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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

Linta
Linta
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte - entschuldigt den Fehler bei der ersten Eintragung!
geschrieben von Linta
als Antwort auf Milan vom 19.05.2010, 20:17:07


Eine schlesische Dichterin


Dorothea Eleonora von Rosenthal

ODE

Ich fühle lauter Angst und Schmertzen
So offt ich nur an Ihn gedenck /
Mein liebster Schatz in meinem Hertzen
Er macht / daß ich mich stündlich kränck /
Ach! Ach mein Liebster / o mein Licht /
Er komme doch und seume nicht.

Ich kan kaum mehr den Mund erheben /
Zu singen einen Lobgesang /
Der gantze Leib fäht an zu böben /
Das währt den gantzen Sommer lang.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht
Er komme doch und seume nicht.

Wo Er kömmt und mich ergötzet
So muß ich sterben also bald /
Weil mir der Schmertz das Hertz verletzet /
bin schon vor großem trauren kalt.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht /
Er komme doch und seume nicht.

Ist dann die Liebe gar vergangen
Die angelobte starcke Treu.
Ich warte seiner mit Verlangen /
kein schreiben hilfft und macht mich frey.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht
Er komme doch und seume nicht.

So offt ich schlaff in meinem Bette /
Welchs doch gar selten kan geschehn /
So deucht mich als wenn Ihn ich hette
In meinen Armen angesehn.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht
Er komme doch und seume nicht.

So offte seine rothen Wangen /
Der schöne Mund / das krause Haar /
Muß mehr- und nehren mein Verlangen
So offt wil ich verzweifflen gar.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht /
Er komme doch und seume nicht.

Nun schweig‘ ich / kan nicht weiter singen /
der matte Mund bestehet mir /
Die Seufftzen muß ich laßen dringen
aus meines Hertzens Schloß erfür.
Ach! ach mein Liebster / o mein Licht /
Er komme doch und seume nicht.

enigma
enigma
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von enigma
als Antwort auf Linta vom 19.05.2010, 20:56:28
Hallo Milan und Linta,

danke für die schönen Gedichte, die ich beide noch nicht kannte.
Es sammelt sich doch einiges an. Manchmal frage ich mich, ob Yankee hin und wieder mal hier reinguckt, um zu sehen, was aus seiner Idee geworden ist?

Heute möchte ich ein Gedicht von Emily Brontë einstellen im Originaltext mit einer deutschen Übersetzung.
Von wem die Übersetzung stammt, ist mir allerdings unbekannt.


The old stoic
Riches I hold in light esteem,
And Love I laugh to scorn;
And lust of Fame was but a dream
That vanished with the morn –
And if I pray, the only prayer
That moves my lips for me
Is – “Leave the heart that now I bear,
And give me liberty.”
Yes, as my swift days near their goal,
‘Tis all that I implore –
Through life and death, a chainless soul,
With courage to endure!


Der alte Stoiker
Reichtum erachte ich gering,
Der Liebe spott ich nur,
Ruhmsucht kam wie ein Traum und ging
Am Morgen ohne Spur.
Und bete ich, heißt das Gebet,
Das ich im Munde führ:
„Lass so das Herz mir, wie’s mir steht,
Und lass die Freiheit mir.“
Nichts weiter will ich, Gott, von Dir:
Muss ich von hinnen gehen,
Gib eine freie Seele mir
Und Mut zu überstehn.


Viele Grüße von Enigma
Linta
Linta
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Linta
als Antwort auf enigma vom 20.05.2010, 08:08:34
Hier ein Gedicht von Ludwig Jakobowski.

Er war jüdischer Abstammung und stellte einst seine
Werke im Dichterblättchen in Breslau vor.
(Ich fand darüber jetzt in einem Nachlaß.)


Hymnus der Liebe

Höre mich, Ewiger, höre mich, Ewiger, Allerbarmer,
der du vom Dunkel der Tiefe emporwächst
in des Äthers leuchtender Sphäre,
Ewiger, der du mit deiner Alliebe
die ganze wogende Menschheitsflut umarmst,
wo ist die Liebe, die Menschenliebe?

