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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

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RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
Weil keinen Funken je ihr Wort erbracht,
Weise – gewiss, dass Dunkel rechtens dauert –,

Geh nicht gelassen in die gute Nacht.
Wer seines schwachen Tuns rühmt künftige Pracht
Im Sinken, hätt nur grünes Blühn gedauert,
Im Sterbelicht ist doppelt zornentfacht.
Wer jagt und preist der fliehenden Sonne Macht
Und lernt zu spät, dass er sie nur betrauert,

Geht nicht gelassen in die gute Nacht.
Wer Todes nah erkennt im blinden Schacht,
Das Auge blind noch blitzt und froh erschauert,
Im Sterbelicht ist doppelt zornentfacht.
Und du mein Vater dort auf der Todeswacht,
Fluchsegne mich, von Tränenwut vermauert.
Geh nicht gelassen in die gute Nacht.
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.

Original von Dylan Thomas 
(Nachdichtung: Curt Meyer-Clason)

Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at dose of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.

Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.

Wild men who caught and sang the sun in flight
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.

Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.

And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.

LisaK
LisaK
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RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von LisaK

Alles hat seine Zeit...


„Der November“
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben,
die Wälder weinten und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor
und der November trägt den Trauerflor.
 
Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten,
die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor
und der November trägt den Trauerflor.
 
Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen,
es regnet Freunde und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
und der November trägt den Trauerflor.
Erich Kästner (1899 – 1974)

Lg. Lisa 🌞
 
 
RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 16.05.2009, 10:46:20

In den letzten Jahren bin ich mehrfach auf Autoren gestoßen, die ihre Hauptwerke in der Zeit zwischen den Weltkriegen verfaßt haben und heute zu Unrecht fast völlig vergessen sind. Ihre Werke sind in der Regel nur noch antiquarisch zu erwerben.

Einer dieser Dichter ist Emil Merker. Das erste Buch, welches ich von ihm las, war Unterwegs, ein Bericht über seine Vertreibung und Flucht aus dem Sudetenland nach Bayern bei Kriegsende. Das ist jetzt schon viele Jahre her; das Buch hatte mich damals aber sehr angesprochen.

Erst voriges Jahr kam ich dann auf die Idee, ich könnte mal mehr von diesem Emil Merker (1888-1972) lesen. Das habe ich seither ausgiebig getan; das Buch, das mir am meisten gefallen hat und das ich hier vorstellen möchte, heißt: Der Weg der Anna Illing. Es ist die (durchaus autobiografisch gefärbte) Lebensgeschichte einer Schneiderstochter aus einem sudetendeutschen Dorf vor dem ersten Weltkrieg, die, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, sich mit zähem Fleiß hocharbeitet, aber zugunsten ihrer beiden Brüder auf höhere Bildung, auf Liebe, Ehe und Kinder verzichtet – und am Ende ist alles umsonst, da beide Brüder, nach vielversprechenden Anfängen, in jungen Jahren sterben, der eine durch Krankheit, der andere im Krieg. Und Anna Illing verliert trotzdem nicht ihren Lebensmut... Das hört sich etwas rührselig an, ist es aber nicht: Merker schildert dieses glanzlose Leben ganz nüchtern, aber mit Anteilnahme. Eine Geschichte von Aufopferung, von Altruismus – etwas, was heute, da "Selbstbestimmung" und "Selbstverwirklichung" Modewörter der Zeit sind, ganz aus der Mode gekommen ist.

Was mich noch besonders an diesem Buch anzog, das ist die authentische Schilderung des Lebens der Bauern und Kleinbürger im damaligen Sudetenland, das Emil Merker, der selbst Sohn eines Schneiders wahr, der dann studieren konnte und Lehrer wurde, aus eigener Anschauung bestens kannte. Ich stamme aus einem ganz ähnlichen Milieu: meine Vorfahren waren Bauern in der Netzeniederung im heutigen Posen, mein Vater Arbeiter, und die Mentalität und Lebensweise der Menschen, die Merker schildert, ist mir bekannt und vertraut.

Weitere Bücher von Emil Merker und anderen vergessenen Autoren, die ich für mich entdeckt habe, stelle ich vielleicht später hier vor.

