Literatur Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von longtime
Ja, enigma!
Genau - von Thomas Mann: „Gerächt“!
Er ließ diese Kurzgeschichte am 11. August 1899 in der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ drucken:
Vgl.:Über Thomas Manns Geschichte "Gerächt"
Wer hier, in der ZEIT, nachliest, muss einen argen Scann-Fehler berichtigen, der der ZEIT passiert ist, weil sie alte Jahrgänge systematisch erfassen lässt, ohne Korrekturkontrolle:
Dort liest man oder frau als ersten Satz dieser Kurzgeschichte, TM-offiziell „novellistische Studie“ genannt:
„An die einfachsten und grundsätzlichsten Wihrheiten", sagte Anselm zu vorgerückter Stunde, „verschwendet das Leben manchmal die originellsten Belege."
Thomas Mann mit wirren Druckfehlern
Der wirkliche Thomas Mann: Der wahre Text leitet so ein:
„An die einfachsten und grundsätzlichsten Wahrheiten", sagte Anselm zu vorgerückter Stunde, „verschwendet das Leben manchmal die originellsten Belege."
*
Ich werde noch Stellung nehmen zu dieser besonderen Studie, in der einer selbständigen, gut ausgebildeten Frau ein „männliches Hirn“ attestiert, aber das ausdrücklich genannte Thema Emanzipation einem eigenartigen, männlichen Urteil unterworfen wird.
Genau - von Thomas Mann: „Gerächt“!
Er ließ diese Kurzgeschichte am 11. August 1899 in der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ drucken:
Vgl.:Über Thomas Manns Geschichte "Gerächt"
Wer hier, in der ZEIT, nachliest, muss einen argen Scann-Fehler berichtigen, der der ZEIT passiert ist, weil sie alte Jahrgänge systematisch erfassen lässt, ohne Korrekturkontrolle:
Dort liest man oder frau als ersten Satz dieser Kurzgeschichte, TM-offiziell „novellistische Studie“ genannt:
„An die einfachsten und grundsätzlichsten Wihrheiten", sagte Anselm zu vorgerückter Stunde, „verschwendet das Leben manchmal die originellsten Belege."
Thomas Mann mit wirren Druckfehlern
Der wirkliche Thomas Mann: Der wahre Text leitet so ein:
„An die einfachsten und grundsätzlichsten Wahrheiten", sagte Anselm zu vorgerückter Stunde, „verschwendet das Leben manchmal die originellsten Belege."
*
Ich werde noch Stellung nehmen zu dieser besonderen Studie, in der einer selbständigen, gut ausgebildeten Frau ein „männliches Hirn“ attestiert, aber das ausdrücklich genannte Thema Emanzipation einem eigenartigen, männlichen Urteil unterworfen wird.
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von enigma
Hallo Longtime,
das ist ja eine ganz eigenartige Geschichte, und ich bin auf eine Analyse von Dir sehr gespannt.
Ich habe mich natürlich auch gefragt, was T.M. damit sagen wollte.
Warum musste ein Mann, der den geistigen Austausch mit einer Frau genießt, ihr sagen, dass er sie als Frau nicht begehrt, weil er sie als unattraktiv empfindet?
Das war doch eine ganz und gar unnötige Beleidigung.
Erst als sie ihm von einem Liebesabenteuer erzählt, will er sie nun auch erobern.
Ist das ein Versuch der Demütigung, weil sie schließlich auch nicht besser oder anders ist als die anderen Frauen?
Und wo bleibt die Freude an ihrem Geist, an dem Austausch, wenn er sie so “klein machen” will?
Aber die Frau hat das durchschaut und übt durch ihre Ablehnung m.E. subtile Rache.
Ich bin aber, wie gesagt, sehr neugierig, was Du dazu sagen wirst.
Gruß von Enigma
das ist ja eine ganz eigenartige Geschichte, und ich bin auf eine Analyse von Dir sehr gespannt.
Ich habe mich natürlich auch gefragt, was T.M. damit sagen wollte.
Warum musste ein Mann, der den geistigen Austausch mit einer Frau genießt, ihr sagen, dass er sie als Frau nicht begehrt, weil er sie als unattraktiv empfindet?
Das war doch eine ganz und gar unnötige Beleidigung.
