Literatur zeitkritische texte...gestern & heute
Re: zeitkritische texte...gestern & heute
Er wandert wohl immer noch in vergangenen Zeiten und wundert sich, dass ihm die Füße schwer werden...
Leute. Lebt heute.
... sagt mir mein Zeitgeist. Oder war es mein Hühnerauge auf dem linken Zeh?
das glaube ich gerne, dein gewählter nick bestätigt deine worte oder vielleicht doch nicht?
nur zu, lass ihn walten, den zeitgeist!
--
pilli
Eine gute Aufforderung, Pilli!
Von jemandem, der den heutigen Zeitgeist so schmerzlich in diesem Thread vermisst, würde ich auch erwarten, dass er uns Beispiele davon präsentiert, auch wenn der lahmende Zeh dabei etwas schmerzt.
Also Tristan, nur zu!
Was das Googlen angeht, da sehe ich keinen wesentlichen Unterschied darin, ob, allein zur Absicherung der eingestellten Texte, der genaue Wortlaut in einem Buch oder über die Suchmaschine nachgeprüft wird. Die Idee davon, was man einstellen will, muss jedenfalls vorher im eigenen Kopf gewesen sein.
Aber möglicherweise hat Tristan ein phänomenales Gedächtnis und kann frei zitieren.
Da wäre ich auch auf Kostproben gespannt.
Mein heutiges Beispiel stammt wieder von früher, lässt sich aber mühelos auf das Heute übertragen, jedenfalls für alle, die es so sehen wollen oder können:
Hütet euch vor Liberalen
Hütet euch vor Liberalen,
Die nur reden, die nur prahlen,
Nur mit Worten stets bezahlen,
Aber arm an Taten sind;
Die bald hier-, bald dorthin sehen,
bald nach rechts, nach links sich drehen,
Wie die Fahne vor dem Wind.
Hütet euch vor Liberalen,
Jene blassen, jene fahlen,
Die in Zeitung und Journalen
Philosophisch sich ergehn;
Aber bei des Bettlers Schmerzen,
Weisheitsvoll mit kaltem Herzen,
Ungerührt vorübergehn.
Hütet euch vor Liberalen,
Die bei schwelgerichen Mahlen,
Bei gefüllten Festpokalen
Turm der Freiheit sich genannt.
Und die doch um einen Titel
Zensor werden oder Büttel
Oder gar ein Denunziant.
Robert Eduard Prutz
Enigma
Von jemandem, der den heutigen Zeitgeist so schmerzlich in diesem Thread vermisst, würde ich auch erwarten, dass er uns Beispiele davon präsentiert, auch wenn der lahmende Zeh dabei etwas schmerzt.
Also Tristan, nur zu!
Was das Googlen angeht, da sehe ich keinen wesentlichen Unterschied darin, ob, allein zur Absicherung der eingestellten Texte, der genaue Wortlaut in einem Buch oder über die Suchmaschine nachgeprüft wird. Die Idee davon, was man einstellen will, muss jedenfalls vorher im eigenen Kopf gewesen sein.
Aber möglicherweise hat Tristan ein phänomenales Gedächtnis und kann frei zitieren.
Da wäre ich auch auf Kostproben gespannt.
Mein heutiges Beispiel stammt wieder von früher, lässt sich aber mühelos auf das Heute übertragen, jedenfalls für alle, die es so sehen wollen oder können:
Hütet euch vor Liberalen
Hütet euch vor Liberalen,
Die nur reden, die nur prahlen,
Nur mit Worten stets bezahlen,
Aber arm an Taten sind;
Die bald hier-, bald dorthin sehen,
bald nach rechts, nach links sich drehen,
Wie die Fahne vor dem Wind.
Hütet euch vor Liberalen,
Jene blassen, jene fahlen,
Die in Zeitung und Journalen
Philosophisch sich ergehn;
Aber bei des Bettlers Schmerzen,
Weisheitsvoll mit kaltem Herzen,
Ungerührt vorübergehn.
Hütet euch vor Liberalen,
Die bei schwelgerichen Mahlen,
Bei gefüllten Festpokalen
Turm der Freiheit sich genannt.
Und die doch um einen Titel
Zensor werden oder Büttel
Oder gar ein Denunziant.