 


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longtime
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RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 17.03.2023, 23:02:46

Schöner Beitrag. Danke, ich habe or 20 Jahre Merker velesen. Toll! 

RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 22.03.2023, 18:27:38

Danke, ich habe vor 20 Jahre Merker gelesen.


Mindestens solange, aber wahrscheinlich viel länger ist es her, daß ich Merkers Bericht Unterwegs über seine Vertreibung und Flucht gelesen habe; ich glaube, das war sogar in den achtziger Jahren. Dann aber bis vor kurzem nichts mehr von ihm. Leider gibt es Unterwegs noch nicht einmal mehr antiquarisch; ich würde es gerne wiederlesen.

Von seinen anderen Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe, hat mir Der junge Lehrer Erwin Moser gut gefallen, es ist nicht so gelungen wie Der Weg der Anna Illing, aber trotzdem lesenswert. Auch die Sammlung von schlichten Erzählungen Eine Handvoll hat mich sehr angesprochen. Immer schreibt er unprätentiös, nicht romantisierend, und vor allem nicht so ichbezogen wie viele bekanntere Autoren. Einfach ein guter realistischer Erzähler.

Detaillierteres über diese Bücher vielleicht später.
RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Karl Benno von Mechow (1897-1960) ist ein weiterer weitgehend vergessener Autor, den ich in letzter Zeit für mich entdeckt habe.

Am besten gefallen hat mir sein Buch Das ländliche Jahr, zuerst erschienen 1929. Darin wird in zwölf Kapiteln der Verlauf eines Jahres, von Winter zu Winter, auf einem Gutshof und zugehörigen Dorf in Brandenburg geschildert. Die Handlung, soweit davon die Rede sein kann, beschreibt Leben und Denken der Bauern und Gutsarbeiter und die jeweils anstehenden bäuerlichen Tätigkeiten; eigentlicher Protagonist des Buches ist jedoch die Landschaft. Die Sprache von Mechows ist schlicht, präzise und gepflegt, und klingt oft an Stifter an. Von Mechow hat sich selbst in den zwanziger Jahren eine Zeitlang als Landwirt betätigt, kannte also, wovon er schrieb.

Auch sein 1933 erschienener Roman Vorsommer spielt in der Hauptsache auf einem brandenburgischen Landgut. Vordergründig ist das Buch eine zart-herbe Liebesgeschichte, aber auch hier wieder ist die Hauptsache die Landschaft.

Das 1930 erschienene Buch Das Abenteuer: ein Reiterroman aus dem großen Krieg basiert auf den Kriegserlebnissen von Mechows. Es beschreibt die Kreuz- und Querzüge einer Kavallerie-Einheit an der Ostfront, ihr eigentlich aussichtsloses Umherirren und die Überlebtheit dieser Heeresform angesichts der technischen Überlegenheit von Infanterie und Artillerie. Als Erlebnisbericht und historisches Zeugnis hat das sicherlich seinen Wert; mir lag das Buch allerdings eher fern.

Am wenigsten überzeugt hat mich das "Erinnerungsbuch" Leben und Zeit: Aus dem Land Oberösterreich von 1938, in dem von Mechow Wanderungen durch die Gegend um Linz auf den Spuren von Stifter und Bruckner schildert. Unmotivierte Exkurse unterbrechen gelegentlich den Erzählfluß, und man weiß nicht so genau, worauf das Ganze hinaus soll, außer, der Bewunderung des Autors für Stifter und Bruckner Ausdruck zu verleihen. Was das Buch rettet und trotzdem lesenswert macht, sind (für meinen Geschmack) auch hier die Landschaftsschilderungen und die schöne Sprache.

Leider sind Karl Benno von Mechows Bücher seit langem nur noch antiquarisch erhältlich. Ein Versuch meinerseits, den Inhaber des noch bis 2030 bestehenden Urheberrechts zu ermitteln, um ggf. das eine oder anderer seiner Bücher wieder zu veröffentlichen, ist bisher im Sande verlaufen.


 

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LisaK
LisaK
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RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von LisaK
                                  bird-g2ce4c81df_1280.png                                       
Das Lied der Freiheit
Es lebe, was auf Erden
nach Freiheit strebt und wirbt
von Freiheit singt und saget,
für Freiheit lebt und stirbt.