Erst als sie ihm von einem Liebesabenteuer erzählt, will er sie nun auch erobern.
Ist das ein Versuch der Demütigung, weil sie schließlich auch nicht besser oder anders ist als die anderen Frauen?
Und wo bleibt die Freude an ihrem Geist, an dem Austausch, wenn er sie so “klein machen” will?
Aber die Frau hat das durchschaut und übt durch ihre Ablehnung m.E. subtile Rache.
Ich bin aber, wie gesagt, sehr neugierig, was Du dazu sagen wirst.
Gruß von Enigma
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von longtime
Ja, das beleidigende Verhalten dieses "Künstlers" wird deutlich; nach der "Rache" als unerwartete Ablehnung des männlichen Sex-Begehrens! - Und dass TM daraus eine Geschichte macht, heißt ja wohl, dass nicht er als Mann oder Suchender dieser "Anselm" ist, der da eine Frau (ein "Weib", ein "Frauenzimmer") grob missverstanden hat.
Eine eigenartige Geschichte, die zwar das Gespräch über Emanzipation zwischen einem jungen Künstler und einer Frau, die Weib oder Frauenzimmer genannt wird, offiziell, standesmäßig aber ein „Fräulein“ ist.
Von „entfleischter Brunst“ spricht sie wohl, ohne zweideutiges Interesse; und der junge „Gimpel“, so die nachträgliche Selbstkritik des Erzählers, ist der, das missversteht.
Seine durch das Wissen, dass sie sich schon von einem Mann hat „anmachen“ lassen, und durch den Rotwein-Konsum herausgeforderte Männlichkeit weckt seine sexuellen „Tätlichkeiten“ – was immer er da versucht hat, ihr an die Wäsche zu gehen – zeigen, dass das Thema Emanzipation von ihm nur dazu benutzt wird, eine unerwartete, „geile“ Gelegenheit zu nutzen.
Nur: Die Dame ist nicht darauf eingestellt. Das „Männliche“ im Kopf bei ihr, verhindert wohl, dass sie sich pur weiblich hingibt, wie der Mann es hier will; ohne eine emotionale Beziehung zu suchen und um sie zu werben.
Dazu ein Resümee im Thomas-Mann-Forum:
Sabine Haftenberger zu „Gerächt“: Kommentar, erstellt am 24.05.2005:
„Das Lesen der novellistischen Studie "Gerächt" hat sehr zwiespältige Gefühle in mir wachgerufen. Mich trifft doch sehr die erbarmungslose Offenheit, der sich der Erzähler uncharmanterweise gegenüber Dunja bedient. Ihr aufgeklärter Geist ist ihm willkommen in seinen persönlichen Turbulenzen, aber eine körperliche Spannung zwischen Mann und Frau wird ihm gerade hier so unerträglich, daß er sich im Schutz von intellektueller Abgeklärtheit zu plumper Beleidigung hinreißen läßt. Als er dann aber im Gegenzug zu hören bekommt, daß sie kein blaustrümpfig unbeschriebenes Blatt mehr ist, geht er in seinem Hang zu Demütigung so weit, sie nun gleich selbst zu begehren. Sie ist ja doch nicht reiner als die Anderen, wozu noch zurückschrecken, ist sie ja auch nur ein Weib aus Leib und Lust! Und das alles für einen Bankbeamten, der in den Augen seiner Überheblichkeit doch lediglich eine Beleidigung des guten Geschmacks darstellt! Plötzlich schreckt nun auch die Häßlichkeit nicht mehr, der "Triumph des Geistes" scheint wie weggeblasen - aber warum nur? Warum läßt er sich nicht mit Takt und Fingerspitzengefühl retten, solange es beiden Spaß macht? Es gibt doch nichts Schöneres, als sich mit einem Mann, der nichts fordert als gegenseitiges Vertrauen, tiefsinnig über die Liebe zu unterhalten! Oder gibt es so etwas gar nicht? Unser Held versagt dabei kläglich, und ich leide mit Dunja. Vielleicht war das Hellgrün ihrer Augen ja doch nur der ganz alltägliche Reiz einer auffällig schönen Dame! [Um einige Tippfehler bereinigt.]
