Literatur Wieder einmal angezeigt: ein literarisches Rätsel
könnte es der Hund Bauschan von Thomas Mann aus " Herr und Hund" sein? herzlich circe
Hallo Longtime,
bist Du noch bei Thomas Mann und “Bauschan” , wie hier zu erlesen ist?
Gruß zum Abend
Enigma
PS
Sorry, Circe, da warst Du mir ja schon zuvorgekommen.
bist Du noch bei Thomas Mann und “Bauschan” , wie hier zu erlesen ist?
Gruß zum Abend
Enigma
PS
Sorry, Circe, da warst Du mir ja schon zuvorgekommen.
Re: Von einem Hund bei Th. Mann und einem "Jung-Bauschan" bei Fritz Reuter:
geschrieben von longtime
Ja, danke fürs Mispielen, liebe Circe und enigma!
Stimmt alles! Prima!
*
Hier wenigstens die Einleitung zur Novelle von Thomas Mann: „Herr und Hund“ (... weil der Gesamttext erst zum 01.01.2026 gemeinfrei wird):
„Wenn die schöne Jahreszeit ihrem Namen Ehre macht und das Tirili der Vögel mich zeitig wecken konnte, weil ich den vorigen Tag zur rechten Stunde beendigte, gehe ich gern schon vor der ersten Mahlzeit und ohne Hut auf eine halbe Stunde ins Freie, in die Allee vorm Hause oder auch in die weiteren Anlagen, um von der jungen Morgenluft einige Züge zu tun und, bevor die Arbeit mich hinnimmt, an den Freuden der reinen Frühe ein wenig teilzuhaben. Auf den Stufen, welche zur Haustüre führen, lasse ich dann einen Pfiff von zwei Tönen hören, Grundton und tiefere Quart, so, wie die Melodie des zweiten Satzes von Schuberts unvollendeter Sinfonie beginnt, - ein Signal, das etwa als die Vertonung eines zweisilbigen Rufnamens gelten kann. Schon im nächsten Augenblick, während ich gegen die Gartenpforte weitergehe, wird in der Ferne, kaum hörbar zuerst, doch rasch sich nähernd und verdeutlichend, ein feines Klingeln laut, wie es entstehen mag, wenn eine Polizeimarke gegen den Metallbeschlag eines Halsbandes schlägt; und wenn ich mich umwende, sehe ich Bauschan in vollem Lauf um die rückwärtige Hausecke biegen und gerade auf mich zustürzen, als plane er, mich über den Haufen zu rennen. Vor Anstrengung schürzt er die Unterlippe ein wenig, so daß zwei, drei seiner unteren Vorderzähne entblößt sind und prächtig weiß in der frühen Sonne blitzen.
Er kommt aus seiner Hütte, die dort hinten unter dem Boden der auf Pfeilern ruhenden Veranda steht, und worin er, bis mein zweisilbiger Pfiff ihn aufs äußerste belebte, nach wechselvoll verbrachter Nacht in kurzem Morgenschlummer gelegen haben mag. Die Hütte ist mit Vorhängen aus derbem Stoff versehen und mit Stroh ausgelegt, woher es kommt, daß ein oder der andere Halm in Bauschans obendrein vom Liegen etwas struppigem Fell haftet oder sogar zwischen seinen Zehen steckt: ein Anblick, der mich jedesmal an den alten Grafen von Moor erinnert, wie ich ihn einst, in einer Aufführung von höchst akkurater Einbildungskraft, dem Hungerturme entsteigen sah, einen Strohhalm zwischen zwei Trikotzehen seiner armen Füße. Unwillkürlich stelle ich mich seitlich gegen den Heranstürmenden, in Abwehrpositur, denn seine Scheinabsicht, mir zwischen die Füße zu stoßen und mich zu Falle zu bringen, hat unfehlbare Täuschungskraft.
(...)
*
Der Hund heißt natürlich „Bauschan“; der Name stammt aus Fritz Reuters Lebens-Roman „Ut mine Stromtid“ und gilt als eine Dialekt-Verballhornung von Bastian.
Im „Kapittel 13“ (als Inhaltsangabe) heißt es bei Reuter:
Wenn Einer ut en Preister=Bedd in Preister Kledaschen ‘rinnen kümmt. –Worüm Braesig de ganzen Welt an sin Hart drücken wull, un worüm dat unner em knacken würd. – Wat Hawermann sick üm ‘ne Sak kümmert, de em eigentlich gor nich angeiht. – Worüm Jung‘=Jochen un Jung‘=Bauschan sick ankeken, un wat dat för en Enn‘ för Jung‘=Bauschanen namm un för en Enn‘ för den irsten Deil un von des‘ Geschicht.
*
Im Kapitel 13 lautet es dann so, niederdeutsch:
"De Eier praetelten noch in den Degel - 't was recht feierlich - aewer Jung'=Jochen rögte sick nich. Was dat nu, wil hei sine Pip Toback noch nich ut hadd, de doch irst beschafft sin müßt, oder was dat nu, wil hei in en Bedenken satt aewer de beiden Breiw', de hei up den Schot tau liggen hadd; kortüm, hei rögte sick nich, un kek up ein Flag, blot up dit eine Flag. Un up dit eine Flagg, unner den Aben, ganz dicht bi em, lagg Jung'=Bauschan un kek em ok an. - Jung'=Bauschan was de jüngste Nahkam' von dat ganze Bauschan=Geslecht, wat sörre Oll=Jochen sine Tid in den Hus' upfött un anbännigt worden was; wenn hei anred't würd, würd hei 'Bauschan' raupen, wenn aewer von em red't würd, denn würd hei 'de Thronfolger' näumt, nich üm sinentwillen, ne üm Jochen sinentwillen, wil dit - so vel sick Minschen entsinnen kunnen - de einzigste Witz was, den hei mal in 'ne gaude Stunn' farig kregen hadd."
