosophische Methode als Hebammenkunst bezeichnet, die Menschen hilft, ihre eigenen Gedanken zu gebären. Ich habe im Krankenhaus nichts anderes gemacht.


Genau diese Herangehensweise hat mich dazu verleitet, diesen Thread zu eröffnen.

Mareike





 

Heidrun11
Heidrun11
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Heidrun11
als Antwort auf Mareike vom 25.07.2024, 18:28:52
Auch die ungenießbaren Tage sind für etwas gut: Sie machen die genießbaren wertvoller."
 

Genau das geht mir oft durch den Kopf, wenn für mich so manches mal ein Tag ungenießbar ist, dann weiß ich die guten Tage wieder mehr zu schätzen 😊

LG Heidrun
olga64
olga64
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von olga64
als Antwort auf Syka vom 25.07.2024, 18:36:28
Wilhelm Schmid ist ab und zu am Freitag Abend im SWR Nachtcafé und kommentiert sehr kompetent und einfühlsam Berichte der Gäste. Ich mag ihn sehr.
geschrieben von Syka
So sehe ich das auch. Ich schätze Herrn Schmid im Nachcafé ebenso wie den Moderator Michael Steinbrecher.
Diese Sendung ist überhaupt gut aufgebaut: den Gästen wird Zeit und Gelegenheit gegeben, ihr Leben und ihre besonderen Situation ruhig zu schildern. Sie werden nicht verhöhnt oder laufend unterbrochen und ich finde das meist sehr spannend. Oft wundere ich mich aber auch darüber, wie viel Mut solche Menschen haben, vor einem Millionenpublikum Details aus ihrem Leben zu berichten.
Und genau da passt der harmonisierende Herr Schmid sehr gut dazu - auch als eine Art Rettungsanker, wenn es für die Schildernden dann doch ein wenig schwierig wird. Olga

Anzeige

Maya1
Maya1
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Maya1
als Antwort auf olga64 vom 25.07.2024, 19:41:39

Ich empfinde den Alltag nicht als "Kerkerhaft", sondern eher als ein Strukturgerüst, daß ich füllen kann.

Diese Perspektive schafft Freiräume und Möglichkeiten für Kreativität.

Wenn ich das Gefühl habe, daß ich den Alltag gestalten und so füllen kann, wie ich es gerne möchte, dann sind im Alltag mehr Chancen als Einschränkungen vorhanden.

So ähnlich wie ein Künstler, der verschiedene Materialien zur Verfügung hat, um daraus ein Kunstwerk zu schaffen.
Mit Bleistift und Papier geht es ganz leicht und schnell.
Mit einem Marmorblock dauert es sehr lange und die Bearbeitung ist schwierig und mühsam - aber dafür ist das Ergebnis viel überwältigender, wenn es gelingt.

Auch in schweren Zeiten bietet der Alltag Gestaltungsmöglichkeiten, gerade im zwischenmenschlichen Bereich.
​​​​Wir nutzen sie nur nicht immer.

Ganz oft haben wir eine Wahl, und wenn es nur die Wahl ist, meiner schlechten Laune freien Lauf zu lassen oder mich auf die Möglichkeiten zu konzentrieren, die ich habe, etwas Gutes und Schönes zu schaffen - zB ein Lächeln auf eines der vielen ausdruckslosen Gesichter zu zaubern, indem ich die mir entgegen kommenden Menschen anlächle. Nicht jeder lächelt zurück, aber doch viele und es tut einfach gut, von Menschen umgeben zu sein, die mich anlächeln, statt mürrisch zu gucken.

Auch in meiner Reaktionen habe ich viele Wahlmöglichkeiten.
Ich muss mich nicht provozieren lassen und ich muss nicht so auf eine Provokation reagieren, daß der andere sich noch mehr provoziert fühlt und sich das Ganze hochschaukelt.

Ich kann um mich herum eine Atmosphäre schaffen, in der ich mich wohl fühle, ein paar Blumen, schöne Musik ....