Zu "Gerächt" im TM-Forum*
Eine Geschichte, die ich nicht ganz eindeutig finde:
Der ironisch gewandte TM kritisiert also nicht nur die weibliche, geistige, gesprächsweis funktionierende Emanzipation, die er wohl als Geschwätz gewertet wissen will, verurteilt die Frau aber nicht als "nuttig"; und warnt junge „Gimpel“ seiner künstlerischen Zunft, für sich und seine Sexbedürfnisse daraus die Folgerung zu ziehen, dass eine „emanzipierte“ Frau einfach und billig zu haben ist?? (Im Gegensatz zu käuflichen Damen, die zwar hier nicht erwähnt sind; aber im Suff immer genutzt wurden als künstlerische Beigabe...?)
Eine eigenartige Geschichte, die zwar das Gespräch über Emanzipation zwischen einem jungen Künstler und einer Frau, die Weib oder Frauenzimmer genannt wird, offiziell, standesmäßig aber ein „Fräulein“ ist.
Von „entfleischter Brunst“ spricht sie wohl, ohne zweideutiges Interesse; und der junge „Gimpel“, so die nachträgliche Selbstkritik des Erzählers, ist der, das missversteht.
Seine durch das Wissen, dass sie sich schon von einem Mann hat „anmachen“ lassen, und durch den Rotwein-Konsum herausgeforderte Männlichkeit weckt seine sexuellen „Tätlichkeiten“ – was immer er da versucht hat, ihr an die Wäsche zu gehen – zeigen, dass das Thema Emanzipation von ihm nur dazu benutzt wird, eine unerwartete, „geile“ Gelegenheit zu nutzen.
Nur: Die Dame ist nicht darauf eingestellt. Das „Männliche“ im Kopf bei ihr, verhindert wohl, dass sie sich pur weiblich hingibt, wie der Mann es hier will; ohne eine emotionale Beziehung zu suchen und um sie zu werben.
Dazu ein Resümee im Thomas-Mann-Forum:
Sabine Haftenberger zu „Gerächt“: Kommentar, erstellt am 24.05.2005:
„Das Lesen der novellistischen Studie "Gerächt" hat sehr zwiespältige Gefühle in mir wachgerufen. Mich trifft doch sehr die erbarmungslose Offenheit, der sich der Erzähler uncharmanterweise gegenüber Dunja bedient. Ihr aufgeklärter Geist ist ihm willkommen in seinen persönlichen Turbulenzen, aber eine körperliche Spannung zwischen Mann und Frau wird ihm gerade hier so unerträglich, daß er sich im Schutz von intellektueller Abgeklärtheit zu plumper Beleidigung hinreißen läßt. Als er dann aber im Gegenzug zu hören bekommt, daß sie kein blaustrümpfig unbeschriebenes Blatt mehr ist, geht er in seinem Hang zu Demütigung so weit, sie nun gleich selbst zu begehren. Sie ist ja doch nicht reiner als die Anderen, wozu noch zurückschrecken, ist sie ja auch nur ein Weib aus Leib und Lust! Und das alles für einen Bankbeamten, der in den Augen seiner Überheblichkeit doch lediglich eine Beleidigung des guten Geschmacks darstellt! Plötzlich schreckt nun auch die Häßlichkeit nicht mehr, der "Triumph des Geistes" scheint wie weggeblasen - aber warum nur? Warum läßt er sich nicht mit Takt und Fingerspitzengefühl retten, solange es beiden Spaß macht? Es gibt doch nichts Schöneres, als sich mit einem Mann, der nichts fordert als gegenseitiges Vertrauen, tiefsinnig über die Liebe zu unterhalten! Oder gibt es so etwas gar nicht? Unser Held versagt dabei kläglich, und ich leide mit Dunja. Vielleicht war das Hellgrün ihrer Augen ja doch nur der ganz alltägliche Reiz einer auffällig schönen Dame! [Um einige Tippfehler bereinigt.]
Zu "Gerächt" im TM-Forum*
Eine Geschichte, die ich nicht ganz eindeutig finde:
Der ironisch gewandte TM kritisiert also nicht nur die weibliche, geistige, gesprächsweis funktionierende Emanzipation, die er wohl als Geschwätz gewertet wissen will, verurteilt die Frau aber nicht als "nuttig"; und warnt junge „Gimpel“ seiner künstlerischen Zunft, für sich und seine Sexbedürfnisse daraus die Folgerung zu ziehen, dass eine „emanzipierte“ Frau einfach und billig zu haben ist?? (Im Gegensatz zu käuflichen Damen, die zwar hier nicht erwähnt sind; aber im Suff immer genutzt wurden als künstlerische Beigabe...?)
