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Plaudereien Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere

silberfuchs
silberfuchs
Mitglied

Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von silberfuchs
[size=20][/size]Die Lebensgeschichten der älteren Menschen sind unentbehrlich. Sie bauen mit ihren Erinnerungen Brücken zwischen den Generationen, geben einen Hinweis auf das Woher und Wohin. Alte Menschen sind Zeitzeugen. Wenn sie verstummen, kann keiner mehr erzählen, wie es damals wirklich war. Ihre Wurzeln reichen tief in die Vergangenheit zurück. Die großen Ereignisse brechen sie herunter auf die gelebte Wirklichkeit des Alltags. Sie wissen, wie sich Krieg und Hunger anfühlen. Sie können aus diesen Erlebnissen heraus nachvollziehen, wie Freiheit das Herz erleichtert, was Stärke und Schwäche sind. Sie haben Krankheiten und den Tod vielfach erlebt. Sie wissen, wie eine Wiese im Frühjahr blüht, welche Früchte ein Baum im Herbst hervorbringt und auch, dass es nicht nötig ist, Erdbeeren im Winter zu essen. Sie erzählen ihren Enkelkindern, dass deren Eltern selbst einmal Kinder waren. Sie bringen aus der Geschichte ihrer Familie Gutes zur Sprache – und wenn es sein muss und sie mutig sind, auch Schlechtes. Geben sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen nicht weiter, dann bleiben die nachfolgenden Generationen ohne Tradition und die Familienchronik erlischt. Erzählen ist Erinnern.
Ich wirke in der Geschichtsgruppe eines Bremer Stadtteils mit, der früher mal ein Dorf war. Um das dörfliche Leben vor 80, 90 Jahren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, schreiben wir die Lebensgeschichten der heute noch lebenden älteren Menschen auf, bringen sie zu Papier und später auch in Buchform an die Öffentlichkeit.
Da die Menschen, die wir mündlich interviewen ihre Geschichte nicht selbst aufschreiben, sondern ich mit meinen Worten, wirken sie manchmal nicht ganz so authentisch. Wer hat Erfahrungen mit diesen Dingen und kann Tipps geben?
Danke im voraus.
Silberfuchs aus Bremen
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von schorsch
als Antwort auf silberfuchs vom 14.03.2011, 04:45:30
Mein erstes Buch habe ich als Vergangenheitsbewältigung geschrieben. Und es hat mir unendlich gut geholfen, meine Erlebnisse, die sich manchmal wie eine dunkle, mich erdrücken wollende Wand über mich senkten, in fröhliche Farben zu verwandeln.

Meine Enkel fragen mich immer wieder nach den Zeiten aus, die sie nur in Fetzen kennen. Wie aber sollen kommende Generationen etwas aus den Fehlern der Vorgänger lernen können, wenn diese ihre Erlebnisse unter Verschluss halten und nur denken: "Meine nachkommen sollen es einmal besser haben als ich!"

Merke: Es muss kein Buch werden aus den Erinnerungen. Aber sie sollten festgehalten werden für die Enkel und Urenkel.

Ich habe übrigens all meine wichtigsten Erlebnisse und Aktivitäten auf 2 DVDs gebrannt und werde diese an meine Enkel abgeben. Nicht dass ich denke, sie würden sich dann diese täglich reinziehen wollen. Aber wenn sie dann später von ihren eigenen Kindern über die Vergangenheit und ihre Wurzeln befragt werden, sollen sie eine Möglichkeit besitzen, sich die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen.
Gillian
Gillian
Mitglied

Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von Gillian
als Antwort auf schorsch vom 14.03.2011, 11:09:13
Als ich merkte, dass meine Söhne mich mehr und mehr über "früher", meine Kindheit und das Leben meiner Eltern und Großeltern ausfragten, habe ich mich auch hingesetzt und darüber geschrieben.
Dabei fiel mir auf, dass ich auch nicht ALLES über meine Großeltern wusste, nur das was mir Vater und Mutter erzählt haben (Großeltern waren 1870er Jahrgänge!). Ich konsultierte meine über 80jährige Schwester, die sich doch an vieles noch mehr als ich erinnern konnte.
So ist ein kleines etwa 50seitiges "Werk" entstanden, das bei meinen Nachkommen großes Interesse findet.
Und ich bedaure zutiefst, dass ich meine 2001 im Alter von 98 Jahren verstorbene Mutter nicht noch mehr ausgefragt habe! Es gibt da kleine Lücken, die nicht mehr auszufüllen sind, leider!
Guter Gedanke von Euch, Silberfuchs und Schorsch!
Gillian

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silberfuchs
silberfuchs
Mitglied

Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von silberfuchs
als Antwort auf Gillian vom 14.03.2011, 19:50:05
Eure Feststellungen, Schorsch und Gillian, sind völlig deckungsgleich mit meinen Erfahrungen. Über allem schwebt das Bedauern, unsere Großeltern nicht beizeiten nach deren Erlebnissen und Erfahrungen befragt zu haben. Aber solche Erkenntnisse kann man in jungen Jahren noch nicht verinnerlicht haben.
Damit das unseren Enkeln später nicht auch so geht, sollten wir auf sie zugehen, um ihnen einen Sinn für das Bewahren von Erinnerungen zu vermitteln.
Wenn man fünfzig Jahre hinter sich hat und über ein gewisses Maß an Lebenserfahrungen verfügt, wenn man im Rentenalter den Stress hinter sich gelassen und Zeit hat, beginnt das Nachdenken und das Sichzurückerinnern. Auch die Befürchtung, dass ohne schriftliche Aufzeichnungen alles unwiderruflich verloren gehen wird, wird einem bewusst. Ob das nun auf dem Papier oder digital, ist völlig egal.
Also Leute, fangt an, zunächst mal dies und jenes aufzuschreiben, und sei es zunächst zusammenhanglos, was euch in den Kopf kommt. Später wird daraus mit Sicherheit das große Ganze.
Freundliche Grüße aus Bremen
Silberfuchs
schorsch
schorsch
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Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von schorsch
als Antwort auf silberfuchs vom 15.03.2011, 07:12:07
Vor Jahrhunderten noch beruhte das ganze Geschichts-Prozedere nur auf der mündlichen Weitergabe von einer Generation zur anderen. Die heutigen Menschen aber haben diese Gabe verloren - weil sie alles nur noch schriftlich besitzen wollen. Geben wir ihnen also zumindest diese Möglichkeit in ausreichendem Masse.
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Gillian vom 14.03.2011, 19:50:05
@: "...Und ich bedaure zutiefst, dass ich meine 2001 im Alter von 98 Jahren verstorbene Mutter nicht noch mehr ausgefragt habe! Es gibt da kleine Lücken, die nicht mehr auszufüllen sind, leider!..."

Dies kann und muss ich leider 1 : 1 auch für mich sagen. Auch meine Mutter wurde 98 Jahre alt. Als ich mich aber endlich getraute, sie das Eine oder Andere zu fragen, erinnerte sie sich selber wegen Demenz nicht mehr daran.

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Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf silberfuchs vom 14.03.2011, 04:45:30
...
Da die Menschen, die wir mündlich interviewen ihre Geschichte nicht selbst aufschreiben, sondern ich mit meinen Worten, wirken sie manchmal nicht ganz so authentisch. Wer hat Erfahrungen mit diesen Dingen und kann Tipps geben?
Danke im voraus.
Silberfuchs aus Bremen



Wir machen mit einer Gruppe Podcasts mit den Lebenserinnerungen von Leuten, die nichts aufschreiben wollen oder können.

Das Aufnahmeverfahren ist jeweils individuell an die Person angepasst.
Manche übernehmen das selbst (teils noch mit den guten alten Casettenrekordern),
bei anderen manchmal die Kinder und manchmal jemand von uns.