Robert Eduard Prutz
Enigma
Zeitkritik ist die Kritik am momentanen Zeitalter, dem aktuellen Zeitgeist, Wiki und viele „Köpfe“ wissen dies, ein Zeh leider nicht.
In diesem Land
In diesem Land wird niemand lächerlich,
als der die Wahrheit sagte. Völlig wehrlos
zieht er den grinsend flachen Hohn auf sich.
Nichts macht in diesem Land ehrlos.
In diesem Land münzt jede Schlechtigkeit,
die anderswo der Haft verfallen wäre,
das purste Gold und wirkt ein Würdenkleid
und scheffelt immer neue Ehre.
In diesem Land gehst du durch ein Spalier
von Beutelschneidern, die dich tief verachten
und mindestens nach deinem Beutel dir,
wenn nicht nach deinem Gruße trachten.
In diesem Land schließt du dich doch nicht aus,
fliehst du gleich ängstlich die verseuchten Räume.
Es kommt die Pest dir auch per Post ins Haus
und sie erwürgt dir deine Träume.
In diesem Land triffst du in leere Luft,
willst treffen du die ausgefeimte Bande,
und es begrinst gemütlich jeder Schuft
als Landsmann dich in diesem Lande.
Karl Kraus
Senhora
In diesem Land
In diesem Land wird niemand lächerlich,
als der die Wahrheit sagte. Völlig wehrlos
zieht er den grinsend flachen Hohn auf sich.
Nichts macht in diesem Land ehrlos.
In diesem Land münzt jede Schlechtigkeit,
die anderswo der Haft verfallen wäre,
das purste Gold und wirkt ein Würdenkleid
und scheffelt immer neue Ehre.
In diesem Land gehst du durch ein Spalier
von Beutelschneidern, die dich tief verachten
und mindestens nach deinem Beutel dir,
wenn nicht nach deinem Gruße trachten.
In diesem Land schließt du dich doch nicht aus,
fliehst du gleich ängstlich die verseuchten Räume.
Es kommt die Pest dir auch per Post ins Haus
und sie erwürgt dir deine Träume.
In diesem Land triffst du in leere Luft,
willst treffen du die ausgefeimte Bande,
und es begrinst gemütlich jeder Schuft
als Landsmann dich in diesem Lande.
Karl Kraus
Senhora
Re: zeitkritische texte...gestern & heute
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Kriegslied (1779)
´s ist Krieg! ´s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
´s ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
´s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Matthias Claudius (1740 – 1815)
Intressante Erklärungen zu diesem Gedicht findet man übrigens hier:
´s ist Krieg! ´s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
´s ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
´s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Matthias Claudius (1740 – 1815)
Intressante Erklärungen zu diesem Gedicht findet man übrigens hier:
Je weniger ich an unsere Zeit glauben kann,
je mehr ich das Menschentum verkommen und
verdorren zu sehen meine, desto weniger stelle
ich diesem Verfall die Revolution entgegen,
und desto mehr glaube ich an die Magie
der Liebe.
Hermann Hesse
Das ist ja gerade das Schreckliche, jedenfalls für mich, dass sich nie etwas zu ändern scheint.
Pippa
je mehr ich das Menschentum verkommen und
verdorren zu sehen meine, desto weniger stelle
ich diesem Verfall die Revolution entgegen,
und desto mehr glaube ich an die Magie
der Liebe.
Hermann Hesse
Das ist ja gerade das Schreckliche, jedenfalls für mich, dass sich nie etwas zu ändern scheint.
Pippa
die kritischen lieder der "Waldecker" treffen noch heute nach vierzig jahren den ton und ihre klartextlichen aussagen zeigen m.e. immer mehr ihre berechtigung. sie gehören sicherlich nicht in die rubrik der "Spinner" in die sie manche der altvorderen drängen möchten!
Das ist auch meine Meinung, schön, dass es noch andere Liebhaber dieser Festivals gibt! Damals ging’s in den Liedern viel um die atomare Gefahr und um Rassismus – kommt uns doch bekannt vor!