Ewiger, gib sie uns wieder die Hohe, die Reine,
daß sie mit erbarmender Seele, mit milden,
doch mächtigen Händen die klaffenden Wunden schließt,
und in der bangen Seele des Einzelnen wieder
entfache den sterbenden Funken göttlicher Liebe,
der ihm im starren Herzen einst wohnte, Herzen
als die grauen Gespenster der Selbstsucht und Gier
noch nicht regierten die Seele der Menschen.

Wüßt' ich, o Ewiger, wo ich sie fände. die
erhabene Göttin, siehe, ich nähme noch einmal
das hehre Martyrium des Genius,
griff noch einmal mit kühner Hand an die Fackel des Ewigen
und schleuderte Funken hernieder heiligen Feuers voll.

Und zermalmte strafend die gewaltige Himmelswölbung
mir die glühende Stirn, mir den trotzigen Nacken,
dennoch rüttelt' ich wieder an die zitternde Veste der Welt,
käpfte gigantisch wider die wimmernden Geister der Nacht,
holte aus ihren Schattenarmen die Liebe,
reichte mit sterbenden Händen hernieder die Hohe,
die Hohe der jauchzenden Menschheit!

Säh ich vernichtet alle Gespenster des Staubes,
säh ich auf seligem Antlitz den ersten Schimmer
erwachenden Weltenglücks und Elysium,
siehe, ich stürbe, stürbe, stürbe so gern!

Ludwig Jacobowski


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Milan
Milan
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Milan
als Antwort auf Linta vom 20.05.2010, 19:27:06
Moral

Wird man älter, wird man kälter!
Notgedrungen, liebe Jungen,
Weil die Lendenkräfte enden,
Wenn der Rücken sich bejahrt!

Ach, der Mädchen runde Wädchen
Würden freilich noch abscheulich
Uns erregen und bewegen
Zu Versuchen schlimmster Art.

Stünde Kinder, nicht dahinter
Der Kadaver! Unser braver,
Jugendbarer Tugendwahrer
Spricht in strengem Tone dann:

Pfui den wüsten Sinnenlüsten!
Ich, der Alte, ich enthalte
Mich der Sünde! [Tugendgründe:
Weil er leider nicht mehr kann!]


A. de Nora (Pseudonym für Anton Alfred Noder), (1864 - 1936), deutscher Arzt und Dichter
ingo
ingo
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von ingo
als Antwort auf yankee vom 23.02.2009, 15:43:49
Ich bin in Sachen Kultur absolut nicht sattelfest; aber ich bedauere, dass uns immer mehr davon abhanden kommt. Früher mussten an Schulen scheinbar sinnlose Gedichte und Balladen auswendig gelernt werden; heute nicht mehr. Und damit geht unsere Kultur zunehmend verloren. In 50 Jahren wird über Deutschland niemand mehr vom "Land er Dichter und Denker" sprechen. Wir werden diesbezüglich m.E. genauso untergehen, wie z.B. die Inka
enigma
enigma
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von enigma
als Antwort auf ingo vom 02.06.2010, 14:49:58
Hallo Kreuzkampus,

da bin ich viel optimistischer und denke, dass unsere Kultur nicht untergehen wird, sondern dass wir die alten Werke bewahren und die neuen dazu gewinnen werden.

Das sieht man schon daran, dass viele ForistInnen hier im ST sich alleine bei diesem Thread beteiligt haben.

Nun ist ja Sommer - und den möchte ich auch mit einem Gedicht von Hugo Salus nachempfinden:


Sommermittag

Traumverlorene Wölkchen
Schwimmen im flimmernden Blau,
Summende Bienenvölkchen
Schweben über die Au,
Langsam, vom Zephyr geschaukelt,
Sinken die Blüten vom Baum,
Und ein Schmetterling gaukelt
Durch den Duft, wie im Traum.

Manchmal rauscht's in den Blättern
Oder es ächzt ein Ast;
Träumt er von dröhnenden Wettern
Oder von schneeiger Last?
Manchmal in streifigen Schatten
Neigt sich das Gras; ein Hauch;
Und von den fernen Matten
Hebt sich ein bläulicher Rauch.

Dort auf dem glitzernden Sande
Neben der sonnigen Flur
Schwebt was im blauen Gewande -
Oder träum' ich es nur?
Mit goldwelligen Haaren,
Flatternd im Sonnenlicht,
Und mit wunderbaren
Augen im Angesicht.....