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von enigma
Danke, Longtime,
also ein Lehrstück von TM für junge Intellektuelle, wie man es bei emanzipierten Frauen nicht machen sollte?
Wenn auch Thomas Mann nicht so viel von emanzipierten Frauen und ihrem Gerede hielt, so hat er aber doch seine literarische Figur Dunja Stegemann sich auch emanzipiert verhalten und nicht nur reden lassen. Wenn allerdings “Anselm” nicht eine Abfuhr erhalten hätte, wäre die Botschaftja auch ins Leere gelaufen.
Aber der, in seiner jugendlich-unreifen Überheblichkeit, fühlte sich ja offenbar als der alles überragende Intellektuelle, der die Affäre mit einem Bankbeamten für so banal hielt, dass er sich wohl kaum vorstellen konnte, dass man im Vergleich mit einem so spießigen Mann ihn ablehnen könnte.
Mal ganz abgesehen von dem Trieb, der ihn dann übermannte.
Ich hatte sogar zunächst gedacht, dass die Frau die Geschichte mit ihrer Liebschaft nur erfunden hatte, um dem Mann seine Taktlosigkeit im Hinblick auf ihr Äußeres heimzuzahlen.
Aber das gibt die Geschichte wohl nicht her, außer der Erwähnung des spöttischen Lächelns, mit dem sie geht.
Danke und Gruß
Enigma
PS
Ich werde auch wieder etwas einstellen.
also ein Lehrstück von TM für junge Intellektuelle, wie man es bei emanzipierten Frauen nicht machen sollte?
Wenn auch Thomas Mann nicht so viel von emanzipierten Frauen und ihrem Gerede hielt, so hat er aber doch seine literarische Figur Dunja Stegemann sich auch emanzipiert verhalten und nicht nur reden lassen. Wenn allerdings “Anselm” nicht eine Abfuhr erhalten hätte, wäre die Botschaftja auch ins Leere gelaufen.
Aber der, in seiner jugendlich-unreifen Überheblichkeit, fühlte sich ja offenbar als der alles überragende Intellektuelle, der die Affäre mit einem Bankbeamten für so banal hielt, dass er sich wohl kaum vorstellen konnte, dass man im Vergleich mit einem so spießigen Mann ihn ablehnen könnte.
Mal ganz abgesehen von dem Trieb, der ihn dann übermannte.
Ich hatte sogar zunächst gedacht, dass die Frau die Geschichte mit ihrer Liebschaft nur erfunden hatte, um dem Mann seine Taktlosigkeit im Hinblick auf ihr Äußeres heimzuzahlen.
Aber das gibt die Geschichte wohl nicht her, außer der Erwähnung des spöttischen Lächelns, mit dem sie geht.
Danke und Gruß
Enigma
PS
Ich werde auch wieder etwas einstellen.
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von cecile
Gerade habe ich "Gerächt" gelesen - mit allen Druckfehlern inklusive - und mein erster Eindruck ist:
Diese - für mich erstaunlicherweise auch für einen jungen TM etwas "hingeworfene" Erzählung ist - wenigstens auf den ersten Blick - kein Lehrstück irgendwelcher Art, sondern nur eine literarisch verarbeitete Hilflosigkeit gegenüber einer "selbstständig und frei denkenden" Frau - eigentlich typisch Mann (Thomas Mann, natürlich! )
Erinnerungen kommen hoch an die ungezwungene Russin im Zauberberg - die hat den Helden und sein Frauenbild ja auch ganz schön irritiert ...
So richtig enthüllend fand ich den Satz Hier war ein Weib mit vollkommen männlich gebildetem Hirn.
Und dieser Satz läßt mich nun wieder an einen Ausspruch Tucholskys denken : "Sie (Claire Waldoff) hat Humor wie ein dicker Mann" ... ach ja, seufz!
Trotzdem: Danke, Longtime, für diese kuriose Mann-Erzählung, die mir vollkommen unbekannt war.