Die Welt mit ihren Freuden
ist ohne Freiheit nichts
die Freiheit ist die Quelle
der Tugend und des Lichts.


Es kann, was lebt und webet
in Freiheit nur gedeihn.
Das Ebenbild des Schöpfers
kann nur der Freie sein.


Frei will ich sein und singen,
so wie der Vogel lebt,
der auf Palast und Kerker
sein Frühlingslied erhebt.


Die Freiheit ist mein Leben
und bleibt es immerfort,
mein Sehnen, mein Gedanke,
mein Traum, mein Lied und Wort.


Es lebe, was auf Erden
nach Freiheit strebt und wirbt,
von Freiheit singt und saget,
für Freiheit lebt und stirbt.


Fluch sing ich allen Zwingherrn,
Fluch aller Dienstbarkeit!
Die Freiheit ist mein Leben
und bleibt es alle Zeit.

Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), deutscher Dichter

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Allegra
Allegra
Mitglied

RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Allegra
Heute morgen, als ich hörte, dass mein kleinster Enkel einen Zahn bekommen hat,
fiel mir dieses Gedicht ein, das bei meinen Kindern noch von deren Großmutter
zitiert wurde und heute wohl endgültig "aus der Zeit" ist:


Motetto, als der erste Zahn durch war:

Victoria! Victoria!
Der kleine weiße Zahn ist da.
Du Mutter! komm, und groß und klein
Im Hause! kommt, und kuckt hinein,
Und seht den hellen weißen Schein.
Der Zahn soll Alexander heißen.
Du liebes Kind! Gott halt ihn Dir gesund,
Und geb Dir Zähne mehr in Deinen kleinen Mund,
Und immer was dafür zu beißen! 


Matthias Claudius
(1740 - 1815)


 
Malinka
Malinka
Mitglied

RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Malinka
als Antwort auf Allegra vom 31.10.2023, 12:52:30
Das waren Tage Michelangelo's

Rainer Maria Rilke.

Das waren Tage Michelangelo's,
von denen ich in fremden Büchern las.
Das war der Mann, der über einem Maß,
gigantengross,
die Unermesslichkeit vergaß.
Das war der Mann, der immer wiederkehrt,
wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert,
da sie sich enden will, zusammenfasst.
Da hebt noch einer ihre ganze Last
und wirft sie in den Abgrund seiner Brust.
Die vor ihm hatten Leid und Lust;
er aber fühlt nur noch des Lebens Masse
und daß er Alles wie ein Ding umfasse, -
nur Gott bleibt über seinem Willen weit:
da liebt er ihn mit seinem hohen Hasse
für diese Unerreichbarkeit.
LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von LisaK
Spott.png

Das Land der Hinkenden.
Vor Zeiten gab's ein kleines Land,
Worin man keinen Menschen fand,
Der nicht gestottert, wenn er red'te,
Nicht, wenn er ging, gehinket hätte;
Denn beides hielt man für galant.
Ein Fremder sah den Übelstand;
Hier, dacht er, wird man dich im Gehn bewundern müssen,
Und ging einher mit steifen Füßen.
Er ging, ein jeder sah ihn an,
Und alle lachten, die ihn sahn,
Und jeder blieb vor Lachen stehen
Und schrie: »Lehrt doch den Fremden gehen!«
 
Der Fremde hielt's für seine Pflicht,
Den Vorwurf von sich abzulehnen.
»Ihr«, rief er, »hinkt; ich aber nicht:
Den Gang müßt ihr euch abgewöhnen!«
Der Lärmen wird noch mehr vermehrt,
Da man den Fremden sprechen hört.
Er stammelt nicht; genug zur Schande!
Man spottet sein im ganzen Lande.
 
Gewohnheit macht den Fehler schön,
Den wir von Jugend auf gesehn.
Vergebens wird's ein Kluger wagen
Und, daß wir thöricht sind, uns sagen.
Wir selber halten ihn dafür,
Bloß, weil er klüger ist als wir.
Christian Fürchtegott Gellert (1715 - 1769), deutscher Erzähler, Fabel- und Liederdichter
 

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