Vergleichbares wie Waldeck gibt es nicht mehr, und Holger Böning (Historiker und Professor) schreibt im Vorwort eines Buchs über Waldeck:
"Für einen kleinen Augenblick war das deutschsprachige politische Lied zu einer kulturellen Erscheinung von erheblicher Breitenwirkung geworden", schrieb Holger Böning zum 40. Jahrestag des ersten Waldeck-Festival im Juni 2004 im 'Freitag'. In den Liedern der ersten drei Festivals bis 1966 war bereits "eine leise, oft noch verklausulierte Gesellschaftskritik zu vernehmen - erste seismographische Vorboten von 1968."
Nochmal Degenhardt mit "Einfach unglaublich". Könnte gegenwärtig zeitkritisch sein:
Einfach unglaublich!
Und ein Link für die CDs:
Waldeck
Clara
Er wandert wohl immer noch in vergangenen Zeiten und wundert sich, dass ihm die Füße schwer werden...
Leute. Lebt heute.
... sagt mir mein Zeitgeist. Oder war es mein Hühnerauge auf dem linken Zeh?
das glaube ich gerne, dein gewählter nick bestätigt deine worte oder vielleicht doch nicht?
nur zu, lass ihn walten, den zeitgeist!
--
pilli
Mein gewählter Nick sagt Dir was? Schön für Dich. Was sollte mir denn Dein gewählter Nick sagen? Vergleichen wir mal Tristan und Pilli. Bei Tristan denkt jeder an Wagner. Ich mag seine Musik, ohne das Geschrei. Es gibt da sehr schöne Instrument-Aufnahmen zum Beispiel von Edo de Waart: An Orchestral Adventure. Dennoch ist er kein Spiegel meiner Welt.
Und was sagt mir jetzt Pilli?
Wenn ich jetzt ein bisschen out of topic bin, möge man mir das nachsehen. Muß mich auch erst vertraut machen, mit den Geflogenheiten hier.
*besinnlichegrüße*
Tristan
Ein Problem beim Einstellen zeitkritischer Gegenwartstexte besteht darin, dass diese Texte zwar häufig sehr interessant, aber nicht gemeinfrei sind.
Um einer eventuellen Abmahnung zu entgehen, bliebe also nur ein Hinweis per Link auf Texte, die noch dem Urheberrechtsschutz unterliegen (oder - alternativ - die Einholung der Genehmigung des Verfassers oder sonstiger Rechte-Inhaber).
Aber auch ältere Texte, wie z.B. die der maßgeblichen Dichter und Schriftsteller des Vormärz oder einer Zeit danach können m.E. sehr interessant sein, weil sie oft den Boden für gesellschaftliche oder politische Veränderungen bereitet haben.
Zivilcourage war auch damals nicht ungefährlich und konnte das Leben derer, die den Mund aufmachten, von Grund auf verändern durch Verfolgung, Inhaftierung, Misshandlung und ähnliche Schikanen.
Einer, der viel riskierte und die Quittung dafür erhielt, war Johann Gottfried Kinkel, geboren am 11. August 1815 in Oberkassel, gestorben am 13. November 1882 in Zürich.
Kinkel war ein deutscher evangelischer Theologe und Politiker demokratischer Gesinnung,, der bereits durch seine Heirat mit einer geschiedenen Katholikin Aufsehen erregte.
Obwohl Johanna Mathieux, Komponistin und Pianistin und spätere Frau Kinkel, konvertierte, war Johann Gottfried Kinkel an der Theologischen Fakultät der Universität Bonn, an der er als Professor lehrte, nicht mehr tragbar und wurde in die Philosophische Fakultät zwangsversetzt.
Ab 1846 lehrte er dann als außerordentlicher Professor für Kunst- und Literaturgeschichte ebenfalls an der Universität Bonn.
Nebenher betätigte er sich auch als Schriftsteller.
In der Zeit des Vormärz entwickelte Kinkel sich zu einer der markantesten Gestalten der Demokratischen Bewegung.
1848 wurde er, inzwischen Redakteur der Bonner Zeitung, als Abgeordneter in die 2. Preußische Kammer gewählt und gehörte dort zu den sogenannten “äußersten Linken“.
Als 1848 in Deutschland die Revolution ausbrach, nahm er am badisch-pfälzischen Aufstand teil.
Dabei geriet er in preußische Gefangenschaft und wurde zunächst zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
Auf Initiative seiner Frau wurde Kinkel 1850 durch Carl Schurz aus der Festung Spandau befreit und ging zunächst nach London.