Cécile
Diese - für mich erstaunlicherweise auch für einen jungen TM etwas "hingeworfene" Erzählung ist - wenigstens auf den ersten Blick - kein Lehrstück irgendwelcher Art, sondern nur eine literarisch verarbeitete Hilflosigkeit gegenüber einer "selbstständig und frei denkenden" Frau - eigentlich typisch Mann (Thomas Mann, natürlich! )
Erinnerungen kommen hoch an die ungezwungene Russin im Zauberberg - die hat den Helden und sein Frauenbild ja auch ganz schön irritiert ...
So richtig enthüllend fand ich den Satz Hier war ein Weib mit vollkommen männlich gebildetem Hirn.
Und dieser Satz läßt mich nun wieder an einen Ausspruch Tucholskys denken : "Sie (Claire Waldoff) hat Humor wie ein dicker Mann" ... ach ja, seufz!
Trotzdem: Danke, Longtime, für diese kuriose Mann-Erzählung, die mir vollkommen unbekannt war.
Cécile
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von cecile
Nachtrag zu Tucholsky - die Editierzeit ist leider schon abgelaufen:
Es war natürlich Irmgard Keun, der Tucholsky einen "dicken-Mann-Humor" bescheinigte .... die irrtümlich "stehengebliebene" Claire Waldoff, die ich zuerst als Beispiel bringen wollte, hatte es in seinen Augen unter anderem nur zum "frechen Schusterjungen" gebracht - aber auch hier waren alle Komplimente bezeichnenderweise im männlichen Bereich angesiedelt.
Sorry - man sollte sich wirklich mehr Zeit nehmen ...
Cécile
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von enigma
Hallo Cécile,
ich finde es sehr schön, dass Du wieder mal dabei bist und würde es noch schöner finden, wenn Deine Beteiligung an den literarischen Themen anhalten würde.
Da ist es Longtime wieder einmal gelungen, uns einen Beitrag anzubieten, der zu ausgiebigen Diskussionen und Deutungsversuchen Anlass gibt.
Die Geschichte hat mich auch noch nicht losgelassen, und so habe ich weiter gesucht, ob mir doch noch etwas in die Hände fällt, das evtl. zur weiteren Erhellung der Umstände, die mit dem Erscheinen, besser gesagt Nichterscheinen, dieser lange Zeit unbekannt gebliebenen Geschichte beitragen kann.
Ich habe auch etwas gefunden, in einem Thomas Mann Jahrbuch Bd. 9, das auszugsweise von “Google Bücher“ im Internet eingestellt wurde.
Dort ist zu lesen, dass, wie wir schon wissen, “Gerächt” zu Lebzeiten von Thomas Mann in keinen Novellenband aufgenommen wurde.
Ebenso ist zu lesen, dass TM bereits zu dieser frühen Zeit dieser novellistischen Studie mit kritischer Distanz gegenüberstand und sie sogar als “minderwertig” bezeichnet haben soll.
Jetzt aber kommt die eigentliche Überraschung, jedenfalls für mich:
Es wird an dieser Stelle auch vermutet, dass TM sich mit der Geschichte “Gerächt” an zwei kurze Geschichten der “Profils perdus” (1884) von Paul Bourget (mit dem er befreundet war) mit dem Titel “Amitié de femme” und “Ancien portrait” angelehnt haben und diese stofflich vermischt und die Handlung der zweiten Geschichte auf seine Weise fortgeführt haben soll.
Weiter wird behauptet, dass TM hier “bewusst ironisch” (die Ironie wurde ja auch von Longtime hervorgehoben) auf Bourgets Romane mit dem immer wiederkehrenden Thema “Die Liebe beim Mann und beim Weibe” anspielte.
Außerdem wird ausgeführt, dass bei den beiden Erzählungen Bourgets, die Thomas Mann in “Gerächt” verarbeitete, “auf die Hervorhebung der Herrschaft der unterdrückten Sinnlichkeit angesichts einer vermeintlichen Geistigkeit” abzielten.
Aber man muss das wahrscheinlich im Gesamtzusammenhang lesen.
Vielleicht interessiert das, darum hier der Link:
Thomas Mann und Paul Bourget:
Auf baldiges Wiederlesen mit den Literaturfreunden.
ich finde es sehr schön, dass Du wieder mal dabei bist und würde es noch schöner finden, wenn Deine Beteiligung an den literarischen Themen anhalten würde.