„Ut mine Stromtid“ (Aus meiner Volontärszeit), 1862; Neuauflage: Hinstorff, 2008.
Als hochdeutsche Ausgabe heißt es „Das Leben auf dem Lande“.
Dieser Mischling von Hühnerhund und Pinscher war einer der Lieblingshunde Thomas Manns und das einzige seiner Tiere, das er zu Titel und Thema eines seiner Werke machte.
Also: Thomas Manns Herr und Hund (1919), als Buch 1922 erschienen.
Vgl. Die Vorstellung zum 6.6.2010 bei romenu.be - mit den Bildern von „Herrn „Thomas“ und „Hund“ Bauschan in Gmund am Tegernsee.
Als Denkmal: Herr und Hund
*
Weiter im Text....?
Hat jemand Lust, zum Thema Hund Texte (Gedichte, Erzählungen (in Ausschnitt oder Hinweisen), einzustellen - also zum beliebtesten Tier als "Menschenflüsterer".
Ich werde mich heute Abend daran beteiligen.
*
Ach, auch diese Frage noch:
Was heißt übrigens "Tirli"; wie kann man es erklären?
Tja, jeder er-kennt es unmittelbar. Es muss ein rechtes Altwort sein, dass man es sofort erfasst...
Stimmt alles! Prima!
*
Hier wenigstens die Einleitung zur Novelle von Thomas Mann: „Herr und Hund“ (... weil der Gesamttext erst zum 01.01.2026 gemeinfrei wird):
„Wenn die schöne Jahreszeit ihrem Namen Ehre macht und das Tirili der Vögel mich zeitig wecken konnte, weil ich den vorigen Tag zur rechten Stunde beendigte, gehe ich gern schon vor der ersten Mahlzeit und ohne Hut auf eine halbe Stunde ins Freie, in die Allee vorm Hause oder auch in die weiteren Anlagen, um von der jungen Morgenluft einige Züge zu tun und, bevor die Arbeit mich hinnimmt, an den Freuden der reinen Frühe ein wenig teilzuhaben. Auf den Stufen, welche zur Haustüre führen, lasse ich dann einen Pfiff von zwei Tönen hören, Grundton und tiefere Quart, so, wie die Melodie des zweiten Satzes von Schuberts unvollendeter Sinfonie beginnt, - ein Signal, das etwa als die Vertonung eines zweisilbigen Rufnamens gelten kann. Schon im nächsten Augenblick, während ich gegen die Gartenpforte weitergehe, wird in der Ferne, kaum hörbar zuerst, doch rasch sich nähernd und verdeutlichend, ein feines Klingeln laut, wie es entstehen mag, wenn eine Polizeimarke gegen den Metallbeschlag eines Halsbandes schlägt; und wenn ich mich umwende, sehe ich Bauschan in vollem Lauf um die rückwärtige Hausecke biegen und gerade auf mich zustürzen, als plane er, mich über den Haufen zu rennen. Vor Anstrengung schürzt er die Unterlippe ein wenig, so daß zwei, drei seiner unteren Vorderzähne entblößt sind und prächtig weiß in der frühen Sonne blitzen.
Er kommt aus seiner Hütte, die dort hinten unter dem Boden der auf Pfeilern ruhenden Veranda steht, und worin er, bis mein zweisilbiger Pfiff ihn aufs äußerste belebte, nach wechselvoll verbrachter Nacht in kurzem Morgenschlummer gelegen haben mag. Die Hütte ist mit Vorhängen aus derbem Stoff versehen und mit Stroh ausgelegt, woher es kommt, daß ein oder der andere Halm in Bauschans obendrein vom Liegen etwas struppigem Fell haftet oder sogar zwischen seinen Zehen steckt: ein Anblick, der mich jedesmal an den alten Grafen von Moor erinnert, wie ich ihn einst, in einer Aufführung von höchst akkurater Einbildungskraft, dem Hungerturme entsteigen sah, einen Strohhalm zwischen zwei Trikotzehen seiner armen Füße. Unwillkürlich stelle ich mich seitlich gegen den Heranstürmenden, in Abwehrpositur, denn seine Scheinabsicht, mir zwischen die Füße zu stoßen und mich zu Falle zu bringen, hat unfehlbare Täuschungskraft.
(...)
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Der Hund heißt natürlich „Bauschan“; der Name stammt aus Fritz Reuters Lebens-Roman „Ut mine Stromtid“ und gilt als eine Dialekt-Verballhornung von Bastian.
Im „Kapittel 13“ (als Inhaltsangabe) heißt es bei Reuter:
Wenn Einer ut en Preister=Bedd in Preister Kledaschen ‘rinnen kümmt. –Worüm Braesig de ganzen Welt an sin Hart drücken wull, un worüm dat unner em knacken würd. – Wat Hawermann sick üm ‘ne Sak kümmert, de em eigentlich gor nich angeiht. – Worüm Jung‘=Jochen un Jung‘=Bauschan sick ankeken, un wat dat för en Enn‘ för Jung‘=Bauschanen namm un för en Enn‘ för den irsten Deil un von des‘ Geschicht.