Meine Mutter hat früher bei der Arbeit oft gesungen und hatte gute Laune - vielleicht durch das Singen? Jedenfalls hat das auch auf die Umgebung abgefärbt, wenn ich sie singen hörte, tat mir das auch gut.
In einem Film über eine Religionsgemeinschaft in Amerika (Mennoniten oder Hutterer, ich weiß es nicht mehr genau), die noch ohne Technologie leben, arbeiteten die Frauen gemeinsam in der Küche. Eine stimmte ein Lied an und alle sangen mit, die Arbeit ging gut von der Hand und die Stimmung war mitreißend.
Und das in einem Alltag, der ohne Technologie und mit den vielen Bestimmungen und Regeln der Gemeinschaft viel härter und einschränkender ist als unserer.

​​​​​​

Mareike
Mareike
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Maya1 vom 26.07.2024, 10:22:30

Danke Maya für diesen Beitrag voller Impulse!
Solche Wortmeldungen haben eher seltenheitswert.
Manchmal scheint´s mir, das Leben vieler - nicht nur - Senioren, besteht nur noch aus fernsehen und klick-klick am Handy oder PC-Tastatur.

Hin und wieder ist es gut sich zu vergegenwärtigen, wo man Kraft schöpfen kann - auch im Alter, wo nicht mehr alles so leicht von der Hand geht.

Welch Kraftquellen habe ich?

Meine Bildergalerie zeigt Einige: Malerei, Fotografieren, Gärtnern ...

Ganz, ganz wichtig: Meine Gespräche mit den Enkeln - intensiv mit den Beiden, die in meinem unmittelbaren Umfeld aufgewachsen sind. Da ist die Bindung eine sehr besondere.

In Zeiten, wo es mir gesundheitlich nicht gut geht, greife ich zu Büchern.

Momentan ist meine Tochter nebenan verreist.
Der 19 jährige Sohnemann findet sich nach der Arbeit bei mir zum Essen ein.
Gestern haben wir uns anschließend längere Zeit unterhalten.
Er spach das an, was Du im letzten Satz auch erwähnst: Ein Alltag ohne Technologie.
Mitunter hasst er regelrecht die Handy-"Manie".
Er träumt davon nach seine Ausbildung eine Weile auszusteigen und auf Wanderschaft zu gehen - fern ab von Luxus und Schickimicki.
Auf der Suche nach dem Ursprünglichen!?

Mareike

chris33
chris33
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von chris33
als Antwort auf Maya1 vom 26.07.2024, 10:22:30

Seit ich mich von den Strukturen des Alltags befreit habe, die fuer viele Menschen so wichtig, aber einigen auch lästig sind,  um ihr Leben einigermaßen sinnvoll zu gestalten, genieße ich eine neue Freiheit.

Seitdem ich nicht mehr berufstätig bin, gestalte ich mein Leben nach meinen eigenen Vorstellungen, Auch meine "All - Ein - Zeit, kommt dabei nicht zu kurz. 

Das Leben ohne die Zwänge des Alltags, die ich schon lange bewußt hinter mir gelassen habe, hat meinem Dasein einen neuen Sinn gegeben. 

Das Gefuehl,  jeden Tag frei wie ein Vogel zu beginnen, ist wunderbar..... 

Die Erkenntnisse der Philosophen koennen zwar inspirierend sein, aber man muss sie nicht zwingend übernehmen..... 

Chris33 
Mareike
Mareike
Mitglied

RE: Das tägliche Einerlei
geschrieben von Mareike
als Antwort auf chris33 vom 26.07.2024, 11:31:17
..........
Die Erkenntnisse der Philosophen koennen zwar inspirierend sein, aber man muss sie nicht zwingend übernehmen..... 

Chris33 
Da stimme ich gerne zu. Ich sehe dies im Grunde immer nur als Impuls zum Nachsinnen.

Mareike

Anzeige