Da ist es Longtime wieder einmal gelungen, uns einen Beitrag anzubieten, der zu ausgiebigen Diskussionen und Deutungsversuchen Anlass gibt.
Die Geschichte hat mich auch noch nicht losgelassen, und so habe ich weiter gesucht, ob mir doch noch etwas in die Hände fällt, das evtl. zur weiteren Erhellung der Umstände, die mit dem Erscheinen, besser gesagt Nichterscheinen, dieser lange Zeit unbekannt gebliebenen Geschichte beitragen kann.
Ich habe auch etwas gefunden, in einem Thomas Mann Jahrbuch Bd. 9, das auszugsweise von “Google Bücher“ im Internet eingestellt wurde.
Dort ist zu lesen, dass, wie wir schon wissen, “Gerächt” zu Lebzeiten von Thomas Mann in keinen Novellenband aufgenommen wurde.
Ebenso ist zu lesen, dass TM bereits zu dieser frühen Zeit dieser novellistischen Studie mit kritischer Distanz gegenüberstand und sie sogar als “minderwertig” bezeichnet haben soll.
Jetzt aber kommt die eigentliche Überraschung, jedenfalls für mich:
Es wird an dieser Stelle auch vermutet, dass TM sich mit der Geschichte “Gerächt” an zwei kurze Geschichten der “Profils perdus” (1884) von Paul Bourget (mit dem er befreundet war) mit dem Titel “Amitié de femme” und “Ancien portrait” angelehnt haben und diese stofflich vermischt und die Handlung der zweiten Geschichte auf seine Weise fortgeführt haben soll.
Weiter wird behauptet, dass TM hier “bewusst ironisch” (die Ironie wurde ja auch von Longtime hervorgehoben) auf Bourgets Romane mit dem immer wiederkehrenden Thema “Die Liebe beim Mann und beim Weibe” anspielte.
Außerdem wird ausgeführt, dass bei den beiden Erzählungen Bourgets, die Thomas Mann in “Gerächt” verarbeitete, “auf die Hervorhebung der Herrschaft der unterdrückten Sinnlichkeit angesichts einer vermeintlichen Geistigkeit” abzielten.
Aber man muss das wahrscheinlich im Gesamtzusammenhang lesen.
Vielleicht interessiert das, darum hier der Link:
Thomas Mann und Paul Bourget:
Auf baldiges Wiederlesen mit den Literaturfreunden.
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von longtime
Grüße an Cecile und enigma!
Der Beitrag von enigma zu TM.s „Gerächt“ ist sehr interessant. Toll ermittelt und vorgestellt! Danke!
Ich hatte noch aus der TM-Forschung gefunden:
HANS R. VAGET:
(in: Thomas-Mann-Handbuch. Hg. v. H. Koopmann. Ffm. 2005. Fitabu 16610. S. 554)
"Ein pessimistisches, ja zynisches Verhältnis zum Erotischen steht auch in der für den Simplicissimus geschriebenen 'novellistischen Studie' (VIII, 1110) 'Gerächt' im Mittelpunkt. Sie ist von einfacher Machart und stützt sich auf die Gesprächsform und szenische Gestaltung. Thomas Mann knüpft an das Thema der Frauenemanzipation in Gefallen an. Wie dort; bildet eine Abendunterhaltung unter Männern den Rahmen. Der Erzähler läßt hier jedoch Selbstironie erkennen, wenn er seine Blamage einen der 'originellsten Belege' (VIII, 162) für eine selbstverständliche Wahrheit nennt - der Wahrheit nämlich, daß auch emanzipierte, intellektuelle und vermeintlich reizlose Frauen ein Geschlechtsleben haben. Was sich hier rächt, ist die geleugnete Sinnlichkeit und zwar an der platonischen, vermeintlich reimen Geistigkeit - eines der zentralen Themen Thomas Manns. Bemerkenswert ist in erster Linie die Gestalt der Dunja Stegmann, eine Präfiguration der Lisaweta Iwanowna im 'Tonio Kröger'.