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Im Kapitel 13 lautet es dann so, niederdeutsch:
"De Eier praetelten noch in den Degel - 't was recht feierlich - aewer Jung'=Jochen rögte sick nich. Was dat nu, wil hei sine Pip Toback noch nich ut hadd, de doch irst beschafft sin müßt, oder was dat nu, wil hei in en Bedenken satt aewer de beiden Breiw', de hei up den Schot tau liggen hadd; kortüm, hei rögte sick nich, un kek up ein Flag, blot up dit eine Flag. Un up dit eine Flagg, unner den Aben, ganz dicht bi em, lagg Jung'=Bauschan un kek em ok an. - Jung'=Bauschan was de jüngste Nahkam' von dat ganze Bauschan=Geslecht, wat sörre Oll=Jochen sine Tid in den Hus' upfött un anbännigt worden was; wenn hei anred't würd, würd hei 'Bauschan' raupen, wenn aewer von em red't würd, denn würd hei 'de Thronfolger' näumt, nich üm sinentwillen, ne üm Jochen sinentwillen, wil dit - so vel sick Minschen entsinnen kunnen - de einzigste Witz was, den hei mal in 'ne gaude Stunn' farig kregen hadd."
„Ut mine Stromtid“ (Aus meiner Volontärszeit), 1862; Neuauflage: Hinstorff, 2008.
Als hochdeutsche Ausgabe heißt es „Das Leben auf dem Lande“.
Dieser Mischling von Hühnerhund und Pinscher war einer der Lieblingshunde Thomas Manns und das einzige seiner Tiere, das er zu Titel und Thema eines seiner Werke machte.
Also: Thomas Manns Herr und Hund (1919), als Buch 1922 erschienen.
Vgl. Die Vorstellung zum 6.6.2010 bei romenu.be - mit den Bildern von „Herrn „Thomas“ und „Hund“ Bauschan in Gmund am Tegernsee.
Als Denkmal: Herr und Hund
*
Weiter im Text....?
Hat jemand Lust, zum Thema Hund Texte (Gedichte, Erzählungen (in Ausschnitt oder Hinweisen), einzustellen - also zum beliebtesten Tier als "Menschenflüsterer".
Ich werde mich heute Abend daran beteiligen.
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Ach, auch diese Frage noch:
Was heißt übrigens "Tirli"; wie kann man es erklären?
Tja, jeder er-kennt es unmittelbar. Es muss ein rechtes Altwort sein, dass man es sofort erfasst...
Hallo Longtime,
danke für die Geschichte von Thomas Mann und seinem Bauschan.
Auch Rainer Maria Rilke hat ein Gedicht über einen Hund geschrieben.
Hier ist es:
Der Hund
Da oben wird das Bild von einer Welt
aus Blicken immerfort erneut und gilt.
Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und stellt
sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild
sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist;
nicht ausgestoßen und nicht eingereiht,
und wie im Zweifel seine Wirklichkeit
weggebend an das Bild, das er vergißt,
um dennoch immer wieder sein Gesicht
hineinzuhalten, fast mit einem Flehen,
beinah begreifend, nah am Einverstehen
und doch verzichtend: denn er wäre nicht.
Rainer Maria Rilke
Ja, "tirili", erklärt sich das selbst aus dem Getriller der Singvögel?
Ich weiß es nicht, ob noch eine andere Herleitung bekannt ist.
Aber hört doch mal rein, ob Ihr da nicht "tirili" versteht?
Enigma
danke für die Geschichte von Thomas Mann und seinem Bauschan.
Auch Rainer Maria Rilke hat ein Gedicht über einen Hund geschrieben.
Hier ist es:
Der Hund
Da oben wird das Bild von einer Welt
aus Blicken immerfort erneut und gilt.
Nur manchmal, heimlich, kommt ein Ding und stellt
sich neben ihn, wenn er durch dieses Bild
sich drängt, ganz unten, anders, wie er ist;
nicht ausgestoßen und nicht eingereiht,
und wie im Zweifel seine Wirklichkeit
weggebend an das Bild, das er vergißt,
um dennoch immer wieder sein Gesicht
hineinzuhalten, fast mit einem Flehen,
beinah begreifend, nah am Einverstehen
und doch verzichtend: denn er wäre nicht.
Rainer Maria Rilke
Ja, "tirili", erklärt sich das selbst aus dem Getriller der Singvögel?
Ich weiß es nicht, ob noch eine andere Herleitung bekannt ist.
Aber hört doch mal rein, ob Ihr da nicht "tirili" versteht?
Enigma
Enigma, das Hundegedicht von Rilke ist einfach schön, danke! Es erinnert mich sehr an das noch bekanntere "Der Panther", und ich glaube, Rilke hatte großes Verständnis für Tiere und Einfühlungsvermögen in ihre Welt.
Übrigens: Deine eingestellten Vogelstimmen sind hilfreich! Ich besitze eine ganze CD-Sammlung davon. Heute morgen rief der Kuckuck ganz in der Nähe, aber dazu braucht's sicher keine Erkennungshilfe!
Mir fällt zum Thema "Hund" spontan die Erzählung Krambambuli von Marie von Ebner-Eschenbach ein. Die Tragik eines Hundes, hin-und hergerissen zwischen zwei Herren.
Krambambuli
Der von longtime gewünschte Hinweis wäre der Pudel in Faust I!