Dort wurde er zunächst Professor für Literaturgeschichte an einigen Colleges.
Ab 1861 hielt er im Auftrage der britischen Regierung Vorträge zur Kunstgeschiochte im South-Kensington-Museum und legte damit den Grundstein für das Unterrichtsfach “Kunstgeschichte” in Großbritannien.
1863 wurde er als Examinator an die Universität London berufen.
Carl Schurz, der gemeinsam mit Kinkel den Bonner Sozialdemokratischen Verein gegründet hatte, emigrierte nach Amerika und wurde dort später Innenminister.
1866 wurde Kinkel an das eidgenössische Polytechnikum in Zürich (die heutige ETH Zürich) als Professor für Archäologie und Kunstgeschichte berufen. Später arbeitete er außerdem als Vorsteher der allgemeinen philosophischen und staatswissenschaftlichen Abteilung des Polytechnikums.
1875 erhielt er das Bürgerrecht der Stadt Zürich.
Auch von der Schweiz aus bekämpfte er die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten in Deutschland und die Sozialistengesetze Bismarcks.
Ein Gedicht, das die Einstellung von Kinkel deutlich macht und mit dem er seine konservativen protestantischen Gegner verspottete, möchte ich hier einstellen:
Des Untertanen Glaubensbekenntnis
Stets nur treu und stets loyal
Und vor allem stets zufrieden,
So hat Gott es mir beschieden,
Folglich bleibt mir keine Wahl.
Ob des Staates alten Karren
Weise ziehen oder Narren,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Jeder Untertan und Christ
Weiß den Dienst und dass daneben
Mit dem Staat sich abzugeben
Keineswegs ersprießlich ist.
Wer nicht herrscht, hört zu den Dummen,
Aber warum sollt ich brummen?
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Ob ich aller Völker Hohn,
Weil auf Deutschlands beiden Küsten
Sich nur fremde Flaggen brüsten,
Christlich schweig ich still davon.
Denn zuerst geziemt dem Throne,
Dass die Frommen er belohne;
Folglich geht mich das nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Ob mein Nachbar Bauersmann,
Dem Kartoffeln nur noch blieben,
Wird von Haus und Hof getrieben,
Weil er nicht mehr leisten kann,
Was für ihre Heldentaten
Haben müssen die Soldaten,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Trotz der Arbeit Tag und Nacht
Kann ich nicht mein Leben fristen,
Weil man Konduitenlisten
Hinter meinem Rücken macht.
Aber ob ich kann bestehen,
Oder muss ich betteln gehen,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Red ich wohl ein bisschen frei,
Und wer tut das nicht beim Weine?
Bringen sie es rasch ins reine,
Denn sie stecken gleich mich bei.
Ob die Kinder schrein nach Brote,
Ob mein Weib sich grämt zu Tode,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Wenn nun endlich kommt der Russ'
Mit dem großen Ländersäckel,
Zieh ich höflich meinen Deckel
Ohne Grollen und Verdruss;
Denn fürwahr, das muss ich sagen,
Ich denk ihn nicht fortzujagen -
Alles das geht mich nichts an,
Denn ich bin ein Untertan
Gottfried Kinkel
Enigma
Um einer eventuellen Abmahnung zu entgehen, bliebe also nur ein Hinweis per Link auf Texte, die noch dem Urheberrechtsschutz unterliegen (oder - alternativ - die Einholung der Genehmigung des Verfassers oder sonstiger Rechte-Inhaber).
Aber auch ältere Texte, wie z.B. die der maßgeblichen Dichter und Schriftsteller des Vormärz oder einer Zeit danach können m.E. sehr interessant sein, weil sie oft den Boden für gesellschaftliche oder politische Veränderungen bereitet haben.
Zivilcourage war auch damals nicht ungefährlich und konnte das Leben derer, die den Mund aufmachten, von Grund auf verändern durch Verfolgung, Inhaftierung, Misshandlung und ähnliche Schikanen.
Einer, der viel riskierte und die Quittung dafür erhielt, war Johann Gottfried Kinkel, geboren am 11. August 1815 in Oberkassel, gestorben am 13. November 1882 in Zürich.
Kinkel war ein deutscher evangelischer Theologe und Politiker demokratischer Gesinnung,, der bereits durch seine Heirat mit einer geschiedenen Katholikin Aufsehen erregte.