Beide sind ältere, intellektuell überlegene Frauen, die ihre männlichen Kameraden erledigen - Lisaweta, indem sie Kröger als einen verirrten Bürger diagnostiziert, Dunja, indem sie den noch gimpelhaften Anselm seiner ganz gewöhnlichem Sinnlichkeit überlegen ironisch überführt.“
*
Den ersten Satz des Autors finde ich einfach unsinnig formuliert:
Ein pessimistisches, ja zynisches Verhältnis zum Erotischen steht auch in der für den „Simplicissimus“ geschriebenen »novellistischen Studie« „Gerächt“.
M.E.s könnte es so heißen,um die Intention des Dichters zu kennzeichnen:
TM gestaltet in "Gerächt" eine kritische Perspektive auf die um 1900 sich in privaten Zirkeln eröffnende Diskussion über Emanzipation und Sexualität, indem er einen Schnösel („Gimpel“) einen unangemessene sexuelle Forderung an eine Frau richtet, die sich in der Diskussion als attraktiv zeigt, obwohl sie in den Augen und nach dem männlichen Geschmack des „Gimpels“ Anselm körperlich von geradezu abweisender Hässlichkeit ist; was den „Mann" nicht stört, von ihr Sex zu verlangen, zu seiner spontanen, körperlichen Befriedigung, ohne an einer personalen Beziehung zu der Frau interessiert zu sein.
Der Beitrag von enigma zu TM.s „Gerächt“ ist sehr interessant. Toll ermittelt und vorgestellt! Danke!
Ich hatte noch aus der TM-Forschung gefunden:
HANS R. VAGET:
(in: Thomas-Mann-Handbuch. Hg. v. H. Koopmann. Ffm. 2005. Fitabu 16610. S. 554)
"Ein pessimistisches, ja zynisches Verhältnis zum Erotischen steht auch in der für den Simplicissimus geschriebenen 'novellistischen Studie' (VIII, 1110) 'Gerächt' im Mittelpunkt. Sie ist von einfacher Machart und stützt sich auf die Gesprächsform und szenische Gestaltung. Thomas Mann knüpft an das Thema der Frauenemanzipation in Gefallen an. Wie dort; bildet eine Abendunterhaltung unter Männern den Rahmen. Der Erzähler läßt hier jedoch Selbstironie erkennen, wenn er seine Blamage einen der 'originellsten Belege' (VIII, 162) für eine selbstverständliche Wahrheit nennt - der Wahrheit nämlich, daß auch emanzipierte, intellektuelle und vermeintlich reizlose Frauen ein Geschlechtsleben haben. Was sich hier rächt, ist die geleugnete Sinnlichkeit und zwar an der platonischen, vermeintlich reimen Geistigkeit - eines der zentralen Themen Thomas Manns. Bemerkenswert ist in erster Linie die Gestalt der Dunja Stegmann, eine Präfiguration der Lisaweta Iwanowna im 'Tonio Kröger'.
Beide sind ältere, intellektuell überlegene Frauen, die ihre männlichen Kameraden erledigen - Lisaweta, indem sie Kröger als einen verirrten Bürger diagnostiziert, Dunja, indem sie den noch gimpelhaften Anselm seiner ganz gewöhnlichem Sinnlichkeit überlegen ironisch überführt.“
*
Den ersten Satz des Autors finde ich einfach unsinnig formuliert:
Ein pessimistisches, ja zynisches Verhältnis zum Erotischen steht auch in der für den „Simplicissimus“ geschriebenen »novellistischen Studie« „Gerächt“.
M.E.s könnte es so heißen,um die Intention des Dichters zu kennzeichnen:
TM gestaltet in "Gerächt" eine kritische Perspektive auf die um 1900 sich in privaten Zirkeln eröffnende Diskussion über Emanzipation und Sexualität, indem er einen Schnösel („Gimpel“) einen unangemessene sexuelle Forderung an eine Frau richtet, die sich in der Diskussion als attraktiv zeigt, obwohl sie in den Augen und nach dem männlichen Geschmack des „Gimpels“ Anselm körperlich von geradezu abweisender Hässlichkeit ist; was den „Mann" nicht stört, von ihr Sex zu verlangen, zu seiner spontanen, körperlichen Befriedigung, ohne an einer personalen Beziehung zu der Frau interessiert zu sein.
Re: Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel nach einer Wochenendlektüre
geschrieben von enigma
Hallo Longtime,
ja, so überzeugt es mich.
Ich überlege noch, was ich jetzt einstelle.