Gruß, Clara
Übrigens: Deine eingestellten Vogelstimmen sind hilfreich! Ich besitze eine ganze CD-Sammlung davon. Heute morgen rief der Kuckuck ganz in der Nähe, aber dazu braucht's sicher keine Erkennungshilfe!
Mir fällt zum Thema "Hund" spontan die Erzählung Krambambuli von Marie von Ebner-Eschenbach ein. Die Tragik eines Hundes, hin-und hergerissen zwischen zwei Herren.
Krambambuli
Der von longtime gewünschte Hinweis wäre der Pudel in Faust I!
Gruß, Clara
Ich habe mich an den Beiträgen erfreut. Danke!
**
Einen ziemlich furchtbaren, aber zutiefst menschlichen Beitrag liefert Joseph Roth:
VON HUNDEN UND MENSCHEN
Zu den vielen Straßenbildern des Wiener Kriegselends hat sich seit einigen Tagen
ein neues gesellt:
Ein vom Krieg zum rechteckigen Winkel konstruierter Mensch – Invalide mit Rückgratbruch – bewegt sich auf eine fast unerklärliche Weise durch die Kärntnerstraße und kolportiert Zeitungen. Auf seinem mit dem Trottoir eine Horizontale bildenden gebrochenen Rücken sitzt ... ein Hund.
Ein wohldressierter, kluger Hund, der auf seinem eigenen Herrn reitet und aufpaßt, daß diesem keine Zeitung wegkommt. Ein modernes Fabelwesen: eine Kombination von Hund und Mensch, vom Kriege ersonnen und vom Invalidenjammer in die Welt der Kärtnerstraße gesetzt.
Ein Zeichen der neuen Zeit, in der Hunde auf Menschen reiten, um diese vor Menschen zu bewachen. Eine Reminiszenz an jene große Zeit, da Menschen wie Hunde dressiert und in einer sympathischen Begriffskombination als »Schweinehunde«, »Sch... hunde« usw. von jenen benannt wurden, die selbst Bluthunde waren und so nicht genannt werden durften.
Eine Folge des Patriotismus, der die aufrechten Ebenbilder Gottes abhängig machte von vierfüßigen Geschöpfen, die niemals den Seelenaufschwung besaßen, Heldentum und Kanonenfutterage zu bilden, und höchstens zur Sanität assentiert werden durften. An der Brust des Invaliden baumelt ein Karl-Truppenkreuz. Am Halse des Hundes hängt eine Marke.
Jener mit dem Karl-Truppenkreuz ist ein Leidender. Dieser mit der Marke ein Tätiger. Er bewacht das Leid des Invaliden. Er bewahrt ihn vor Schaden. Das Vaterland und die Mitmenschen konnten ihm nur Schadenzufügen. Diesen hat er es zu verdanken, daß jener ihn bewacht. Oh, Zeichen der Zeit! Ehemals gab es Schäferhunde, die Schafherden, Kettenhunde, die Häuser bewachten. Heute gibt es Menschenhunde, die Invalide bewachen müssen, Menschenhunde als Folgeerscheinung der Hundemenschen. Wie eine Vision wirkte auf mich dieses Bild: Ein Hund sitzt auf einem Menschen. Ein Mensch ist froh, von diesem Hunde abhängig sein zu können, da er sich erinnert, Wie er von anderen abhängig sein mußte. Gibt es Traurigeres als diesen Anblick, der ein Symbol der Menschheit zu sein scheint? Ringsum lustwandelt der Kriegsgewinn mit der Telepathie, und in der Mitte ein berittener Hund! Inferiorität der menschlichen Rasse, Superiorität der tierischen. Wir haben es herrlich weit gebracht durch diesen Krieg, in dem die Kavallerie abgeschafft wurde, damit Hunde auf Menschen reiten können!...
*
- Unterzeichnet mit „Josephus“ -
(Veröffentlicht in „Der Neue Tag“ vom 1. 8. 1919. In: Joseph Roth: Werke. Bd. I. S. 95f.)
*
Joseph Roth war in seinen Anfängen als Journalist in Wien, Berlin und dann als Korrespondent in ganz Europa unterwegs und schrieb erschütternde Reportagen, bevor er seine großen Romane verfasste.
**
Einen ziemlich furchtbaren, aber zutiefst menschlichen Beitrag liefert Joseph Roth:
VON HUNDEN UND MENSCHEN
Zu den vielen Straßenbildern des Wiener Kriegselends hat sich seit einigen Tagen
ein neues gesellt:
Ein vom Krieg zum rechteckigen Winkel konstruierter Mensch – Invalide mit Rückgratbruch – bewegt sich auf eine fast unerklärliche Weise durch die Kärntnerstraße und kolportiert Zeitungen. Auf seinem mit dem Trottoir eine Horizontale bildenden gebrochenen Rücken sitzt ... ein Hund.
Ein wohldressierter, kluger Hund, der auf seinem eigenen Herrn reitet und aufpaßt, daß diesem keine Zeitung wegkommt. Ein modernes Fabelwesen: eine Kombination von Hund und Mensch, vom Kriege ersonnen und vom Invalidenjammer in die Welt der Kärtnerstraße gesetzt.
Ein Zeichen der neuen Zeit, in der Hunde auf Menschen reiten, um diese vor Menschen zu bewachen. Eine Reminiszenz an jene große Zeit, da Menschen wie Hunde dressiert und in einer sympathischen Begriffskombination als »Schweinehunde«, »Sch... hunde« usw. von jenen benannt wurden, die selbst Bluthunde waren und so nicht genannt werden durften.