Obwohl Johanna Mathieux, Komponistin und Pianistin und spätere Frau Kinkel, konvertierte, war Johann Gottfried Kinkel an der Theologischen Fakultät der Universität Bonn, an der er als Professor lehrte, nicht mehr tragbar und wurde in die Philosophische Fakultät zwangsversetzt.
Ab 1846 lehrte er dann als außerordentlicher Professor für Kunst- und Literaturgeschichte ebenfalls an der Universität Bonn.
Nebenher betätigte er sich auch als Schriftsteller.
In der Zeit des Vormärz entwickelte Kinkel sich zu einer der markantesten Gestalten der Demokratischen Bewegung.
1848 wurde er, inzwischen Redakteur der Bonner Zeitung, als Abgeordneter in die 2. Preußische Kammer gewählt und gehörte dort zu den sogenannten “äußersten Linken“.
Als 1848 in Deutschland die Revolution ausbrach, nahm er am badisch-pfälzischen Aufstand teil.
Dabei geriet er in preußische Gefangenschaft und wurde zunächst zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
Auf Initiative seiner Frau wurde Kinkel 1850 durch Carl Schurz aus der Festung Spandau befreit und ging zunächst nach London.
Dort wurde er zunächst Professor für Literaturgeschichte an einigen Colleges.
Ab 1861 hielt er im Auftrage der britischen Regierung Vorträge zur Kunstgeschiochte im South-Kensington-Museum und legte damit den Grundstein für das Unterrichtsfach “Kunstgeschichte” in Großbritannien.
1863 wurde er als Examinator an die Universität London berufen.
Carl Schurz, der gemeinsam mit Kinkel den Bonner Sozialdemokratischen Verein gegründet hatte, emigrierte nach Amerika und wurde dort später Innenminister.
1866 wurde Kinkel an das eidgenössische Polytechnikum in Zürich (die heutige ETH Zürich) als Professor für Archäologie und Kunstgeschichte berufen. Später arbeitete er außerdem als Vorsteher der allgemeinen philosophischen und staatswissenschaftlichen Abteilung des Polytechnikums.
1875 erhielt er das Bürgerrecht der Stadt Zürich.
Auch von der Schweiz aus bekämpfte er die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten in Deutschland und die Sozialistengesetze Bismarcks.
Ein Gedicht, das die Einstellung von Kinkel deutlich macht und mit dem er seine konservativen protestantischen Gegner verspottete, möchte ich hier einstellen:
Des Untertanen Glaubensbekenntnis
Stets nur treu und stets loyal
Und vor allem stets zufrieden,
So hat Gott es mir beschieden,
Folglich bleibt mir keine Wahl.
Ob des Staates alten Karren
Weise ziehen oder Narren,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Jeder Untertan und Christ
Weiß den Dienst und dass daneben
Mit dem Staat sich abzugeben
Keineswegs ersprießlich ist.
Wer nicht herrscht, hört zu den Dummen,
Aber warum sollt ich brummen?
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Ob ich aller Völker Hohn,
Weil auf Deutschlands beiden Küsten
Sich nur fremde Flaggen brüsten,
Christlich schweig ich still davon.
Denn zuerst geziemt dem Throne,
Dass die Frommen er belohne;
Folglich geht mich das nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Ob mein Nachbar Bauersmann,
Dem Kartoffeln nur noch blieben,
Wird von Haus und Hof getrieben,
Weil er nicht mehr leisten kann,
Was für ihre Heldentaten
Haben müssen die Soldaten,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Trotz der Arbeit Tag und Nacht
Kann ich nicht mein Leben fristen,
Weil man Konduitenlisten
Hinter meinem Rücken macht.
Aber ob ich kann bestehen,
Oder muss ich betteln gehen,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Red ich wohl ein bisschen frei,
Und wer tut das nicht beim Weine?
Bringen sie es rasch ins reine,
Denn sie stecken gleich mich bei.
Ob die Kinder schrein nach Brote,
Ob mein Weib sich grämt zu Tode,
Dieses geht mich gar nichts an,
Denn ich bin ein Untertan.