Das kann aber etwas dauern, weil das Wetter so schön ist.
Wer also einen passenden Text hat, der darf mir sehr gerne zuvorkommen.
Gruß, Enigma
ja, so überzeugt es mich.
Ich überlege noch, was ich jetzt einstelle.
Das kann aber etwas dauern, weil das Wetter so schön ist.
Wer also einen passenden Text hat, der darf mir sehr gerne zuvorkommen.
Gruß, Enigma
Welcher Hund wird hier gesucht?
(Ich habe ihm einen falschen Namen gegeben, der aber in Beziehung zum Originalnamen steht...)
"Aber Hühnerhund her und Pinscher hin - welch ein schönes und gutes Tier ist Bastian auf jeden Fall, wie er da straff an mein Knie gelehnt steht und mit tief gesammelter Hingabe zu mir emporblickt! Namentlich das Auge ist schön, sanft und klug, wenn auch vielleicht ein wenig gläsern vortretend. Die Iris ist rostbraun - von der Farbe des Felles; doch bildet sie eigentlich nur einen schmalen Ring, vermöge einer gewaltigen Ausdehnung der schwarz spiegelnden Pupillen, und andererseits tritt ihre Färbung ins Weiße des Auges über und schwimmt darin. Der Ausdruck seines Kopfes, ein Ausdruck verständigen Biedersinnes, bekundet eine Männlichkeit seines moralischen Teiles, die sein Körperbau im Physischen wiederholt: der gewölbte Brustkorb, unter dessen glatt und geschmeidig anliegender Haut die Rippen sich kräftig abzeichnen, die eingezogenen Hüften, die nervicht geäderten Beine, die derben und wohlgebildeten Füße - dies alles spricht von Wackerkeit und viriler Tugend, es spricht von bäurischem Jägerblut, ja, der Jäger und Vorsteher waltet eben doch mächtig vor in Bastian Bildung, er ist ein rechtlicher Hühnerhund, wenn man mich fragt, obgleich er gewiß keinem Akte hochnäsiger Inzucht sein Dasein verdankt; und eben dies mag denn auch der Sinn der sonst ziemlich verworrenen und logisch ungeordneten Worte sein, die ich an ihn richte, während ich ihm das Schulterblatt klopfe."
Ein fast beliebiger Ausschnitt aus einem berühmten Text - von welchem Autor?
Und: Was soll der Namen Bastian hier ausdrücken?
(Ich habe ihm einen falschen Namen gegeben, der aber in Beziehung zum Originalnamen steht...)
"Aber Hühnerhund her und Pinscher hin - welch ein schönes und gutes Tier ist Bastian auf jeden Fall, wie er da straff an mein Knie gelehnt steht und mit tief gesammelter Hingabe zu mir emporblickt! Namentlich das Auge ist schön, sanft und klug, wenn auch vielleicht ein wenig gläsern vortretend. Die Iris ist rostbraun - von der Farbe des Felles; doch bildet sie eigentlich nur einen schmalen Ring, vermöge einer gewaltigen Ausdehnung der schwarz spiegelnden Pupillen, und andererseits tritt ihre Färbung ins Weiße des Auges über und schwimmt darin. Der Ausdruck seines Kopfes, ein Ausdruck verständigen Biedersinnes, bekundet eine Männlichkeit seines moralischen Teiles, die sein Körperbau im Physischen wiederholt: der gewölbte Brustkorb, unter dessen glatt und geschmeidig anliegender Haut die Rippen sich kräftig abzeichnen, die eingezogenen Hüften, die nervicht geäderten Beine, die derben und wohlgebildeten Füße - dies alles spricht von Wackerkeit und viriler Tugend, es spricht von bäurischem Jägerblut, ja, der Jäger und Vorsteher waltet eben doch mächtig vor in Bastian Bildung, er ist ein rechtlicher Hühnerhund, wenn man mich fragt, obgleich er gewiß keinem Akte hochnäsiger Inzucht sein Dasein verdankt; und eben dies mag denn auch der Sinn der sonst ziemlich verworrenen und logisch ungeordneten Worte sein, die ich an ihn richte, während ich ihm das Schulterblatt klopfe."
Ein fast beliebiger Ausschnitt aus einem berühmten Text - von welchem Autor?
Und: Was soll der Namen Bastian hier ausdrücken?