Eine Folge des Patriotismus, der die aufrechten Ebenbilder Gottes abhängig machte von vierfüßigen Geschöpfen, die niemals den Seelenaufschwung besaßen, Heldentum und Kanonenfutterage zu bilden, und höchstens zur Sanität assentiert werden durften. An der Brust des Invaliden baumelt ein Karl-Truppenkreuz. Am Halse des Hundes hängt eine Marke.
Jener mit dem Karl-Truppenkreuz ist ein Leidender. Dieser mit der Marke ein Tätiger. Er bewacht das Leid des Invaliden. Er bewahrt ihn vor Schaden. Das Vaterland und die Mitmenschen konnten ihm nur Schadenzufügen. Diesen hat er es zu verdanken, daß jener ihn bewacht. Oh, Zeichen der Zeit! Ehemals gab es Schäferhunde, die Schafherden, Kettenhunde, die Häuser bewachten. Heute gibt es Menschenhunde, die Invalide bewachen müssen, Menschenhunde als Folgeerscheinung der Hundemenschen. Wie eine Vision wirkte auf mich dieses Bild: Ein Hund sitzt auf einem Menschen. Ein Mensch ist froh, von diesem Hunde abhängig sein zu können, da er sich erinnert, Wie er von anderen abhängig sein mußte. Gibt es Traurigeres als diesen Anblick, der ein Symbol der Menschheit zu sein scheint? Ringsum lustwandelt der Kriegsgewinn mit der Telepathie, und in der Mitte ein berittener Hund! Inferiorität der menschlichen Rasse, Superiorität der tierischen. Wir haben es herrlich weit gebracht durch diesen Krieg, in dem die Kavallerie abgeschafft wurde, damit Hunde auf Menschen reiten können!...
*
- Unterzeichnet mit „Josephus“ -
(Veröffentlicht in „Der Neue Tag“ vom 1. 8. 1919. In: Joseph Roth: Werke. Bd. I. S. 95f.)
*
Joseph Roth war in seinen Anfängen als Journalist in Wien, Berlin und dann als Korrespondent in ganz Europa unterwegs und schrieb erschütternde Reportagen, bevor er seine großen Romane verfasste.
1927 veröffentlichte die Weltbühne den launischen Peter-Panter -Beitrag Traktat über den Hund, sowie über Lerm und Geräusche.
Eine andere Art, den "besten Freund des Menschen" zu betrachten ... und Panter wäre nicht Tucholsky, wenn hier der Hund schlußendlich nicht doch viel besser davonkäme als sein Halter
Panter, Hunde, Menschen
Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß damals (und auch heute) die Reaktionen nicht nur positiv waren ...
Cécile
Hunde sind ja nicht in allen Kulturen gern gesehene Hausgenossen des Menschen. In islamischen Ländern zeigen schon Schimpfwörter wie "Hundesohn" oder "Sohn einer Hündin" fehlende Wertschätzung. Angeblich durch den Koran begründet. In manchen Ländern führen Hunde ein beklagenswertes Dasein!
Auch hierzulande ist "hundemüde" üblich, wenn auch nicht so negativ besetzt wie "hundsgemein" oder "hundeübel".
In der Botanik weisen "Hundsveilchen" und "Hundeblume" auch auf eine gewisse Minderwertigkeit hin. Mir gefällt allerdings das Hundsveilchen oder Gemeine Veilchen besonders gut!
Clara
Auch hierzulande ist "hundemüde" üblich, wenn auch nicht so negativ besetzt wie "hundsgemein" oder "hundeübel".
In der Botanik weisen "Hundsveilchen" und "Hundeblume" auch auf eine gewisse Minderwertigkeit hin. Mir gefällt allerdings das Hundsveilchen oder Gemeine Veilchen besonders gut!
Clara
Guten Morgen,
Schöne Geschichten sind da zu lesen. Danke!
Das hat mich an eine erinnert, die ich vor Jahren gelesen habe. Sie stammt von einem meiner Lieblingsschriftsteller.
Er hat sie enfach nur “Eine Hundegeschichte” genannt.
Und darin beschreibt er einen sehr bildungsbewussten Hund, d.h. eigentlich eine Hündin, die es ausgezeichnet versteht, ihre Umgebung mit ihrer Bildung zu beeindrucken.
Ihr könnt ja mal herausfinden, ob Ihr die “Handschrift” dieses Schriftstellers trotz der Übersetzung in die deutsche Sprache erkennt.
Und zum Schluss könnt Ihr, wenn Euch die Geschichte interessiert, sie bei “Gutenberg” zu Ende lesen.
Also, los geht`s!