Hugo Salus


Gruß von Enigma

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longtime
longtime
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 12.06.2010, 08:40:32
Auch ein Beitrag zur "Ruhr-Kultur":

Heinrich Kämpchen:

Nieder mit dem Alkohol!
Er vernichtet euer Wohl,
Macht stupide euch und schlecht
Und zum willenlosen Knecht. –

Elend nur und Herzeleid
Sind die Gaben, die er beut –
Wo er herrschet, flieht das Glück
Und die Zwietracht bleibt zurück.

Nüchternheit, wie bist du hold!
Aber seht den Trunkenbold!
Schaut sein wüstes Angesicht,
Welches Bände zu euch spricht. –

Ausgelöscht ist jede Spur
Von dem Adel der Natur,
Den das Menschenantlitz trägt,
Nur das Laster ist geprägt. –

Jede Gabe, jede Gunst,
Sie vergeht im Fuseldunst.
Körperschönheit, Geist und Kraft,
Alles wird von ihm entrafft.

Wahnsinn bringt er euch und Qual
Darum nieder noch einmal!
Kameraden, brecht es doch,
Nieder mit dem Fuseljoch! –
Holzfisch
Holzfisch
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Holzfisch
als Antwort auf longtime vom 14.06.2010, 10:41:02
Guten Tag - was für ein wunderschönes Thema! Auch ich liebe Gedichte, sie können gar nicht lang genug sein. Gerne erinnere ich mich an meine Omimi, die noch mit 86 Jahren Nis Randers, John Maynard oder Dem Bodenseereiter rezitieren konnte!
Hier ein in die Zeit passendes Gedicht von Theodor Fontane, den ich sehr schätze -

Das Trauerspiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält.
"Wer da!" - "Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan."

Afghanistan! er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin;
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

"Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann -
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt -
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt."

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all,
Sir Robert sprach: "Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie´s hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter, blast in die Nacht hinaus!"

Da huben sie an; sie wurden´s nicht müd,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur Liebe rufen mag,
Sie bliesen, es kam die zweite Nacht;
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

(Theodor Fontane)

Hoffentlich kein Omen ...



longtime
longtime
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Re: Vergessen? Fontanes "Das Trauerspiel von Afghanistan!
geschrieben von longtime
als Antwort auf Holzfisch vom 14.06.2010, 11:15:38
Ja, das Gedicht ist historisch wichtig und heute noch bekannt; jedenfalls bekannter als z.B. der Ex-Bundespräsident es wissen wollte,als er von wirtschaftlichen Aspekten der Kriegführung der Bundeswehr sprach - und auch die Soldaten in Afghanistan belehren wollte, weil sie nicht siegesgewiss genug seien.

Ich gebe hier den historischen Zusammenhang für die Entstehungszeit der Fontane-Ballade (1858 für eine "Tunnel-Lesung" in Berlin) aus einem anderen Forum an:

Seit 1839: Kolonialkrieg der Engländer über Indien hinaus:

Die o f f i z i e l l e Rede Köhlers vom 21.05.2010 in Mazar-e-Sharifan an die Soldaten
Holzfisch
Holzfisch
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Re: Vergessen? Fontanes "Das Trauerspiel von Afghanistan!
geschrieben von Holzfisch
als Antwort auf longtime vom 14.06.2010, 12:26:15
Ja, ich danke Dir für das Einstellen zu dem Link, der die historischen Zusammenhänge erklärt. Es sollte viel öfters zitiert werden, dieses Gedicht, und auch an den "Erste Afghanische Krieg" sollten sich gerade Politiker öfter eerinnern. Schon um zu ahnen, wie völlig aussichtslos ihr Unterfangen dort ist. Und Herr Köhler - ach ...

irgendwie fällt mir doch da ein Nietzsche ein:

Narr in Verzweiflung

Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand

Mit Narrenherz und Narrenhand,

Das sollte Tisch und Wand mir zieren? ...



Doch ihr sagt: "Narrenhände schmieren, —

Und Tisch und Wand soll man purgieren,

Bis auch die letzte Spur verschwand!"



Erlaubt! Ich lege Hand mit an —,

Ich lernte Schwamm und Besen führen,

Als Kritiker, als Wassermann.



Doch, wenn die Arbeit abgetan,

Säh' gern ich euch, ihr Ueberweisen,

Mit Weisheit Tisch und Wand besch......

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