Wenn nun endlich kommt der Russ'
Mit dem großen Ländersäckel,
Zieh ich höflich meinen Deckel
Ohne Grollen und Verdruss;
Denn fürwahr, das muss ich sagen,
Ich denk ihn nicht fortzujagen -
Alles das geht mich nichts an,
Denn ich bin ein Untertan
Gottfried Kinkel
Enigma
Re: zeitkritische texte...gestern & heute
geschrieben von ehemaliges Mitglied
1919 geschrieben (Heinrich Manns 'Der Untertan' sogar vor 1914) und leider schon wieder brandaktuell:
Wiki(s)...
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untertan
--
Wolfgang
Der Untertan
[...]
So wollen wir kämpfen. Nicht gegen die Herrscher, die es immer geben wird, nicht gegen Menschen, die Verordnungen für andre machen, Lasten den andern aufbürden und Arbeit den andern. Wir wollen ihnen die entziehen, auf deren Rücken sie tanzten, die, die stumpfsinnig und immer zufrieden das Unheil dieses Landes verschuldet haben, die, die wir den Staub der Heimat von den beblümten Pantoffeln gerne schütteln sähen: die Untertanen!
aus... Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky), Die Weltbühne, 20.03.1919, Nr. 13, S. 317
[...]
So wollen wir kämpfen. Nicht gegen die Herrscher, die es immer geben wird, nicht gegen Menschen, die Verordnungen für andre machen, Lasten den andern aufbürden und Arbeit den andern. Wir wollen ihnen die entziehen, auf deren Rücken sie tanzten, die, die stumpfsinnig und immer zufrieden das Unheil dieses Landes verschuldet haben, die, die wir den Staub der Heimat von den beblümten Pantoffeln gerne schütteln sähen: die Untertanen!
aus... Ignaz Wrobel (Kurt Tucholsky), Die Weltbühne, 20.03.1919, Nr. 13, S. 317
Wiki(s)...
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untertan
--
Wolfgang
Georg Ludwig Weerth, geboren am 17. Februar 1822 in Detmold, gestorben am 30. Juli 1856 in Havanna/Kuba, war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker, Journalist und Kaufmann.
Mehr über sein Leben und Wirken - she. Linktipp!
1843 lernte er während einer Berufstätigkeit als Korrespondent für ein Wollunternehmen in Bradford/Yorkshire die Folgen der Industrialisierung, die Armut und Nöte der Arbeiter, kennen.
Diese Zeit prägte und politisierte ihn. Er schloss sich der Kommunistischen Bewegung an, und auch seine Gedichte wurden zunehmend politisch.
Engels soll später geschrieben haben: „Weerth, der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats“.
Eines seiner Gedichte stelle ich ein, das sogenannte „Hungerlied“, das im Jahre 1844 während der Weberaufstände entstand:
"Das Hungerlied (1844)
Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.
Und am Mittwoch mussten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not,
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!
Drum lass am Samstag backen
Das Brot, fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!"
Georg Weerth
Über den Linktipp ist dieses Gedicht in der Kurzbiografie unter “Werke” aufgeführt.
Wenn man es anklickt, öffnet sich eine Kurzinterpretation.
Aber es ist auch so deutlich formuliert, dass man es ohnehin verstehen kann, finde ich jedenfalls.
Enigma
Mehr über sein Leben und Wirken - she. Linktipp!
1843 lernte er während einer Berufstätigkeit als Korrespondent für ein Wollunternehmen in Bradford/Yorkshire die Folgen der Industrialisierung, die Armut und Nöte der Arbeiter, kennen.
Diese Zeit prägte und politisierte ihn. Er schloss sich der Kommunistischen Bewegung an, und auch seine Gedichte wurden zunehmend politisch.
Engels soll später geschrieben haben: „Weerth, der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats“.
Eines seiner Gedichte stelle ich ein, das sogenannte „Hungerlied“, das im Jahre 1844 während der Weberaufstände entstand:
"Das Hungerlied (1844)
Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.
Und am Mittwoch mussten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not,
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!
Drum lass am Samstag backen
Das Brot, fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!"
Georg Weerth
Über den Linktipp ist dieses Gedicht in der Kurzbiografie unter “Werke” aufgeführt.
Wenn man es anklickt, öffnet sich eine Kurzinterpretation.
Aber es ist auch so deutlich formuliert, dass man es ohnehin verstehen kann, finde ich jedenfalls.
Enigma