Wir versuchen, uns möglichst wenig einzumischen in die Erzählungen.

Das Ziel dieser Gruppe ist es nicht, Erzählungen in Schriftform zu übertragen,
sondern Tondokumente für den privaten Gebrauch zu erzeugen.

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Ich selbst mache aus einer dieser Erzählungen gerade ein Buch.
Da habe ich die Form gewählt, sehr viele Passagen 1:1 zu zitieren (ohne ähs, aber auch ohne grammatikalische Verbesserungen oder Strukturierungen).
Dazwischen schreibe ich eigene erläuternde Texte, bau Abbildungen ein etc.

Das lässt sich in dieser Form aber nur umsetzen, wenn jemand straff erzählen kann.

Das Endergebnis der wortgerecht wiedergegebenen Erzählungen ist nicht Literatur sondern Authentizität.

--------

Ein weiteres Buch ist geplant, das eigentlich in ähnlicher Form gemacht werden sollte,
jedoch durch den starken Dialekt an unsere Grenzen stößt bei der Übertragung in Schriftform.
Hier überlegen wir gerade, ob wir die einzelnen Geschichten kurz als Text zusammenfassen und Links auf die Podcasts beifügen, die wir dann im Internet bereitstellen.

Die Idee ist erst letzte Woche entstanden, ich sehe das aber ganz generell als eine interessante Möglichkeit zur Verbreitung dieser Erinnerungen.

Sorella




Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.03.2011, 09:53:19

mit dem erzählen von alten geschichten ist das so eine sache.

meistens verdreht das jungvolk dann die augen - will gar nichts davon wissen.

so ging es damals auch mir. - und jetzt meinen söhnen mit uns -

jetzt, da meine beiden elternteile nicht mehr leben, fällt mir diese und jene frage ein.

aber nun ist es zu spät.

zeitzeugen sind meistens erst wichtig, wenn man selbst ein gewisses alter

erreicht hat.

aber dann hat man selten glück, zeitzeugen zu finden

aber ob geschriebenes dann noch gelesen wird, wenn man selbst alt ist,


bezweifele ich auch.
nasti
nasti
Mitglied

Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von nasti
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.03.2011, 11:50:05
Hi Karin

ich vermute dasselbe mit niederschreiben unsere Geschichte

und habe ich angefangen mit Kollagen und Bilder unsere Vergangenheit verewigen

die Lust vergeht inzwischen. Wäre besser als Comics vielleicht?
Alle sind bombardiert mit neue und frische Nachrichten, wer hat die Zeit so etwas "langweiliges" lesen?

Nasti


Re: Das Aufschreiben von Lebensgeschichten als Hilfe für sich und andere
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.03.2011, 11:50:05
das stimmt so nicht pauschal, Karin2.

Es kommt auf den Inhalt der Erzählungen an.

Wer sich nur um seinen persönlichen Bauchnabel dreht,
findet wahrscheinlich höchstens Interessenten im ganz persönlichen Familienkreis.

Wer es schafft, Beschreibungen zu den konkreten Lebensbedingungen einzubauen,
auch mal genauere Datumsangaben macht (zumindest das Jahr),
für dessen Tondokumente interessieren sich sogar Archive.

Auch Vergleiche, was gibt es heute - wie war das damals, sind interessant.
Wichtig sind tatsächlich die ganz persönlichen Erinnerungen -
also keine wissenschaftliche Betrachtung.

Mal eine kleine Anregung am Rande:
wenn mein Urgroßvater hinterlassen hätte, mit welchem Wundermittel er Rosen in seiner Etagenwohnung zu legendärer Blüte brachte ...
und wie war das eigentlich, als er sein komplettes Fachwerkhaus zerlegen, die Oder hinunter transportieren und an anderer Stelle wieder aufbauen ließ?

Sorella





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