„Eine Hundegeschichte
Kapitel I
Mein Vater war ein Sankt Bernhard, meine Mutter ein Collie, ich aber bin ein Presbyterianer. Das hat mir jedenfalls meine Mutter so gesagt; ich selbst kenne mich mit diesen feinen Unterschieden nicht aus. Für mich sind das nur nette, große Worte ohne Inhalt. Meine Mutter hatte eine Vorliebe dafür, solche großen Worte zu benutzen und sie liebte es, wenn die anderen Hunde sie überrascht oder auch neidisch dabei ansahen, und sich vielleicht wunderten, wie gebildet sie war. Tatsächlich war es aber keine wirkliche Bildung, es war nur Angabe: sie schnappte solche Worte auf, wenn sie mit Leuten im Esszimmer oder im Zeichenraum war, auch wenn sie die Kinder in die Sonntagsschule begleitete; und immer wenn sie dabei ein bedeutendes Wort aufnahm, sprach sie es sich wieder und wieder vor, um es auswendig zu können bis zum nächsten Dogmatiker Treffen in der Nachbarschaft, dann würde sie es rauslassen, und alle damit überraschen oder ihnen damit auf die Nerven gehen, gleich ob junger Welpe oder Mastiff, das war ihr Belohnung für ihre Mühen. War einmal ein Fremder anwesend, so konnte man sicher sein, dass er misstrauisch wurde, und sobald er wieder Luft holen konnte, würde er nach der Bedeutung fragen. Und sie würde sie ihm auch immer sagen. Natürlich hätte der Fremde gedacht, er könnte sie dran kriegen, dann aber, wenn sie ihre Erklärung abgegeben hatte, war er es, der vorgeführt worden war; dabei hatte er es genau anders herum geplant. Die anderen warteten jedes mal auf so etwas, waren stolz auf sie und freuten sich; sie wussten aus Erfahrung was geschehen würde. Wenn sie die Bedeutung eines großen Ausdrucks erklärte, waren alle so fasziniert davon, dass es niemandem in den Sinn kam, die Richtigkeit ihrer Erklärung anzuzweifeln. Das war verständlich, denn ihre Ausführungen kamen immer prompt und sie hörten sich an, wie aus einem Lexikon vorgetragen; und überhaupt, wie sollten sie auch herausfinden, ob etwas richtig oder falsch war? Schließlich war sie der einzig gebildete Hund in der Gegend. Irgendwann, als ich schon älter war, kam sie mit dem Wort unintellektuell an, und sie strapazierte es die ganze Woche bei den verschiedensten Treffen, was zu Missmut und großer Unlustigkeit führte. Es war bei dieser Gelegenheit, dass ich merkte, wie sie bei acht verschiedenen Anlässen immer eine neue Definition hervor zauberte, was mir dann endlich zeigte, dass sie mehr Schlagfertigkeit denn Bildung besaß. Ich sagte natürlich nichts. Sie hatte immer ein ganz bestimmtes Wort parat, dessen sie sich gleich eines Rettungsringes bediente, wenn sie Gefahr lief plötzlich über Bord gewaschen zu werden, ein Notfallwort – das Wort Synonym. Es kam vor, wenn sie einen Begriff hervor gekramt hatte, dessen Uraufführung Wochen zurück lag, und dessen vorbereitete Bedeutung bereits in den Papierkorb ihres Gedächtnisses gewandert war, dass ein nun anwesender Fremder, freilich nach der üblichen Besinnungsphase, die Verfolgung aufnahm, während sie ihrerseits schon vor dem Winde und auf einem anderen Bug davon segelte, er dennoch wieder in Rufweite kam und sie aufstoppen ließ, und ich (der einzige Hund, der ihr Spiel durchschaute) sah, wie ihr Segel – wirklich nur einen kurzen Moment – killte, sich dann aber sofort wieder prall füllte und voll stand, und sie sagte, ruhig wie ein Sommertag: "das ist ein Synonym für Supererogation," oder irgend ein anderes gottlos langes Wortreptil, sodann wendete sie und nahm wieder gelassen Fahrt auf, vollkommen zufrieden mit sich, den Fremden in seiner Beschämung und Schlichtheit zurücklassend, und alle Eingeweihten wedelten unisono mit ihren Schwänzen auf dem Boden, ein fast heiliger, zufriedener Ausdruck lag dann auf ihren Gesichtern.“(...)
Weiter geht`s hier:
Grüße von Enigma
Schöne Geschichten sind da zu lesen. Danke!
Das hat mich an eine erinnert, die ich vor Jahren gelesen habe. Sie stammt von einem meiner Lieblingsschriftsteller.
Er hat sie enfach nur “Eine Hundegeschichte” genannt.
Und darin beschreibt er einen sehr bildungsbewussten Hund, d.h. eigentlich eine Hündin, die es ausgezeichnet versteht, ihre Umgebung mit ihrer Bildung zu beeindrucken.
Ihr könnt ja mal herausfinden, ob Ihr die “Handschrift” dieses Schriftstellers trotz der Übersetzung in die deutsche Sprache erkennt.
Und zum Schluss könnt Ihr, wenn Euch die Geschichte interessiert, sie bei “Gutenberg” zu Ende lesen.
Also, los geht`s!
„Eine Hundegeschichte
Kapitel I
Mein Vater war ein Sankt Bernhard, meine Mutter ein Collie, ich aber bin ein Presbyterianer. Das hat mir jedenfalls meine Mutter so gesagt; ich selbst kenne mich mit diesen feinen Unterschieden nicht aus. Für mich sind das nur nette, große Worte ohne Inhalt. Meine Mutter hatte eine Vorliebe dafür, solche großen Worte zu benutzen und sie liebte es, wenn die anderen Hunde sie überrascht oder auch neidisch dabei ansahen, und sich vielleicht wunderten, wie gebildet sie war. Tatsächlich war es aber keine wirkliche Bildung, es war nur Angabe: sie schnappte solche Worte auf, wenn sie mit Leuten im Esszimmer oder im Zeichenraum war, auch wenn sie die Kinder in die Sonntagsschule begleitete; und immer wenn sie dabei ein bedeutendes Wort aufnahm, sprach sie es sich wieder und wieder vor, um es auswendig zu können bis zum nächsten Dogmatiker Treffen in der Nachbarschaft, dann würde sie es rauslassen, und alle damit überraschen oder ihnen damit auf die Nerven gehen, gleich ob junger Welpe oder Mastiff, das war ihr Belohnung für ihre Mühen. War einmal ein Fremder anwesend, so konnte man sicher sein, dass er misstrauisch wurde, und sobald er wieder Luft holen konnte, würde er nach der Bedeutung fragen. Und sie würde sie ihm auch immer sagen. Natürlich hätte der Fremde gedacht, er könnte sie dran kriegen, dann aber, wenn sie ihre Erklärung abgegeben hatte, war er es, der vorgeführt worden war; dabei hatte er es genau anders herum geplant. Die anderen warteten jedes mal auf so etwas, waren stolz auf sie und freuten sich; sie wussten aus Erfahrung was geschehen würde. Wenn sie die Bedeutung eines großen Ausdrucks erklärte, waren alle so fasziniert davon, dass es niemandem in den Sinn kam, die Richtigkeit ihrer Erklärung anzuzweifeln. Das war verständlich, denn ihre Ausführungen kamen immer prompt und sie hörten sich an, wie aus einem Lexikon vorgetragen; und überhaupt, wie sollten sie auch herausfinden, ob etwas richtig oder falsch war? Schließlich war sie der einzig gebildete Hund in der Gegend. Irgendwann, als ich schon älter war, kam sie mit dem Wort unintellektuell an, und sie strapazierte es die ganze Woche bei den verschiedensten Treffen, was zu Missmut und großer Unlustigkeit führte. Es war bei dieser Gelegenheit, dass ich merkte, wie sie bei acht verschiedenen Anlässen immer eine neue Definition hervor zauberte, was mir dann endlich zeigte, dass sie mehr Schlagfertigkeit denn Bildung besaß. Ich sagte natürlich nichts. Sie hatte immer ein ganz bestimmtes Wort parat, dessen sie sich gleich eines Rettungsringes bediente, wenn sie Gefahr lief plötzlich über Bord gewaschen zu werden, ein Notfallwort – das Wort Synonym. Es kam vor, wenn sie einen Begriff hervor gekramt hatte, dessen Uraufführung Wochen zurück lag, und dessen vorbereitete Bedeutung bereits in den Papierkorb ihres Gedächtnisses gewandert war, dass ein nun anwesender Fremder, freilich nach der üblichen Besinnungsphase, die Verfolgung aufnahm, während sie ihrerseits schon vor dem Winde und auf einem anderen Bug davon segelte, er dennoch wieder in Rufweite kam und sie aufstoppen ließ, und ich (der einzige Hund, der ihr Spiel durchschaute) sah, wie ihr Segel – wirklich nur einen kurzen Moment – killte, sich dann aber sofort wieder prall füllte und voll stand, und sie sagte, ruhig wie ein Sommertag: "das ist ein Synonym für Supererogation," oder irgend ein anderes gottlos langes Wortreptil, sodann wendete sie und nahm wieder gelassen Fahrt auf, vollkommen zufrieden mit sich, den Fremden in seiner Beschämung und Schlichtheit zurücklassend, und alle Eingeweihten wedelten unisono mit ihren Schwänzen auf dem Boden, ein fast heiliger, zufriedener Ausdruck lag dann auf ihren Gesichtern.“(...)
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Grüße von Enigma
Ein Postscriptum zum Tirili (eben: dem natürlichen Tirili der Vögel)
„Herr Frühling läßt mich grüßen
tirili und tirila
doch Herr Lenz, der ist schon da.“
Sicherlich ein Allerweltsliedchen von Martina Wiemers, rasch geschrieben, rasch gegoogelt!
TIRELI, TIRILI: Abgeleitet von tirilieren oder tirelieren, wie es das Grimmsche Deutsche Wörterbuch weiß, als Verb, das meinst: pfeifen, singen (ja, es gibt dort sogar dirdilieren).
Bei den Tierlautbezeichnungen ist es wohl das einfachste Verben, das jedes Kind versteht und nachtrillern kann:
Also, bei Thomas Mann lasen wir es als Lob der Natur, innerhalb dessen er auch seinen Hund Bauschan spazieren, bellen, Kaninchen reißen und sein Herrchen so getreulich bewachen ließ…
Ein „Tirili“ hat aber nicht erst heutzutage den Charakter des zu Einfachen, des Banalen, des Naiven.
Die Onomatopoesie kennt viele eigenartige, tierspezifische Besonderheiten.
Vgl.:
Tierlaute in ihrer Vielfalt
Noch ein Beispiel:
Theodor Fontane ging als großer Realist spärlich um mit Lautmalereien.
Aber ein „Tirili“ aus einem fast unbekannten Roman von ihm habe ich nie vergessen nach der Lektüre, weil das Singen der Lerche, die man damals auch trivial-poetisierend „Singrakete“ gern im Volksliedchen nannte, ein solch großer Gegensatz zu der Handlung ist, die er mit einem Kontrapunkt versehen will:
Eine Näherin, seine Arbeiterin Ernestine Rehbein (Hauptperson im Roman „Stine“) ist auf dem Rückweg vom Schloß Groß-Haldern, wo ihr adeliger Geliebter beerdigt wurde, weil er ob der unglücklichen Liebe, die von der Adelsfamilie natürlich unterbunden wurde, sich umgebracht hatte.
Und dort war auch die nicht akzeptierte Stine anwesend, die natürlich nicht zum Begräbnis eingeladen worden war, und in der Kirche wegen ihrer natürlichen Schmerzes unangenehme aufgefallen war..:
Fontane erzählt vom Rückweg, den sie alleine unternehmen muss, nach Berlin zurück, in ihre kleine Welt:
„Stine, die die Fahrt nach Klein-Haldern schon mit dem Vormittagszuge gemacht und sich, um die Zwischenzeit hinzubringen, eine Stunde lang und länger am Außenrande des Groß-Halderner Parkes und dann wieder auf dem angrenzenden Wiesengrunde, wo sie dem Vieh, das hier weidete, zusah, verweilt hatte, war unter den letzten, die die Kirche verließen. Sie hielt sich abseits, ging noch eine Weile zwischen den Gräbern auf und ab und trat dann langsam ihren Rückweg nach dem Klein-Halderner Bahnhof hin an. Alles war still, es klangen keine Glocken mehr, und sie hörte nichts als die Lerchen, die mit ihrem Tirili aus der ringsumher in Garben stehenden Mahd in die Luft emporstiegen. Eine stieg höher als die andere, und sie sah ihr nach, bis sie hoch oben im Blau verschwunden war. »In den Himmel... Ach, wer ihr folgen könnte... Leben; leben müssen...« Und im Übermaß schmerzlicher Erregung und einer Ohnmacht nahe, setzte sie sich auf einen Stein am Weg und barg ihre Stirn in der Hand.“
*
Aus: Th. F.: Stine. (Erschienen 1890. Ausschnitt aus dem 16., dem letzten Kapitel: Beerdigung Waldemars auf Groß-Haldern.)
Der Roman:
„Herr Frühling läßt mich grüßen
tirili und tirila
doch Herr Lenz, der ist schon da.“
Sicherlich ein Allerweltsliedchen von Martina Wiemers, rasch geschrieben, rasch gegoogelt!
TIRELI, TIRILI: Abgeleitet von tirilieren oder tirelieren, wie es das Grimmsche Deutsche Wörterbuch weiß, als Verb, das meinst: pfeifen, singen (ja, es gibt dort sogar dirdilieren).
Bei den Tierlautbezeichnungen ist es wohl das einfachste Verben, das jedes Kind versteht und nachtrillern kann:
Also, bei Thomas Mann lasen wir es als Lob der Natur, innerhalb dessen er auch seinen Hund Bauschan spazieren, bellen, Kaninchen reißen und sein Herrchen so getreulich bewachen ließ…
Ein „Tirili“ hat aber nicht erst heutzutage den Charakter des zu Einfachen, des Banalen, des Naiven.
Die Onomatopoesie kennt viele eigenartige, tierspezifische Besonderheiten.
Vgl.:
Tierlaute in ihrer Vielfalt
Noch ein Beispiel:
Theodor Fontane ging als großer Realist spärlich um mit Lautmalereien.
Aber ein „Tirili“ aus einem fast unbekannten Roman von ihm habe ich nie vergessen nach der Lektüre, weil das Singen der Lerche, die man damals auch trivial-poetisierend „Singrakete“ gern im Volksliedchen nannte, ein solch großer Gegensatz zu der Handlung ist, die er mit einem Kontrapunkt versehen will:
Eine Näherin, seine Arbeiterin Ernestine Rehbein (Hauptperson im Roman „Stine“) ist auf dem Rückweg vom Schloß Groß-Haldern, wo ihr adeliger Geliebter beerdigt wurde, weil er ob der unglücklichen Liebe, die von der Adelsfamilie natürlich unterbunden wurde, sich umgebracht hatte.
Und dort war auch die nicht akzeptierte Stine anwesend, die natürlich nicht zum Begräbnis eingeladen worden war, und in der Kirche wegen ihrer natürlichen Schmerzes unangenehme aufgefallen war..:
Fontane erzählt vom Rückweg, den sie alleine unternehmen muss, nach Berlin zurück, in ihre kleine Welt:
„Stine, die die Fahrt nach Klein-Haldern schon mit dem Vormittagszuge gemacht und sich, um die Zwischenzeit hinzubringen, eine Stunde lang und länger am Außenrande des Groß-Halderner Parkes und dann wieder auf dem angrenzenden Wiesengrunde, wo sie dem Vieh, das hier weidete, zusah, verweilt hatte, war unter den letzten, die die Kirche verließen. Sie hielt sich abseits, ging noch eine Weile zwischen den Gräbern auf und ab und trat dann langsam ihren Rückweg nach dem Klein-Halderner Bahnhof hin an. Alles war still, es klangen keine Glocken mehr, und sie hörte nichts als die Lerchen, die mit ihrem Tirili aus der ringsumher in Garben stehenden Mahd in die Luft emporstiegen. Eine stieg höher als die andere, und sie sah ihr nach, bis sie hoch oben im Blau verschwunden war. »In den Himmel... Ach, wer ihr folgen könnte... Leben; leben müssen...« Und im Übermaß schmerzlicher Erregung und einer Ohnmacht nahe, setzte sie sich auf einen Stein am Weg und barg ihre Stirn in der Hand.“
*
Aus: Th. F.: Stine. (Erschienen 1890. Ausschnitt aus dem 16., dem letzten Kapitel: Beerdigung Waldemars auf Groß-Haldern.)
Der Roman: